eJournals Internationales Verkehrswesen 70/4

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2018-0093
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2018
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Künstliche Intelligenz in Logistiknetzwerken

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Manuel Weinke
Peter Poschmann
Frank Straube
Intermodale Logistiknetzwerke wie die maritime Transportkette erfordern ein präzises Zusammenwirken zahlreicher Akteure. Infolge ihrer Komplexität weisen die eng verzahnten Prozesse jedoch eine hohe Störanfälligkeit auf. Betriebliche und umfeldbedingte Störungen führen regelmäßig zu Abweichungen geplanter Prozesszeiten, die sich auf nachgelagerte Prozesse auswirken. Geringfügige landseitige Verspätungen können sich zu hohen Verspätungen über die Gesamtkette aufbauen, wenn etwa Schiffs-Closings verpasst werden. Datenbasierende Technologien unterstützen beim Umgang mit diesen Herausforderungen.
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Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 71 Wissenschaft TECHNOLOGIE Künstliche Intelligenz in-Logistiknetzwerken Verbesserung der Zuverlässigkeit maritimer Transportketten durch akteursübergreifende ETA-Prognosen Transportkette, Seefracht, Störungen, Prognose, ETA, Künstliche Intelligenz KI Intermodale Logistiknetzwerke wie die maritime Transportkette erfordern ein präzises Zusammenwirken zahlreicher Akteure. Infolge ihrer Komplexität weisen die eng verzahnten Prozesse jedoch eine hohe Störanfälligkeit auf. Betriebliche und umfeldbedingte Störungen führen regelmäßig zu Abweichungen geplanter Prozesszeiten, die sich auf nachgelagerte Prozesse auswirken. Geringfügige landseitige Verspätungen können sich zu hohen Verspätungen über die Gesamtkette aufbauen, wenn etwa Schiffs-Closings verpasst werden. Datenbasierende Technologien unterstützen beim Umgang mit diesen Herausforderungen. Manuel Weinke, Peter Poschmann, Frank Straube N icht jedes Störungsereignis in Transportketten wie bspw. Unwetter oder Stau kann durch gezielte Prozessoptimierung im Voraus vermieden werden. Vielmehr stellt die Eindämmung der Auswirkungen im Störfall die verbreitete Vorgehensweise dar, indem steuernd und dispositiv in den Prozess eingegriffen wird. Als grundlegendes Hilfsmittel dieses Störfallmanagements bedarf es einer Informationstransparenz über den aktuellen Status (Ist- Zeit) und die Verspätungslage eines Transportauftrages (Abweichung der Istvon der Plan-Zeit) sowie über die Gründe für die Verspätung. [1] Diese „Tracking“-Informationen detektieren ein Störereignis jedoch erst nach dessen Auftreten, so dass lediglich ein reaktives Eingreifen möglich ist. Die Handlungsalternativen zur Störungseindämmung werden hierdurch deutlich reduziert. Gleichzeitig beinhalten diese deskriptiven Informationen keine Ableitungen zu den zeitlichen Auswirkungen auf den weiteren Prozessverlauf, z. B. die erwartete Ankunftszeit des Auftrages (ETA - Estimated Time of Arrival) beim nachfolgenden Akteur, was wiederum die Auswahl bedarfsgerechter Maßnahmen erschwert. Steigender Bedarf an verbesserter Informationstransparenz In der maritimen Transportkette sind diese Prozessinformationen in vielen Teilabschnitten nur eingeschränkt und in geringer Qualität verfügbar. Insbesondere Informationen zur ETA liegen für viele Prozesse nicht vor - bzw. werden nur einmalig oder vereinfacht durch die Anwendung von Expertenwissen oder, wie im Schienengüterverkehr