Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2018-0037
51
2018
702
Wettbewerbskräfte im Logistikmarkt der Zukunft
51
2018
Erik Hofmann
Mathias Mathauer
Neben einer erhöhten Wettbewerbsintensität verändern sich aktuell die Marktmechanismen, welche der Logistikdienstleistungs-Branche zugrunde liegen. Neue Technologien dienen als Basis für disruptive Geschäftsmodellinnovationen, weshalb klassische Branchenstrukturanalysen wie das Fünf-Kräfte-Modell nach Porter neu gedacht werden müssen. Der vorliegende Beitrag erörtert die entstehenden Marktkräfte und zeigt Auswirkungen der Digitalisierung auf die Wertschöpfungsaktivitäten von Logistikdienstleistern auf. Dadurch können aus Chancen und Gefahren in Abhängigkeit des Geschäftsmodells Handlungsempfehlungen abgeleitet werden.
iv7020037
Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 37 Wettbewerbskräfte im Logistikmarkt der Zukunft Auswirkungen der Digitalisierung auf die Geschäftsmodelle von Third-Party Logistics Providern Geschäftsmodell, Logistikdienstleister, Digitalisierung, Wettbewerb Neben einer erhöhten Wettbewerbsintensität verändern sich aktuell die Marktmechanismen, welche der Logistikdienstleistungs-Branche zugrunde liegen. Neue Technologien dienen als Basis für disruptive Geschäftsmodellinnovationen, weshalb klassische Branchenstrukturanalysen wie das Fünf-Kräfte-Modell nach Porter neu gedacht werden müssen. Der vorliegende Beitrag erörtert die entstehenden Marktkräfte und zeigt Auswirkungen der Digitalisierung auf die Wertschöpfungsaktivitäten von Logistikdienstleistern auf. Dadurch können aus Chancen und Gefahren in Abhängigkeit des Geschäftsmodells Handlungsempfehlungen abgeleitet werden. Erik Hofmann, Mathias Mathauer G lobalisierung und E-Commerce lassen die Nachfrage nach Transportdienstleistungen stetig ansteigen. Seit Jahrzehnten zeichnet sich ein Trend dazu ab, dass Unternehmen logistische Aktivitäten vermehrt an sogenannte „Third-party Logistics Provider“ (kurz 3PL) auslagern. Diese nehmen aufgrund gestiegener Anforderungen in der Logistik neben Transport und Lagerung zunehmend auch sonstige Mehrwertdienstleistungen in ihr Leistungsangebot auf. Das Spektrum reicht von der Etikettierung und Verpackung der Ware über Retourenmanagement bis hin zur Zollabwicklung und Fakturierung. Durch den Einsatz von 3PLs profitiert der Kunde u.a. von tieferen Lagerbeständen und damit niedrigerer Kapitalbindung, neu gewonnener Flexibilität sowie Kosten- und Zeitersparnissen. Allerdings bewegen sich 3PLs in einem herausfordernden Marktumfeld. Es herrscht ein grenzübergreifender Verdrängungswettbewerb vor, welcher den Kunden eine komfortable Verhandlungsposition verleiht. Gleichzeitig verändern technologische Neuerungen das Wettbewerbsumfeld massiv, da disruptive Geschäftsmodelle möglich werden. Uber Freight 1 oder pickwings 2 operieren beispielsweise als Plattformen, welche eine kosteneffiziente Abwicklung von Transporten „on demand“ und in Echtzeit ermöglichen. Auch E-Commerce- Anbieter drängen verstärkt in den Markt. Durch Vor- und Rückwärtsintegration bauen diese eigene Logistiklösungen auf und Foto: geralt/ pixabay.de Dienstleistung LOGISTIK Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 38 LOGISTIK Dienstleistung werden von Kunden zu Konkurrenten der 3PLs. Nicht zuletzt bieten Fahrzeughersteller digitale Flottenmanagement-Systeme und Mobilitätsservices an, wodurch auch sie in die Domäne traditioneller Logistikmärkte vordringen. Aus dieser Motivation heraus zeigt der vorliegende Artikel auf, wie die fortschreitende Digitalisierung auf die Wettbewerbsarena von Logistikdienstleistern einwirkt und welche Chancen und Gefahren sich daraus ergeben. Gegenwärtig verändern sich die Marktmechanismen, welche der Logistikdienstleistungs-Branche zugrunde liegen. Um die Attraktivität einer Branche zu bestimmen, hat sich in der unternehmerischen Planung das Fünf-Kräfte-Modell nach Porter 3 durchgesetzt. Demnach wird die Branchenattraktivität von der Marktstruktur her bestimmt, die das Verhalten der Marktteilnehmer beeinflusst. In Zeiten des digitalen Fortschritts muss