Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2018-0024
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Wie Automatisierung das Störungsmanagement im Schienenverkehr verbessern könnte
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Lasse Gerrits
Danny Schipper
Störungsmanagement im Schienenverkehr ist ein komplexer und arbeitsintensiver Prozess. Zumeist funktioniert es, doch manchmal bricht die Koordination zusammen und das Bahnsystem gerät durcheinander. Wir haben verschiedene europäische Länder verglichen, um zu sehen, wie sie organisiert sind, was sie leisten und was getan werden könnte, um die Leistung zu verbessern. Dieser Beitrag konzentriert sich auf Deutschland im Vergleich mit anderen Ländern.
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Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 80 TECHNOLOGIE Schienenverkehr Wie Automatisierung das Störungsmanagement im Schienenverkehr verbessern könnte Eine internationale Untersuchung Schienenverkehrskontrolle, Automatisierung, Netzwerkanalyse, Kommunikation Störungsmanagement im Schienenverkehr ist ein komplexer und arbeitsintensiver Prozess. Zumeist funktioniert es, doch manchmal bricht die Koordination zusammen und das Bahnsystem gerät durcheinander. Wir haben verschiedene europäische Länder verglichen, um zu sehen, wie sie organisiert sind, was sie leisten und was getan werden könnte, um die Leistung zu verbessern. Dieser Beitrag konzentriert sich auf Deutschland im Vergleich mit anderen Ländern. Lasse Gerrits, Danny Schipper Z ugverspätungen sind ärgerlich, besonders wenn man einen Anschlusszug verpasst. Wenn man auf einem kalten Bahnsteig steht und der nächste Zug erst in einer Stunde kommt, fällt es nicht schwer, die Bahn zu kritisieren. Was viele Passagiere nicht realisieren: Das Störungsmanagement - der Prozess der Aufhebung der Störung - ist ein hoch komplexer Prozess, der beträchtliche Koordination zwischen verschiedenen Akteuren des Netzwerks verlangt. Bessere Technologien können die Koordination erleichtern. ProRail (Niederlande) hat die Autoren beauftragt, das Störungsmanagement in verschiedenen Ländern zu vergleichen und herauszuarbeiten, wie es verbessert werden könnte. Dieser Beitrag stellt einige der Hauptergebnisse - mit einem besonderen Augenmerk auf Deutschland - vor. Grundproblem Die Komplexität des Störungsmanagements gründet in zwei Hauptfaktoren. Erstens wird die Verkehrssteuerung in sogenannten Multi-Teams durchgeführt. Die Einführung von Marktmechanismen (z. B. Richtlinie des Rates 91/ 440/ EEC), gefolgt von den Regelungen eines Gemeinsamen Schienenverkehrsmarktes (z.B. Richtlinie 2012/ 34/ EU) haben zu einer Trennung zwischen den Infrastrukturmanagern (IM) und den EVU geführt, in der Folge zur Entstehung vieler privater und halbprivater oder kommerzieller EVU. In der Schienenverkehrssteuerung bedeutet das, dass die IM und die EVU von unterschiedlichen geografischen Standorten aus koordinieren. Und während die gesamte Infrastruktur immer noch von einem IM betrieben wird, ist es unmöglich, die Steuerung von einem einzigen Ort aus zu managen. DB Netz hat Deutschland in sieben Kontrollregionen unterteilt sowie einen nationalen Kontrollraum in Frankfurt am Main eingerichtet. So gesehen ist die Koordination stark dezentralisiert und geografisch zerstreut, man hat es mit einem Multi- Team-Netzwerk zu tun. Außerdem sind Störungen selten statisch. So kann beispielsweise eine Oberleitungsstörung vom IM verlangen, den Verkehr zu stoppen, während eine Reparaturmannschaft an die Stelle geschickt wird. Den Verkehr zu stoppen bedeutet jedoch, dass Züge und Zugbesatzungen nicht an ihrem Zielort ankommen, was in der Folge bedeutet, dass anderswo ein Zug nicht losfahren kann. Was als Oberleitungsstörung in einer Region begann, kann