üblich, durch lineare Fortschreibung von vorhandenen Verspätungszeiten bestimmt. Ferner besteht in der Transportkette eine geringe akteursübergreifende Informationstransparenz infolge des eingeschränkten und oft manuellen Austausches von Informationen. Die Unternehmen stehen demnach unentwegt vor der Herausforderung, effektiv und effizient mit Störungsbzw. Verspätungssituation umzugehen. Gleichzeitig sehen sie sich mit steigenden logistischen Anforderungen in Bezug auf höhere Verfügbarkeits- und Flexibilitätserwartungen der Kunden sowie einem steigenden Kostendruck konfrontiert. [2] Die damit einhergehende Notwendigkeit zur kurzfristigen Reaktion auf Auftragsänderungen bei einem gleichzeitigen Abbau von Risikopuffern führt wiederum zu einer steigendenden Störanfälligkeit der Prozesse. Zusammen mit den aktuellen Veränderungen durch die Digitalisierung trägt dieser Umstand wesentlich zu einem erhöhten Bedarf an Prozessinformationen bei den Akteuren und ihren Kunden bei. Demnach sind etablierte und viele neue Marktteilnehmer bestrebt, ihren Kunden eine höhere Informationstransparenz durch digitale Services zu bieten. [3] Gleichzeitig optimieren und erweitern viele Akteure ihre IT-Systeme, wofür wiederum Informationen mit einer höheren Verfügbarkeit und Validität benötigt werden. Wie im Bild 1 dargestellt, ist dabei im Vergleich der einzelnen Prozessinformationen der zukünftige Bedeutungsanstieg bzgl. der ETA am höchsten. Projekt SMECS Vor dem Hintergrund der Bedeutung und des derzeitigen Verfügbarkeitsgrades von Prozessinformationen in der maritimen Transportkette hat das Fachgebiet Logistik der Technische Universität Berlin zusammen mit der DB Cargo und der Kühne Logistics University sowie Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 72 TECHNOLOGIE Wissenschaft zahlreichen assoziierten Praxispartnern das Projekt SMECS (Smart Event Forecast for Seaports) initiiert. Ziel des Projektes, welches vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur im Rahmen des Förderprogramms IHATEC (Innovative Hafentechnologien) gefördert wird, ist die Befähigung der Akteure der Transportkette zur frühzeitigen Erkennung von Störungen und Prozessverzögerungen sowie zum Ergreifen zielgerichteter Maßnahmen. Zur Realisierung dieses verbesserten Störungsmanagements wird im Rahmen des Projektes ein auf Künstlicher Intelligenz basiertes IT-System entwickelt, welches Unternehmen mit einer akteursübergreifenden Prognose von Ankunftszeiten von Seefrachtcontainern und akteursspezifischen Handlungsempfehlungen unterstützt. SMECS fokussiert hierbei die landseitigen Prozesse von Seefrachtcontainern, d. h. vom Verlader bzw. Leercontainerdepot bis zur Übergabe an den Seetransport. Einsatz von Künstlicher Intelligenz Das System, welches derzeit im SMECS-Projekt entwickelt wird, ermittelt dynamisch die ETA eines Containers für alle relevanten Transportabschnitte wie den Straßen- und Schienentransport inkl. der Rangiervorgänge sowie für die Durchlaufzeiten der involvierten logistischen Knotenpunkte (Hinterlandterminal, Rangierbahnhöfe bzw. Zugbildungsanlagen und Seehafenterminal) und fügt diese dann zu einem Gesamtbild zusammen. Anhand eines Abgleiches der prognostizierten Prozessdauern mit den Plan-Werten überwacht das System permanent die Einhaltung des geplanten Transportverlaufes und erkennt, wenn ein Container aufgrund von Verspätungen den Nachfolgeprozess nicht rechtzeitig erreicht. Zur Prognose der spezifischen Containerankunftszeiten werden