Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2018-0076
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Mobility inside - Mobilitätsplattform für Deutschland
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Knut Ringat
Jörg Puzicha
Oliver Wolff
Die Vernetzungsinitiative Mobility inside wurde durch neun Partner initiiert und wird sich im ersten Quartal 2019 durch die Gründung einer Holding-Struktur und einer Betriebsgesellschaft manifestieren. Ausgehend von der bestehenden Branchenstruktur werden die Aktivitäten rund um die digitale Auskunft und den Vertrieb gebündelt. Die Plattform wird auf Basis vorhandener und gemeinsam nutzbarer Komponenten, Infrastrukturen und Lösungen aufgebaut. Bund und Länder wollen die Vernetzungsinitiative unterstützen.
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Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 12 Mobility inside - Mobilitätsplattform für Deutschland Verkehrsunternehmen bündeln ihre Aktivitäten rund um die digitale Auskunft und den Vertrieb Verkehrsunternehmen, Verkehrsverbund, Mobilitätsangebot, Fahrplanauskunft, Tarifplattform Die Vernetzungsinitiative Mobility inside wurde durch neun Partner initiiert und wird sich im ersten Quartal 2019 durch die Gründung einer Holding-Struktur und einer Betriebsgesellschaft manifestieren. Ausgehend von der bestehenden Branchenstruktur werden die Aktivitäten rund um die digitale Auskunft und den Vertrieb gebündelt. Die Plattform wird auf Basis vorhandener und gemeinsam nutzbarer Komponenten, Infrastrukturen und Lösungen aufgebaut. Bund und Länder wollen die Vernetzungsinitiative unterstützen. Knut Ringat, Jörg Puzicha, Oliver Wolff M it der Digitalisierung stehen die Verkehrsunternehmen vor einer erheblichen Herausforderung. In Zeiten des ungehinderten Vormarsches der Plattformökonomie wird am Ende kein Unternehmen allein in der Lage sein, die digitale Transformation zu bewältigen und in der Plattform- Ökonomie einen eigenen Platz neben den großen Integratoren einzunehmen. Ein Ticket für alles zu einem Preis Vor diesem Hintergrund steht neben einer innovativen, auch technischen Angebotspolitik die Aufgabe, mit den Verkehrsunternehmen in ihrer Gesamtheit eine Angebotsstruktur zu entwickeln, die gegenüber anderen Plattformen einen eigenen Stellenwert rechtfertigt. Im Ergebnis muss der gesamte ÖPNV-Warenkorb für den Endkunden vollständig buchbar werden. Das heißt aus Kundensicht: Ein Ticket für alles zu einem Preis. Genau dieses soll Mobility inside unter dem heutigen Markenauftritt der Verkehrsunternehmen und Verkehrsverbünde bundesweit durch Vernetzung der Angebote erreichen. Im Interesse des Kunden werden die Angebote intermodal und überregional buchbar. Mehrfache Einzelregistrierungen in unterschiedlichen Apps von Verkehrsunternehmen werden damit entfallen. Die Partner werden in Mobility inside ihren bekannten Markenauftritt weiternutzen und dabei den Kunden ein umfassendes Angebot in einfachster Buchbarkeits- und Abrechnungssystematik bieten. Bahn und Bus werden zudem ergänzt durch multimodale Angebote Dritter wie Carsharing-, Ridesharing- und Bikesharing-Unternehmen. Starke Marken machen ein starkes Angebot. Ausgehend von der bestehenden Branchenstruktur bündelt Mobility inside die Aktivitäten rund um die digitale Auskunft und den Vertrieb. Auf der Basis vorhandener und gemeinsam nutzbarer Komponenten, Infrastrukturen und Lösungen wird eine Plattform aufgebaut. Die Plattform im Hintergrund ermöglicht den Akteuren im öffentlichen Verkehrsmarkt, die selbst Verkehrsleistung erbringen oder Tarifverantwortung haben, ihren Kunden einen diskriminierungsfreien Zugang anzubieten. Technische und vergaberechtliche Herausforderungen