dieses Modell allerdings neu gedacht und auf die Besonderheiten der Logistikdienstleistungs-Branche angepasst werden. Die Marktkräfte bleiben zwar grundsätzlich bestehen, deren Wirkungsmechanismen verändern sich durch die Digitalisierung jedoch entscheidend (siehe Bild 1). Industrialization of Services Durch die Digitalisierung ist eine veränderte Wettbewerbsintensität innerhalb der Branche festzustellen: Dienstleistungen werden vermehrt auf Basis standardisierter Komponenten bereitgestellt. Dies ermöglicht Unternehmen, ihre Prozesse zu verschlanken und gleichzeitig eine standardisierte Qualität zu gewährleisten. Dadurch vereinheitlicht sich das Angebot, was den Wettbewerb erhöht und die Preise sinken lässt. Treiber dieses Wirkungsmechanismus sind leicht ersetzbare, physische Transport, Umschlags- und Lagerdienstleistungen sowie standardisierte IT-Services. Attacker’s Advantage Der Einsatz disruptiver Technologien verschafft einen Wettbewerbsvorteil am Markt und zwingt Mitbewerber zur Reaktion. Letztere besitzen oftmals nicht die Fähigkeiten, um mit den neuen Technologien in den Wettbewerb treten zu können. Zudem erschweren starre Unternehmensstrukturen die Anpassungsfähigkeit vieler Logistikdienstleister. Treiber im Bereich der neuartigen Technologien sind etwa Transportdrohnen, Paket-Roboter sowie autonome Fahrzeuge. Network Effects Digitale Plattformen verändern die Verhandlungsposition der Lieferanten. Plattformbetreiber agieren als Intermediäre und ihr Erfolg hängt stark von den geschaffenen Netzwerkeffekten ab: Je mehr Nutzer, desto attraktiver wird eine Plattform und desto grösser sind die realisierbaren Skalenerträge. Dies führt häufig zu einer Konzentration des Marktes auf wenige, große Anbieter, die dadurch ihre Verhandlungsmacht ausbauen können. Treiber für die Verhandlungsmacht der Lieferanten sind Plattformangebote von Fahrzeugherstellern sowie Plattformen als Mittler zwischen Versender und Logistikdienstleister. Collaborative Consumption and Shareconomy Plattformen ermöglichen den Kunden eine stärkere Vernetzung untereinander. In der Folge kann der „Shareconomy“-Gedanken weiterentwickelt werden: Konsumenten streben nicht länger Besitz an, sondern bezahlen für vorübergehenden Zugang (B2C). Gleichzeitig entwickeln sich Sharing-Ansätze zwischen den Endkonsumenten (C2C) und verwischen die Grenzen zwischen Konsument und Produzent.- Die Verhandlungsmacht der Kunden steigt durch mögliche Rückwärtsintegration sowie die Konzentration von Marktmacht. Treiber für die Verhandlungsmacht der Kunden sind Onlinebörsen zur Vermittlung von Fracht- und Lagerraum (Crowd-Shipping) sowie Frachtenbörsen zwischen Endkunden (C2C). The „Long Tail“ Die Gefahr durch Ersatzprodukte erhöht sich im digitalen Zeitalter. Onlinemarktplätze machen eine profitable Vermarktung von kleinen Losgrößen möglich und führen dadurch zu einer größeren Angebotsvielfalt („selling less of more“). Der Zugang zu Nischenprodukten wird dadurch erleichtert. Es besteht eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass Produkte und Services angeboten werden, die auf ähnliche Bedürfnisse abzielen. Treiber für die Gefahr durch Ersatzprodukte sind die Substituierung der Logistik im Allgemeinen sowie Nischenangebote in der Logistik (z. B. Druck von Ersatzteilen mit 3D-Druckern). Diese erweiterte Branchenstrukturanalyse kann sowohl von Logistikdienstleistern als auch verladenden Unternehmen aus Industrie und Handel genutzt werden, um neue Gefahren sowie Chancen für die eigene Branche zu identifizieren. Im Nachfolgenden werden einige dieser Gefahren und Chancen hervorgehoben. Gefahren Verlust von Marktanteilen bei Standardanbietern: Anbieter von nationalen Transport- und Lagerleistungen sind besonders stark von einer Substituierung durch Plattformangebote im B2C- und C2C-Bereich bedroht. Neue Technologien wie Drohnen oder Logistiksubstitute (z. B. Paketlocker) setzen den Markt zusätzlich unter Druck. Platform Businesses Die Verhandlungsmacht der Lieferanten wird getrieben von: • Plattformangebote von Fahrzeugherstellern • Plattformen als Mittler zwischen Versender