Störungen und weitere Umweltgegebenheiten, welche einen Einfluss auf die Prozesszeit nehmen, im System mit einbezogen. Das „Erlernen“ der Zusammenhänge zwischen der zu erwartenden Transportverspätung und diesen Einflussfaktoren erfolgt durch die Prüfung und Anwendung verschiedener, bereits für ETA- Prognosen erprobter Verfahren des „überwachten“ Maschinellen Lernens wie Künstlich Neuronale Netze (KNN), Random Forest oder Support Vector Machines (SVM) auf Basis historischer Daten. [4, 5] Gute Prognoseergebnisse konnten hierbei bereits mit dem Verfahren Random Forest erzielt werden, welches sich bei kleineren Datenmengen gegenüber KNN als vorteilhaft erweist. Anders als bei herkömmlichen Ansätzen zur Verspätungsvorhersage im Transport wie etwa der Prozesssimulation erfordert der gewählte datenbasierte Ansatz keine umfassende Problemmodellierung. [6] Neben einer Vielzahl betriebsinterner Datenquellen (z. B. Prozessdaten, Störungsinformationen, Daten zur Infrastruktur und Ressourcen) werden hierbei auch externe Datenquellen (z. B. Wetterdaten, Daten zum Verkehrsaufkommen) zur Prognose verwendet. Das trainierte Modell kann anschließend im Rahmen einer Echtzeitanwendung zur Vorhersage aktueller Transportverläufe eingesetzt werden. Durch die Integration von vorab identifizierten Handlungsalternativen im Sinne eines wissensbasierten KI-Systems werden im spezifischen Störungsbzw. Verspätungsfall geeignete Empfehlungen für die Transportsteuerung, insbesondere für die Harmonisierung von Akteursschnittstellen, ausgewiesen. Iterative Systementwicklung Die Realisierung einer bedarfsgerechten Lösung setzt nicht nur eine umfassende Kenntnis über die Abläufe im maritimen Containertransport und die spezifischen Ursachen von Verspätungen voraus, sondern auch die darauf aufbauende Identifizierung geeigneter „Trainingsdaten“. Die Systementwicklung folgt dabei einem iterativen Vorgehen mit drei wesentlichen Schritten, dessen Phasen mehrmals durchlaufen und von einem sukzessiven Wissenszuwachs über Prozesse, Störungen und Daten gekennzeichnet sind. 1. Prozess- und Störungsanalyse Zur Erlangung des notwendigen Systemverständnisses erfolgt in der ersten Phase eine Aufnahme und Systematisierung der wesentlichen Betriebs- und Planungsprozesse sowie der begleitenden Informationsflüsse im maritimen Transportvorlauf. Als Ausgangspunkt für die Datenanalyse und Modellentwicklung werden zudem die wesentlichen prozessbezogenen Störungen, die zu Prozessabweichungen führen und in den Prognosemodellen abgebildet werden müssen, aufgenommen und in ihren kausalen Störungsursachen modelliert. 2. Datenanalyse In der zweiten Phase werden geeignete Daten identifiziert und aus den jeweiligen Datenquellen beschafft, die zur Prognose der aufgenommenen Störungsursachen und Einflussfaktoren geeignet sein könnten. Durch eine ausführliche Datenvisualisierung und die Anwendung „unüberwachter“ Lernenverfahren (z. B. Sequenzmustererkennung) können in dieser Phase weitere bislang nicht bekannte Zusammenhänge bei der Verspätungsentstehung aufgedeckt werden. 