Damit dieses Ziel verwirklicht werden kann, müssen die Partner der Vernetzungsinitiative Mobility inside nicht nur technische, sondern auch vergaberechtliche Aufgaben meistern. Mobility inside wird eine durch die ÖV-Branche selbst gehaltene Plattform, mit der Kunden Mobilität bundesweit aus Foto: pixabay.de POLITIK Mobilität Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 13 Mobilität POLITIK einer Hand nutzen können. Dabei werden die folgenden Grundsätze verfolgt: • diskriminierungsfreier Zugang, • gemeinsame Plattform ohne Konkurrenzierung untereinander, • Beibehaltung des eigenen Auftritts gegenüber dem Kunden, • Verkehrsunternehmen bleiben Kundenvertragspartner, • private wie öffentliche Unternehmen können Systemarchitektur und Komplementärangebote für Kunden auf ihrer Kundenschnittstelle nutzen. Die Umsetzungsstruktur wird für Unternehmen, die im Besitz der Öffentlichen Hand sind, die Voraussetzungen einer Inhouse-Vergabe erfüllen. Nur so kann gewährleistet werden, dass alle Unternehmen die gleiche Produktqualität erhalten können und eine für den Nutzer homogene Flächendeckung mittelfristig erreicht werden kann. Die gesellschaftsrechtliche Konstruktion einer Holding in Form einer GmbH & Co. KG erfüllt dies und lässt Raum für private Beteiligungen. Die daraus zu gründende Mobility inside-Betriebsgesellschaft soll dann die übergreifend notwendigen Lösungen organisieren und betreiben. Darüber hinaus erhalten die Verkehrsunternehmen und -verbünde, die sich nicht als Komplementär oder Kommanditist beteiligen können, die Möglichkeit, sich über eine Vereinsstruktur niederschwellig zu integrieren (Bild 1). Modularer Aufbau der Plattformarchitektur Die Vernetzungsinitiative wird erst durch das Ausrollen in die Fläche und die Erschließung und Verfügbarmachung aller Bediengebiete ihr volles Potenzial und ihren maximalen Nutzen für die Kundinnen und Kunden entfalten. Aufgrund der stetigen Weiterentwicklung der IT und Algorithmen, aber auch der Heterogenität der Bestandssysteme in den Regionen vor Ort, wurde für Mobility inside bewusst ein modularer Ansatz für die Plattformarchitektur gewählt (Bild 2). So können spätere Neuentwicklungen leichter eingebunden, die teils individuellen Systeme seitens der Partner aber auch in einem ersten Schritt angebunden werden. Damit verbunden ist eine Vielzahl von Herausforderungen für die Flächenertüchtigung. Aufbau regionaler Kompetenzcenter Zur kontinuierlichen Unterstützung vor Ort in den Regionen werden Kompetenzcenter zur Schaffung der Grundlagen zur Teilnahme an der Vernetzungsinitiative und für die Digitalisierung im Verkehr aufgebaut. Aufgaben der Kompetenzcenter werden somit unter anderem: • Koordinierung und Ertüchtigung der PartnerVU/ VVs in den Regionen vor Ort über standardisierte Anforderungsbeschreibungen sowie Aufbau von Multiplikatoren, die über eine zentrale Instanz koordiniert werden, • Koordinierung des gemeinsamen Serviceversprechens, • Mitwirkung der bei der Harmonisierung und Standardisierung eines Technologiestandards (Architekturen, Komponenten und Schnittstellen) in Deutschland, • Abstimmung und Koordinierung mit den Fördermittelgebern und -nehmern und der Beratung sowie Unterstützung bei Antragsstellungen. Echtzeitdaten in hoher Qualität Eine wesentliche Voraussetzung für die erfolgreiche Umsetzung von Mobility inside ist eine performante, qualitativ hochwertige und deutschlandweite Fahrplanauskunft. Die beste App wird den Kunden nicht begeistern, wenn die darin verwendeten Daten nicht den Qualitätsansprüchen der Kunden genügen. Mobility inside wird auf die Daten und Systeme von Delfi aufsetzen. Daher ist es erforderlich, dass die Länder bzw. deren beauftragte Vertreter in