Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2018-0028
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Politikrisiken für die Deutsche Bahn
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Gerd Aberle
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Gerd Aberle KURZ + KRITISCH Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 9 Politikrisiken für die Deutsche Bahn D ie neue Regierungskoalition will den politischen Einfluss auf die DB AG verstärken. Es sollen vermehrt „volkswirtschaftliche Ziele“ neben denen eines Wirtschaftsunternehmens verfolgt werden. Unklar bleibt, was denn diese „volkswirtschaftlichen“ Kriterien überhaupt beinhalten. Denn volkswirtschaftlich verantwortungsvolles Verhalten der Bahn schließt als wesentliche Komponente auch und insbesondere eine hohe Leistungsqualität ein sowie durch Investitionen gesicherte und an den sich verändernden Markt- und Wettbewerbsbedingungen ausgerichtete Produktivitätsstrategien und die Erwirtschaftung der notwendigen Refinanzierungsmittel. Das verlangt auch der mit der Bahnreform 1994 entscheidend veränderte Art.-87e-Grundgesetz. Die ersten Umsetzungsschritte einer verstärkten politischen Einflussnahme sind bereits vollzogen. Im Aufsichtsrat der DB AG werden die WIrtschaftsvertreter durch Staatssekretäre und Parlamentarier ersetzt. Als Aufsichtsratsvorsitzender fungiert ein freigestellter Staatsekretär aus dem Bundesverkehrsministerium. Damit sind nur Gewerkschaftsvertreter und Politiker mit hoher Interessengebundenheit in diesem Gremium. 24 Jahre nach der Bahnreform nun also der Schritt zurück, wobei offensichtlich die Rechtsform der AG als störend empfunden wird. Dies alles erinnert mit Schrecken an die frühere Bundesbahn. Sie wurde als staatliches Sondervermögen mit eigenem Verwaltungsunterbau von einem ausschließlich mit Politikvertretern und Gewerkschaftern besetzten Verwaltungsrat kontrolliert und weitestgehend geleitet, der alle relevanten Aktivitäten des Vorstandes genehmigen musste. Die Bundesbahn wurde qualitativ und wirtschaftlich desaströs ruiniert, was 1993 zu einem Bilanzverlust von- fast 16 Mrd. DM bei einem Umsatz von 25 Mrd. DM. führte. Die- Personalaufwendungen lagen um 2,1 Mrd. DM über dem Umsatz! Aber wer weiß heute noch davon und von den vielen Ursachen der Bahnkrise. Wer ist noch in der Lage und bereit, mahnend die Stimme gegen den Zeitgeist mit dessen Fundamentalkritik an privatwirtschaftlichen Komponenten der Bahnführung zu erheben? Keinesfalls der neue Aufsichtsrat und wohl auch nicht der Vorstand der DB AG. Dass bei der DB AG manches nicht zufriedenstellend und kritikwürdig läuft, ist unbestritten, aber kein akzeptierbarer Grund, von ordnungspolitischen Kehrtwendungen in die Vergangenheit zu träumen. Ja, die Verspätungen im Personenverkehr sind ärgerlich und medienwirksam, haben jedoch ein komplexes Ursachenmuster. Das gilt auch für den seit Jahren (übrigens bei allen Schienenbahnen mit umfänglichem Einzelwagenanteil) kränkelnden und verlustbringenden Güterverkehr. Ähnliches gilt für die Defizite bei der Kundeninformation und die immer noch Besorgnis erregenden Produktivitätshemmnisse, insbesondere im Schienengüterverkehr. Verkehrs- und Umweltpolitik fordern eine nachhaltige Erhöhung des Bahnanteils, dies schon seit Jahren, aber mit keinem oder sehr mäßigem Erfolg. Viel zu wenig berücksichtigt die Politik, dass auf den Hauptabfuhrstrecken infrastrukturelle Kapazitätsengpässe eine störungsfreie Verkehrsabwicklung erschweren. Wenn vor diesem Hintergrund vollmundig immer wieder die Ausweitung des Marktanteils zumindest implizit als umsetzbar unterstellt wird, weil offensichtlich auch seitens der Bahn Überlastungsanzeigen sehr ungern erfolgen, ist dies schwer nachvollziehbar. Der Hinweis auf die Möglichkeiten der Digitalisierung erscheint in diesem Zusammenhang allerdings nicht zielführend, werden die Probleme der hohen Streckenbelastungen durch Mischverkehre und die sehr langen Umsetzungszeiträume bei den unvermeidbaren Infrastrukturinvestitionen berücksichtigt. Verstärkte politische Einflussnahmen auf die Unternehmensführung der DB AG sind ein zweischneidiges Unterfangen. Einerseits engen die aktienrechtlichen Vorgaben dies ein, andererseits verwischen die Verantwortlichkeiten für das unternehmerische Handeln. Die bahnpolitische Risikobilanz wirkt wenig vertrauenserweckend. ■ Prof. Gerd Aberle zu Themen der Verkehrsbranche „Die ersten Umsetzungsschritte einer verstärkten politischen Einflussnahme sind bereits vollzogen“