3. Modellentwicklung Auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse und historischen Daten werden in der dritten Phase problemspezi- Bild 1: Bedeutung von Prozessinformationen in der maritimen Transportkette Alle Darstellungen: Autoren Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 73 Wissenschaft TECHNOLOGIE fische Prognosemodelle entwickelt, trainiert und hinsichtlich einer ausreichenden Prognosegüte validiert. Das komplexe Problem der ETA-Prognose wird hierzu zunächst in mehrere voneinander unabhängig modellierbare aber miteinander interagierende Teilprobleme untergliedert, die jeweils durch geeignete Verfahren des Maschinellen Lernens unter Verwendung problemspezifischer Daten gelöst werden. Zur Erzielung einer ETA-Prognose für die Gesamtkette erfolgt nach Sicherstellung einer ausreichend hohen Prognosegüte die Integration der Teilmodelle in ein akteursübergreifendes System. Im Vorfeld der Systementwicklung wurde eine Bedarfsanalyse zur Ermittlung und Priorisierung von relevanten Anwendungsfällen der maritimen Transportkette für die Umsetzung einer ETA-Prognose durchgeführt. Diese Analyse diente zum einen der Festlegung einer optimalen Projektausrichtung und zum anderen der Ableitung spezifischer Anforderungen an die Systemgestaltung. Praxisgerechte Lösung durch Einbindung von-Expertenwissen Zur Abbildung realer Rahmenbedingungen im System von SMECS werden bei den beschriebenen Projektaktivitäten sowohl zahlreiche Unternehmensvertreter der einzelnen Akteure als auch angrenzende Forschungsprojekte wie etwa das Projekt EMP 4.0 (Export Management Platform) von Dakosy, Kühne + Nagel und DB Cargo intensiv eingebunden. [7] Die Partnerunternehmen nehmen dabei einerseits eine beratende Rolle zur Einbringung und Validierung fachlicher Informationen ein; andererseits stellen sie die notwendigen Betriebsdaten bereit. Während bei den wiederkehrenden Arbeitsschritten der Systementwicklung variierende Formen der Unternehmenseinbindung umgesetzt werden, bedurfte es für die Priorisierung von Inhalten innerhalb der vorausgegangen Bedarfsanalyse einer standardisierten Aufnahme des aggregierten Meinungsbildes der Gesamtkette. Um eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu gewährleisten und gleichzeitig Partikularanforderungen der Akteure zu berücksichtigen, erfolgte hierfür eine zweistufige Befragung von Fachexperten der einzelnen Unternehmen mittels der Durchführung semistrukturierter Interviews und der anonymisierten Beantwortung standardisierter Fragebögen. Anschließend fand gemeinsam mit allen Interviewpartner eine Diskussion und Validierung der Analyseergebnisse statt. Auf dieser Grundlage wurden sowohl gesamthaft als auch akteursbezogen die Mehrwerte, die präfierten Anwendungsbereiche und Prozessabschnitte für den Einsatz einer ETA sowie die technischen Umsetzungsmöglichkeiten in Bezug auf die Datenverfügbarkeit abgeleitet und in priorisierte Anwendungsfälle überführt. Insgesamt wurden bei der Bedarfsanalyse die Sichtweisen von 13 Akteursrollen der maritimen Transportkette berücksichtigt. Vielzahl von Einsatzbereichen einer ETA In der Bereitstellung einer akteursübergreifenden ETA für die maritime Transportkette sehen die beteiligten Unternehmen vielfältige funktionale Potenziale (siehe Bild 2). Hieraus ergeben sich spezifische Anforderungen an die ETA-Gestaltung, z. B. der benötigte prozessuale Bezugspunkt, der Zeitpunkt (Prognosehorizont) sowie die Genauigkeit und der inhaltliche Umfang der Informationsbereitstellung. Grundsätzlich stellt der gewählte Ansatz für die Akteure den großen Vorteil einer höheren Prozesstransparenz über die gesamte Transportkette, einschließlich der eigenen Prozesse, dar. Die Anwender erhalten durch die akteursübergreifende Prognose die Möglichkeit, nicht nur lokale Störungsauswirkungen hinsichtlich ihrer Verspätungen zu quantifizieren, sondern insbesondere die Folgen für nachgelagerte Prozesse