Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2018-0053
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Bundesverkehrswegeplan 2020 - die Chancen nutzen
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Carla Eickmann
Iven Krämer
Mit dem im Dezember 2016 erfolgten Bundestagsbeschluss der Ausbaugesetze für die Bundesnetze Straße, Schiene und erstmals auch Wasserstraße klang die ungewöhnlich breite Diskussion über die Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur in Deutschland zunächst wieder ab. Natürlich beschäftigt sich die Fachwelt weiterhin intensiv mit der Konkretisierung, Planung und Umsetzung einzelner Projekte des Bundesverkehrswegeplans wie auch mit Wegen zu einer schnelleren Umsetzung, in der breiten Öffentlichkeit aber ist es zu dieser Thematik weitgehend ruhig geworden. Dieser Zustand ist trügerisch, denn nur mit einer schnellen, konzentrierten Umsetzung des Planes lassen sich die sehr ambitionierten Ziele erreichen. Dies gilt nicht nur – aus norddeutscher Sicht aber in ganz besondere Weise – für die Hinterlandanbindungen der Häfen.
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POLITIK Infrastruktur Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 12 Bundesverkehrswegeplan 2030 - die Chancen nutzen Der BVWP 2030 steigert die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Seehäfen Bundesverkehrswegeplan, Hinterlandanbindung, Güterverkehr, Seeverkehr Mit dem im Dezember 2016 erfolgten Bundestagsbeschluss der Ausbaugesetze für die Bundesnetze Straße, Schiene und erstmals auch Wasserstraße klang die ungewöhnlich breite Diskussion über die Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur in Deutschland zunächst wieder ab. Natürlich beschäftigt sich die Fachwelt weiterhin intensiv mit der Konkretisierung, Planung und Umsetzung einzelner Projekte des Bundesverkehrswegeplans wie auch mit Wegen zu einer schnelleren Umsetzung, in der breiten Öffentlichkeit aber ist es zu dieser Thematik weitgehend ruhig geworden. Dieser Zustand ist trügerisch, denn nur mit einer schnellen, konzentrierten Umsetzung des Planes lassen sich die sehr ambitionierten Ziele erreichen. Dies gilt nicht nur - aus norddeutscher Sicht aber in ganz besondere Weise - für die Hinterlandanbindungen der Häfen. Carla Eickmann, Iven Krämer M it dem Beschluss des Bundesverkehrswegeplanes war die Freude im Norden groß, denn endlich wurde ein klarer Schwerpunkt in der infrastrukturellen Entwicklung dieses Raumes und explizit bei den Hafenhinterlandanbindungen gesetzt, so die breit getragene Überzeugung bei Unternehmen, Verbänden, politischen Akteuren, Verwaltungen und anderen Beteiligten. Diese Freude hält bis heute an, doch die nötige Detailarbeit an den vielfältigen Projekten und die dabei zu beobachtenden kleinen Schritte bei gleichzeitig fortschreitender Zeit geben Anlass zur Sorge. Nicht zuletzt auch deshalb stehen Themen wie die Planungsbeschleunigung, die deutlich steigenden Baupreise, die Knappheit personeller Ressourcen sowohl auf Seiten der Auftraggeber als auch der Auftragnehmer weit oben auf den Tagesordnungen der verantwortlichen Infrastrukturentwickler und werden parallel zu den jeweiligen Projekten behandelt. In einem Beitrag aus dem Jahr 2014 [1] hatten die Autoren die Erwartungen an das damals noch als Bundesverkehrswegeplan 2015 beschriebene Planwerk zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Seehäfen beschrieben. Die hier vorliegende Analyse knüpft unmittelbar daran an. Sie zeigt auf, was im Sinne dieser unverändert gültigen Zielrichtung bereits erreicht wurde und wo weiterer Handlungsbedarf besteht. Zugleich wird die