eJournals Internationales Verkehrswesen 71/1

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2019-0012
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2019
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Rotterdamer Hafen bereitet sich auf den Brexit vor

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Mark Dijk
Wenn es hart auf hart kommt, hat der Hafen Rotterdam schon sehr bald eine EU-Außengrenze zum neuen Drittstaat Großbritannien. In die politische Glaskugel kann niemand schauen. Es bleibt nur, sich gemeinsam mit allen Partnern in der Supply Chain auf den schlimmsten Fall vorzubereiten und auf ein besseres – oder weniger negatives – Ende zu hoffen.
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Internationales Verkehrswesen (71) 1 | 2019 32 LOGISTIK Brexit Rotterdamer Hafen bereitet sich auf den Brexit vor Außenhandel, Seeschifffahrt, Zollunion, Shortsea-Verkehr Wenn es hart auf hart kommt, hat der Hafen Rotterdam schon sehr bald eine EU-Außengrenze zum neuen Drittstaat Großbritannien. In die politische Glaskugel kann niemand schauen. Es bleibt nur, sich gemeinsam mit allen Partnern in der Supply Chain auf den schlimmsten Fall vorzubereiten und auf ein besseres - oder weniger negatives - Ende zu hoffen. Mark Dijk W enn nicht das Wunder eines Nicht-Brexits geschieht, gibt es eine Fülle von Szenarien, wie die neue EU- Außengrenze aussehen wird. Je nach Verhandlung befinden sich zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Beitrages Hard- oder Soft- Brexit und eine unbekannte Menge an möglichen Einzelabmachungen im Bereich des Möglichen. Ebenso stehen auch die Regelungen des Warenverkehrs nach den Vorschriften der Welthandelsorganisation im Raum. Auch der tatsächliche Tag X ist noch nicht klar, als dieser Artikel verfasst wird. Doch selbst wenn es einen Aufschub geben sollte: Alle Szenarien werden sich auf den Warenumschlag am Hafen auswirken, weil Großbritannien aller Wahrscheinlichkeit nach zum Drittland wird. So auf die Menge der Warenströme. Schon zuletzt spürte der Hafen Rotterdam etwa eine gewisse Unsicherheit im Transport. So fiel im dritten Quartal 2018 das Wachstum im Shortsea-Volumen etwas geringer aus als das der Containerströme: Gerade das Volumen nach England sank wohl durch die gedrosselte Entwicklung der britischen Wirtschaft. Das niederländische Statistische Amt (Centraal Planbureau - CPB) hat 2016 errechnet, dass ein Brexit die mit Großbritannien eng vernetzte Wirtschaft der Niederlande relativ hart treffen kann. Nach Meinung des CPB wird der Einfluss auf die Industrien in den Bereichen Lebensmittel, Chemie, Kunststoff und Gummi, Elektronik, Transportmittel sowie Metall- und Mineralindustrie am größten sein. Dieser Handelseffekt des Brexits auf den Seetransport von und zu den niederländischen Häfen kann bedeutend ausfallen, wie aus dem Bericht „Gaan we het schip in? “ des Fachinstituts für Mobilitätspolitik vom 08.02.2018 hervorgeht. Bei der Einschätzung dieses Effekts wurden die Brexit-Handelsszenarien des CPB als Ausgangspunkt genommen. Was den ausgehenden Transport betrifft, wird der Effekt des Austritts für alle niederländischen Häfen auf - 4,4 % bei einem ungünstigen und - 2,6 % bei einem günstigen Szenario geschätzt. Sollten keine Vorkehrungen getroffen werden, dann würden die Folgen für den Hafen Rotterdam deutlich spürbar sein. Schließlich ist das Vereinigte Königreich nach Russland vom Volumen her das zweitwichtigste Herkunftsland für über das Meer an- und abtransportierte Güter. Beim Gesamtumschlag steht Großbritannien nach Deutschland, Belgien und Russland mit etwa 40 