eJournals Internationales Verkehrswesen 70/2

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2018-0034
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2018
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Verkehrlich-städtebauliche Auswirkungen des Online-Handels

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2018
Sven Altenburg
Klaus Esser
Dirk Wittowsky
Sören Groth
Hans-Paul Kienzler
Judith Kurte
Anna-Lena van der Vlugt
Die dynamischen Entwicklungen im Online-Handel führen derzeit zu einem erheblichen Zuwachs an urbanen Lieferverkehren, die sich nicht nur mehr auf die Kernstädte, sondern zunehmend auch hinein in die Wohnquartiere erstrecken. Dies verschärft lokal und global wirksame Emissions-Problematiken, zugleich geht die steigende Anzahl der Lieferfahrzeuge zulasten der Attraktivität und Funktionalität städtischer Quartiere. Der Beitrag zeigt beispielhaft auf Grundlage einer vom BBSR und BMUB im Auftrag gegebenen Grundlagenstudie, dass Kommunen mit regional angepassten Konzepten eine schonendere Abwicklung der Lieferverkehre forcieren können. Dies setzt jedoch einen Kenntnisstand darüber voraus, wie sich neue Logistikstrukturen und Verkehrsströme in der Fläche organisieren werden.
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Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 24 INFRASTRUKTUR Verkehrsplanung Verkehrlich-städtebauliche Auswirkungen des-Online-Handels Wie können die zunehmenden Lieferverkehre in den Städten konfliktfrei abgewickelt werden? KEP-Verkehre, Online-Handel, Verkehrsbelastungen, Verkehrspolitik, Elektromobilität, Logistik, Digitalisierung, Städtebau Die dynamischen Entwicklungen im Online-Handel führen derzeit zu einem erheblichen Zuwachs an urbanen Lieferverkehren, die sich nicht nur mehr auf die Kernstädte, sondern zunehmend auch hinein in die Wohnquartiere erstrecken. Dies verschärft lokal und global wirksame Emissions-Problematiken, zugleich geht die steigende Anzahl der Lieferfahrzeuge zulasten der Attraktivität und Funktionalität städtischer Quartiere. Der Beitrag zeigt beispielhaft auf Grundlage einer vom BBSR und BMUB im Auftrag gegebenen Grundlagenstudie, dass Kommunen mit regional angepassten Konzepten eine schonendere Abwicklung der Lieferverkehre forcieren können. Dies setzt jedoch einen Kenntnisstand darüber voraus, wie sich neue Logistikstrukturen und Verkehrsströme in der Fläche organisieren werden. Sven Altenburg, Klaus Esser, Dirk Wittowsky, Sören Groth, Hans-Paul Kienzler, Judith Kurte, Anna-Lena van der Vlugt D er stetig wachsende Online-Handel kann als einer der bedeutendsten Trends im Konsumverhalten der Menschen angesehen werden: Immer mehr Waren werden nicht mehr in stationären Geschäften beschafft, sondern sie werden online bestellt und geliefert. Dies stößt komplexe Wirkungsketten zwischen Logistikkonzepten, Verkehrsströmen und urbanen Infrastrukturen an, die bereits bestehende verkehrliche Problemlagen erheblich verstärken können. Der Online-Handel kann die verkehrlichen Probleme von Städten verschärfen Dies zeigt sich insbesondere in Wohngebieten, die erst durch die Heimzustellungen des Online-Handels massiv unter Lieferverkehren leiden. Dazu gehört die Zunahme lokaler Lärm- und Schadstoffemissionen, das Blockieren von Geh- und Radwegen sowie die Beeinträchtigung der Verkehrs sicherheit durch Parken in zweiter Reihe. Derzeit werden Lieferverkehre