somit schnell zu einem Engpass beim Fahrzeugbestand und bei der Besatzung anderswo werden - selbst wenn die Oberleitung bereits repariert und wieder in Betrieb ist. Kommunikation und Koordination Die beiden oben genannten Faktoren - Multi-Teams und dynamische Störungen - haben einen erheblichen Einfluss auf das Störungsmanagement. Dies wird deutlich, wenn die Kommunikation zwischen allen Akteuren betrachtet wird. Das Multi-Team- Umfeld bedeutet, dass die Akteure einander anrufen oder benachrichtigen müssen, um die für Gegenmaßnahmen benötigten Informationen weiterzuleiten sowie um Möglichkeiten und Einschränkungen bezüglich gewisser Lösungsansätze zu erfragen. So kann DB Netz entscheiden, einen Zug umzuleiten, muss aber mit dem EVU abklären, ob der Fahrzeugführer die Ausweichstrecke kennt. Die Dynamik der Störung bedeutet, dass ein Wechsel gegenüber der Ausgangssituation von den Betreibern erfordert, alle neuen Informationen über das Netzwerk weiterzuleiten sowie zu überprüfen, ob die ursprüngliche Lösung noch gilt oder eine neue Lösung erforderlich und umsetzbar ist.Formaler ausgedrückt: Die Betreiber begeben sich in einen Prozess der gemeinsamen Sinnerzeugung (sense making), der unterteilt werden kann in Kommunikation bezüglich der Sinnerfragung (sense demanding: „Was passiert? “ „Was ist der neueste Stand? “) und Kommunikation bezüglich der Sinngebung (sense giving: „So viel wissen wir“ „Das hat sich geändert“). Kurz gesagt: Je „mehrdeutiger“ die Situation ist, desto intensiver ist die Kommunikation zwischen allen Akteuren und desto mehr Zeit braucht es, bevor eine Lösung vereinbart und umgesetzt wird. Gelegentlich kann die Kommunikation so umfangreich werden, dass sie Teil der Störung wird. Das ist der Punkt, an dem das System zusammenzufallen beginnt. Dieses Narrativ lässt sich durch Aufzeichnen der Informationsströme visualisieren und analysieren, wie Bild 1 und Bild 2 aus einem niederländischen Fall zeigen. Hier steigerte sich eine kleine Störung während der Hauptverkehrszeit im verkehrs- Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 81 Schienenverkehr TECHNOLOGIE reichsten Teil des Netzwerks in eine große Störung. Die erste Grafik zeigt den normalen und vorgesehenen Kommunikationsfluss, die zweite die tatsächliche Kommunikation während der Störung über einen Zeitraum von fast vier Stunden. Abgebildet ist die tatsächliche Kommunikation aus den während der gesamten Störung geführten Telefongesprächen, versandten Nachrichten und E-Mails (die alle standardmäßig aufgezeichnet wurden). Man kann deutlich sehen, dass es größere Unterschiede gibt zwischen der Kommunikation, wie sie sein sollte, und der, wie sie in der Realität während einer Störung ist. Zunächst einmal ist der Umfang beträchtlich, aufgrund der Mehrdeutigkeit bezüglich des Problems. Dies bringt viele operators dazu, auf der Suche nach Sinnerzeugung miteinander zu telefonieren und einander Nachrichten zu schicken. Auch lässt sich beobachten, dass z.B. der Zugdisponent A1 (train dispatcher A1), der Bereichskoordinator (national traffic controller LVL), der für die Störungsbeseitigung verantwortliche national asset manager coordinator (RIIB 2) und der Bereichsdisponent (national traffic coordinator, RLVL) eine überproportionale Menge an Informationen verarbeiten müssen. Das bedeutet, dass sie potenzielle Flaschenhälse im Netzwerk sind. Man sieht auch, dass ein beträchtlicher Anteil der Informationsströme dezentralisiert ist. Praktisch heißt das, dass es wenige Möglichkeiten zur Kontrolle der Informationsströme innerhalb des Netzwerks gibt. Während dieser speziellen Störung war die Mehrdeutigkeit der Situation sowie die Unfähigkeit einiger operators, einen Überblick zu behalten, eng mit den dezentralisierten Informationsströmen verbunden. Eine sachgemäße