und Logistikdienstleister Collaborative Consumption and Shareonomy Die Verhandlungsmacht der Kunden wird getrieben von: • Online-Börsen zur Vermittlung von Fracht- und Lagerraum • Frachtenbörsen zwischen Endkunden (C2C) The Long Tail Die Gefahr durch Substitute wird getrieben von: • Substitute für Logistik im Allgemeinen • Nischenangebote in der Logistik Attacker’s Advantage Die Gefahr durch neue Konkurrenten wird getrieben von: • Transportdrohnen und Roboter • Autonomes Fahren «Industrialization of Services» Der Wettbewerb in der Branche wird getrieben durch: • Leicht ersetzbare physische Transportdienstleistungen • Standardisierte IT- Dienstleistungen Bild 1: Neue Wettbewerbsarena für die Logistikdienstleistungs-Branche im digitalen Zeitalter Internationales Verkehrswesen (70) 2 | 2018 39 Dienstleistung LOGISTIK Digital-gestützte Angebote versprechen individuellere Lösungen bei gleichzeitig grösserer Transparenz. Wenngleich auch internationale Standardanbieter von diesen Entwicklungen betroffen sind, ist aufgrund größerer Distanzen und Frachten mit weniger starken Auswirkungen zu rechnen. Managementservices werden von externen Servicedienstleistern übernommen: Klassische Wertschöpfungselemente wie „Logistikmanagementleistungen“ sowie „Customer Relationship Management“ drohen 3PLs durch neue Serviceangebote und Technologien zu entgleiten. Plattformbasierte Börsen für Fracht- und Lagerraum (B2C) und Frachtenbörsen zwischen Endkunden (C2C) erlauben es Kunden, sich ihre Leistungen individuell zusammenzustellen. Zusätzlich besitzen Technologielösungen wie Drohnen eigene Auftragsabwicklungs- und Kundenschnittstellen-Anwendungen. Die neuen Services bedrohen besonders Servicespezialisten, welche einen bedeutenden Anteil ihrer Wertschöpfung durch nichtphysische Angebote generieren. Aber auch Standardanbieter (national und international) müssen um ihren verbleibenden Anteil an nicht-physischen Services fürchten. Die Geschäftsmodelle der 3PLs könnte auf die Rolle einfacher Frachtführer reduziert werden, deren Dienste über eine Plattform gebucht werden. Ähnlich ist es bereits Reisebüros in der Tourismusbranche widerfahren. Vor- und Rückwärtsintegration durch Plattformanbieter und E-Commerce-Unternehmen: Plattformanbieter und E-Commerce-Unternehmen entwickeln sich im Zuge der Digitalisierung von Kunden, Lieferanten und Partnern der 3PLs zunehmend zu Wettbewerbern. Mit ihren proprietären, digitalbasierten Logistiklösungen machen sie etablierten Logistikunternehmen Konkurrenz und fallen gleichzeitig als Kunden und Partner weg. Dies kann beispielsweise bei Amazon beobachtet werden. Marktmacht und eine große Kundendatenbank werden genutzt, um neue Technologien und Logistikkonzepte einzuführen (z.B. Drohnen und Paketlocker). Die Firma präsentiert sich als „One-stop-shop-Anbieter“ für E-Commerce und Lieferlogistik und versucht so, Standardanbieter im KEP-Bereich 4 aus dem Markt zu drängen. Chancen Machen sich Logistikdienstleister die veränderten Wirkungsmechanismen im Markt hingegen zu eigen, können durch die Digitalisierung große Entwicklungsmöglichkeiten entstehen. Attacker’s Advantage - Physical Internet: Transporttechnologien wie Drohnen oder autonomes Fahren bedrohen das Geschäftsmodell traditioneller Logistikdienstleister. Neben einer Integration neuer Transporttechnologien in das bestehende Geschäftsmodell muss auch die Entwicklung eigener Lösungen vorangetrieben werden. Das „Physical Internet“ 5 öffnet Raum für Innovationen. Unter dem Begriff versteht man die Übertragung der Logik der Datenübermittlung via Internet auf den physischen Transport von Gütern. Durch standardisierte, gemeinsame Kanäle sollen Güter effizienter zum Zielort gebracht werden. Notwendig sind hierfür eine hohe Modularisierung sowie standardisierte Schnittstellen. Logistikdienstleister könnten durch die Entwicklung genormter Lademittel in Form interoperabler Container oder synchronisierter IT-Systeme und Netzwerke einen wichtigen Beitrag zur Adaption dieser Technologie beitragen. Durch die Umsetzung der „Physical Internet“-Idee könnte auf ein globales Transportkonzept