fast ausschließlich mit dieselbetriebenen Lieferfahrzeugen durchgeführt. Somit verschärfen sie die in vielen Städten ohnehin schon gravierende Emissions-Problematik. So lag beispielsweise 2017 in der Stadt Düsseldorf das NO 2 -Jahresmittel an drei der vier offiziellen Messpunkte bei 52 bis 56 µg/ m 3 und damit um 30 bis 40 % über dem Grenzwert von 40 µg NO 2 / m 3 Luft/ Jahr [1]. Es ist vor dem Hintergrund dieser Problematik wenig überraschend, dass intensiv über Dieselfahrverbote und Sperrzonen diskutiert wird. Restriktionen alleine werden aber die Belastungen der Lieferverkehre nicht lösen: Selbst wenn alle Lieferfahrzeuge eines Tages emissionsfrei sein werden, bedroht die Menge und die Größe konventioneller Lieferfahrzeuge weiterhin die Attraktivität und Funktionalität von Wohn- und Innenstadtquartieren, sodass neue Konzepte zur konfliktfreieren Belieferung urbaner Gebiete gefunden werden müssen. In den vergangenen Jahren ist eine Vielzahl an Studien entstanden, die sich auf verschiedene Weise mit den Konsequenzen des Online-Handels im Hinblick auf räumlich ausdifferenzierte Nachfragemuster [2, 3] oder mit konkreten Folgen für den stationären Einzelhandel [4] auseinandergesetzt haben. Die damit verbundenen komplexen verkehrlichen Zusammenhänge und damit verknüpfter Anpassungsstrategien wurden dabei i. d. R. jedoch ausgeklammert. In einer vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBSR) sowie dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) beauftragten Studie konnten die verkehrlichen und siedlungsstrukturellen Effekte erstmals übergreifend analysiert und abgeschätzt werden [5]. Als Ausgangspunkt für alle Überlegungen zu Logistikkonzepten und städtebaulichen Handlungsoptionen dient zunächst eine möglichst genau quantifizierte Kenntnis der Nachfrage nach solchen Lieferungen: Wie viele Lieferungen in einer Stadt werden überhaupt durch den Online-Handel ausgelöst? Bisher veröffentlichte Zahlen dazu sind zumeist auf Bundesebene aggregiert oder sind nur durch aufwändige Primärerhebungen zu beschaffen. Ein kleinräumiges Model zur Schätzung der Sendungsaufkommen und damit der nachgelagerten Verkehrsaufkommen und resultierenden Logistikkonzepte sowie die sich daraus ergebenden städtebaulichen Herausforderungen fehlte bislang. Mit Hilfe des von KE-CONSULT für das Netzwerk „Verkehr in Städten“ (bestehend aus Prognos, KE-CONSULT und dem ILS) entwickelten Modells lässt sich auf der Basis von kleinräumigen sozio-ökonomischen Strukturdaten das Sendungsaufkommen bis auf Stadtteilebene modellieren. Die Grundidee dieses Ansatzes ist, einen sogenannten „Stadtmodellbaukasten“ zu entwickeln, mit Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 25 Verkehrsplanung INFRASTRUKTUR dessen Hilfe sich das kleinräumige Nachfragebild aus sozio-ökonomischen Clustern von typischen Stadtstrukturen zusammensetzen lässt. Damit kann für praktisch jede Stadt die Nachfrage ermittelt werden, ohne teure Erhebungen von Grundlagendaten durchführen zu müssen. Auf der so modellierten Datenbasis können dann die weiteren Fragestellungen behandelt werden: 1. Welche (Liefer-)Verkehrsströme werden in den Städten erzeugt, um die Nachfrage zu befriedigen? 2. Mit welchen logistischen Konzepten kann diese Nachfrage möglichst schonend befriedigt werden? 