zu bewerten. Gleichzeitig werden sie zur einer Bewertung von Störungen in vorgelagerten Prozessen in Bezug auf die eigenen Aktivitäten befähigt. Mithilfe all dieser Informationen können zielgerichtete und bedarfsgerechte Maßnahmen ergriffen werden, welche die negativen Störungsauswirkungen zur anforderungskonformen Ausführung der Aufträge so gering wie möglich halten. Die ETA stellt demnach primär ein Instrument zur (frühzeitigen) Unterstützung bei operativen Entscheidungsproblemen im Rahmen der Prozesssteuerung und Disposition der Ressourcen (u. a. Personal, Fahrzeuge, Infrastruktur) dar. Im Ergebnis wird ein verbessertes Bedarfs- und Kapazitätsmanagement ermöglicht, was zu einer Verbesserung der Asset-Auslastung und Reduktion von Risikopuffern entlang der Transportkette führt. Neben dem Einsatz in der eigenen Betriebsführung fungiert die ETA gleichzeitig als wichtige Information für die Weitergabe an angrenzende Akteure bzw. an den Auftraggeber. Die hierdurch ermöglichte frühzeitige Kommunikation von Störungen und Verspätungen leistet zusammen mit der verbesserten Pünktlichkeit einen wichtigen Beitrag zur Erhöhung der Kundenzufriedenheit. Insbesondere die übergreifenden Akteure sehen in Bild 2: Zusammenfassung von akteursbezogenen Mehrwerten einer ETA Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 74 TECHNOLOGIE Wissenschaft der ETA auch ein vielversprechendes Werkzeug des Qualitätsmanagements, indem durch die verbesserte Transparenz über Verspätungen und deren Gründe eine Möglichkeit zur Bewertung der eingesetzten Dienstleister geschaffen wird. In der systemseitigen und dynamischen Bereitstellung der ETA wird zudem der Vorteil eines reduzierten manuellen Informationsaustausches mit anderen Akteuren gesehen. Hohe Bedeutung für landseitige Prozesse Aufgrund individueller Störanfälligkeiten und einer variierenden Flexibilität nachgelagerter Prozesse ist der Mehrwert einer ETA für die einzelnen Transportabschnitte der maritimen Kette unterschiedlich ausgeprägt. Demnach messen die beteiligten Akteure dem landseitigen Verkehr im Vor- und Nachlauf eine höhere Relevanz als dem Hauptlauf bei. Der Hauptgrund liegt in der zeitlichen Entkoppelung des Hauptlaufs durch den Schiffsfahrplan, wodurch ein Verpassen des Schiffs-Closings durch Verspätungen im Vorlauf zu hohen Zusatzverspätungen führen kann. Gleichzeitig liegen für den seeseitigen Transport bereits gute Lösungen zur Ankunftszeitenbestimmung vor. Entsprechend der erforderlichen Gesamtsicht für einen Transportauftrag wird in SMECS jedoch eine integrierte Betrachtung des Vorlaufs unter Berücksichtigung bestehender Schiffsinformationen umgesetzt, um die Auswirkungen von Verspätungen und Maßnahmen auf die Gesamtkette bewerten zu können. Im Vergleich von Vor- und Nachlauf bzw. Ex- und Importverkehr existieren keine Bedeutungsunterschiede für die ETA-Bereitstellung. Beide Transportrichtungen müssen vielmehr im Zusammenhang betrachtet werden, da hohe prozessuale Wechselwirkungen bestehen, wie etwa durch die Umlaufplanung von Zügen zwischen den Häfen und den Hinterlandterminals. Kombinierter Verkehr Straße-Schiene mit-hoher Relevanz Bei der Betrachtung verschiedener Transportmöglichkeiten stellen Transporte von Lastcontainern im kombinierten maritimen Verkehr den relevantesten Anwendungsfall für eine ETA dar. Transporte von anderen Stückgütern oder Schüttgütern sowie von Leercontainern weisen eine deutlich nachrangige Bedeutung auf. Gleiches gilt für den ungebrochenen Verkehr