Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2018-0069
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Das PS-Paradigma
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Thomas Sauter-Servaes
Die Dekarbonisierung des motorisierten Individualverkehrs als Teil der Verkehrswende ist kein technisches, sondern ein Umsetzungsproblem. Analysen zeigen, dass nicht nur die Automobilindustrie ihrer Verantwortung zur schnellen Markttransformation nicht gerecht wird, sondern dass auch renommierte Tageszeitungen der Pfadabhängigkeit des hochmotorisierten Universalfahrzeugs als automobilem Leitbild in ihren Fahrbericht-Reportagen verhaftet bleiben.
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Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 72 MOBILITÄT Wissenschaft Das PS-Paradigma Automobiles Leitbild in Fahrbericht-Reportagen von Tageszeitungen Fahrzeugemissionen, Fahrbericht, Testfahrzeug, Medienanalyse, Tageszeitung Die Dekarbonisierung des motorisierten Individualverkehrs als Teil der Verkehrswende ist kein technisches, sondern ein Umsetzungsproblem. Analysen zeigen, dass nicht nur die Automobilindustrie ihrer Verantwortung zur schnellen Markttransformation nicht gerecht wird, sondern dass auch renommierte Tageszeitungen der Pfadabhängigkeit des hochmotorisierten Universalfahrzeugs als automobilem Leitbild in ihren Fahrbericht-Reportagen verhaftet bleiben. Thomas Sauter-Servaes D eutschland wird die Klimaziele für 2020 deutlich verfehlen. Statt der geplanten Reduktion der Treibhausgasemissionen um 40 % gegenüber 1990 wird voraussichtlich nur eine Absenkung von 32 % erzielt [1, 2]. Von großer Bedeutung ist dabei der Verkehrssektor, der es weder in Deutschland noch in Europa wie alle andere Sektoren geschafft hat, eine Trendwende bei den Klimagasemissionen zu realisieren. Einen wichtigen Anteil an dieser Entwicklung hat der motorisierte Individualverkehr auf der Straße. Über ein Viertel (28,5 %) der CO 2 -Emissionen Europas stammten 2015 aus dem Verkehr, rund drei Viertel (72,9 %) davon sind dem Verkehrsträger Straße zuzuordnen und hiervon wiederum der überwiegende Teil (61,1 %) dem Automobil. Seit 1990 konnten die jährlichen Emissionswerte von Personenwagen nicht reduziert werden, sondern sind sogar um mehr als 15 % gestiegen. Das weiterhin zu 99 % mit fossilen Treibstoffen betriebene Automobil hat somit inzwischen einen Anteil an den europäischen CO 2 -Gesamtemissionen von annähernd 13 %, Tendenz steigend [3]. Relevanz effizienterer Antriebe Der klassische verkehrspolitische Handlungsansatz, diesen Wert zu reduzieren, ist der Dreiklang aus Verkehrsvermeidung, Verkehrsverlagerung und der (umwelt-) verträglicheren Gestaltung der Verkehre. Vermeidungs- und Verlagerungsstrategien zeigen bislang jedoch keine trendkehrende Wirkung. Wachstumsraten von durchschnittlich einem Prozent pro Jahr haben die automobile Verkehrsleistung in Europa seit 1995 auf 4719 Mrd. Personenkilometer anwachsen lassen. Der deutsche Markt zählt dabei hinsichtlich der absoluten Wachstumszahlen zu den stärksten Treibern der Entwicklung [3]. Offensichtlich ist der überwiegende Teil der Bevölkerung nicht bereit, auf das Auto als Standardbeförderungsmittel zu verzichten. Zu groß ist der Effekt der alltäglichen Komplexitätsreduzierung durch den eigenen PKW, zu wirkmächtig das Gefühl von Bequemlichkeit und Freiheit, als dass alternative Fortbewegungsmittel ein vollständiges funktionales wie emotionales Äquivalent („altermobilites“ [4]) bieten können. Selbst wenn es gelingen