eJournals Internationales Verkehrswesen 71/1

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2019-0007
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Maritim 4.0 - autonom fahrende Schiffe

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Jan Wölper
An Meldungen über testweise autonom fahrende Autos hat man sich gewöhnt. Der Eindruck ist, dass wir in wenigen Jahren Zeitung lesend Auto fahren und allenfalls noch auf eine automatisierte Warnung hin ins Lenkrad greifen müssen, wenn es das dann noch gibt. Doch wohin geht die Entwicklung auf dem Wasser?
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POLITIK Automatisierung Maritim 4.0 - autonom fahrende Seeschiffe Stand und rechtliche Herausforderungen Autonome Hochseeschifffahrt, Zukunft der Schifffahrt An Meldungen über testweise autonom fahrende Autos hat man sich gewöhnt. Der Eindruck ist, dass wir in wenigen Jahren Zeitung lesend Auto fahren und allenfalls noch auf eine automatisierte Warnung hin ins Lenkrad greifen müssen, wenn es das dann noch gibt. Doch wohin geht die Entwicklung auf dem Wasser? Jan Wölper D ie Zukunft der autonomen Schifffahrt tauchte bis vor kurzem in der Presse nur selten auf. Zu unrealistisch mag erscheinen, dass ein Computer nicht die Leistung eines einzelnen Fahrers, sondern das komplette Paket der Leistungen eines Kapitäns, seiner Besatzung, auf der Brücke und im Maschinenraum, die Aufgaben der Lotsen und andere für den sicheren Schiffsbetrieb erforderliche Leistungen übernehmen kann. Und dann plötzlich die Meldung vom November 2018 über die ersten Testfahrten der norwegischen Fähre „Folgefonn“, die ohne menschliches Zutun ein Dock verlassen hat, aus einem Hafen herausmanövriert ist und selbstständig im nächsten Hafen angelegt hat (Bild 1). Anfang Dezember folgte eine weitere Meldung über die in Finnland erstmals vollautomatisch fahrende Fähre „Falco“. Autonome Schifffahrt - quo vadis? Man muss zunächst unterscheiden zwischen dem, was gewollt, und dem, was technisch, sozialpolitisch und rechtlich möglich ist. Das wirklich vollständig autonome Schiff, das selbstständig entscheidet, wo es hinfährt und warum, ist, jedenfalls im Moment, kein verfolgtes Konzept. Auch weitgehende Autonomie ohne jedwede Eingriffsmöglichkeit in die nautischen und technischen Abläufe wird es in den nächsten Jahren vermutlich nicht geben - allenfalls auf Teststrecken oder kurzen Fährstrecken. Doch sie wird kommen! Im militärischen und wissenschaftlichen Sektor gibt es seit langem Fahrzeuge, insbesondere im Unterwasserbereich, die selbstständig fahren. Im kommerziellen Bereich gibt es neben den genannten Fährprojekten verschiedene Projektkonzeptionen zu selbstfahrenden Handelsschiffen, zum Beispiel das Konzept des DNV.GL über ein Foto: pixabay Internationales Verkehrswesen (71) 1 | 2019 18 Internationales Verkehrswesen (71) 1 | 2019 19 Automatisierung POLITIK 60-m langes Battery Power Fully Autonomous Short Sea Vessel, das im Modell im Trondheim-Fjord getestet wird. Auch Rolls Royce hat eine Studie über ein autonomes Schiff veröffentlicht, und die Firma Yara Birkeland plant für das Jahr 2020 die erste autonome Fahrt eines 120-TEU-Schiffes in norwegischen Gewässern. Doch was heute oder morgen technisch möglich ist, wird nur Investoren finden und tatsächlich fahren, wenn es rechtlich zulässig ist. In Zusammenarbeit mit vielen nationalen Seerechtsvereinigungen wie dem Deutschen Verein für Internationales Seerecht hat die International Maritime Organisation (IMO) recherchiert, ob und inwieweit gegenwärtiges Seerecht den Betrieb autonom fahrender Schiffe zulässt. Zusammengefasst lautet die Antwort heute: Nein. Weil „Nein“ keine Antwort für die Zukunft ist, arbeitet unter anderem die IMO an einer rechtlichen Lösung, die konkret jedoch noch nicht in Sicht ist. Der Zeitplan allein für die Recherche zu dem, was geändert werden müsste, läuft bis ca. Ende 2020. Grundsätzlich sehen alle bestehenden Regelungen der gegenwärtigen Realität entsprechend vor, dass Schiffe von Menschen betrieben werden, die an Bord sein müssen. Entweder müssen all diese Regelungen angepasst werden, was rechtstechnisch fast unmöglich erscheint, oder es muss ein separates Übereinkommen zur Autonomie in der Schifffahrt geschaffen werden, das sicherstellt, dass zunehmende Automatisierung bis hin zur Autonomie mindestens das Sicherheitsniveau erreicht, das die bemannte Schifffahrt gewährleistet. Realistischer ist, dass sich Autonomie in der Schifffahrt, so wie in der Luftfahrt, politisch nur dann durchsetzen