Millionen Tonnen und einem Anteil von rund 8,5 % im Rotterdamer Hafen an vierter Stelle. Betroffen wären vor allem Shortsea-Fracht in den Bereichen Roll-on/ Roll-off (RoRo)-Ladung, Container und flüssiges Massengut. Der britische Export in die Niederlande besteht vor allem aus flüssigem Massengut (insbesondere Nordseeöl) sowie aus Shortsea- und RoRo-Ladung. In diesen Bereichen wird es also die größten Engpässe geben, immer hoffend, dass der Warenverkehr nicht deutlich geringer wird. Mehraufwand in der Abfertigung Bestimmte Güter werden besonders vom Brexit betroffen sein. Dazu gehören vor allem Lebensmittel oder andere Tier- und Pflanzenprodukte. Hier ergibt sich der Mehraufwand nicht nur durch die Verzollung, sondern auch durch notwendige medizinische Untersuchungen und Überwachung. Schließlich sorgt die EU an ihren Handelsaußengrenzen auch für Verbrauchersicherheit. Für Waren aus dem Vereinigten Königreich gelten dann dieselben Überprüfungsanforderungen wie für andere Staaten aus Übersee. Außerdem muss frisches Gut wie Lebensmittel durch die verzögerte Abfertigung und Formalien nun länger gelagert werden. Geht man von einer verlängerten Verweildauer einer Ware um mindestens einen halben Tag aus - wie unsere Partner am Hafen einkalkulieren -, dann muss einen halben Tag länger Ware gelagert und even- Der RoRo-Verkehr nach Großbritannien im Brexit-Brennpunkt Internationales Verkehrswesen (71) 1 | 2019 33 Brexit LOGISTIK tuell gekühlt werden. LKWs werden länger parken müssen, zumal wenn die Zollpapiere nicht korrekt vorliegen. Um diesen Rückstau zu bewältigen, verhandelt der Hafenbetrieb mit Terminalbetreibern und umliegenden Gemeinden über die Realisierung zusätzlicher Parkplätze für LKW-Transporte auf den Terminals und in ihrer Nähe. Das Hauptproblem liegt aber im Mehraufwand durch die notwendige Zollabfertigung. Hier wird die ganze Supply Chain sich neu aufstellen müssen. Die Folgen werden wir vom Hafenbetrieb auch zu spüren bekommen. Denn nach dem bewährten freien Handel der letzten Jahre haben viele Unternehmen kaum noch mehr Erfahrungen mit Zolldeklarationen. Der niederländische Zoll schätzt die Zahl der Unternehmen in den Niederlanden ohne jede Erfahrung in diesem Bereich auf 35 000. Der Verzollungsprozess startet nun aber nicht erst am Terminal oder in der Reederei, sondern schon beim Verlader. Konkret bedeutet dies zum Beispiel im schlimmsten Fall, dass ein deutscher Verlader ohne Zollnummer oder korrekte Umsatzsteuererklärung keinen Zugang zum Terminal in Rotterdam hat. Trainieren für die Außengrenze Es gibt also für alle Beteiligten viel zu tun. Viel Zeit haben sie dabei nicht. Unsere Umfragen im September 2018 ergaben, dass nur rund 18 Prozent der befragten Unternehmen sich bereits auf den Tag X vorbereiten. Seitdem hat die Zahl sich etwas verbessert, aber zu viele Unternehmen warten noch ab. Auch die Häfen müssen sich vorbereiten und tun dies. Ein Hafen kann den Brexit- Betrieb simulieren. Vollkommene Planungssicherheit bieten solche Simulationen natürlich nicht. Das liegt auch daran, dass man nur wenig weiß, wie sich die englische Seite darauf vorbereitet und wie sich die Hafenstruktur zwischen den Westhäfen und Großbritannien entwickelt: Bisher gab es auf englischer Seite viele kleine und auf festländischer Seite wenige große Häfen. Hier mag es Verschiebungen geben. Mit einer Brexit-Simulation lassen sich aber mögliche Engpässe erkennen. Der Hafen Rotterdam hat im vergangenen Dezember und Januar solche Dry Runs durchgeführt, um Engpässe zu lokalisieren. Ergebnisse wurden etwa an Stadtgemeinden im Umland und Verkehrsplaner