sollte, mit Coworking Spaces, Mobility as a Service oder anderen innovativen Konzepten eine substantielle Transformation des Verkehrsverhaltens und der Verkehrsmittelwahl einzuleiten, ist flankierend die signifikante Senkung der fahrzeugspezifischen Abgaswerte auf Basis der stetigen Modernisierung der Fahrzeugflotte von zentraler Bedeutung [5]. Diese wird in vielen Szenariorechnungen für die Sektoren Energie und Verkehr als quasi selbstverständlich vorausgesetzt [6]. Grenzen technischer Optimierung Dieser dritte Baustein der Dekarbonisierung des Verkehrssektors bleibt jedoch ebenfalls hinter den geplanten Erwartungen zurück. Seit 2009 unterliegen PKW und leichte Nutzfahrzeuge in der EU einer CO 2 -Regulierung. Das für PKW-Neuwagen festgelegte Durchschnittsziel von 130 g CO 2 / km für das Jahr 2015 wurde für 2020 auf 95 g CO 2 / km verschärft. Derzeit erarbeitet die EU-Kommission einen Regulierungsvorschlag für die Zeit nach 2020. Noch 2015 sah der eingeschlagene Regulierungspfad nach einer Erfolgsgeschichte aus. Das Flottenemissionsziel wurde auf Grundlage der Normverbräuche erreicht, auch wenn sich schon damals die Schere zwischen Test- und Realwerten auf über 40 % geöffnet hatte [2, 7]. Erstmals sind 2017 in der EU die CO 2 -Emissionen von Neuwagen aber sogar gemäß offiziellem Fahrzeugzyklus wieder angestiegen [8]. Im europaweiten Durchschnitt erhöhte sich der Ausstoß des Treibhausgases bei Neufahrzeugen auf 118,5 g CO 2 / km. In Deutschland lagen 2017 neu zugelassene Fahrzeuge mit 127,1 g CO 2 / km deutlich über dem europäischen Mittelwert. Kraftfahrtbundesamt (KBA) und Center of Automotive Management (CAM) kommen bei leicht abweichenden Zahlen zu dem gleichen Ergebnis [9, 10]. Als Ursache wird insbesondere die starke PEER REVIEW - BEGUTACHTET Eingereicht: 01.07.2018 Endfassung: 17.08.2018 Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 73 Wissenschaft MOBILITÄT Zunahme der Fahrzeugklasse SUV/ Geländewagen bei den Neuzulassungen benannt, in welcher sich das kontinuierliche Gewichts- und Motorleistungswachstum besonders anschaulich manifestiert [11]. Basierend auf den CAM-Berechnungen konnten seit 2011 die durchschnittlichen CO 2 -Abgaswerte bei Neufahrzeugen in Deutschland um 12,5 % gesenkt werden. Trotz der zunehmend komplizierter und teurer werdenden Ausschöpfung von CO 2 -Einsparpotenzialen muss bis 2020 noch einmal eine Minderung um rund 32,9 g CO 2 / km oder etwa ein Viertel des heutigen Durchschnittswerts erfolgen. Veränderung des Flottenprofils Dieses ambitionierte Ziel scheint nicht über eine alleinige Motoroptimierung unter Beibehaltung des aktuellen Fahrzeugklassenmix realisierbar. Industrievertreter proklamieren, dass Flottengrenzwerte unter 95 g CO 2 / km mit konventionellen Antrieben nicht erreichbar sind [12]. In der Konsequenz hat dies zur Folge, dass in den kommenden Jahren nur über ein Downsizing im Sinne einer veränderten Fahrzeugklassen-Wahl und eine deutliche Anteilssteigerung der alternativen Antriebe die verkehrsspezifischen Umweltziele erreicht werden können. Beide Pfadveränderungen im Käuferverhalten wären tiefgreifend, bedingen notwendigerweise ein attraktives Fahrzeugangebot der Industrie und erfordern darüber hinaus vor allem eine entsprechende Sichtbarkeit dieses Angebots beim Konsumenten. Von der Industrie wird die erforderliche Präsenzinitiative für innovative Antriebskonzepte bislang nicht geleistet. Im Jahr 2017 investierten die Fahrzeughersteller in den sechs größten europäischen Ländern nur 6,3 % ihres Werbeetats