lassen wird, wenn auch das Recht faktisch absolute Sicherheit verlangt, etwa durch mehrfache Redundanzen. Obwohl es als unvermeidlich angesehen und akzeptiert wird, dass tagtäglich Menschen im Straßenverkehr verletzt und getötet werden, zeigt die Reaktion auf die wenigen Unfälle autonom fahrender Autos, dass von autonom fahrenden Autos „verschuldete“ Unfälle nicht akzeptabel sind. Auch die Haftung für Unfälle durch autonome Systeme wird für die Schifffahrt zu regeln sein. Unter den mit dem Thema befassten Juristen scheint die vorherrschende Meinung zu sein, dass Autonomie in der Schifffahrt nur dann akzeptiert werden wird, wenn eine verschuldensunabhängige Haftung des Reeders eingeführt wird. Unter dem gegenwärtigen Recht könnte er sich bei Versagen einer technischen Vorrichtung an Bord seines Schiffes darauf berufen, dass er dieses nicht zu vertreten habe, solange er das Schiff und seine Einrichtungen nur ordentlich gewartet hat. Der Geschädigte stünde bei einem autonomen Schiff vor der unlösbaren Aufgabe nachzuweisen, wem von unzähligen Zulieferern der Systeme, sei es den Hardware-Herstellern oder den Software-Herstellern oder anderen, der Schaden anzulasten ist. Wenn das so ist, warum fahren schon erste Schiffe in Skandinavien? Weil diese Einheiten jetzt und in nächster Zeit nur in nationalen Gewässern fahren. Sie fahren auf begrenzten Testrouten, für die der nationale Gesetzgeber entsprechende Sonderregeln getroffen hat oder treffen wird, ohne dass er sich über neue internationale Übereinkommen, die es in naher Zukunft dazu nicht geben wird, mit den Gesetzgebern anderer Länder auseinandersetzen muss. Auch wenn die Skandinavier „die Nase voraus“ zu haben scheinen, schlafen die entsprechenden Akteure in Deutschland nicht. Viele Unternehmen, Institute, Behörden und andere Teilnehmer sowohl der technischen als auch der politischen und der rechtlichen Szene machen sich sehr konkrete Gedanken und entwickeln konkrete Konzepte zur zunehmenden Automatisierung der Schifffahrt. Die Lösung wird nicht morgen kommen und auch nicht so schnell erforderlich sein. Ein Beispiel für laufende Aktivitäten auf dem deutschen Markt ist die von der Deutschen Gesellschaft für Ortung und Navigation (DGON) geschaffene Arbeitsgruppe Maritime Autonome Systeme, in der Ingenieure, Wissenschaftler, Vertreter des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie, Juristen und andere gemeinsam Gedanken und Lösungen zu den sehr komplexen Fragestellungen erarbeiten, die sich bei der zunehmenden Automatisierung der Schifffahrt stellen und stellen werden. Dabei geht es auch um die Sozialverträglichkeit, denn auch in der Schifffahrt wird zunehmende Autonomie an einem Ende Arbeitsplätze entbehrlich machen und am anderen Ende hochwertige Arbeitsplätze erfordern, die nur begrenzt von denselben (See-) Leuten besetzt werden können. In jedem Fall wird auch die Schifffahrt in das Personal der Zukunft investieren müssen. Automatisierung hat es in der Schifffahrt in den letzten 100 Jahren immer gegeben, man denke nur an Standortbestimmung durch GPS, die heute die Regel ist, an elektronische Seekarten und an die zunehmende Fernüberwachung von Maschinenanlagen durch entsprechende Sensorik. Und so wird auch die weitere Automatisierung, vielleicht bis hin zu Vollautonomie, in kleinen, aber schnelleren Schritten kommen. Einen solchen Schritt haben wiederum die Finnen vor kurzem mit dem ferngesteuerten Betrieb der Fähre „Suomenlinna II“ unternommen. Bei allen Bedenken, die man gegen zunehmende Autonomie in der Schifffahrt haben kann und die gegenwärtig durchaus berechtigt erscheinen, ist die deutsche Politik gut beraten, Forschung und Entwicklung in autonome Schifffahrt tatkräftig zu unterstützen. Ein Hochlohnland wie Deutschland und letztendlich ganz Europa müssen bestrebt sein, bei technischen Entwicklungen, die mit Sicherheit kommen, nicht auf der Bremse zu stehen, sondern das zu fördern, was hier hochwertige Arbeitsplätze schafft. Und nicht zu vergessen ist, dass Automation in der Schifffahrt, wenn sie einsatzbereit ist, mit großer Gewissheit einen erheblichen Sicherheitsgewinn bedeutet, denn noch immer ist der mit Abstand größte Teil nautischer Havarien auf menschliches Versagen zurückzuführen, zum Beispiel auf Übermüdung. Ein Computer schläft nicht. ■ Jan Wölper Partner, Spezialist für Beratung und Vertretung von Unternehmen der maritimen Wirtschaft, Wirtschaftskanzlei CMS, Hamburg jan.woelper@cms-hs.com Bild 1: Die „Folgefonn“ dockt automatisch an. Foto: Wärtsilä Norway