im Vorlauf, d. h. den reinen Straßen- oder Schienentransport, der aufgrund seiner geringeren Komplexität als weniger störanfällig von den Akteuren angesehen wird. Der Bedeutungsunterschied zwischen maritimen und kontinentalem Verkehr kann wiederum als gering bezeichnet werden. In Bezug auf Teilprozesse und Verkehrsträger stellt der Schienentransport den bedeutendsten Anwendungsfall dar - gefolgt vom Straßentransport im kombinierten Verkehr (siehe Bild 3). Die höhere Bedeutung einer ETA im Schienentransport folgt aus mehreren Gründen. Einerseits besteht schienenseitig eine höhere betriebliche Relevanz für die Akteure durch das höhere Volumen, die damit verbundenen Lastspitzen und die höhere Planungskomplexität, z. B. für Be- und Entladungsprozesse (Gleis-, Kranbelegung etc.). Anderseits wird der Schiene infolge der eingeschränkten Freiheitsgrade eine bessere Prognosemöglichkeit attestiert. Gleichzeitig verfügt der Straßentransport durch den Einsatz von externen Diensten wie Navigationssystem und Google Maps bereits über ausgereiftere Lösungen zur Prognose der Ankunftszeiten im Vergleich der landseitigen Transportträger. Bei der Detailbetrachtung weist der Straßenverkehr im KV eine höhere ETA-Relevanz als der ungebrochene Straßentransport zum Hafen auf. Neben der geringen Störanfälligkeit ist dies mit dem bereits eingeführten LKW-Slotverfahren einiger Häfen wie in Hamburg zu begründen[8], welches eine verbesserte Transparenz über straßenseitige Ankunftszeiten ermöglicht. Das Binnenschiff verfügt aufgrund des beförderten Güteraufkommens über die geringste Bedeutung für eine ETA- Umsetzung. Große Unterschiede bei Datenverfügbarkeit Für die Realisierung einer ETA-Prognose mittels Künstlicher Intelligenz stellt die Verfügbarkeit von Daten eine essentielle Voraussetzung dar. In der Entwicklungsphase kann hierbei in Datenquellen zu historischen Transportverläufen mit Informationen zur geplanten und tatsächlichen Prozesszeit sowie in unternehmensinterne und -externe Datenquellen zur Erklärung von Soll-Ist-Abweichungen (Störungsinformationen) unterschieden werden. Unternehmensinterne Störungsinformationen können wiederum sowohl auftragsbezogene Daten sein, die spezifische Verspätungssituation qualifizieren, als auch übergreifende Informationen, deren Zusammenhang mit Verspätungen über statistische Verfahren ermittelt werden kann, z. B. Baustelleninformationen. Bei der Analyse der einzelnen Prozesse und Transportmöglichkeiten des maritimen Verkehrs mit den Fachexperten zeigen sich in Bezug auf die benötigen Daten unterschiedliche Szenarien. Demnach sind teilweise bestimmte Daten gar nicht oder nur eingeschränkt, d. h. lediglich für einen geringen Zeitraum oder in geringer Granularität, verfügbar. Während Soll-Werte (z. B. Fahrplandaten) bei fast allen Unternehmen vorhanden sind, verfügen nur ca. 80 % über die dazugehörigen Ist-Werte sowie nur ca. 70 % über Störungsinformationen. Wie Bild- 4 verdeutlicht, eignen sich die vorhandenen Daten vielfach jedoch aufgrund ihrer Qualität nicht für eine Weiterverarbeitung, da diese bspw. unstrukturiert im Freitextformat vorliegen oder nicht valide sind. Bild 1: Einordnung der Studienteilnehmer in den Adoptionsprozess Internationales Verkehrswesen (70) 4 | 2018 75 Wissenschaft TECHNOLOGIE [3] Göpfert, I.; Seeßle, P. (2017): Startups in der Logistikdienstleisterbranche. Philipps-Universität Marburg. [4] Kosolsombat, S.; Limprasert, W. (2017): Arrival Time Prediction and Train Tracking