in elektrisch angetriebene Fahrzeuge (inklusive Hybridantrieb) [13]. Grund hierfür sind sicherlich unter anderem die deutlich höheren Profitmargen, die mit etablierten Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren kurzfristig erzielt werden können [14]. Es stellt sich jedoch die Frage, inwieweit andere, formal unabhängige meinungsbildende Akteure einen Beitrag leisten, die Transformation des Straßenverkehrs informativ zu unterstützen. Konkret sollte im Rahmen einer Forschungsstudie überprüft werden, welche Position überregionale Tageszeitungen und die professionell-publizistischen Angebote der Internetableger dieser traditionellen Massenmedien einnehmen. Fokussieren sie sich bei ihren Fahrberichten auf innovative und besonders umweltfreundliche Fahrzeugkonzepte oder verfolgen die Autoredakteure eine eher Kaufgewohnheiten stabilisierende Strategie bei der Auswahl ihrer Testfahrzeuge? Werden vor allem leistungsstarke „Rennreiselimousinen“ [15] zelebriert oder zielgruppenspezifisch effiziente Modelle für Pendler, Familien etc. vorgestellt? Vorstudien für den Schweizer Markt ergaben eine massive Diskrepanz zwischen den Klimazielen und den Emissionswerten der Testflotte der Autoredaktionen [16]. Frühere Medienanalysen im Kontext der Testauto-Auswahl deutscher Printmedien konzentrierten sich nicht auf das Nachhaltigkeitskriterium, sondern ermittelten einen positiven Zusammenhang zwischen Werbepräsenz und der Wahrscheinlichkeit der Publikation eines Testberichts in der führenden deutschen Automobilzeitschrift auto, motor und sport [17]. Relevanz der Printmedien Printmedien spielen bei der Meinungsbildung weiterhin eine wichtige Rolle. Zwar ist die Auflage der deutschen Tageszeitungen in Deutschland seit 1990 um über 30 % gesunken [18]. Trotzdem erreichen Tageszeitungen an einem durchschnittlichen Tag immer noch ein Drittel der Bevölkerung [19]. Tendenziell nimmt das Meinungsbildungsgewicht der Printmedien ab, doch gleichzeitig liegen die Web-Angebote der Zeitungen und Zeitschriften bei der informierenden Mediennutzung im Internet bezogen auf die Gesamtbevölkerung vor allen Konkurrenzangeboten [20], wobei zuletzt vor allem überregionale Zeitungsangebote in der täglichen Gesamtreichweite zulegten [21]. Im Glaubwürdigkeitsvergleich mit anderen Medien erhalten deutsche Tageszeitungen von über 70 % der Bevölkerung eine positive Bewertung, deutlich besser als private Radio-/ Fernsehsender, die Boulevardpresse, das Internet im Allgemeinen oder speziell die sozialen Medien im Web [22]. Entsprechend werden Tageszeitungen als besonders kritisches und objektives Medium eingestuft, das überdurchschnittlich anspruchsvoll, glaubwürdig und kompetent ist. In der Summe wird es von den Befragten der größten Langzeitstudie als das sachlichste Medium wahrgenommen [23]. Für die Informationsbeschaffung vor dem Autokauf kann der Tageszeitung sicherlich keine dominierende Funktion zugeschrieben werden. Allerdings nutzen nach Untersuchungen der GfK je ein Fünftel der Fahrzeugkäufer in der Informationssowie der Vergleichsphase Testberichte in Printmedien [24]. Zudem zeigen Studien, dass die Informationssuche typischerweise über multiple Kanäle erfolgt [25, 26]. Insofern ist mindestens eine Erweiterung des Suchraums wenn nicht sogar des Alternativensets durch eine entsprechende Berichterstattung in Tageszeitungen denkbar. Angesichts einer hohen prinzipiellen Akzeptanz umweltfreundlicher Produkte [27], kommt der Sichtbarmachung tatsächlicher Konsumoptionen eine große Relevanz