Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2019-0019
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Automatisiertes Fahren in der Gütertransportlogistik
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Daniel Skopek
Der vorliegende Beitrag behandelt die grundsätzliche Bedeutung des Digitalisierungstrends „Automatisiertes Fahren“ für die Gütertransportlogistik. Der Fokus liegt vor allem auf der Bewertung, wie sich unterschiedliche Entwicklungen bei dem Thema in Straßengüterverkehr und Schienengüterverkehr (SGV) perspektivisch auf die Position des SGV auswirken könnten. Somit stellt sich auch die grundsätzliche Frage nach der zukünftigen Wettbewerbsfähigkeit und Existenzgrundlage von Schienengütertransporten im Vergleich zu Straßengütertransporten. Die derzeitige, bereits extrem angespannte Wettbewerbsposition der Schiene gegenüber der Straße könnte durch einen Innovationsvorsprung der Straße beim automatisierten Fahren weiter verschlechtert werden. Dies hätte zur Folge, dass die Zukunft schienenbasierter Gütertransporte akut in Gefahr geriete.
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Internationales Verkehrswesen (71) 1 | 2019 56 TECHNOLOGIE Automatisierung Automatisiertes Fahren in der Gütertransportlogistik Durchbruch oder Sargnagel für den Schienengüterverkehr? Automatisiertes Fahren, Schienengüterverkehr, Gütertransport, Wettbewerbsposition, Prognose Der vorliegende Beitrag behandelt die grundsätzliche Bedeutung des Digitalisierungstrends „Automatisiertes Fahren“ für die Gütertransportlogistik. Der Fokus liegt vor allem auf der Bewertung, wie sich unterschiedliche Entwicklungen bei dem Thema in Straßengüterverkehr und Schienengüterverkehr (SGV) perspektivisch auf die Position des SGV auswirken könnten. Somit stellt sich auch die grundsätzliche Frage nach der zukünftigen Wettbewerbsfähigkeit und Existenzgrundlage von Schienengütertransporten im Vergleich zu Straßengütertransporten. Die derzeitige, bereits extrem angespannte Wettbewerbsposition der Schiene gegenüber der Straße könnte durch einen Innovationsvorsprung der Straße beim automatisierten Fahren weiter verschlechtert werden. Dies hätte zur Folge, dass die Zukunft schienenbasierter Gütertransporte akut in Gefahr geriete. Daniel Skopek D ie Botschaft war klar: „Wenn es gut läuft, liegt der Marktanteil des Schienengüterverkehrs im Jahr 2030 bei 30 %. Wenn wir nicht aufpassen, bei null,“ prognostizierte Dr. Thorsten Bieker, Vice President Rail & Site Services BASF SE, schon 2017 gegenüber dem Handelsblatt. 1 Eine der wesentlichen Thematiken, die derzeit innerhalb der Transportlogistikbranche aber auch in politischen Gremien intensiv diskutiert werden, ist die Frage nach der zukünftigen Wettbewerbsfähigkeit und Existenzgrundlage von Schienengütertransporten im Vergleich zu Straßengütertransporten. So betrug der sogenannte Modal Split, d.h. der Anteil eines Verkehrsträgers an der Gesamtverkehrsleistung in Tonnenkilometern (tkm), im Jahr 2017 für den Schienengüterverkehr (SGV) lediglich 17,4 %, während die Straße einen Rekordwert von 71,7 % aufwies. 2 Der kontinuierliche Verfall der Marktanteile des SGV ist dabei neben systemimmanenten Aspekten vor allem auch das Resultat eines verzerrten Wettbewerbs zwischen Schiene und Straße. 