Frage zur Diskussion gestellt, ob die bisherige Nutzenbewertung einer Förderung des für die Hinterlandanbindung wichtigen Schienengüterverkehrs Vorschub leistet oder ob hier Anpassungen sinnvoll sein können. Ein erster Blick rich- Bild 1: Einschätzung des Aufkommens im Raum Hamburg - Bremen - Hannover Dialogforum Schiene Nord Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 13 Infrastruktur POLITIK tet sich dabei auf die Frage der zukünftig zu erwartenden Verkehrsmengen, sprich die Prognose, die letztlich die quantitative Grundlage aller weiteren verkehrlichen Überlegungen und infrastrukturellen Entwicklungen darstellt. Die auf das Jahr 2030 ausgerichteten Prognosen zum Bundesverkehrswegeplan 2030 untermauern nach wie vor den Handlungsbedarf für die Hinterlandanbindung: Die gesamte Güterverkehrsleistung wird danach von 2010 bis 2030 um 38,0 % zunehmen. Für den Straßenverkehr, der zwar weiterhin das Gros der Verkehrsleistung erbringen wird, wird ein Zuwachs von 38,9 % in diesem Zeitraum erwartet. Von der Wasserstraße wird mit einem Plus von 9,1 % keine besondere Hebung ihrer Potenziale erwartet. Aber beim Schienenverkehr wird ein Zuwachs der Verkehrsleistung um 42,9 % von 108 auf 154 Mrd. Tkm erwartet. Damit zeigt der Verkehrsträger Schiene im Güterverkehr die größte Zuwachsrate. Im Kombinierten Verkehr, der auch den Hafenhinterlandverkehr umfasst, wird sogar eine Steigerung der Verkehrsleistung um 73 % prognostiziert. Im näheren Hinterlandbereich sind die Steigerungen noch höher. Diese Prognosewerte unterstreichen den Handlungsbedarf für die Schieneninfrastruktur im Hinterland der Seehäfen. Für den Bereich des norddeutschen Hinterlands wird die Entwicklung dynamischer sein. So liegt nach erster Einschätzung aus dem Dialogforum Schiene Nord das Aufkommen über 100 Mio. t im Bereich Hamburg - Bremen - Hannover (Bild 1) [2]. Es ist zu begrüßen, dass in der Prognose 2030 der wirkliche Bedarf für die Hinterlandanbindung aus der Seeverkehrsprognose abgebildet wird. Die Küstenländer hatten an den Bund die Erwartung gerichtet, dass die Ableitung des Kapazitätsbedarfs für die Hinterlandanbindungen aus dem tatsächlich zu erwartenden Umschlag der Seehäfen erfolgen muss. Bei der vorherigen Prognose für das Jahr 2025 wurde das prognostizierte Aufkommen der Häfen noch durch die Engpässe der Hinterlandanbindung begrenzt. Beim BVWP 2030 entspricht das Aufkommen im Hinterland der erwarteten Seeverkehrsentwicklung und nicht dem maximal möglichen Aufkommen der weiteren Transportkette. Die Prognose 2030 sieht bei den deutschen Seehäfen von 2010 bis 2030 eine Zunahme des Umschlags von 269 Mio. t auf 468 Mio. t vor, wobei der Anteil der Nordseehäfen auf 83 % steigt (Bild 2). Die Frage, welche Zugzahlen in 2030 konkret im Hafenhinterlandverkehr zu erwarten sind, war für Norddeutschland zunächst aus den Ersteinschätzungen des Bundes im Dialogforum Schiene Nord erkennbar. Den Fachleuten erschienen die Zahlen der hafenbezogenen Züge recht gering. Aus den Nachfragen beim Gutachter wurde deutlich, dass für die Berechnung der Zugzahlen deutlich höhere Zugauslastungen zugrunde gelegt waren als bei vorherigen Ableitungen. Die Züge der Prognose 2030 sind offensichtlich länger, mehr beladen und mit weniger Leerfahrten und Leercontainern verbunden als zuvor veranschlagt. Die Verwunderung über die Zugzahlen gilt insbesondere beim Aufkommen, das aus Bremerhaven und Wilhelmshaven vom BVWP-Gutachter erwartet wird. Die tatsächliche Entwicklung des Güterverkehrs über See in Bremen und Bremerhaven zeigt eine Verdopplung von 34,5 Mio. t auf 74,2 Mio. t in der Zeit von 1998 bis 2017. Der