Delfi weiterhin mit hohem Engagement die Arbeiten, die zur regelmäßigen und qualitativ hochwertigen Datenlieferung erforderlich sind, betreiben bzw. unterstützen. Es ist durch die Länder abzusichern, dass alle Beteiligten ihre erforderlichen Leistungen in gleichbleibend hoher Qualität liefern und sich auch an der fachlichen Weiterentwicklung beteiligen. Die gemeinsam verfolgten Ziele und Aufgaben der Delfi-Konvention und der Mobility inside-Partner vor Ort sind unter anderem: • Harmonisierung und Qualifizierung der Datenbestände (Fahrplansolldaten, Haltestellendaten und Echtzeitdaten/ Prognosedaten), Bild 1: Umsetzungsstruktur von Mobility inside Bild 2: Modularer Aufbau der SOLL-Architektur von Mobility inside, OMP-Modell POLITIK Mobilität Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 14 • Etablierung und Optimierung der Prozesse zum Haltestellendatenmanagement in den Regionen, • kontinuierliche Pflege, Meldung und Verwendung der deutschlandweiten Haltestellen-ID, • regelmäßige Lieferung aktueller Fahrplandaten aller relevanter Verkehre aus den Landessystemen an die Delfi-Integrationsplattform (DIP), • Sicherstellung der flächendeckenden Verfügbarkeit von Soll- und Prognosedaten, • Umsetzung Linien- und Fahrt-ID, • Umsetzung eines durchgängigen Qualitätsmanagements. Zur Erfüllung der aktuellen und der noch vielfältigen künftigen Aufgaben ist eine hinreichende personelle Ausstattung in den Regionen erforderlich, die heute zum Teil nicht vorhanden ist. Hier sollten die Länder gemeinsam mit dem Bund die bisher entwickelten Strukturen weiter kontinuierlich fördern und ausbauen. Elektronischer Vertrieb: Tarifmodule nach PKM Neben einer exzellenten und qualitativ hochwertigen Mobilitätsauskunft für die Kundinnen und Kunden hat Mobility inside das Ziel Fahrtberechtigungen für jede Form der Mobilität über seine Teilnehmer zu vertreiben. Für den Fahrgast wird es möglich werden, multimodal und deutschlandweit ein buntes Angebot vom ÖPNV über das Fahrrad bis hin zum Carsharing zu nutzen. Um dies anbieten zu können, sind im Bereich der Plattform durch Mobility inside erhebliche Arbeiten zu leisten. Die Teilnehmer wiederum haben dafür Sorge zu tragen, dass ihre Tarife in einem einheitlichen digitalen Format einmalig erstellt und kontinuierlich gepflegt werden. Mobility inside hat in der Aufbauphase einen seiner Arbeitsschwerpunkte so gesetzt, die Partner vor Ort bei der Umsetzung zu unterstützen und gleichzeitig Systeme zu entwickeln, die eine kontinuierliche Verbreitung des Standards erheblich vereinfachen und beschleunigen. Das Tarifmodul nach PKM (Produkt- und Kontrollmodul) bietet die Möglichkeit, Tarife des Öffentlichen Personenverkehrs (ÖPV) standardisiert abzubilden. Die Integration in den ganzheitlichen Systemprozess der Tarifabwicklung erfolgt durch Implementierung über Schnittstellen in die Kontroll- und Vertriebsterminals sowie deren Hintergrundsysteme. Durch Umsetzung dieses Standards kann das differenzierte Tarifsystem in Deutschland erhalten bleiben und in einheitlicher digitaler Form abgebildet werden. Die Einführung eines Tarifmoduls nach PKM bietet neben der einheitlichen Datenstruktur weitere Vorteile. Zusätzlich zu einer vereinfachten Kommunikation zwischen Produktverantwortlichen und Kundenvertragspartnern bzw. Dienstleistern können Tarifdaten in einem vernetzten System verwaltet, gepflegt und anschließend verteilt werden. Daher können tarifliche Veränderungen, Korrekturen und Anpassungen der Tarifdaten deutlich schneller als bislang umgesetzt werden. Nach einmaliger Implementierung der Logik der Tarifmodule nach PKM in die Hintergrundsysteme und Gerätesoftware wird der laufende Anpassungsbedarf reduziert. Auch deshalb