3 So wird bspw. der umweltfreundliche Verkehrsträger Schiene jährlich mit bis zu 30 Millionen Euro im Rahmen des Emissionsrechtehandels zusätzlich belastet, die für einen Großteil der Emissionen verantwortliche Straße hingegen überhaupt nicht. Auch muss die Schiene als einziger Verkehrsträger im Rahmen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) die Energiewende mitfinanzieren und zusätzlich signifikante Kosten im Rahmen der Stromsteuerabfuhr stemmen. Nicht zuletzt fällt die LKW-Maut nur auf einem Bruchteil der deutschen Straßen und nur für Fahrzeuge mit einem Gewicht von über 7,5 t an, während im SGV für jeden gefahrenen Trassenkilometer eine Gebühr zu entrichten ist. Unabhängig von diesen politischen Entwicklungen ist zu befürchten, dass sich die bereits heute extrem angespannte Wettbewerbsposition der Schiene gegenüber der Straße durch einen Innovationsvorsprung der Straße beim Digitalisierungstrend des automatisierten Fahrens weiter verschlechtern würde. Dies hätte zur Folge, dass die Zukunft schienenbasierter Gütertransporte akut in Gefahr geriete. Doch was verbirgt sich eigentlich konkret hinter den teils inflationär benutzten Begriffen Digitalisierung/ automatisiertes Fahren? Was hinter dem Begriff automatisiertes Fahren steckt Im Sinne einer für den Bereich der Transportlogistik zielführenden betriebswirtschaftlichen Begriffsbestimmung bedeutet Digitalisierung in Anlehnung an Helmold/ Terry zunächst einmal nur die fortschreitende Vernetzung der Maschine-zu-Maschine-Kommunikation und -Information auf Basis eines kontinuierlichen Datenaustauschs in und zwischen den verschiedenen Prozessen, Systemen und Anlagen eines Unternehmens. 4 Wo bisher der Fokus von Veränderungsprozessen auf einer Optimierung der Maschine-Mensch-Beziehung lag, wie beispielsweise der Kommunikationsprozess zwischen einer Navigationssoftware und dem Fahrer eines Fahrzeugs, rücken nun zunehmend die Verbesserungspotentiale von Informations- und Kommunikationsflüssen zwischen einzelnen Maschinen in das Blickfeld der Unternehmen. In unserem Fall wäre das die vom Fahrer des Fahrzeugs autonome, d. h. unabhängige Interaktion des Systems Navigationssoftware mit dem System Fahrzeug - der erste Schritt auf dem Weg zu vollautomatisierten Fahrsystemen. Da die rein binäre Beschreibung der Automatisierung eines Fahrsystems nicht ausreichend ist (entweder es ist überhaupt nicht automatisiert oder aber fahrerlos), bedient man sich mittlerweile standardmäßig einer sechsstufigen Kategorisierung der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), um die Ausprägung/ Stärke des jeweiligen Automatisierungsgrades zu definieren - von driver only über assistiert, teilautomatisiert, hochautomatisiert, vollautomatisiert bis hin zum fahrerlosen Fahren (siehe Bild 1). Die Technik des automatisierten Fahrens umfasst dabei, vereinfacht gesagt, drei zentrale Systemfunktionen, die für ihre Entwicklung und Fähigkeitsausprägung elementar sind: die Navigation, die Sicherheit und die Schnittstelle Mensch-Maschine. Im Bereich der Navigation kommen (programmierungs-)technische Maßnahmen zum Einsatz, die ermitteln, wo sich das Fahrzeug befindet, wohin es ohne aktives Eingreifen fahren würde und was veranlasst werden muss, damit das Fahrzeug ein vorbestimmtes Ziel auf einem vorgegebenen Internationales Verkehrswesen (71) 1 | 2019 57 Automatisierung TECHNOLOGIE Weg erreicht. 6 Neben der Navigation bildet die Sicherheit die zweite zentrale Systemfunktion. Je höher der Automatisierungsgrad eines Systems liegt, desto größer sind auch die Anforderungen an das System, die Sicherheit im Einsatzumfeld zu gewährleisten. Zwar existieren hierzu diverse Norm- und Gesetzesvorgaben 7 , doch im Grunde hängen die Akzeptanz und damit auch der Erfolg eines automatisierten Fahrsystems vor allem von der durch die Gesellschaft wahrgenommenen Systemsicherheit ab. Die dritte relevante Systemfunktion, die es zu beachten gilt, ist die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine, auch Human-Machine Interaction (HMI) genannt. In den Automatisierungsgraden „driver only“ sowie „assistiert“ hat das System die Aufgabe, den Fahrer während der Fahrt zu entlasten und Teilaufgaben bspw. im Bereich der Steuerung oder Navigation zu übernehmen. Dabei bewegt sich das Fahrassistenzsystem stets in einem Wirkungs- und Spannungsdreieck aus dem Fahrer (z.B. dessen Aufmerksamkeit oder Müdigkeit), dem Fahrumfeld (z.B. der Verkehrsfluss oder die Sicht) sowie dem Fahrzeug (z.B. Ausstattung oder Zustand). Es sollte jeweils klar festgelegt werden, welche Leistungen das System in welchen Situationen erbringen kann und wo die Grenzen liegen. 