zu. Methodischer Ansatz Um das Meinungsbildungsverhalten der etablierten Tageszeitungen bei der Information über neue Fahrzeugmodelle zu untersuchen, wurden mit Süddeutsche Zeitung (SZ, 1,24 Mio. Leser pro Ausgabe, 2017), Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ, 0,76 Mio.) und Die Welt (WELT, 0,71 Mio.) sämtliche Fahrberichte im Jahr 2017 der drei reichweitenstärksten deutschen Tageszeitungen (inkl. deren Wochenendausgaben) analysiert [26]. Ergänzend wurden die Testfahrtberichte der Schweizer Neuen Zürcher Zeitung (NZZ am Sonntag, 0,4 Mio.) und des gegenwärtig aufkommensstärksten deutschen Online-Nachrichtenportals Spiegel Online (SpOn, 3,44 Mio. Unique User pro Tag, 2018) untersucht [28]. Ziel war es, die Fahrbericht-Rubriken auf die Zusammensetzung der gewählten Testfahrzeuge zu prüfen und aufzuzeigen, welchen Fahrzeugtypen ein Schaufenster und damit Sichtbarkeit geboten wird. Die Studie basierte somit analog zu [17] ausschließlich auf Instrumenten der quantitativen Medienforschung [29]. Die weitergehende Analyse der Artikel hinsichtlich Tonalität, Beurteilung und abgeleiteten Empfehlungen ist Teil einer anschließenden Untersuchung und wird hier nicht berücksichtigt. Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 74 MOBILITÄT Wissenschaft Ausgewertet wurden die in den jeweiligen Archiven zugänglichen Fahrberichte. Während für die WELT eindeutig Beiträge aus den gedruckten Ausgaben identifiziert und ausgewählt wurden, werden im Archiv der SZ sowohl Artikel aus der Printausgabe als auch von ausschließlich auf deren Webseiten (sueddeutsche.de, 1,14- Mio. Unique User pro Tag, 2018) publizierten Berichten geführt. Auf den Seiten von faz.net (1,00 Mio. Unique User pro Tag, 2018) ist dagegen keine Unterscheidung der Herkunft der Artikel möglich. Insofern ist keine Datengrundlage für einen vollständigen Vergleich verfügbar und es kann die Perspektive eines ausschließlichen Lesers der Printausgabe SZbzw. FAZ-Ausgabe nicht wiedergegeben werden. Jedoch erlaubt die realitätsnahe Rückschau aus Sicht eines Nutzers der öffentlichen zugänglichen Archive bzw. des geschlossenen WELT-Archivs durchaus eine profunde Einschätzung des Auswahlverhaltens der Autoredaktionen. Insgesamt wurden 250 Fahrberichte berücksichtigt. Für die Fahrzeugklassifizierung wurde die Segmentierung des Kraftfahrtbundesamts verwendet. Da in den gesichteten Artikeln von WELT und SZ keine Emissionswerte angegeben waren, erfolgte deren Bestimmung anhand der Online-Datenbank von nextgreencar.com. Dabei wurden jeweils die Modellausführungen mit dem geringsten (CO 2 -Best) und höchsten CO 2 -Emissionswert (CO 2 - Worst) identifiziert. Aus diesen errechnete sich ein Mittelwert (CO 2 -Average) für den Vergleich mit den bei FAZ, WELT und SpOn in den Fahrberichten ausgewiesenen CO 2 -Werten. Für reine Elektroautos wurde analog zu den Angaben in den Fahrberichten der Optimalfall von 0 g CO 2 / km angesetzt. Testflotten verfehlen CO 2 -Ziel Die Analyse zeigt, dass sämtliche untersuchten Printmedien bei der Auswahl der vorgestellten Testwagen offensichtlich kein Nachhaltigkeitsziel verfolgen. Die Rubrik Fahrberichte stellt in keiner der betrachteten Zeitungen ein bewusstes Schaufenster für emissionsarme Fahrzeuge dar. Stattdessen liegen die durchschnittlichen Flottenemissionswerte teils deutlich über dem für 2015 gesteckten Emissionsziel und dem Durchschnitt der 2017 verkauften Fahrzeuge. Allein die WELT-Testflotte kann den 2015er Grenzwert von 130 g CO 2 / km einhalten - und dies auch nur im CO 