Containerumschlag hat sich in diesem Zeitraum von knapp 1,8 Mio. TEU auf 5,5- Mio. TEU verdreifacht. Der Anteil der Schiene am Container Hinterlandverkehr ist kontinuierlich von 35,9 % im Jahr 2004 auf knapp 47 % im Jahr 2017 gestiegen. Die absolute Transportmenge auf der Schiene ist von knapp 0,5 Mio. TEU im Jahr 2004 auf über 1,1 Mio. TEU im Jahr 2017 gewachsen. Im Automobilbereich werden heute ca. 80 % der Fahrzeuge mit rund 12 000 Zügen/ Jahr auf der Schiene transportiert. Angesichts dieser Entwicklung wären für 2030 höhere Zugzahlen zu erwarten gewesen. Abgesehen von dieser Anmerkung wird die Prognose 2030 als geeignete Grundlage für die Ableitung der Bedarfe gesehen. Die Prognose 2030 ist Teil der Grundkonzeption für den BVWP 2030. Im Vorfeld der Aufstellung dieser schlüssigen Systematik wiesen die Küstenländer darauf hin, dass für eine bedarfsgerechte Entwicklung der Hinterlandanbindungen mehr als die Bewältigung des Aufkommens im Jahr 2030 gehört. Erforderlich sind ausreichende Kapazitäten, die die Häfen entsprechend ihrer Bedeutung für die Wirtschaft zuverlässig anbinden. Als Erfolg wurde daher die Einbeziehung des abgeleiteten Ziels „Verbesserung der Anbindung von intermodalen Drehkreuzen (z. B. Flughäfen, Seehäfen, KV-Terminals)“ in die Grundkonzeption gewertet. Dieses Ziel dient der Umsetzung des übergeordneten Ziels „Sicherstellung der Güterversorgung, Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen“ und adressiert somit eine wesentliche Funktion der Hinterlandanbindung. Inwieweit dieser Erfolg in der Theorie sich auch positiv auf die Bewertung einzelner Maßnahmevorschläge ausgewirkt hat, kann nicht beurteilt werden. Hierfür müsste die gesamte Herleitung des BVWP einschließlich Bewertungsvorgängen transparent vorliegen. Ein weiteres neues Kriterium in der Grundkonzeption ist die „Zuverlässigkeit des Verkehrsflusses“. Für dieses Kriterium mussten erst Ansätze zur Bewertung aufgestellt werden. Für die Verkehrsträger Schiene und Wasserstraße lässt die aktuelle Grundkonzeption noch Raum für Optimierungen. Der Wert einer redundanten Anbindung im Schienennetz wurde bei der Aufstellung des BVWP seitens der Küstenländer zwar thematisiert, aber es fehlte beim Bund damals die Überzeugung. Wenn es mit Blick auf den Schienengüterverkehr in Deutschland eines weiteren Argumentes zur Berücksichtigung des Zuverlässigkeitskriteriums bedurft hätte, lohnt ein Blick auf das Jahr 2017. Durch die bauliche Katastrophe in Rastatt und die außerordentlich intensiven Sturmereignisse, die mehrfach und teilweise über längere Zeiträume den Schienengüterverkehr zum Erliegen gebracht haben und die Planbarkeit von Verkehren massiv in Mitleidenschaft gezogen haben, wurde der Bahnverkehr in seiner Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem Straßentransport erheblich beschädigt. Aktuellen Studien zu Folge hat allein Rastatt zu Schäden in Höhe von rund 2-Mrd.-EUR geführt. Dringend erforderlich ist es deshalb, im Kontext der Zuverlässigkeit auch Fragen redundanter Netze und -anbindungen - wie bei der Aufstellung des BVWP eingefordert - mitzuberücksichtigen und natürlich auch die Elektrifizierung von Nebenstrecken voranzubringen. Nach der Aufstellung der Grundkonzeption stellt sich die Frage, ob mit dieser Grundlage wichtige Projekte realistisch bewertet und kategorisiert werden. Die Projekte von besonderer Bedeutung für den Hinterlandverkehr der deutschen Häfen wurden bereits seit 2008 in der sogenannten Ahrensburger Liste zusammengefasst. Damals nämlich einigten sich die Ministerpräsidenten der Küstenländer in Ahrensburg auf eine Liste vordringlich zu realisierender