3. Welche städtebaulichen Voraussetzungen sind hierfür wo zu schaffen (z. B. Flächen für Pick-up-Points oder Mikrodepots)? Wie viel Lieferverkehr entsteht eigentlich und was bedeutet das für die Städte? Die Marktbeobachtung und die Analysen zu den Wirkungsbeziehungen zwischen Online-Handel und Kurier-, Express-, Paket- Markt (KEP-Markt) zeigen, dass steigende Umsätze im Online-Handel einen direkten Einfluss auf das Sendungsvolumen im KEP- Markt und hier insbesondere auf den Paketmarkt haben (Bild 1). Besonders deutlich wird dies in den vergangenen Jahren. Die Anzahl der Sendungen im KEP-Markt in Deutschland ist seit 2005 bis 2016 innerhalb von elf Jahren um rund 1,2 Mrd. Sendungen (+62 %) und die der Paketsendungen um rund 1,12 Mrd. Sendungen (+74 %) gestiegen. Diese Entwicklung wird sich in den kommenden Jahren fortsetzen. Für den KEP- Markt erwarten wir ein Sendungsvolumen von rund 4,15 Mrd. Sendungen in 2021. Aus dem Wachstum des E-Commerce wird ein Zuwachs bei den B2C-Sendungen von 690- Mio. Sendungen induziert. Dabei verdreifachen sich die FMCG-Sendungen (Fast-moving consumer goods wie Lebensmittel oder Hygieneartikel, die schnell verkauft und wieder aus dem Warenlager ersetzt werden) von 130 Mio. auf 400 Mio. Sendungen, was zu einem Anteil am KEP- Markt von ca. 10 % führt. Die übrigen B2C- Sendungen legen um 420 Mio. zu (Bild 2). Mit dem steigenden Sendungsvolumen geht ein Anstieg der Liefervorgänge und des Lieferverkehrs einher. In der Folge stehen KEP-Dienstleister und Kommunen gleichermaßen vor neuen Herausforderungen. So wird es für die KEP-Unternehmen notwendig, ihre Netze und Umschlagsinfrastrukturen bzgl. Kapazität und Qualität an die geänderten Rahmenbedingungen anzupassen. Die Anzahl und die Größe von Verteilzentren und Zustellbasen nehmen zu. Die weitreichendsten Veränderungen sind auf der letzten Meile festzustellen. Derzeit werden vielfältige Anstrengungen unternommen und zahlreiche Innovationen entwickelt, erprobt und getestet, die die Verteilprozesse im Rahmen der Endkundenbelieferung effizienter gestalten sollen. Entsprechende logistische Konzepte und Maßnahmen zur Lösung des Problems der letzten Meile sollen helfen, Bündelungseffekte zu erzielen, den Stopp-Faktor im Endkundengeschäft zu erhöhen und den Transportaufwand zu reduzieren. In den Fokus der Zustellkonzepte rücken dabei auch verstärkt die Anforderungen und Zustellwünsche aus Endkundensicht. Mit den Zustellkonzepten und der Akzeptanz und Nutzung durch den Endkunden gehen verkehrliche und städtebauliche Wirkungen einher. Aber was bedeuten diese Makro-Trends auf städtischer Ebene? Konkret stellen sich die Problemlagen und Herausforderungen in den Kommunen in sehr unterschiedlicher Weise dar. Daher sind Informationen zur regionalen Verteilung des KEP-Sendungsvolumens von sehr hohem Interesse. Zu der regionalen Aufteilung der KEP-Sendungen nach Kommunen oder Landkreisen liegen bislang keine ausreichenden, detaillierten Angaben und Ergebnisse vor. Hierzu wurde bei KE-CONSULT für das Netzwerk „Verkehr in Städten“ ein Analysetool entwickelt, mit dem das regionale Sendungsvolumen abgeschätzt werden kann. Zur Ermittlung des regionalen Sendungsvolumens werden regionalisierte und disaggregierte Struktur- und Wirtschaftskennziffern (u. a. Bevölkerung, Haushalte, Kaufkraft, Einzelhandelsumsätze, Wertschöpfung, BIP) berücksichtigt, mit denen jeweils unterschiedliche Marktsegmente regional verteilt werden und anschließend wiederum zum ge- 2016 2021 KEP-Sendungen