8 Im Bereich der Hoch- oder Vollautomatisierung überlässt der Fahrer immer mehr Aufgaben dem Assistenzsystem bis hin zu dem Fall, in dem das System die vollständige Kontrolle über das Fahrzeug erhält. Es agiert dann autonom und somit unabhängig vom Fahrer. Wo die Vorteile liegen Die wohl wesentlichsten Vorteile des hoch- oder vollautomatisierten Fahrens für sowohl den Straßenals auch den Schienengüterverkehr liegen in zu erwartenden Kosten,- Zeit- und Qualitätseffekten sowie - vor allem für die Straße - im Bereich der Sicherheit. So könnte ein vollautomatisiertes Fahrsystem den Fahrer perspektivisch überflüssig machen und auf Basis von Algorithmen eine deutlich kraftstoffsparsamere Fahrweise realisieren. Industrieexperten gehen davon aus, dass vor allem die Straße diesbezüglich signifikante Kostenreduktionen erreichen könnte. Manche Einschätzungen gehen - im Grad der Vollautomatisierung - von bis zu 50 % der Gesamtbetriebskosten aus, da allein der Fahrerkostenanteil an den Gesamtkosten derzeit ca. 25 bis 30 % ausmacht, mit steigender Tendenz 9 . Weitere Einsparungen sind im Bereich des Kraftstoffverbrauchs möglich, zum Beispiel durch Platooning-Konzepte und durch eine algorithmusgesteuerte Fahrweise. Gleichzeitig könnten die Speditionen das große Problem des immer gravierenderen Fahrermangels mittelfristig beheben, was auch direkte positive Auswirkungen auf die Sicherheit des Straßenverkehrs haben würde, denn das Gros der LKW-Unfälle wird heutzutage durch menschliches Versagen verursacht. Auch die Schiene könnte Kosten einsparen, allerdings in geringerem Umfang, da sowohl die Kosten für den Triebfahrzeugführer als auch für die Energie jeweils einen deutlich kleineren Teil der Gesamtbetriebskosten ausmachen (Triebfahrzeugführerkosten ca. 8 bis 10 %, Energiekosten ca. 20 %). Die wesentlicheren Vorteile für die Schiene liegen daher eher in den Bereichen Qualität und Kapazität. Ein vollautomatisiertes Schienensystem könnte die Trassenkapazität durch geringere Zugfolgeabstände bei gleichbleibender Infrastruktur um bis zu 50 % steigern und das theoretische Qualitätsniveau (i. d. R. die gemessene Ankunftspünktlichkeit) auf ein Level von über 90 % heben. 10 Heutzutage liegt das Qualitätsrisiko der Schiene - neben infrastrukturellen Baumaßnahmen - vor allem im Mangel an Triebfahrzeugführern (ähnlich des Fahrermangels der Straße), was oftmals dazu führt, dass Züge aufgrund eines fehlenden Triebfahrzeugführers nicht ab- oder weitergefahren werden können. Wie Straße und Schiene beim automatisierten Fahren derzeit aufgestellt sind Das vollständig fahrerlose Fahren im Straßengütertransport ist derzeit - zumindest in der Europäischen Union (EU) - noch nicht möglich. Zwar ist der technische Reifegrad schon weit fortgeschritten, allerdings gibt es noch zahlreiche ungeklärte Fragestellungen, beispielsweise in Bezug auf die Interaktion eines fahrerlosen LKWs mit anderen fahrergesteuerten Fahrzeugen oder bei den grundsätzlichen haftungs- und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen. Auch betriebstechnisch anspruchsvolle Situationen, wie die Belieferung der letzten Meile, sowie grundsätzliche gesellschaftliche Akzeptanzbedenken werden die Realisierung von fahrerlosen LKW noch hinauszögern. Daher ist das hochautomatisierte Fahren mit Autopilot und Bedarfsfahrer der logische Zwischenschritt, bei dem der Fahrer zwar noch im Führerhaus anwesend ist, allerdings nur noch in unklaren Verkehrssituationen oder in Baustellenbereichen eingreift. Eine spezielle Ausprägung dieses