eJournals Internationales Verkehrswesen 70/3

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2018-0062
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2018
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Kombinierter Verkehr hängt unimodale Alternativen ab

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2018
Erik Hofmann
Mathias Mathauer
Eine nachhaltige Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene kann nur durch Attraktivität des Kombinierten Verkehrs (KV) gelingen. Entsprechende Untersuchungen des KV sind für den grenzüberschreitenden Kontext rar und meist auf preisliche Aspekte beschränkt. Im vorliegenden Artikel wird eine Strukturanalyse präsentiert, welche den Seehafenhinterlandverkehr (Import) von Rotterdam nach Zürich entlang des Nord-Süd-Korridors zum Gegenstand hat. Unimodale Transportlösungen werden kombinierten Varianten gegenübergestellt und neben dem Preis anhand der Dauer und des CO2-Ausstoßes analysiert.
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Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 47 Kombinierter Verkehr hängt unimodale Alternativen ab Eine Preisstrukturanalyse im internationalen Seehafenhinterlandverkehr von Rotterdam nach Zürich Internationaler Kombinierter Verkehr, Seehafenhinterlandverkehr, Nachhaltigkeit, Transportpreise, Nord-Süd-Korridor, Neue Eisenbahn-Alpentransversale (Neat) Eine nachhaltige Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene kann nur durch Attraktivität des Kombinierten Verkehrs (KV) gelingen. Entsprechende Untersuchungen des KV sind für den grenzüberschreitenden Kontext rar und meist auf preisliche Aspekte beschränkt. Im vorliegenden Artikel wird eine Strukturanalyse präsentiert, welche den Seehafenhinterlandverkehr (Import) von Rotterdam nach Zürich entlang des Nord-Süd-Korridors zum Gegenstand hat. Unimodale Transportlösungen werden kombinierten Varianten gegenübergestellt und neben dem Preis anhand der Dauer und des CO 2 -Ausstoßes analysiert. Erik Hofmann, Mathias Mathauer B ei keinem anderen Land in Europa zeigt die politisch forcierte Verlagerung des Straßengüterverkehrs auf die Schiene ähnlich viel Wirkung wie in der Schweiz. Einen Indikator hierfür stellt der alpenquerende Güterverkehr dar. Belief sich der Straßen-Anteil der über die Alpen transportierten Nettotonnage für Österreich im Jahr 2015 auf 7,5% und in Frankreich auf 84,5 %, wurden in der Schweiz nur 30,8 % über die Straße und die restlichen 69,2 % via Schiene abgewickelt. 1 Doch auch in der Schweiz wird man den eigenen Zielsetzungen nicht schnell genug gerecht. Die Anzahl der schweren Fahrzeuge im alpenquerenden Güterverkehr hätte im Jahr 2016 auf 650 000 sinken sollen, während im selben Jahr tatsächlich noch ca. 975 000 Fahrzeuge gezählt wurden. 2 Dies obwohl mit der Leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA) die teuerste Straßenmaut Europas erhoben wird. Politische Maßnahmen sollten deshalb gerade auch darauf abzielen, die Attraktivität des Kombinierten Verkehrs (KV) zu steigern. Allerdings greifen aufgrund der internationalen Verflechtungen zahlreicher Unternehmen nationale Überlegungen bei der Verkehrsträgerwahl zu kurz. Industrie- und Handelsunternehmen sind vor allem daran interessiert, wie teuer sich der grenzüberschreitende KV gestaltet und mit welchen Zeitfenstern dort kalku- Containerschiff auf dem Rhein Foto: pixabay Kombinierter Verkehr LOGISTIK Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 48 LOGISTIK Kombinierter Verkehr liert werden muss. Interessanterweise widmen sich nur sehr wenige Studien diesen Fragestellungen. Im Zentrum dieses Beitrags steht der Schienenkorridor Rotterdam-Genua, welcher eine der wichtigsten Güterverkehrsachsen Europas darstellt. Am sogenannten Rhein-Alpen-Korridor leben ca. 70 Millionen Menschen auf einer Strecke von rund 1300 Kilometern. Er ist das Bindeglied zwischen dem größten Tiefseewasserhafen Europas und Wirtschaftszentren wie Frankfurt und Basel. Schon heute handelt es sich um die Bahnlinie mit dem höchsten Verkehrsaufkommen in Europa. Für die Zukunft wird dieser Verkehrsachse verschiedenen Prognosen zufolge eine noch größere Bedeutung zukommen. 