umgeschwenkt werden, was sich neuartige Transportmöglichkeiten zunutze macht. Collaborative Consumption - Asset Sharing und Kooperation: Aus dem bereits erwähnten Trend zur Shareconomy ergibt sich für Standardlogistikanbieter die Möglichkeit, selbst plattformbasierte Sharing-Lösungen aufzusetzen und dadurch eigene Kapazitäten besser zu nutzen. Die Umsetzung kann sowohl „inhouse“ als auch durch einen Partner in der Technologiebranche erfolgen. Dabei wäre eine gemeinsame Nutzung von Assets und Infrastrukturen denkbar, was eine bessere Kapazitätsauslastung sowie sinkende Kosten zur Folge hätte. Eine durch den Sharing-Gedanken initiierte horizontale Kooperation zwischen Logistikdienstleistern könnte außerdem eine Erweiterung der Servicepalette sowie eine Marktmachtbündelung hervorbringen und damit ein Gegengewicht zu Peer-to-peer-Plattformen bilden. Network Effects - Cloud Logistics und Logistics Malls: Die Integration von Cloud-Computing in bestehende Geschäftsprozesse könnte eine Antwort auf die von Plattformen generierten Netzwerkeffekte sein. Cloud-Computing ermöglicht die Bereitstellung von IT-Services über das Internet. In der Cloud können verschiedene Applikationen und Services miteinander agieren, ohne dass Softwarekomponenten lokal installiert werden müssen. Beispielhaft für die Anwendung von Cloud-Computing Lösungen in der Logistik ist die „Logistics Mall“ des Fraunhofer Instituts für Materialfluss und Logistik 6 : Kleine, individuelle Logistik- IT-Services von unterschiedlichen Serviceanbietern werden kombiniert zu passgenauen Services für Logistiker und andere Kunden. Profitieren können 3PLs von (in)direkten Netzwerkeffekten durch die Einbindung in Multi-Provider Netzwerke, vereinfachten Zugang sowie die Kombination von verschiedenen Services. The Long Tail - 3D-Drucker: Durch additive Fertigung können traditionelle Dienstleistungen ersetzt sowie globale Güterströme signifikant verändert werden. Chancen für Logistikdienstleister ergeben sich aus der Integration von 3D-Druck in das eigene Geschäftsmodell. So könnten beispielsweise Netzwerke von gemeinsam genutzten 3D- Druckern in Lagerhallen und Distributionszentren aufgebaut und damit Ersatzteile „on demand“ produziert werden. Lieferzeiten würden so verkürzt und Lagerkosten gesenkt werden. Zukünftig wäre auch eine Produktion dieser Teile direkt auf dem liefernden Lkw möglich. Gerade für Standardanbieter ist die additive Fertigung attraktiv, da sie relativ leicht in das bestehende Geschäftsmodell einzugliedern ist. 7 Somit müssen Logistikdienstleister handeln und sich den neuen Wettbewerbskräften aufgrund der Digitalisierung stellen, um nicht vom Markt verdrängt zu werden. Dies kann gelingen, indem sie auf die zuvor erwähnten Maßnahmen zurückgreifen und sich so Entwicklungsmöglichkeiten zu eigen machen, durch welche sie sich vom Wettbewerb differenzieren können. 8 ■ 1 https: / / freight.uber.com/ 2 https: / / pickwings.ch/ de/ 3 Porter, M. E. (1979). How competitive forces shape strategy. Harvard Business Review, 137-145. 4 Kurier-, Express- und Paketdienste 5 Montreuil, B. (2011). Toward a Physical Internet: meeting the global logistics sustainability grand challenge. Logistics Research, 3(2-3), 71-87. 6 https: / / www.ccl.fraunhofer.de/ 7 Panalpina investiert beispielsweise stark in 3D-Druck und betreibt mit dem niederländischen Start-up Shapeways bereits entsprechende Druckzentren in den Niederlanden, den USA und bald auch Australien. Siehe dazu auch Panalpina (2017): Panalpina CEO Stefan Karlen im DVZ Interview. 8 Der vorliegende Artikel basiert u.a. auf Ausführungen der „Logistikmarktstudie Schweiz 2018“ von Stölzle, Hofmann und Mathauer (2018) sowie auf der Untersuchung „Third- Party Logistics Providers in the Digital Age: Towards a New Competitive Arena“ von Hofmann und Osterwalder (2017). Erik Hofmann, Prof. Dr. Direktor, Institut für Supply Chain Management, Universität St.Gallen erik.hofmann@unisg.ch Mathias Mathauer, M.A. HSG Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Supply Chain Management, Universität St.Gallen mathias.mathauer@unisg.ch