Netzwerkanalyse kann die Ursachen solcher Zusammenbrüche durch standardisierte Maßeinheiten wie Frequenz (die Anzahl der Interaktionen während der gesamten Zeitspanne), Dichte (die Anzahl der Verbindungen zwischen Knotenpunkten im Gegensatz zur Höchstzahl der möglichen Verbindungen) oder Betweenness- Zentralität 1 enthüllen. Die Situation in Deutschland In Deutschland wird die Komplexität des Prozesses durch die Tatsachen gesteigert, dass erstens das Schienennetz sehr groß und stark dezentralisiert ist und dass zweitens fast 400 EVU innerhalb des Landes operieren, von denen 360 nicht Teil des DB- Konzerns sind. Die zentrale Lage in Europa bedeutet, dass es wichtige internationale Korridore gibt, die grenzübergreifend koordiniert werden müssen. DB Netz überwacht etwa 45000 Zugfahrten täglich, bestehend aus ungefähr 39000 Passier- und etwa 5000 Güterzügen. Insgesamt werden in Deutschland jährlich 76,93 Mrd. Fahrkilometer zurückgelegt. Diese Zahlen allein lassen Deutschland international herausragen. Der Schienenverkehr wird von sieben Betriebszentralen (BZ) aus gesteuert. Jede BZ hat im Schnitt zehn Zugdisponenten, die die Verkehrströme auf speziellen Streckenabschnitten und an Knotenpunkten überwachen. Sie regeln Konflikte zwischen Zügen mithilfe vorgefertigter Dispositionsregeln. Während einer Störung ergreifen sie Erstmaßnahmen zur Isolation des Störungsbereichs mithilfe des Verkehrsleitsystems LeiDis-NK. Sie vermerken auch die Gründe hinter den Verspätungen und Störungen im Verkehrsleitsystem. Die von den Zugdisponenten angeordneten Maßnahmen werden von den Fahrdienstleitern ausgeführt, die Weichen und Signale stellen. Nur ein kleiner Teil der landesweit 12000 Fahrdienstleiter arbeitet in den BZ und nutzt Computer zur Steuerung der Weichen und Signale. Noch immer sind über 3400 lokale Stellwerke in Betrieb, von denen aus Weichen und Signale gestellt werden; manche werden sogar noch über mechanische Hebel handgesteuert. Zusätzlich gibt es zwei oder drei Bereichsdisponenten, die die Arbeit der Zugdisponenten von einem anderen Kontrollraum aus überwachen. Der Bereichsdisponent bearbeitet Anfragen und Beschwerden der EVU, z. B. bezüglich der Verbindungsdienste. Sie regeln auch Störungen in Absprache mit den EVU. Der Netzwerkkoordinator überwacht alle Aktivitäten der BZ. Während größerer Störungen kommuniziert der Koordinator mit den EVU und den benachbarten Zentren. Er oder sie hat auch das letzte Wort im Falle eines Interessenkonflikts oder wenn Mittel der EVU zur Lösung der Störung gebraucht werden. Ein Notfallmanager kommuniziert mit den Notfalldiensten. Eine Netzleitzentrale (NLZ) wurde 1997 in Frankfurt am Main eingerichtet. Hier überwachen drei bis vier Bereichskoordinatoren internationale und nationale Fernverbindungen entlang der Hauptkorridore. Jeder Bereichskoordinator ist für zwei oder mehr BZ verantwortlich. Gemeinsam überwachen sie etwa 800 Passagier- und 1200 Network Traffic Control ProRail Regional Traffic Control Train Dispatcher Network Operations Control Niederländische Eisenbahnen OCCR Regional Traffic Control Centre ProRail Regional Operations Control Centre NS Kommunikation Team Leader Regional Operations Control Node Operations Control Shiftleader Bild 1: Vorgesehener Kommunikationsfluss während einer Störung im niederländischen Schienensystem Bild 2: Tatsächlicher Kommunikationsfluss während einer größeren Störung im niederländischen Schienensystem Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 82 TECHNOLOGIE Schienenverkehr Güterzüge pro Tag. Zusätzlich stimmen sie sich mit den Verkehrssteuerungsstellen in den Nachbarländern ab. Die NLZ hat auch einen Netzkoordinator. Er hat hauptsächlich eine Überwachungsfunktion während extremer Störungen und extremer Wetterbedingungen. Er hat auch das