Verkehrsprojekte. Diese Liste umfasste zu- Bild 2: BVWP-Seeverkehrsprognose 2030 POLITIK Infrastruktur Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 14 nächst 19 überwiegend hafenrelevante Vorhaben, die auch in das 2009 verabschiedete Nationale Hafenkonzept aufgenommen wurden. Die Liste wurde später mehrfach erweitert und dann auch durch eine sogenannte „Düsseldorfer Liste“ ergänzt. Im Bereich der Schieneninfrastruktur wurde die Frage „Fit für 2030 - welche Schieneninfrastruktur braucht Deutschlands Norden? “ im Rahmen eines Parlamentarischen Abends im Mai 2014 durch eine konkrete Liste aller fünf Nordländer notwendiger Maßnahmen für den BVWP 2030 beantwortet, mit der die Sicherung der Hafenhinterlandanbindungen auf der Schiene gesichert werden soll. Diese Listen bzw. die hierin enthaltenen Maßnahmen haben unmittelbar Eingang in den Bundesverkehrswegeplan 2030 gefunden. Beispiel Schiene - Vom „Ypsilon“ zum „Optimierten Alpha-E mit Bremen“ Als zentrales Projekt ist die Schaffung von Kapazitäten im Raum Hannover - Bremen - Hamburg zu sehen. Die seit Jahren geplante und zwischenzeitlich raumordnerisch gesicherte und im Vordringlichen Bedarf des BVWP 92 aufgeführte Y-Trasse erfuhr über Jahre keinen Fortschritt bei Planung und Finanzierung. Die Y-Trasse war für den Hochgeschwindigkeitsverkehr in Nord-Süd-Richtung als Neubaustrecke vorgesehen und beinhaltete für den Verkehr in Richtung Bremen den Ausbau der sogenannten Amerika-Linie zwischen Visselhövede und Langwedel. Mit dem „Dialogforum Schiene Nord“ wurde ein neuer Weg beschritten, um Beteiligte und Betroffene der Region zur Findung einer machbaren Lösung einzubeziehen. Zwischen Februar und November 2015 wurde in insgesamt acht Foren mit jeweils knapp 100 Teilnehmern aus Kommunen, Verbänden, Bürgerinitiativen, Eisenbahnunternehmen, des Bundesverkehrsministeriums und der Länder Niedersachsen, Hamburg und Bremen eine Lösung zur Erweiterung der Kapazitäten im Schienenverkehr für den Raum Bremen-Hamburg-Hannover erarbeitet, die sowohl den Anforderungen des Bundes wie auch den im Dialogforum aufgestellten zusätzlichen Kriterien entspricht. Parallel dazu erfolgte ein umfangreicher Bürgerbeteiligungsprozess. Die im Dialogforum Schiene Nord aufgestellten Kriterien umfassten zum einen Anforderungen an die verkehrliche Wirkung. So war die Engpassproblematik der drei großen Knoten Hamburg, Bremen und Hannover immer im Fokus der Teilnehmenden, auch wenn die Y-Trasse oder eine Alternative zur Y-Trasse diese Knotenprobleme selbst nicht lösen, aber möglicherweise doch entlasten kann. Zum anderen wurden Kriterien, die die Umweltauswirkungen einschließlich Lärm umfassen, aufgestellt. Nach Anwendung der Kriterien zeichnete sich ab, dass vorrangig eine Ausbaulösung zu favorisieren sei. Die zu Beginn des Dialogprozess unter dem Namen Alpha eingebrachte Ausbaulösung konnte zunächst den Anforderungen des Bundes nicht entsprechen, aber wurde mit der Modifikation „E“ zu einem für alle aufgestellten Kriterien tauglichen Variante. Als Lösungsbeitrag wurde beim Dialogforum Schiene Nord in der finalen Sitzung am 5. November 2015 eine Empfehlung für die sogenannte „Alpha Variante E“ ausgesprochen. Konkret umfasste die Empfehlung für die Alpha Variante E folgende Maßnahmen: • Ausbau der Strecken Rotenburg - Verden und Lüneburg - Uelzen um jeweils ein Gleis • Elektrifizierung der eingleisigen Strecke Langwedel - Uelzen und der Bau von neun Kreuzungsbahnhöfen • Kreuzungsbahnhöfe auf den Strecken Nienburg - Minden • Blockverdichtung auf den Strecken Verden - Wunstorf (inkl. eines zusätzlichen Wendegleises in Nienburg) und Celle - Lehrte • Die Beseitigung aller Engpässe auf der Strecke Uelzen - Stendal - Magdeburg -Halle, um eine leistungsfähige Anbindung der Häfen an den sogenannten Ostkorridor zu gewährleisten. Die Empfehlung Alpha-E findet sich nun in den beiden BVWP-Projekten Optimiertes Alpha mit Bremen und Ausbaustrecke Uelzen - Stendal - Magdeburg - Halle (Ostkorridor Nord) wieder. Außerdem sind für die beiden Knoten Hamburg und Hannover eigenständige BVWP-Projekte benannt, wobei der Knoten Hannover zunächst in der zuvor unbekannten Kategorie Potenzieller Vordringlicher Bedarf aufgenommen wurde. Der Vergleich der im Dialogforums Schiene Nord gezeigten Ergebnisse der Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen hat deutlich gemacht, wie sehr die Bewertungsmethode des BVWP auf den Hochgeschwindigkeitsverkehr ausgerichtet ist. Die im Dialogforum Schiene Nord diskutierten Varianten - einschließlich Y-Trasse - erzeugen nur dann einen sehr großen Nutzen, wenn sie zu Fahrzeitverkürzungen im Fernverkehr führen. Ein groß angelegter Beteiligungsprozess, der eine Lösung für alle Ansprüche im Güterverkehr, im Personenfern- und Personennahverkehr erarbeiten soll, wird durch diese methodische Prämisse erschwert. Es ist schwer zu vermitteln, dass mit der Begründung der Bedarfe für den Hafenhinterlandverkehr eine Kapazitätserweiterung initiiert wird und zugleich nur eine Verkehrsart - nämlich der Personenfernverkehr - zu einer ausreichenden Wirtschaftlichkeit beitragen kann. Die im Nachgang zum Dialogforum Schiene Nord erfolgte Optimierung des Alpha-E sieht dementsprechend auch u.a. folgende zusätzliche Teilmaßnahmen im BVWP vor: • ABS Ashausen - Uelzen - Celle, (ggf. mit zusätzlichen fahrplanbasierten Maßnahmen zur Kapazitätserweiterung und Ortsumfahrungen) • ABS Celle - Hannover-Vinnhorst Außerdem wurde Bremen in das Alpha- Projekt einbezogen. Es gibt für diesen Knoten kein eigenständiges BVWP-Projekt . Die Teilmaßnahmen hierzu sind: • Blockverdichtung Stubben - Bremerhaven-Wulsdorf - Bremerhaven-Speckenbüttel • Drittes Gleis Langwedel - Bremen-Sebaldsbrück u. Bremen Rbf - Bremen-Burg Mit dieser Ergänzung deckt das BVWP- Projekt weitgehend die entsprechende Anmeldung Bremens für den BVWP 2030 ab. Hierdurch werden zusätzliche Kapazitäten geschaffen, die einen störungsfreieren Betriebsablauf für den Güterverkehr und den ÖPNV unterstützen. Das Dialogforum Schiene Nord ist nicht nur eine neue Erfahrung, wie in einem überschaubaren Zeitraum von einem Dreivierteljahr und einer sehr großen Zahl Mitwirkender innerhalb und außerhalb des Dialogforums eine informelle Beteiligung aussehen kann. Als weiteres Ergebnis des Dialogforums ist neben der Empfehlung für die Alpha-E-Lösung die Formulierung von Forderungen zu beachten. Ein Großteil der Teilnehmenden im Dialogforum Schiene Nord hatte ein Abschlussdokument erstellt, das im Nachgang von weiteren Kommunen mitgezeichnet wurde. Darin fordern die Unterzeichner u.a. ausreichende verkehrliche Wirkung der Maßnahme, Lärmschutz über das bisherige Maß hinaus, Entlastung der Kommunen, Unterstützung für einen Projektbeirat. Die Einbeziehung und der Umgang mit diesen Forderungen ist für alle Beteiligten Neuland. Bei einigen Aspekten, wie z. B. der Realisierung eines übergesetzlichen Lärmschutzes an Ausbaustrecken konnte inzwischen ein gangbarer Weg gefunden werden. Der Projektbeirat wird vom Land Niedersachsen unterstützt. Bei einigen Forderungen gibt es noch Entwicklungsbedarf, wie eine Einbeziehung aussehen könnte. Über die im Vordringlichen Bedarf oder zunächst im Potenziellen Vordringlichen Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 15 