2 -Best-Szenario mit der jeweils kleinsten Motorausstattung und einem Nullemissionsansatz für Elektromotoren (vgl. Bild 1). Würde für Elektroautos ein realistischer Emissionswert angesetzt, ergäben sich insbesondere für SZ und WELT noch höhere CO 2 -Ausstöße, da sie die größten E-Auto-Anteile in ihren Testflotten aufweisen. Ursache für diese hohen Flottenemissionen ist ein starker Berichterstattungsfokus auf die höher motorisierten und schwereren Fahrzeugklassen. Obere Mittelklasse, Oberklasse, Sportwagen und SUV/ Geländewagen sind im Vergleich zur Neuzulassungsstatistik 2017 deutlich überrepräsentiert. Kleinwagen- und Kompaktklasse wurden dagegen im Vergleich zu ihrer tatsächlichen Marktrelevanz in geringerem Umfang Probe gefahren (vgl. Bild 2). Besonders dominant sind SUV/ Geländewagen in den Fahrberichten vertreten. In der FAZ ist 2017 fast jedes zweite Testfahrzeug dieser Kategorie zuzuordnen. Der SUV-Trendwelle wird offensichtlich nicht nur gefolgt, sondern ein zusätzlicher Resonanzraum geboten. Während PS-starke Sportwagen in der Zulassungsstatistik fast keine Rolle spielen, haben sie einen festen Platz in allen Autoredaktionen. Diese Schwerpunktsetzung führt offensichtlich dazu, dass für das Testen innovativer Fahrzeugangebote nur wenige Publikationsslots übrig bleiben. Diese werden überwiegend für die Vorstellung von Elektrofahrzeugen genutzt. Abgesehen von der FAZ (kein rein elektrisches Testfahrzeug im Betrachtungszeitraum) wurden 5 bis 12 % der Beiträge reinen Elektrofahrzeugen gewidmet, was einem Vielfachen der gegenwärtigen Zulassungszahlen (2017: 0,7 %) entspricht. Dagegen gelang nur ei- 127 135 158 157 130 127 143 146 133 160 149 100 110 120 130 140 150 160 170 Ziel 2015 KBA 2017 WELT SZ FAZ NZZ SpOn CO2-Best CO2-Worst CO2-Average Bild 1: Durchschnittliche Emissionen in g CO 2 / km der Testfahrzeuge 2017 im Vergleich mit Zielwert und Durchschnittswert der Neuzulassungen 2017 (250 Fahrberichte - WELT: 47, SZ: 42, FAZ: 35, NZZ: 36, SpOn: 90; CO 2 -Best/ -Worst: Modellausführung mit geringstem/ höchstem CO 2 -Emissionswert, CO 2 -Average: Mittelwert Best/ Worst bzw. Emissionswertangabe im Artikel) Internationales Verkehrswesen (70) 3 | 2018 75 Wissenschaft MOBILITÄT nem Fahrzeugmodell mit Gasmotor der Sprung in eine der Testflotten. Obwohl diese gerade für reichweitenabhängige Autokäufer eine signifikant emissionsärmere Option darstellen [30] und die Unwissenheit bezüglich dieses Motorkonzepts absatzhemmend hoch ist [31]. PKW mit Brennstoffzelle fehlen in den Testwagenflotten vollständig. Dass die Neuvorstellungen der Automobilindustrie letztlich keine andere Testflottenzusammensetzung ermöglicht hätten, kann als Argument nicht gelten. Schon der Vergleich der Testflotten untereinander zeigt, dass zahlreiche Kleinwagen- und Kompaktklassen-Modelle nur von einer der betrachteten Zeitungen Probe gefahren wurden (Suzuki Swift, Citroen C3, Renault Clio), während diverse SUV-Modelle sich in fast allen Zeitungen finden (Land Rover Discovery, Ford Edge, Volvo XC60). Der Spielraum für eine andere Fahrzeugauswahl war also durchaus vorhanden. Universalbolide statt Innovationsträger Sicherlich wird mit der Beschränkung auf die Fahrbericht-Artikelserien nur ein kleiner Ausschnitt der Berichterstattung im Bereich Auto/ Mobilität analysiert. Allerdings erscheint gerade diese intensive, auf persönlichen (Alltags-)Eindrücken eines Experten basierende Auseinandersetzung mit einem Fahrzeug als besonders wirkmächtiges Narrativ und relevant für die