letzte Wort im Falle einer Uneinigkeit zwischen Akteuren auf nationaler Ebene. Während des Normalbetriebs ist der Netzkoordinator hauptsächlich mit der Überwachung des gesamten Schienennetzwerks und mit der Erstellung täglicher Berichte für die Leitungsebene beschäftigt. Bild 3 zeigt die Informationsströme während einer Störung. Deutschland im Vergleich mit anderen europäischen Ländern In unserem Forschungsprojekt verglichen wir DB Netz mit der ÖBB Infra (Österreich), InfraBel (Belgien), Banedanmark (Dänemark), ProRail (Niederlande), Trafikverket (Schweden) sowie Infrastruturas de Portugal (Portugal). Dabei fiel Folgendes auf: Erstens sind die Kommunikationsströme deutlich stärker vertikal organisiert als in den anderen Ländern - wie der Vergleich von Bild 1 und Bild 3 veranschaulicht. Dies ist z.T. auf die Vergangenheit der DB als Teil des öffentlichen Dienstes zurückzuführen. Es könnte aber auch damit zusammenhängen, dass kein anderes Land mit so vielen verschiedenen EVU zu tun hat. Die Anforderung der EG, alle EVU gleich zu behandeln, bedeutet, dass DB Netz transparent und fair im Umgang mit Störungen sein muss. Dies wird durch einen recht formalen Prozess sichergestellt. Es bedeutet aber auch Abstriche bei der Flexibilität. Verglichen mit Dänemark oder den Niederlanden sehen wir in diesen Ländern eine größere „Anfälligkeit“, von den normalen Prozessen abzuweichen, sollte dies praktischer sein. Außerdem stellten wir fest, dass die Kommunikation mit den zahlreichen EVU in Deutschland eine bedeutende Herausforderung darstellt, einfach deshalb, weil in (großen) Störungen so viele von ihnen involviert sind. Dies bedeutet, dass die schiere Anzahl von Kommunikationsvorgängen naturgemäß hoch ist, während dies in anderen Ländern die Ausnahme wäre. Zweitens haben Betriebszentralen erhebliche Autonomie in der Verkehrsverlegung und bei der Umsetzung anderer Maßnahmen. Die Rolle der Netzleitzentrale ist es, die Entscheidungen der verschiedenen Betriebsleitzentralen bezüglich des Fernverkehrs zu koordinieren. Ihre Einbindung in das eigentliche Störungsmanagement an sich hängt von der Situation ab, bleibt aber für gewöhnlich begrenzt. Dies ist so auch in Schweden der Fall, im starken Kontrast z.B. zu Belgien, Dänemark und den Niederlanden, wo die Entscheidungsautorität bei den nationalen Kontrollzentren liegt, die deshalb einen wichtigeren Knotenpunkt im Kommunikationsnetzwerk bilden. In der deutschen Praxis beobachteten wir, dass Intuition in Bezug auf die Entscheidung, in den Betrieb vor Ort einzugreifen, eine wichtige Rolle spielt und es deshalb praktisch keine strengen Abgrenzungen gibt. Diese beiden Punkte bedeuten, dass die Betriebszentralen relativ autonom agieren, sich aber an die vertikale Organisation der Kommunikationsströme halten müssen. Drittens fanden wir heraus, dass - obwohl einige EVU (meist Teile der DB Regio) in den BZ gemeinsam untergebracht sind - die meisten EVU es vorgezogen haben, ihre eigenen Kontrollzentren zu nutzen. In den anderen Ländern mit weniger Wettbewerb sehen wir dagegen eine sehr starke Beziehung zwischen den IM und der historisch dominanten EVU. In all diesen Ländern sind die IM und die EVU gemeinsam im nationalen Kontrollzentrum untergebracht. Die Integration ist in Belgien am stärksten, wo regionale Teams aus operators der Infrabel und der NMBS bestehen. Hier erleichtert die gemeinsame Unterbringung die gemeinsame Sinnerzeugung und Entscheidungsfindung durch persönliche Kommunikation. Eine ähnliche Situation finden wir in den Niederlanden und Dänemark, wo sich operators der IM und der EVU während einer Störung oft im Krisenraum treffen. Österreich kann etwas Ähnliches in Wien vollziehen, nutzt diese Möglichkeit aber nur während größerer Krisen. In Deutschland bemerkten wir eine strengere