Infrastruktur POLITIK Bedarf aufgenommenen Projekte hinaus sind auch einige Vorschläge der Länder nicht aufgenommen worden. Es wurde auch kein Gebrauch von der Dringlichkeitskategorie Weiterer Bedarf gemacht. Somit ist diese Kategorie Weiterer Bedarf im BVWP 2030 für die Schieneninfrastruktur faktisch bedauerlicherweise weggefallen. Für die weitere Entwicklung des Schienennetzes ist dieser Wegfall sehr hinderlich, da für künftig erwartbare Entwicklungen kein Entwicklungsvorrat geschaffen werden kann. Hierdurch wird Infrastrukturausbau künftig verlangsamt statt beschleunigt. Weitere BVWP-Projekte im Norden Neben der Ausbauvariante „Optimiertes Alpha-E mit Bremen“ werden derzeit weitere Großprojekte im Norden sichtbar in Angriff genommen. Für den Knoten Hamburg wird die vorhandene Knotenstudie mit aktuellen Prämissen angepasst. Ebenso werden für den Knoten Hannover über eine Knotenstudie Handlungsmaßnahmen abgeleitet. Dem Ausbau Uelzen - Stendal liegen keine nachvollziehbaren Hindernisse für eine umgehende Nutzung des bestehenden Baurechts im Weg. Sollten die zunächst im Potenziellen Vordringlichen Bedarf aufgeführten Projekte wie z.B. die Elektrifizierungen Stade - Cuxhaven oder Bremerhaven - Bremervörde - Rotenburg noch in den Vordringlichen Bedarf aufsteigen, dann würde das nicht nur zur Engpassbeseitigung beitragen, sondern es könnte hierdurch die Anbindung der Häfen und eine größere Zuverlässigkeit im Schienennetz erreicht werden. Die Anerkennung der stark wachsenden Schienenverkehre bei Bund und Bahn sowie die sich hieraus ableitende Notwendigkeit zusätzlicher Schienenkapazitäten führen derzeit zu verstärkten Planungsaktivitäten im Norden. Dabei ist es wichtig, nicht nur die prognostizierten Verkehrszuwächse auf die Schiene zu bringen, sondern auch die notwendigen Kapazitäten zu berücksichtigen, um bereits bestehende Verkehre verstärkt auf umweltfreundliche Verkehrsträger verlagern zu können. Auch die Konzentration auf zeitnah realisierbare Maßnahmen ist wichtig. Durch den modularen Aufbau des “Optimierten Alpha-E mit Bremen“ ergibt sich die Möglichkeit einer schrittweisen und zeitnahen Realisierung und Inbetriebnahme. Damit können bereits relativ kurzfristig dringend benötigte zusätzliche Kapazitäten für die schnell gewachsenen Seehafenhinterlandverkehre geschaffen werden. Um auf kleinere Änderungen bei der Entwicklung im Hafenhinterland reagieren zu können, wäre eine Sammelposition „Hafenhinterland“ wünschenswert gewesen. In der Praxis kann möglicherweise das BVWP- Projekt 2-999-V99 „Weitere Streckenmaßnahmen“ genutzt werden, das als Sammelposition, also als Projekt, dessen Maßnahmen direkt bei Bedarf bewertet werden, definiert ist, und bislang nur eine Maßnahme, den Ausbau eines definierten Netzes für 740-m lange Züge enthält. Innovationen beim Bundesverkehrswegeplan Neben dem Ausbau der Verkehrsinfrastruktur kommt der intensiveren Nutzung bestehender Strukturen eine zunehmende Bedeutung zu. Dies liegt zum einen daran, dass Aus- und Neubauten lange und zum Teil extrem aufwändige Verfahren voraussetzen und insofern zusätzliche Kapazitäten infrastrukturell nur sehr schwer herzustellen sind. Zum anderen bieten aber auch die Möglichkeiten der Automatisierung und Digitalisierung Chancen, die vorhandene Infrastruktur insgesamt effizienter zu nutzen. Im Bereich der Straße sind hierzu die Testfelder für automatisiertes und autonomes Fahren in Bayern und Niedersachsen zu nennen und im Bereich der Schiene Testcenter oder auch Projekte wie Range-E mit der Zielrichtung des autonomen Rangierens auf der Bremischen Hafeneisenbahn. Gerade im Schienen- Hinterlandverkehr