Analysis. In: Numao et al. (2017): PRICAI 2016 Workshops, S. 170-177. [5] Markovic, N.; Milinkovic, S.; Tikhonov, K. S.; Schonfeld, P. (2015): Analyzing passenger train arrival delays with support vector regression. In: Transportation Research Part C 56 (2015), S. 251-262. [6] Gorman, M. F. (2009): Statistical estimation of railroad congestion delay. In: Transportation Research Part E 45 (2009), S. 446-456. [7] IHATEC-Forschungsprojekte für den Transportbereich: www.innovativehafentechnologien.de/ schwerpunkte/ transport/ [8] Truckvoranmeldung und Slotbuchung im Hambuger Hafen: www.truckgate.de/ Insgesamt ergibt sich für den Schienentransport und das Hinterlandterminal die beste prognoserelevante Datenlage. Insbesondere für Zugläufe liegen sowohl vergleichsweise dicht aufeinanderfolgende Zeit-/ Ortsinformationen sowie dazugehörige Plan-Werte als auch zugbezogene und übergreifende Störungsinformationen vor. Dies steht teilweise im großen Gegensatz zu den anderen, im Containerlauf involvierten Prozessen wie den Straßen- und Binnenschifftransport, der Rangierung und den Umschlag im Seehafen. Fazit Für die maritime Transportkette fehlt bisher eine integrierte Betrachtung von Verspätungen. Gleichzeitig sind innerhalb der meisten Prozesse die Hilfsmittel zur Überwachung und zum Umgang mit Störungen wenig ausgereift. Die Umsetzung von Potenzialen aus der Nutzung und Veredlung von Daten erfolgt hierfür bisher nur punktuell. Mit dem SMECS-Projekt wird dieses innovative Handlungsfeld durch die Entwicklung einer akteursübergreifenden ETA-Prognose auf Datenbasis adressiert. Unter Einbindung der beteiligten Akteure konnten im Rahmen einer strukturierten Bedarfsanalyse prozessbezogene Ausprägungen hinsichtlich des Mehrwertes, des Einsatzbereiches und der technischen Umsetzbarkeit für die ETA-Entwicklung identifiziert werden. Insgesamt trägt die Bereitstellung der ETA zu einer erhöhten Prozessrobustheit und -effizienz für die Unternehmen bei der Realisierung komplexer Transportaufträge bei. Dies wirkt sich positiv auf die Zuverlässigkeit und Wirtschaftlichkeit der Logistikketten aus. Als initialer Anwendungsfall des Projektes wurde die Entwicklung eines Prototypens für den kombinierten Straßen- Schienen-Containerverkehr im Export vom Verlader bis zum Seehafen festgelegt, welcher derzeit umgesetzt wird. Nach erfolgreicher Validierung kann der entwickelte Ansatz auf weitere Transportarten übertragen werden. ■ Weitere Informationen zum SMECS-Projekt können unter folgendem Link abgerufen werden: https: / / www.logistik.tu-berlin.de/ menue/ forschung/ aktuelle_forschungsprojekte/ smecs/ QUELLEN [1] Walter, F. (2016): Informationsaustausch in der maritimen Transportkette. Springer Gabler. [2] Fraunhofer IIS (2017): Studie Transportlogistik 4.0. Frank Straube, Prof. Dr.-Ing. Leiter Fachgebiet Logistik, Technische Universität Berlin straube@logistik.tu-berlin.de Peter Poschmann Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Technische Universität Berlin poschmann@logistik.tu-berlin.de Manuel Weinke Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Technische Universität Berlin weinke@logistik.tu-berlin.de Bild 4: Akteursübergreifender Reifegrad von verfügbaren Prozessinformationen Die Themen der nächsten Ausgabe Transport-Innovation • Straße, Schiene, Kombinierter Verkehr • Personen und Waren • Automatisierung • Digitale Lösungen Internationales Verkehrswesen 1 | 2019 kommt am 19. Februar 2019 | Mehr unter www.internationales-verkehrswesen.de