eJournals Internationales Verkehrswesen 71/1

Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2019-0003
21
2019
711

Infrastrukturdefizite im Schienenverkehr konterkarieren Politikstrategien

21
2019
Gerd Aberle
iv7110011
Gerd Aberle KURZ + KRITISCH Internationales Verkehrswesen (71) 1 | 2019 11 Infrastrukturdefizite im Schienenverkehr konterkarieren Politikstrategien W ieder steht die Deutsche Bahn AG in verkehrs- und wirtschaftspolitischer Kritik. Dabei wird übersehen, wie störanfällig dieses investitionsintensive Gebilde aufgrund seiner hoch spezialisierten Infrastrukturabhängigkeit ist. Der Chefökonom des Handelsblattes schrieb am 10. Januar 2019 in einem Meinungsbeitrag zur Bahnkrise: „Heute ist die Deutsche Bahn ein Sanierungsfall, der für all das steht, was Deutschland nicht sein möchte: bürokratisch, kundenunfreundlich, technologisch rückständig, überschuldet und chronisch verspätet.“ Als Neustart- Aufgaben werden genannt: Überführung des Netzes in eine bundeseigene Gesellschaft mit Abtrennung vom Bahnbetrieb und Veräußerung aller Beteiligungen der DB AG, welche den „verkehrspolitischen Aufgaben“ nicht dienen. Sind dies die Krisenursachen? Ein MdB der FDP positionierte sich in der Diskussion mit der Forderung nach Ablösung von drei Vorständen der DB. Wirklich kreativ und problemlösend. Wundern lohnt da nicht. Es verwundert, dass eine Zentralursache der hohen Qualitätsdefizite der DB - vor allem im Personenfernverkehr, aber auch im Güterverkehr - nicht hinreichend diskutiert wird: die fehlende Infrastrukturqualität. Das infrastrukturelle Hauptproblem des Schienenverkehrs in Deutschland ist die andauernde hohe Überlastung wichtiger Hauptabfuhrstrecken und Knoten der Schieneninfrastruktur. Ursachen dieser Kapazitätsdefizite sind die seit der Nachkriegszeit (! ) vernachlässigten Infrastrukturinvestitionen, verschärft durch die in den letzten Jahren stark angestiegenen Zugzahlen und Zugkilometer, auch durch die Netzöffnung für Dritte mit vielen nationalen und internationalen Wettbewerbern. Es verwundert, dass weitere Spezifika des Bahnbetriebes kaum Erwähnung finden: die Störanfälligkeit durch Personenunfälle im Gleis mit zeitweiligen Sperrungen und sich fortpflanzenden Netzeffekten, die sich stetig verschärfenden Planungsanforderungen und rechtlichen Verzögerungsprozesse bei Neu- und Ausbauten der Schieneninfrastruktur, die überaus starke Positionierung der Gewerkschaften in der Unternehmenspolitik wie auch die Management- und Finanzbelastung der DB AG durch das von der Politik initiierte Projekt Stuttgart 21. Es verwundert auch, dass die Gewährleistungsverpflichtung des Bundes für Aus- und Neubau der Bahninfrastruktur und deren Erhalt im Sinne der Sicherung des Allgemeinwohls und der Verkehrsbedürfnisse (Art. 87e Abs. 4 GG/ § 8 BSWAG) nicht hinreichend erwähnt wird, also dessen Finanzverantwortung. Hier aber fehlen im Bundeshaushalt bis 2030 offenbar 60 Mrd. EUR, zumal die politischen Prioritäten seit Jahren bei den konsumtiven Mittelbereitstellungen liegen. Aber auch wenn diese fehlenden Finanzmittel bis 2030 bereitgestellt würden bleibt derzeit völlig offen, welche Baumaßnahmen in der Netzinfrastruktur kapazitätswirksam in zehn bis zwölf Jahren überhaupt umgesetzt werden können. Insofern sind Hoffnungen auf kurz- und mittelfristig nachhaltige Kapazitätseffekte mit durchschlagenden Qualitätsverbesserungen fraglich. Da muss es verwundern, wenn die Politik erwartet, bis 2030 die Fahrgastzahlen im Personenverkehr wesentlich zu steigern, was angesichts der Kapazitätsengpässe in den Regionen Hamburg, Köln, Mannheim, Frankfurt/ M. und München zumindest dort die Kundenqualität der Bahnnutzung weiter reduziert. Und ob das Schlagwort Digitalisierung unter Berücksichtigung des langsamen Fortschritts bei der ETCS-Migration in Deutschland in den nächsten fünf bis zehn Jahren wirkliche Entlastungen aus Kundensicht bringt, ist nicht gesichert. Es überrascht, dass die DB AG das Baustellenmanagement offensichtlich nicht in den Griff bekommt, die täglich auftretenden Infrastrukturüberlastungen nicht hinreichend deutlich politisch kommuniziert und dem Eigentümer Bund mit dessen Verantwortung nicht nachdrücklicher vermittelt. Bei dieser Krisenlage verwundert es, dass der verantwortliche Infrastrukturvorstand der DB AG offensichtlich die Zeit hat, seit Monaten eine Führungsaufgabe in der Kohlekommission wahrzunehmen. Bei den mehr demonstrativ denn substanziell bedeutsamen Einbestellungen des Vorstands der DB AG in das Bundesverkehrsministerium, wie im Januar medienwirksam praktiziert, sollten die rechtlichen Grenzen der Einflussnahme des Eigentümers auf den Vorstand außerhalb des Aufsichtsrates und der Hauptversammlung (§§ 76 ff. AktG) beachtet werden. Die DB ist keine GmbH, auch wenn Politiker und offensichtlich ebenso der Bundesrechnungshof dies als wünschenswert ansehen. ■ Prof. Gerd Aberle zu Themen der Verkehrsbranche