3 Eine Erklärung hierfür bietet die ansteigende „Containerisierung“ von Transportgütern, welche sich z. B. in einer Zunahme des Containerumschlags in den schweizerischen Rheinhäfen niederschlägt. 4 Somit sollen in den nächsten Jahren weitere 25 Mrd. EUR in den Ausbau der Strecke investiert werden. 5 Die Schweiz verantwortet aufgrund ihrer geografischen Lage mit dem Bau der Neuen Eisenbahn-Alpentransversalen (Neat) das Kernstück der Verbindung. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Bedeutung des Nord-Süd-Korridors für den europäischen Güterverkehr und der Schweizer Schlüsselrolle für dessen Entwicklung wurde im Rahmen der Logistikmarktstudie Schweiz 2018 eine Preisstrukturanalyse im Seehafenhinterlandverkehr von Rotterdam nach Zürich durchgeführt. 6 Die Analyse vergleicht unterschiedliche Varianten des KV mit dem unimodalen Straßenbzw. Schienengüterverkehr und basiert auf den Angaben von 20 Unternehmen (Operateure und Spediteure) aus Deutschland, den Niederlanden, Österreich und der Schweiz. Zum Verständnis wird im Folgenden zunächst der Seehafenhinterlandverkehr abgegrenzt, bevor die Studienergebnisse präsentiert und diskutiert werden. Seehafenhinterlandverkehr und-involvierte Akteure Im KV gibt es in der Regel einen Vor-, einen Haupt- und einen Nachlauf. Der für die Analyse betrachtete Seehafenhinterlandverkehr bezieht sich lediglich auf den hafenhinterlandseitigen Bereich (2. Glied Hauptlauf sowie Nachlauf ) im Export. Der Weg vom Werk des Herstellers bis zum Seehafen (Vorlauf ) und der Überseetransport bis Rotterdam (1. Glied Hauptlauf ) sind nicht miteingeschlossen. Da sich die Transportkette aus verschiedenen Verkehrsträgern zusammensetzen kann, sind i.d.R. auch mehrere Akteure involviert. Im unbegleiteten KV sind dies etwa Terminalbetreiber, Straßengütertransporteure, Eisenbahnverkehrsunternehmen, Binnenschifffahrtsunternehmen und Operateure. Letzteren wird besondere Verantwortung zuteil, da sie die Prozesskette in hohem Maße koordinieren und mit sämtlichen involvierten Akteuren kommunizieren. Parameter der Preisstrukturanalyse Die Analyse vergleicht Preisinformationen für einheitlich definierte Szenarien im grenzüberschreitenden KV von Rotterdam nach Zürich mit dem unimodalen Straßen- und Schienengüterverkehr. Um möglichst viele Verkehrsträgerkombinationen abdecken zu können, wurden für den KV neben Schiene/ Straße auch die Kombinationen Binnenschiff/ Straße und Binnenschiff/ Schiene erhoben. Alle eingeholten Preise beziehen sich auf 40-Fuß-Container im Komplettladungsverkehr von gewöhnlichen Stückgütern (z. B. keine Gefahrstofftransporte), die einmal pro Woche über einen längeren Zeitraum von mindestens einem Jahr stattfinden. Zudem handelt es sich um Komplettpreise einschließlich Verzollung, Transitabfertigung, Umschlagstätigkeiten, Zustellung beim Kunden und Rücktransport des leeren Containers in ein Depot nahe von Basel. Alle Angaben wurden sowohl für einen als auch für drei Schiffscontainer abgefragt, um etwaige Mengenvorteile zu berücksichtigen. Neben den Transportpreisen sind auch die Transportdauer und der ökologische Fußabdruck (CO 2 -Äquivalent in kg) 7 in die Betrachtung eingeflossen. KV preislich nicht zu schlagen Die durchgeführte Studie brachte neben der Bestätigung vermuteter Thesen auch überraschende Ergebnisse hervor. Werden