gesamt 36 Mio. 47 Mio. KEP-Sendungen pro Kopf 56 74 KEP-Sendungen je Zustelltag 120.000 160.000 Durchschnittlicher Fahrzeugeinsatz je Zustelltag* 700 900 * Unterstellt wird dabei ein durchschnittliches Sendungsvolumen über alle Fahrzeuge. Tabelle 1: KEP-Sendungsvolumen für Düsseldorf 2016 und 2021 Quelle: KE-CONSULT (Modell zur regionalen Quantifizierung des KEP-Marktes KEP-rQ) Bild 1: Entwicklung des Sendungsvolumens im deutschen KEP-Markt Quelle: [5] Bild 2: Prognose des E-Commerce-induzierten Sendungsvolumens für das Jahr 2021 Quelle: [6] Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 26 INFRASTRUKTUR Verkehrsplanung samten regionalen KEP-Sendungsvolumen zusammengefasst werden. Auf Basis dieses Ansatzes lässt sich das KEP-Sendungsvolumen in beliebigen Städten in Deutschland robust und bei hoher Komplexität verlässlich regional aufteilen. Exemplarisch für die Stadt Düsseldorf werden in Tabelle 1 entsprechende ausgewählte Strukturkennziffern für das Jahr 2016 ausgewiesen. Unter Berücksichtigung der prognostizierten Marktentwicklung kann die Entwicklung bis zum Jahr 2021 nachvollzogen und quantifiziert werden. Dabei wird deutlich, dass in Düsseldorf mit einem Anstieg des Sendungsvolumens am KEP-Markt zu rechnen sein wird. Das bedeutet auch eine Zunahme der durchschnittlichen KEP-Sendungen pro Kopf und letztendlich eine Zunahme der eingesetzten Fahrzeuge. Handlungsdruck und -optionen für die Städte Das Beispiel Düsseldorf lässt erahnen, in welchem Ausmaß Kommunen hinsichtlich der Anpassungen und Neuausrichtungen logistischer Prozesse und Strukturen als Resultat der dynamischen Entwicklungen im Online-Handel vor die Bewältigung neuer verkehrlicher und städtebaulicher Herausforderungen gestellt sind. Zwar sind diese auch von den politischen Rahmensetzungen der Bundes- und Landesebene abhängig (z. B. Festsetzungen in den Landesentwicklungsprogrammen, Novellierung der Bauleitplanung oder Aufbau von Förderkulissen), allerdings lassen sich bereits heute potentialreiche Instrumente im Handlungsspielraum der Kommunen verorten, mit denen auf die neuen unterschiedlichen Problemlagen infolge des KEP-Markt-Booms reagiert werden kann. Aufgrund des dynamischen Marktes und der bestehenden Unsicherheiten zur Innovationsgeschwindigkeit sowie der Art und Richtung der Wirkungseffekte werden Entwicklungsräume zur Ausgestaltung aufgespannt, um proaktiv Anpassungsstrategien zur Vermeidung von unerwünschten Effekten zu entwickeln (Tabelle 2). Für die Stadt Düsseldorf liegt der größte Handlungsdruck bis zum Jahr 2021 in der Anpassung kommunaler Einzelhandelskonzepte, der Bereitstellung von Pick-up-Points und der Ausweisung von multifunktionalen Anlieferungsflächen in Wohngebieten. Darüber hinaus sollte auch ein besonderes Augenmerkt auf die Verbesserung der (Lasten-)Fahrradinfrastruktur und den Ausbau der Ladeinfrastrukturen für Elektromobilität gelegt werden. Flächen für autonome Zustellkonzepte können für die nächsten Jahre bis 2021 weiter im Experimentierstatus gesehen werden. Beispielhaft können für den Untersuchungsraum mehrere Handlungsoptionen umrissen werden: Die Umsetzung des Konzepts „Punkte-statt-Fläche“ [5] zielt auf die Entlastung der Wohnquartiere ab, die besonders stark vom wachsenden KEP-Markt betroffen sind - etwa durch die Zunahme lokal wirksamer Schadstoffemissionen durch Langzeitaufenthalte der Paketdienste, neuer „Stop-and-Go“-Verkehre sowie Nutzungskonflikte mit Anwohnern und dem fließenden Verkehr durch unerlaubtes Parken in zweiter Reihe oder auf den Gehwegen. Dies erfordert im Wesentlichen eine Neujustierung der städtischen Infrastrukturen durch die Installation von Pick-Up- Points in den Quartieren, mit denen Pakete nicht mehr direkt an der Tür des Empfängers abgegeben werden, sondern an einem zentralen Quartiersstandort und dort vom Endkunden oder durch „Quartiersverteiler“ selbst abgeholt oder verteilt werden; idealerweise zu Fuß, mit dem Rad oder leihbaren Lastenrädern/ -karren [7]. Unter Einbezug moderner Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) sind mit den Pick-Up-Points ernstzunehmende Alternativen zur Hauszustellung geschaffen, mit denen das prognostizierte Sendungswachstum auf der letzten Meile über Echtzeitinformationen effizienter abgewickelt und auch durch den Kunden noch gesteuert werden kann [8]. Inwiefern die Belieferung dieser Pick-up-Points verpflichtend gegenüber der Heimbelieferung sein sollte, ist im Einzelfall von den kommunalen Entscheidungsträgern zu prüfen. Solche Verpflichtungen könnten etwa durch temporäre Einfuhrverbote in die Wohnquartiere durchgesetzt werden, wobei nur die direkte Zufahrt zur jeweiligen Pick-up-Station ausgenommen wäre, bzw. durch reglementierte Lieferkonzessionen für die Quartiere geregelt werden. Entscheidend wird dabei sicherlich auch die Kundenpräferenz sein, wie flexibel die Warensendungen durch den Kunden via IKT gesteuert werden können und ob die Lieferkosten durch eine Anpassung der Infrastrukturen den Kunden weiter geben werden. Eine Bedeutungsverschiebung vom stationären Handel hin zum Online-Handel kann von den Kommunen als Chance gesehen werden, die Warenverteilung auf der letzten Meile ausnahmslos zu elektrifizieren. Während die Belieferung des stationären Einzelhandels sehr zentralisiert abläuft, steht bei der Endkundenbelieferung die stark fragmentierte letzte Meile im Fokus der Lieferprozesse. Lieferprozesse für den Stärke des Handlungsbedarfs Anpassung der kommunalen Einzelhandelskonzepte (u.a. Multichanneling) ++ Installation Pick-up Points ++ Anpassung & Ausbau der Radverkehrsinfrastrukturen + Anlieferungsflächen (Zentrum) ø/ + Anlieferungsflächen (Wohngebiet) ++ Elektromobilität und Ladeinfrastrukturen + Flächen für autonome Zustellkonzepte ø/ - ++ Hoher Handlungsbedarf; + Leichter Handlungsbedarf; ø Beobachtungsstatus und Testphasen; - Vorerst eher kein Handlungsbedarf Tabelle 2: Auswahl von Handlungsfeldern und -bedarfen zum Umgang mit dem „KEP-Markt-Boom“ am Beispiel Düsseldorfs für den Zeitraum 2016 bis 2021 Quelle: [5] Bild 3: Schematischer Vergleich von stationärem (links) und Online-Handel (rechts) Quelle: [5] Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 27 Verkehrsplanung INFRASTRUKTUR stationären Einzelhandel hingegen sind meist überregional in großen Warenmengen gebündelt. Die Kombination aus entfernungsintensiven Touren und hohen Gewichten erschwert den Einsatz elektrischer Antriebe, weshalb ihr Anteil bei LKWs von 3,5 bis 7,5 t im Jahr 2016 nahe Null lag. KEP- Dienste hingegen operieren von regionalen Logistikhubs aus und gliedern ihre Prozesse kleinteilig in lokalen Zustellbezirken (Bild- 3). Dadurch nehmen sowohl die Tourenlängen als auch die benötigte Nutzlast signifikant ab. Deshalb sind die Fahrzeuge sehr gut zur Elektrifizierung geeignet, wie