bestehen durch eine Beschleunigung von Prozessen noch erhebliche Kapazitätsreserven, die es zu heben gilt. Die Ablösung der bisherigen Leit- und Sicherheitstechnik ist als Beitrag des Schienenverkehrs für die Digitalisierung ungenügend, da im ersten Schritt keine Leistungserhöhung zu erwarten ist, die nicht auch durch die bestehende Leit- und Sicherungstechnik umsetzbar ist. Es hat in Deutschland bereits mehrere Anläufe gegeben, das Europäische System ETCS (European Train Control System) einzuführen. Der BVWP hätte als gutes Hilfsmittel für die Einführung von ETCS genutzt werden können, um verkehrstelematische und Ausbaumaßnahmen ergänzend einzusetzen, wie es beim Straßennetz zunächst vorgesehen war. Während es zu besonderen Vorhaben wie einem definierten Netz für 740 m lange Züge oder für die Vorbereitung eines Deutschlandtaktes im Personenverkehr eigenständige BVWP-Projektansätze gibt, findet die Einführung von ETCS außerhalb dieses Rahmenplans statt, obwohl diese Einführung genau mit Kapazitätssteigerungen begründet wird. Gleichwohl werden Aus- und Neubaumaßnahmen im Schienennetz oft gleich mit ETCS geplant - unabhängig von der konkreten kapazitätssteigernden Wirkung. Sofern auf eine Rückfallebene verzichtet wird, hat diese Technologieeinführung weitreichende Folgen für die Fahrzeugseite. Außerdem werden die Kosten für die BV- WP-Projekte erhöht, ohne auf der Nutzenseite neue entsprechende Beiträge zu liefern. Projekte mit einem nahe bei 1 liegenden Nutzen-Kosten-Verhältnis werden so in Bedrängnis gebracht. Es ist noch zu klären, wie mit den Auswirkungen möglicher Kapazitätssteigerungen durch ETCS im Hinblick auf den Lärmschutz umgegangen wird, auch wenn der Wechsel der Sicherungstechnologie keine relevante Ausbaumaßnahme darstellt. Daher sollten die Kosten für ETCS einem Ausbauprojekt nur dann zugeordnet werden, wenn hierdurch Kapazitätssteigerung erfolgen und entsprechende Lärmschutzmaßnahmen mit in das Projekt einbezogen werden können. Fazit Die Umsetzung der für die Anbindung der deutschen Seehäfen wichtigen Projekte im Vordringlichen Bedarf und im Potenziellen Vordringlichen Bedarf wird dazu führen, dass die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Seehäfen bis 2030 durch mangelnde Kapazitäten für die Hinterlandanbindungen nicht eingeschränkt wird. Allerdings wird die Umsetzung der Knotenprojekte noch Fragen aufwerfen, wie das Zusammenwirken von Schienengüter- und Schienenpersonenverkehr in den großen Ballungszentren gelöst werden soll. Wichtig ist es nun, den BVWP 2030 umzusetzen und alle Ansätze aus dem Dialogforum Schiene Nord konstruktiv weiterzuentwickeln und anzuwenden. Gut wäre eine Perspektive über die Projekte des Vordringlichen Bedarfs hinaus, indem die Dringlichkeitskategorie Weiterer Bedarf ebenfalls genutzt wird. Außerdem sind Optionen zu entwickeln, wie eine bessere Vorratsplanung durch Bund, Länder, DB oder andere ermöglicht wird. ■ LITERATUR [1] Carla Eickmann, Iven Krämer: Bundesverkehrswegeplan 2015 - die Chance nutzen. In: Internationales Verkehrswesen (66) 1 | 2014, S. 22-25 [2] BVU Wirtschaft+Verkehr: Dialogforum Schiene Nord - Lösungsmöglichkeiten für die Engpässe der Schieneninfrastruktur im Raum Hamburg - Bremen - Hannover, Forumssitzung am 25.05.2015, www.dialogforum-schiene-nord.de Carla Eickmann, Dr. Stellv. Leiterin Referat für Verkehrspolitik, Mobilität, Logistik im Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung" Hannover carla.eickmann@mw.niedersachsen.de Iven Krämer Leiter Referat 31 - Hafenwirtschaft und Schifffahrt beim Senator für Wirtschaft, Arbeit und Häfen, Bremen iven.kraemer@wah.bremen.de