Trennung zwischen den Prozessen der DB Netz und den EVU. Standardisierte Nachrichten werden via E-Mail, Textnachricht oder Website (strecken.info) gesandt, um schnell alle EVU über eine (geplante oder ungeplante) Störung zu unterrichten, so dass alle ihren Betrieb anpassen können. EVU können auch vom Verkehrsregelungssystem der DB Netz Gebrauch machen, was ihnen einen Echtzeitüberblick über ihre eigenen Züge und potenzielle Verzögerungen verschafft. Jedoch sind sie nicht in der Lage, die Dienste anderer EVU zu überwachen, weil DB Netz potenzielle Diskussionen über unfaire Behandlung vermeiden will. Viertens arbeiten alle Länder an Automatisierungs- und darauffolgenden Zentralisierungsprozessen. Dänemark hofft immer noch darauf, ERTMS l2 voll umzusetzen, während Österreich ältere Technologien gänzlich durch computer-basierte Signal- und Verkehrssteuerung auf seinen Hauptlinien ersetzt. ÖBBs Aramis Verkehrssteuerungssystem beinhaltet automatische Streckenführung, Konflikterkennung und Entscheidungshilfen während Umstellungen. Die Niederlande sind das einzige Land mit vollständig computer-basierter Steuerung und automatischer Streckenführung. Deutschland zeigt hier ein ausgesprochen gemischtes Bild. Einerseits hat man das Schweizer Schienenverkehrsteuerungs- System gekauft, um den Schienenverkehr zu regeln. Es bietet Konflikterkennung und simuliert mögliche Lösungen. Solche Systeme haben beträchtliche Auswirkungen auf die Verkehrsregelung, indem Routinearbeiten der Betreiber automatisiert werden, was den Betreibern die Überwachung großer Gebiete und Verringerung des benötigten Betriebspersonals ermöglicht. Überdies unterstützen diese Systeme die Betreiber darin, „proaktiver“ zu handeln und sich auf die Lösung der Störungen zu konzentrieren. Andererseits gibt es immer noch Teile des deutschen Streckennetzes, die von Hand betrieben werden und wo man von Automatisierung nur träumen kann. Während angeführt werden kann, dass manche Strecken Bereichskoordinator Bereichsdisponent Zugdisponent Netzleitzentrale (NLZ) Betriebszentralen (BZ) Kommunikation Netzkoordinator Fahrdienstleiter Über 400 EVU Bild 3: Kommunikationsfluss während einer Störung im deutschen Schienensystem Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 83 Schienenverkehr TECHNOLOGIE nicht ausreichend ausgelastet sind, um solche Investitionen zu rechtfertigen, könnte man auch argumentieren, dass Automatisierung das Betriebspersonal und somit auch die Anzahl der Kommunikationsvorgänge während einer Störung reduzieren könnte. Möglichkeiten zur Leistungssteigerung Wie gut schneiden DB Netz und die EVU beim Lösen von Störungen im Vergleich mit anderen Ländern ab? Ein einfacher Vergleich etwa der Zeit, die notwendig ist, um Störungen zu lösen, wird stark beschränkt durch die vielen Unterschiede zwischen den Ländern in Bezug auf technische und soziale Aspekte - ganz zu schweigen davon, dass größere Störungen immer ein paar neue Eigenschaften beinhalten. Generell lässt sich daher nicht einfach sagen, die DB Netz sei besser oder schlechter organisiert als anderswo. Wir kommen zu dem Schluss, dass angesichts der hohen Komplexität des Schienensystems und trotz aller öffentlichen Kritik die DB Netz einen auffallend guten Job macht. Es gibt einige Rahmenbedingungen, die die Leistung beeinflussen, so etwa die hohe Anzahl der EVU und die unvermeidbare geografische Streuung, aber DB Netz kann diese nicht ändern. Während die Anzahl der EVU auf absehbare Zeit nicht sinken wird, gibt es andere Wege, die Zahl der Knotenpunkte im Netzwerk zu reduzieren, um die Kommunikationsvorgänge und die Länge der Informationsströme zu verringern. Dies könnte entscheidende Zeit sparen. Ebenso wichtig ist die Tatsache, dass eine höhere Zahl von Knotenpunkten auch das Risiko birgt, dass