etwa die Erfolgsgeschichte des StreetScooter und die zunehmenden Elektrifizierungs- Aktivitäten anderer Unternehmen belegen. Mit Blick auf die Rolle der Kommune lässt sich die Ausschöpfung dieses Potentials durch die derzeit viel diskutierten Restriktionen gegenüber Dieselfahrzeugen erheblich steigern. Neben elektrischen LKWs sind darüber hinaus Lasten-Pedelecs, Formen von Drohnen und innovative Konzepte wie autonom rollende Packstationen oder Zustellroboter als Alternativen zum dieselgetriebenen Lieferfahrzeug einsatzfähig. Schließlich gilt es mittels der Förderung von Konzepten des Cross- und Multi-Channeling, den derzeitigen Flächendruck auf die lokalen Einzelhandelsstrukturen zu entspannen, mit denen digitale und stationäre Einzelhandelsstrukturen einschließlich korrespondierender Logistikkonzepte harmonisiert werden [9]. Gegenläufige Entwicklungstrends einer steigenden Nachfrage von Lager- und Logistikflächen an den Massenmärkten dicht besiedelter Regionen auf der einen Seite und die sinkende Nachfrage nach stationären Einzelhandelsflächen auf der anderen müssen nicht als Bedrohung der kommunalen Einzelhandelsstrukturen begriffen werden. Ansätze wie die Große Emma in Meißen oder Online City Wuppertal (OCW) bieten geeignete Fallbeispiele, wie sich lokale Einzelhandelsstrukturen stärken lassen und alternative Vertriebswege über KEP-Dienste das Bedürfnis nach einer same-day-delivery (oder gar samehour-delivery) befriedigen können. Den Kommunen kommt hier eine entscheidende Handlungsmacht zu, indem sie solche Ansätze einschließlich der korrespondierenden Logistikansätze in die städtischen Einzelhandelskonzepte berücksichtigt. Schlussbetrachtung: Risiken und Chancen für Kommunen durch die neuen Entwicklungen im Online- Handel Der am Beispiel Düsseldorf skizzierte und perspektivisch deutlich steigende Handlungsdruck für die Städte verdeutlicht, dass künftig auf kommunaler Ebene innovative Lieferkonzepte Teil der strategischen Planung werden müssen. Einerseits verschärfen die derzeit noch fast ausschließlich dieselbasierten Lieferverkehre ohnehin bestehende Emissionsprobleme, andererseits bedroht die steigende Menge konventioneller Lieferfahrzeuge auch die Attraktivität und Funktionalität urbaner Gebiete. Altenburg, Esser, Wittwosky et al. haben die Vielfalt der möglichen Konzepte und Handlungsansätze in einer Best-Practice-Toolbox herausgearbeitet, mit deren Hilfe urbane Anpassungsstrategien entwickelt und letztendlich städtische Lieferverkehre konfliktfreier abgewickelt werden können [5]. Das Netzwerk „Verkehr in Städten“ hat sich zum Abschluss dieser Studie gegründet, da sich sehr schnell herausgestellt hat, dass sich die komplexen Herausforderungen durch den wachsenden Online-Handel vor dem Hintergrund der starken regionalen Heterogenität nicht monokausal lösen lassen, sondern im Zusammenspiel von Logistik- und Verkehrsexperten sowie Experten aus dem Bereich der Stadtentwicklung gemeinsam angegangen werden müssen. Eine Anpassung bestehender Lieferkonzepte hin zu schonenderen und konfliktärmeren Ansätzen auf kommunaler und lokaler Ebene kann nur durch einen gemeinsamen strategischen Prozess von Kommunen, Anliegern und Logistikbranche vor Ort initiiert werden. Das Netzwerk „Verkehr in Städten“ hat sich zum Ziel gesetzt, diese Prozesse zu begleiten und mit seiner Modellierungskompetenz zu unterstützen. Durch quantitative