die Preise isoliert betrachtet, ist der KV den unimodalen Transportlösungen unerwartet deutlich überlegen. Während der alleinige Transport über die Straße durchschnittlich 1831 EUR 8 kostet, können in der KV-Variante Schiene/ Straße über Bündelungseffekte mit 1142 EUR fast 40 % der Kosten eingespart werden (siehe Bild 1). Auch die Kombination Binnenschiff/ Straße schneidet preislich durchschnittlich vorteilhaft ab. Beim alleinigen Straßentransport tritt die größte Preisvarianz auf. Daraus lässt sich schließen, dass die Wahl des Anbieters in diesem Fall den höchsten Einfluss auf den Preis hat. Für alle Varianten mit Schiene als Schlussglied in der Transportkette muss erwähnt werden, dass die Annahme eines vorhandenen Anschlussgleises beim Empfänger von großer Bedeutung ist. Ansonsten müsste ein abermaliger Umschlag für den Nachlauf stattfinden, welcher inkl. Zustellung Zusatzkosten zwischen 300 EUR und 330 EUR bedeuten würde. Insgesamt lassen sich keine Mengenvorteile für den Transport von drei Containern im Vergleich zum Einzelcontainer beobachten. Da für die vorliegenden Untersuchungen von einer Warenart ausgegangen wurde, fallen auch bei der Verzollung keine Mehrkosten an. Dauer als Zusatzindikator Ein rein monetärer Vergleich von Preisangeboten ist wenig zielführend, da Verlader diverse Anforderungen an den Transport ihrer Sendungen haben und diese unterschiedlich gewichten. Als besonders wichtig erscheint in einem von Zeitdruck geprägten Wettbewerbsumfeld die Transportdauer. Im Vergleich zum Preis ist die Schwankungsbreite bei der Transportdauer für die Strecke Rotterdam - Zürich mit durchschnittlich 1,5 bis 8,2 Tagen deutlich höher. Alle Verkehrsträgerkombinationen mit Binnenschiff schneiden hier am schlechtesten ab. Muss für die Kombination Binnenschiff/ Straße mit einer knappen Woche gerechnet werden, verlängert sich diese Zeitspanne für die Kombination Binnenschiff/ Schiene auf bis zu neun Tage. Die Verzögerungen fallen im betrachteten Fall besonders stark ins Gewicht, da gegen den Fließstrom des Rheins verschifft werden muss. Unangefochtener Spitzenreiter bleibt bei der Transportdauer die Straße. Innerhalb von ein bis zwei Tagen werden Schiffscontainer ab Rotterdam in Zürich zugestellt. Es kann davon ausgegangen werden, dass die alleinige Nutzung der Straße speziell für „Adhoc“-Transporte zielführend ist und im Gegenzug für die kurze Transportdauer ein entsprechender Preisaufschlag in Kauf genommen wird. Da Containerverkehre ansonsten ein hohes Maß an Regelmäßigkeit aufweisen, relativiert sich die Transportdauer als Auswahlkriterium in der Praxis. Schiene mit guter CO 2 -Bilanz Da die Nachhaltigkeit von Transportlösungen vor allem in der öffentlichen Wahrnehmung zunehmend an Bedeutung gewinnt, dürfen auch Umweltaspekte beim internationalen KV nicht außer Acht gelassen werden. Diese wirken im vorliegenden Vergleich relativierend und liefern ein starkes Argument für die Wahl der Schiene als Verkehrsträger. Keine andere Verkehrslösung weist einen ähnlich geringen Ausstoß an Kohlenstoffdioxid (CO 2 ) auf (CO 2 -Äquivalent von 640 kg). Auch die Kombination Schiene/ Straße profitiert mit Blick auf den Schadstoffausstoß davon, dass die Schiene hier bis Basel die Hauptstrecke abdeckt. Das Binnenschiff büßt hingegen abermals an Konkurrenzfähigkeit ein und muss sich Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 49 Kombinierter Verkehr LOGISTIK ähnlich der Dauer auch bei der Umweltbilanz als Schlusslicht einreihen. Bezeichnenderweise geht die preislich vorteilhafteste Kombination Binnenschiff/ Straße mit der höchsten Umweltbelastung einher (CO 2 - Äquivalent von 1657 kg). Diskussion der Ergebnisse Die präsentierten Analysen liefern wichtige Erkenntnisse hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit von Verkehrsträgern im internationalen KV. Bei deren Interpretation sollten allerdings einzelfall- und verkehrsträgerspezifische Faktoren berücksichtigt werden, welche die Ergebnisse maßgeblich beeinflussen. Die untersuchten KV-Varianten profitieren zunächst von der sehr hohen Frequentierung der betrachteten Strecke. Bei Übertragung der Erkenntnisse auf andere Routen sei deshalb Vorsicht angemahnt. Binnenschiff-Kombinationen sind deshalb preislich relativ wettbewerbsfähig, da Bündelungseffekte bei diesem Verkehrsträger am stärksten ins Gewicht fallen. Aufgrund des für die Schiene zu kurzen Nachlaufs von Basel nach Zürich fällt die Kombination Binnenschiff/ Schiene gegenüber der Variante Binnenschiff/ Straße zurück. Die Straße hingegen kann im Gegensatz zu allen anderen Verkehrsträgern kein Bündelungspotential entfalten - weder importseitig bis zur Zustellung noch beim Containerrücktransport. Die fehlenden Verbundeffekte wiegen schwerer als Preisvorteile durch einen wegfallenden Umschlag, da die Distanz von Rotterdam bis Zürich relativ lang ist. Bei der Schiene ist die Annahme des Anschlussgleises beim Empfänger nochmals hervorzuheben, wodurch der Nachlauf wegfällt. Müsste dieser mit dem LKW erfolgen, wären die unimodalen Varianten Straße und Schiene preislich nahezu gleichauf. Insgesamt kann festgehalten werden, dass die Attraktivität der unterschiedlichen Verkehrsträgerkombinationen maßgeblich davon abhängt, wie die Transportkriterien gewichtet werden. Sind Preis, Dauer und ökologischer Fußabdruck gleichermaßen wichtig, gewinnt den vorliegenden Vergleich die Verkehrsträgerkombination Schiene/ Straße. ■ 1 Stölzle, Hofmann und Mathauer (2018): Logistikmarktstudie Schweiz 2018. GS1 Schweiz. 2 BAV (2017): Güterverkehr durch die Schweizer Alpen 2016. 3 BAV (2016): Der Nord-Süd-Korridor. 4 Stölzle, Hofmann und Mathauer (2018): Logistikmarktstudie Schweiz 2018. GS1 Schweiz. 5 EDA (2016): Ein Bauwerk im Dienste Europas. 6 Der vorliegende Artikel beruht zu wesentlichen Teilen auf Stölzle, Hofmann und Mathauer (2018): Logistikmarktstudie Schweiz 2018. GS1 Schweiz. 7 Berücksichtigung des Beitrags verschiedener Treibhausgase zur globalen Erwärmung. Da die verschiedenen Gase eine unterschiedliche Verweildauer in der Atmosphäre aufweisen, wird ihr „Global Warming Potential“ ermittelt und Emissionen in CO 2 -Äquivalente zusammengefasst, um eine Vergleichbarkeit zu ermöglichen. 8 Die Preisangaben wurden ursprünglich in Schweizer Franken erhoben und sind für diesen Beitrag zum Tageskurs von 1 EUR = 1,1289 CHF (15.08.2018) umgerechnet (Gemäß EZB). Erik Hofmann, Prof. Dr. Direktor, Institut für Supply Chain Management, Universität St.Gallen erik.hofmann@unisg.ch Mathias Mathauer, M.A. HSG Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Supply Chain Management, Universität St.Gallen mathias.mathauer@unisg.ch Bild 1: Zusammenhang zwischen Preis und Dauer sowie Steuerung der Preis- und Zeitangaben je Verkehrsträgerkombination um die Mittelwerte für den Seehafenhinterlandverkehr von Rotterdam nach Zürich mit einem Container 700 900 1100 1300 1500 1700 1900 2100 2300 2500 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Dauer in Tagen Preis in EUR Schiene Ø-Preis: 1607 EUR Ø-Dauer: 2.8 Tage CO2-Äquivalent: 640 kg Schiene-Strasse Ø-Preis: 1142 EUR Ø-Dauer: 2.8 Tage CO2-Äquivalent: 784 kg Binnenschiff-Strasse Ø-Preis: 983 EUR Ø-Dauer: 6.8 Tage CO2-Äquivalent: 1657 kg Binnenschiff-Schiene Ø-Preis: 1507 EUR Ø-Dauer: 8.2 Tage CO2-Äquivalent: 1547 kg Durchschnittswerte für Preis- und Zeitangaben je Verkehrsträgerkombination Verteilung von Preis- und Zeitangaben je Verkehrsträgerkombination Strasse Ø-Preis: 1831 EUR Ø-Dauer: 1.5 Tage CO2-Äquivalent: 1546 kg