Informationsströme verfälscht werden, was wiederum die sinnerfragende Kommunikation erhöht. Eine Reduzierung der Informationsströme an sich sowie der Anzahl der involvierten Knotenpunkte senkt das Arbeitspensum dramatisch und führt daher zu kürzeren Störungszeiten (im Durchschnitt). In Deutschland kann dies hauptsächlich durch Automatisierung und anschließende Zentralisierung erreicht werden. Bei etwa 3400 lokalen Stellwerken und vielen Fahrdienstleitern, die von verschiedenen Orten aus arbeiten, gibt es viel Raum, das Netzwerk zu vereinfachen und die Kommunikation bezüglich der Sinnerzeugung zu verringern - und somit die dafür benötigte Zeit zu verkürzen. Dies wiederum wird dabei helfen, mit den Herausforderungen dynamischer Störungen fertigzuwerden. Weitere Technologiestandardisierung könnte auch helfen, das Arbeitspensum zu senken. Jedoch muss vollständige Zentralisierung nicht immer die beste Lösung sein. Lokale Betreiber wissen in der Regel besser Bescheid über die Situation vor Ort. An sich werden sie immer noch benötigt. Vielmehr sehen wir eine Lösung, bei der Automatisierung überflüssige Knotenpunkte beseitigen kann, während gleichzeitig die Verfügbarkeit lokaler Informationen sichergestellt wird. ■ 1 Betweenness-Zentralität (betweenness centrality) - Ein Knoten hat einen hohen Betweenness-Wert, wenn er Bestandteil besonders vieler kürzester Wege ist und die jeweiligen Paare wenige andere kürzeste Wege haben, auf der der Knoten nicht enthalten ist. Für jedes Knoten-Paar wird daher der Anteil an kürzesten Wegen zwischen ihnen berechnet, die v enthalten. Diese Anteile werden für alle Knoten-Paare aufsummiert, um die Betweenness-Zentralität von v zu berechnen. Quelle: Wikipedia Lasse Gerrits, Prof. Dr. Lehrstuhl für Steuerung innovativer und komplexer technischer Systeme, Universität Bamberg lasse.gerrits@uni-bamberg.de Danny Schipper, M.Sc. Erasmus School of Social and Behavioural Sciences, Erasmus University Rotterdam schipper@essb.eur.nl Brief und Siegel für Wissenschafts-Beiträge Peer Review - sichtbares Qualitätsinstrument für Autoren und Leserschaft P eer-Review-Verfahren sind weltweit anerkannt als Instrument zur Qualitätssicherung: Sie dienen einer konstruktiv-kritischen Auseinandersetzung mit Forschungsergebnissen, wissenschaftlichen Argumentationen und technischen Entwicklungen des Faches und sollen sicherstellen, dass die Wissenschaftsbeiträge unserer Zeitschrift hohen Standards genügen. Herausgeber und Redaktion laden daher Forscher und Entwickler im Verkehrswesen, Wissenschaftler, Ingenieure und Studierende sehr herzlich dazu ein, geeignete Manuskripte für die Rubrik Wissenschaft mit entsprechendem Vermerk bei der Redaktion einzureichen. Die Beiträge müssen „Originalbeiträge“ sein, die in dieser Form und Zusammenstellung erstmals publiziert werden sollen. Sie durchlaufen nach formaler redaktioneller Prüfung ein standardisiertes Begutachtungsverfahren, bei dem ein Manuskript zwei, in besonderen Fällen weiteren Gutachtern (Referees) aus dem betreffenden Fachgebiet vorgelegt wird. Die Kernpunkte des Peer Review-Verfahrens: • Angenommene Manuskripte gehen an jeweils zwei Gutachter der entsprechenden Fachrichtung anonymisiert zur Begutachtung. • Gutachter nehmen ihre Begutachtung anhand eines standardisierten Bewertungsbogens vor, kommentieren die Bewertung schriftlich und empfehlen danach die uneingeschränkte Annahme zur Veröffentlichung, die Überarbeitung in bestimmten Punkten oder die Ablehnung. • Die Redaktionsleitung teilt den Autoren die Entscheidung der Gutachter umgehend mit, bei Bedarf zusammen mit den Überarbeitungsauflagen. Die Gutachten selbst werden nicht an die Autoren weitergeleitet - die Gutachter bleiben also für die Autoren anonym (double blind). 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