Abschätzungen dazu, welche positiven bzw. negativen Auswirkungen alternative Konzepte bezogen auf verkehrliche und städtebauliche Indikatoren haben würden, leistet das Netzwerk eine wichtige objektive Entscheidungshilfe für die Kommunen und Landkreise. ■ QUELLEN [1] LANUV - Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (2018): Schadstoffe. EU-Jahreskenngrößen. https: / / www.lanuv.nrw.de/ fileadmin/ lanuv/ luft/ immissionen/ ber_trend/ EU-Kenngroessen_2017-V-2018-03-13.pdf (Zugriff am 23.04.2018) [2] Bernsmann, A.; Clausen, U.; Heinrichmeyer, H.; Stütz, S. (2016): ZF- Zukunftsstudie. Die letzte Meile. Friedrichshafen, Stuttgart, Dortmund [3] Becker, E.; Gutknecht, K.; Hollbach-Grömig, B.; Zur Nedden, M.; Pätzold, R.; Stumpf, J.; Wotruba (2017): Online-Handel - Mögliche räumliche Auswirkungen auf Innenstädte, Stadtteil- und Ortszentren. BBSR-Online-Publikation Nr. 08/ 2017. Berlin [4] Jahn, M. (2015): Wandert die Verkaufsfläche vom POS ins Netz? GfK Prognose zum Verkaufsflächenbedarf der Warengruppen bis 2025. White Paper. Bruchsal [5] Altenburg, S.; Esser, K.; Wittowsky, D.; Kienzler, H.-P.; Kurte, J.; Groth, S; van der Vlugt, A.-L.; (2018): Verkehrlich-Städtebauliche Auswirkungen des Online-Handels. Endbericht des ExWoSt-Projekts im Auftrag des Bundesinstituts für Bau, Stadt- und Raumforschung und des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Bonn/ Berlin. Demnächst verfügbar unter: http: / / www.bbsr.bund.de/ BBSR/ DE/ FP/ ExWoSt/ Studien/ 2015/ SmartCities/ SmartCities-VerkehrOnline/ 01_Start.html? nn=406060&docId= 1202310&notFirst=true [6] KE-CONSULT (2017): Wachstum über Grenzen hinweg, KEP-Studie 2017 - Analyse des Marktes in Deutschland, Marktstudie für den Bundesverband Paket und Expresslogistik (BIEK). Köln [7] Morganti, E.; Dablanc, L.; Fortin, F. (2014): Final deliveries for online shopping. The deployment of pickup point networks in urban and suburban areas. In: Research in Transportation Business & Management 11, 23-31 [8] Suh, K.; Smith, T.; Linhoff, M. (2012): Leveraging socially networked mobile ICT platforms for the last-mile delivery problem. In: Environmental science & technology 46, 17, 9481-9490 [9] Jäger, R. (2016): Bedeutung von Multi-Channel-Konzepten für den Einzelhandel. In Jäger, R. (Hrsg.): Multi-Channel im stationären Einzelhandel. Ein Überblick. Wiesbaden, 11-24 Klaus Esser Geschäftsführer KE-CONSULT, Köln esser@ke-consult.de Sören Groth Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Forschungsgruppe Alltagsmobilität und Verkehrssysteme, ILS-Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung gGmbH, Dortmund soeren.groth@ils-forschung.de Judith Kurte Geschäftsführerin KE-CONSULT, Köln kurte@ke-consult.de Anna-Lena van der Vlugt Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Forschungsgruppe Alltagsmobilität und Verkehrssysteme, ILS-Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung gGmbH, Dortmund anna-lena.vlugt@ils-forschung.de Hans-Paul Kienzler Bereichsleiter Mobilität & Transport, Prognos AG, Düsseldorf hans-paul.kienzler@prognos.com Sven Altenburg Projektleiter und Ansprechpartner für Zukunftstechnologien im Verkehr, Prognos AG, Düsseldorf sven.altenburg@prognos.com Dirk Wittowsky, Dr.-Ing. Leiter der Forschungsgruppe Alltagsmobilität und Verkehrssysteme, ILS-Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung gGmbH, Dortmund dirk.wittowsky@ils-forschung.de