eJournals Internationales Verkehrswesen 70/4

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2018-0079
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Neustart für das EU-Mobilitätspaket

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Werner Balsen
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Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 19 W enn die Verkehrsexperten der EU-Staaten derzeit intensiv über das erste Mobilitäts- (Straßen-)Paket beraten, dann ist das vor allem der österreichischen Ratspräsidentschaft zu verdanken. Denn der umfangreiche Gesetzentwurf für den Straßengüterverkehr, den die EU-Kommission bereits Ende Mai 2017 vorgelegt hatte, steckte bis Anfang September, bei beiden Co-Gesetzgebern der EU fest: Das Plenum des Europäischen Parlaments hatte schon vor der Sommerpause die Vorschläge aus dem Transportausschuss nicht akzeptiert und in das Fachgremium zurück verwiesen. Und die Verkehrsexperten der EU-Staaten waren noch im Frühherbst über die „Sozialthemen“ des Pakets so zerstritten, dass ein Verhandlungsfortschritt überhaupt nicht denkbar erschien. Die Nordwestsowie die Nord- und Südoststaaten der EU standen sich unversöhnlich gegenüber. Dann holten die Österreicher zu einem kaum erwarteten „Befreiungsschlag“ aus. Sie präsentierten den zerstrittenen Mitgliedstaaten ein Papier, das den absurden, aber in Brüssel nicht unüblichen, Titel „Non Paper“ trägt. Darin versuchten sich die Diplomaten der Alpenrepublik an einer Herkulesaufgabe: Sie suchten einen Kompromiss, mit dem eine Mehrheit der EU-Länder leben kann. Bemerkenswert ist, dass ein solches Papier von einem Staat kommt, der sich selbst in der Debatte über die besonders strittigen Themen des Gesetzespakets - Kabotage, Lenk- und Ruhezeiten sowie Entsendung von LKW-Fahrern - schon lange klar positioniert hat. Österreich ist der „Road Alliance“ beigetreten, mit der die EU- Staaten des Nordwestens ihre Interessen gegenüber jenen des Süd- und Nordostens durchsetzen wollen. Dennoch stellt das „Non Paper“ die nationalen Interessen Wiens zurück - zugunsten von Vorschlägen, welche die bislang unversöhnlich gegeneinander stehenden Nationen zusammen bringen sollen. Damit füllen die Österreicher in vorbildlicher Weise die Rolle, die eine EU-Ratspräsidentschaft spielen soll: nicht dem Nutzen des eigenen Landes dienen, sondern als Makler die (noch) 28 EU- Staaten gegenüber den Gesetzesvorschlägen der EU-Kommission auf eine gemeinsame Linie bringen. Das ist auch deshalb hervorzuheben, weil die vorherige Ratspräsidentschaft in dem Punkt versagte. Die Bulgaren, die zu Beginn des Jahres noch vollmundig verkündet hatten, sie würden bis zum Ende ihrer Präsidentschaft eine gemeinsame Position aller EU-Staaten beim Mobilitätspaket erreichen, standen Ende Juni vor einem Scherbenhaufen. Sie hatten den Fehler gemacht, nicht als Vermittler, sondern als Lobbyisten der nationalen Interessen zu agieren. Sie führten die Verhandlungen vor allem für die in ihrem Land ansässigen Transportfirmen. In der Debatte über das Mobilitätspaket verloren die EU-Staaten dadurch mehr oder weniger ein halbes Jahr. Die österreichische Initiative hat nun für einen vielversprechenden Neustart der Verhandlungen gesorgt. Klar ist, dass die Vorschläge des „Non Paper“ nicht mit einem Schlussdokument zu verwechseln sind. Die Autoren haben sehr darauf geachtet, Zumutungen und Verheißungen gleichmäßig zu verteilen. Alles in Allem aber bietet das „Non Paper“ so für die Verkehrsexperten der Mitgliedstaaten viele Proaber auch viele Contra-Argumente - und bildet so eine vielversprechende Grundlage für Debatten. Die kam denn auch schnell in Gang. Zwar zeitigt sie bislang nur kleine Fortschritte, aber im Gegensatz zu vorher geht es zumindest langsam voran. Um den Nordwest-Staaten, darunter Deutschland, entgegen zu kommen, haben die Österreicher neben den drei genannten „Sozial“-Themen ihrem Papier ein Kapitel über den „intelligenten Tachografen“ vorangestellt. Damit wollen sie Bedenken dieser Länder entgegentreten. Die pochen sehr stark darauf, die Vorschriften überwachen und kontrollieren zu können. Sonst - so ihr Tenor - brauche man sie erst gar nicht einzuführen. Wie gesagt: Das „Non Paper“, dem die Österreicher bei Redaktionsschluss schon drei konkrete Vorschlagsversionen hinterhergeschickt haben, soll Kompromisse ermöglichen, nicht selbst einer sein. Daran gemessen, hat es sich schon bewährt. Zwar ist derzeit immer noch nicht klar, ob sich die Verkehrsminister der EU-Staaten bei ihrer Sitzung am 3. Dezember auf eine gemeinsame Haltung einigen können. Dafür stehen hinter manchen Einzelvorschlägen derzeit noch zu viele Fragezeichen. Aber es ist das Verdienst der Österreicher, dass überhaupt wieder verhandelt wird. Und auch, dass auf dem informellen Verkehrsministerrat Ende Oktober in Graz mit Blick auf das erste Mobilitätspaket so etwas wie zarter Optimismus aufkam. Das ist es, was zählt. Denn noch besteht eine vage Chance, dass sich die Sozialthemen des ersten Mobilitätspakets vielleicht doch noch in dieser Legislaturperiode unter Dach und Fach bringen lassen. ■ Werner Balsen EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Verkehrs-Zeitung B E R I C H T A U S B R Ü S S E L VON WERNER BALSEN Neustart für das EU-Mobilitätspaket