weitergeleitet. Auch Dover hat eine solche Simulation durchgeführt. Zudem müssen Häfen ihre Infrastruktur darauf ausrichten, dass längere Umschlagzeiten neue Lagerungskapazitäten oder Parkplätze für LKWs erfordern. Um diese Folgen abzumildern, verhandeln der Hafenbetrieb und die Rotterdamer Behörden mit Terminalbetreibern und umliegenden Gemeinden über die Realisierung zusätzlicher Parkplätze für LKW-Transporte auf den Terminals und in ihrer Nähe. Zudem müssen Hafenbehörden auch mit den Partnern vor Ort am Hafen zusammenarbeiten. Ein solcher Partner ist etwa das Coolport-Terminal, welches die gekühlte Lagerung frischer Waren ermöglicht. Wichtigster Partner für alle Beteiligten wird aber der Zoll sein. Der niederländische Zoll geht von enormer Mehrbelastung durch die große Zunahme an Deklarationspflichten aus. Zusätzlich sind nun die Ladungen von 10 500 Schiffen zu verzollen. Daher hat hier die Rekrutierung neuer und das Training vorhandener Mitarbeiter begonnen. Vor allen die Zollbehörde, aber auch die niederländische Lebensmittel- und Warenbehörde suchen neue Mitarbeiter. Ebenso wichtige Partner sind die Mitglieder der gesamten Supply Chain bis hin zum Verlader, die Zugang zu effektiveren, sicheren und fehlerfreien Zollabläufen erhalten müssen. Um die Geschwindigkeit der Deklarationsprozesse zu optimieren, bedarf es digitalisierter, automatisierter Prozesse, die in Echtzeit über alle Informationen und Dokumente verfügen. Solche Informationsplattformen fördert der Hafen Rotterdam schon lange, so zum Beispiel Portbase, über das alle wichtigen Dokumente für eine Abfertigung von Ladungen allen Beteiligten in stets aktualisierter Form zur Verfügung stehen. Da RoRo und die Shortsea Terminals noch nicht über die Kommunikations-Infrastruktur verfügten, die für Drittländerverkehr erforderlich ist, hat der Hafenbetrieb Rotterdam über Portbase mit einem Anschluss an ein solches ICT-System geholfen, welches - wie bei den Containerterminals die Formalitäten vollständig automatisiert und Verzögerungen minimiert. Wichtig ist natürlich auch die Aufklärung aller Partner etwa durch Online-Informationsplattformen. Zudem arbeiten der niederländische Zoll, die Hafenbetriebe von Amsterdam und Rotterdam, den Fährunternehmen und den Shortsea-Terminals seit September 2018 an einer niederländischen Branchenlösung für den Brexit in den niederländischen Häfen, die der EU-Gesetzgebung entspricht. Alle Informationen gehen der Fracht sozusagen voraus. Sowohl für den Shortsea-Verkehr als auch für den Fährverkehr entsteht ein Zugang für alle Terminals. Auf diese Weise wird eine intelligente Beaufsichtigung des Zolls möglich, mit minimaler Beeinträchtigung des Prozesses, für weitere Informationen oder eine Anmeldung steht eine Website zur Verfügung: https: / / www.getreadyforbrexit.eu/ de/ . Alles in allem gibt es also Möglichkeiten, sich auf den Brexit vorzubereiten - am besten auf den schlimmsten Fall eines ungeordneten Brexits. Positiv ist die Entwicklung nicht. Es geht darum, dass sie einen weniger negativen Verlauf nimmt als zu befürchten. Mittel- und langfristig kann die Wiedereinführung von Handelszöllen zu Veränderungen in Produktion und Distribution führen, was geringere Handelsströme nach sich ziehen könnte. Sie bietet Rotterdam jedoch auch Chancen, etwa wenn Unternehmen ihre Tätigkeit notgedrungenermaßen aus Großbritannien nach Rotterdam verlegen. Dabei arbeiten der Hafen und die Stadt Rotterdam dann eng zusammen. ■ Mark Dijk Manager External Affairs, Hafen Rotterdam pers@portofrotterdam.com StenaLine-Fähre, als Linienschiff unterwegs auf dem Ärmelkanal