Meinungsbildung, z. B. bezüglich des Schlüsselfaktors Ökonomischer Nutzen und der Sensibilisierung für die bereits erreichten Kostenvorteile alternativer Antriebe im Lebenszyklus-Vergleich mit dem Verbrennungsmotor (Combustion Parity) für spezifische Anwendergruppen [32]. Frappierend sichtbar ist, dass auch die Autoredaktionen der renommierten Pressehäuser bei ihren Testwagen weiterhin auf den Dreiklang aus groß, luxuriös/ schwer und schnell setzen und damit das traditionelle Leitbild des statusträchtigen Universalfahrzeugs zementieren. Vor diesem Hintergrund ist den Herausgebern der betrachteten Medien durchaus ein Versagen im Hinblick auf ihren Beitrag zur notwendigen Verkehrswende zu attestieren, gelten fehlende Informationen doch als eine der wesentlichen Barrieren für den Kauf umweltfreundlicherer Fahrzeuge [33, 34]. Zumal die Ergebnisse im deutlichen Widerspruch zu den Nachhaltigkeitsengagements und -bekundungen der Verlage stehen, die diese an anderer Stelle postulieren. Ziel fortführender Studien muss es sein, zu klären, inwiefern sich dieser „horsepower bias“ nur bei der Testwagenauswahl widerspiegelt oder auch in den Testergebnissen und den ergänzenden Beiträgen der (Auto-)Mobilredaktionen anzutreffen ist. ■ SUMMARY The decarbonisation of private vehicles as part of the transformation of the transport sector is not a question of technology but of implementation. This study shows that not only the automotive industry fails to make its contribution to the rapid market transformation. Also renowned daily newspapers and their automotive journalists show a strong path dependency. In their car reviews, they continue to adhere to the role model of the highly motorized universal vehicle. The average fleet emissions of the selected test vehicles are almost completely above the 2015 emission target and well above the 2020 target. LITERATUR [1] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (2018): Entwurf eines Klimaschutzberichts 2017 zum Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 der Bundesregierung. Datenblatt 19/ 16007. Berlin [2] Graichen, P. Peter, F.; Litz, P. (2018): Das Klimaschutzziel von -40 Prozent bis 2020: Wo landen wir ohne weitere Maßnahmen? https: / / www.agora-energiewende.de/ fileadmin2/ Projekte/ 2015/ Kohlekonsens/ Agora_Analyse_Klimaschutzziel_2020_07092016.pdf [3] Eurostat (2017): EU Transport in figures. Statistical pocketbook 2017. 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In: Transportation Research Part A: Policy and Practice, 109(C), S. 1-13. https: / / doi. org/ 10.1016/ j.tra.2018.01.017 Thomas Sauter-Servaes, Dr. Mobilitätsforscher, Institut für Nachhaltige Entwicklung, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Winterthur thomas.sauter-servaes@zhaw.ch Die Themen der nächsten Ausgabe Neue Mobilitätsstrukturen • Mobility as a Service: Wie neue Dienstleistungen den Markt umkrempeln - und wie sich unser Verständnis von Mobilität grundlegend ändern muss. • Sharing-Modelle: Welche ökonomischen und ökologischen Probleme die Sharing-Kultur wirklich lösen können und-welche Folgen für die Gesellschaft womöglich erwachsen. • Infrastruktur: Wo es sinnvoll sein kann, Verkehrsinfrastruktur nicht nur zu erneuern, sondern völlig neu zu denken. • Herausforderungen, Chancen und Risiken: Warum sich unser alltägliches Mobilitätsverhalten verändern wird - und-welche Sicherheiten wir dabei aus der Hand geben könnten. Internationales Verkehrswesen 4 | 2018 kommt am 22. November | Mehr unter www.internationales-verkehrswesen.de