können beispielsweise zeitlich begrenzte Veranstaltungstickets einfach und schnell in das Modul integriert und an die angeschlossenen Systeme verteilt werden. Durch die einheitliche Darstellung und Verarbeitung von Tarifen mit Hilfe der Tarifmodule nach PKM bedarf es keiner zusätzlichen Änderung der Gerätesoftware. Durch die zentrale Verarbeitung können neue Tarife problemlos eingebunden und abgeleitete Produkte verkauft und kontrolliert werden. Der Aufwand für die Integration sowie für den Verkauf und die Kontrolle neuer oder geänderter Tarifprodukte wird durch die Einführung eines Tarifmoduls nach PKM deutlich reduziert. Zeitintensives, manuelles Einpflegen von neuen Tarifdaten in die Hintergrundsysteme und Gerätesoftware entfällt. Die Verkehrsverbünde müssen zur Einführung des Tarifmoduls gewisse Grundvoraussetzungen sicherstellen, hierbei wird Mobility inside die Investoren und die künftigen Mobility inside-Teilnehmer unterstützen. Neben Delfi ist das PKM-das zweite Schlüsselprojekt für Mobility inside. Förderung zur Teilnahme an der Vernetzungsinitiative Die durch den Bund und die Länder avisierten Fördermittel sollen sicherstellen, dass die lokale Infrastruktur Mobility-inside-fähig wird. Hierzu bedarf es vor Ort Knowhow, insbesondere aber Unterstützung. In jedem Falle muss sichergestellt werden, dass die IT-Landschaft vor Ort homogen bzw. interoperabel mit den vernetzenden Systemen entwickelt wird. Um dies sicherzustellen, soll mit den beschriebenen lokalen Kompetenzcentern die notwendige Unterstützung geleistet werden. Voraussetzung hierfür ist, dass die in der Verkehrsministerkonferenz im November 2017 beschlossenen Förderkulissen jetzt operationalisiert werden. Für den Bundeshaushalt werden entsprechende Mittel vorgesehen, so dass in den Verkehrsunternehmen und Verkehrsverbünden die notwendige Ertüchtigung der technischen InfrastrukturfürdieThemenEchtzeitinformation und E-Ticketing (insbesondere E-Kontrolle) vorgenommen werden kann. Diese Infrastruktur bildet die Basis der Qualität und damit der Akzeptanz von Mobility inside. Ein Ansatz hierbei ist die Prüfung der Möglichkeit einer förderunschädlichen Verknüpfung von Fördermitteln aus einem zu erstellenden Bundestopf und dem Bedarf angepassten Ländertöpfen, so dass eine sehr hohe Förderquote erzielt werden kann und eine Teilnahme an der Vernetzungsinitiative attraktiv ist. Gerade auch kleineren Partnern mit sehr eingeschränkten Möglichkeiten der Gegenfinanzierung kann so eine Beteiligung erleichtert werden. Eine valide Bestandsaufnahme muss entsprechend vor dem Hintergrund der zum Teil sehr kleinteiligen Strukturen nun ein wichtiger erster Schritt sein. Ferner muss es erklärtes Ziel sein, die Fördermittelanträge und die damit einhergehende Ausschreibung koordiniert durchzuführen. Um einen einheitlichen Standard und das Zusammenspiel der Partner auf nationaler Ebene zu gewährleisten ist es erforderlich, die Einhaltung entwickelter Mindestanforderungen, z. B. über Standard-Lastenhefte, zur zwingenden Voraussetzung für die Förderung zu machen. ■ QUELLEN [1] Beschlusssammlung der Verkehrsministerkonferenz am 9./ 10. November 2017 in Wolfsburg, Punkt 4.6 der Tagesordnung: Mobilität und Digitalisierung e) Roadmap Digitalisierung im ÖPNV [2] https: / / www.mobilityinside.de Erstveröffentlichung in „Der Eisenbahningenieur“ 10/ 2018 Jörg Puzicha Geschäftsführer, Mobilligence GmbH, Berlin joerg.puzicha@mobilligence.de Oliver Wolff Hauptgeschäftsführer, Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V. (VDV), Köln wolff@vdv.de Knut Ringat, Prof. Geschäftsführer und Sprecher der Geschäftsführung, Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH, Hofheim am Taunus k_ringat@rmv.de