Entwicklungsschrittes - in Kombination mit einem schon nahezu vollautomatisierten Ansatz - stellt diesbezüglich das sogenannte Platooning dar. Platooning beschreibt eine Technik, die es einer Gruppe von Fahrzeugen ermöglicht, in sehr geringem Abstand hintereinander her zu fahren (Bild 2). Dabei sitzt nur im vorausfahrenden Fahrzeug ein Fahrer als Rückfallebene, der im Notfall eingreifen kann. Die anderen Fahrzeuge im Konvoi fahren autonom und erhalten ihre Befehle über ein Softwaresystem vom Führungsfahrzeug. Neben einer effizienteren Ausnutzung der Infrastruktur und den Kosteneinsparungen auf Fahrerseite liegt der Vorteil dieser Technik vor allem auch in einem deutlich geringeren Luftwiderstand, wodurch Kraftstoffverbrauch und Emissionen teils erheblich gesenkt werden können (zwischen 5 % beim Führungs-LKW und 15 % bei den Folgefahrzeugen 11 ). Ein wesentlicher Unterschied im Vergleich zwischen Straßen- und Schienengüterverkehr besteht in den infrastrukturellen Bild 1: Grade der Automatisierung 5 Internationales Verkehrswesen (71) 1 | 2019 58 TECHNOLOGIE Automatisierung Rahmenbedingungen. Während Schienenfahrzeuge an ihre starre Infrastruktur gebunden sind, können sich LKW auf der ihnen zur Verfügung stehenden Straßeninfrastruktur frei bewegen. Zwar könnte man davon ausgehen, dass ein Schienenführungssystem die Entwicklung von Automatisierungsansätzen aufgrund des direkten Kontaktes zum gebundenen Verkehrsmittel vereinfacht. Tatsächlich bleiben diese Ansätze derzeit jedoch noch hinter den Entwicklungen der Straße zurück. Ein Hauptgrund hierfür liegt in den unterschiedlichen Zugbeeinflussungssystemen der Schieneninfrastruktur. Die Zugbeeinflussung agiert als eine Art Fahrerassistenz- und Sicherungssystem, das einen direkten Kontakt zwischen Fahrweg und Fahrzeug herstellt und bei Abweichungen, z. B. bei einem zu geringen Zugfolgeabstand, eigenständig Maßnahmen einleitet, beispielsweise eine Zwangsbremsung. Das fortschrittlichste System, das eine einheitliche europäische Zugbeeinflussung ermöglicht, ist das European Train Control System (ETCS). Im ETCS-Level 2/ 3 werden Züge über zentrale streckenseitige Steuereinheiten per Funk geleitet, sodass ortsfeste Signale entbehrlich sind. Dieses Zugbeeinflussungs-Level ist jedoch bis dato nur auf einer Minderheit der europäischen Schienenfahrwege implementiert. Hier liegt ein weiterer wesentlicher Grund für die nur schwerfällige Entwicklung von Automatisierungsansätzen im Schienenverkehr. Die europäischen Schienensysteme sind seit jeher geprägt von einer hohen Zahl an unterschiedlichen Regelwerken, Signal,- Sicherungs- und Bahnstromsystemen, was standardisierte Automatisierungslösungen und somit die Interoperabilität bei transeuropäischen Schienentransporten erheblich erschwert. Solange aber die infrastrukturellen Voraussetzungen für ein vollautomatisiertes Fahren auf der Schiene nicht gegeben sind, werden sich auch die Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) mit Investitionen in Automatisierungstechnik von Loks etc. zurückhalten. Daher bleiben die Automatisierungsansätze für den SGV im Status quo - neben dem bereits teilweise hochautomatisierten Betrieb auf Schnellfahrstecken (SFS) - tendenziell auf Teststrecken oder auf Teillösungen beschränkt, wie etwa für vollautomatisierte Abdrücklokomotiven im Rangierbetrieb. Szenario für einen Hauptgüterverkehrskorridor im Jahr 2030 Der Korridor Niederlande/ Belgien-Italien via Schweiz ist ein offizieller EU-Verkehrskorridor und einer der meistfrequentierten Schienen- und Straßengüterkorridore Europas. Er verbindet einige der wichtigsten Wirtschaftszentren des Nordens und Südens in Europa und zählt für eine Vielzahl von sowohl EVU als auch LKW-Speditionen zu den aufkommensstärksten Korridoren im Kunden- und Leistungsportfolio. Seine Zukunft kann daher - zumindest im Ansatz - stellvertretend für die grundsätzliche Entwicklung der Wettbewerbspositionen von Straßen- und Schienengütertransporten in Europa gesehen werden. Im Rahmen einer strategischen Szenarioanalyse für das Jahr 2030 wurden zunächst verschiedene quantitative sowie qualitative Daten für den genannten Korridor erfasst und ausgewertet, um die Wettbewerbsposition von Straße und Schiene im Status quo zu beschreiben. Die Datenkategorien umfassten verschiedene Key Success Factors, wie die Produktionskosten (Triebfahrzeugführer-/ Fahrerkosten, Maut-/ Trassenkosten, Energiekosten etc.), die Transportqualität (Ankunftspünktlichkeit, Flexibilität der Ressourcen, Transportgeschwindigkeit, Infrastrukturzugang und -qualität, Interoperabilität der Assets etc.) sowie die Systemreaktionsfähigkeit auf Marktanforderungen (Sonderleistungen, kurzfristige Start- und Zieländerungen etc.). Die Datenbasis beruhte auf unternehmensinternen quantitativen Werten sowie auf Einschätzungen von Branchenexperten. Das Ergebnis der Datenauswertungen zeigte, dass Straßentransporte im Vergleich zu Schienentransporten auf dem Korridor bereits heute eine um ca. 5 % höhere Wettbewerbsfähigkeit aufweisen. Zwar sind die Kosten der Straße auf dem Korridor im Vergleich zur Schiene etwas höher (v.a. die Fahrerkosten), dafür ist sie der Schiene in der Transportqualität teilweise deutlich überlegen. Dies gilt insbesondere für die Key Success Factors Interoperabilität, Ankunftspünktlichkeit und Fahrerflexibilität. Die Straße hat beispielsweise keine Hindernisse wie unterschiedliche Leit-, Sicherungs-, oder Stromsysteme, was gerade auf diesem internationalen Korridor eine große Herausforderung für die Schiene darstellt. Wenn die Straße allerdings schon heute auf dem betrachteten Korridor wettbewerbsfähiger ist als die Schiene - welchen Einfluss könnte dann die weitere Entwicklung des automatisierten Fahrens auf die Wettbewerbspositionen der beiden Modi im Jahr 2030 haben? Hierzu wurde eine Reihe von Branchenexperten mit unterschiedlichen Funktionen in der Wertschöpfungskette befragt, um sowohl die Kundenals auch die Dienstleistersicht (EVU, Operateure etc.) mit einzubeziehen. Die Befragungen umfassten neben gesamtwirtschaftlichen und marktbezogenen Kategorien vor allem auch verschiedene Einflussfaktoren auf die Entwicklung des automatisierten Fahrens. Dazu zählten Fragen in Bezug auf die Realisierung der technischen Voraussetzungen (sowohl im Bereich der Fahrzeuge als auch der Infrastruktur) sowie der gesellschaftlichen Akzeptanz und damit der politischrechtlichen Umsetzbarkeit. Im Ergebnis der Befragungen zeigte sich, dass die Experten ein hoch- oder vollautomatisiertes Fahren der Schiene auf dem untersuchten Korridor im Jahr 2030 für wenig wahrscheinlich halten. Zwar würden es die technischen Voraussetzungen tendenziell erlauben, vollautomatisiert auf der Schiene zu fahren, allerdings bestünden bezüglich gesetzlicher Aspekte sowie weiterer Faktoren (Technikförderung, Druck von Gewerkschaften) erhebliche Zweifel, dass das Potenzial auch tatsächlich umgesetzt wird. Im Gegensatz zur Schiene bestehen nach Meinung der Branchenexperten auf der Straße gute Chancen für ein vollautomatisiertes Fahren im Jahr 2030. Sowohl die technischen als auch die gesetzlichen Voraussetzungen seien bis dahin grundlegend gegeben. Einen ersten wichtigen Zwischenschritt stelle diesbezüglich das Platoo- Bild 2: Platooning Foto: fotolia / Taina Sohlmann Internationales Verkehrswesen (71) 1 | 2019 59 Automatisierung TECHNOLOGIE ning dar. Die Mehrheit der Menschen akzeptiere darüber hinaus tendenziell vollautomatisiert fahrende LKW auf öffentlichen Straßen. Auf Basis der Einschätzung der Experten kann die Schiene - ceteris paribus - somit noch nicht von Effekten aus hoch- oder vollautomatisiert fahrenden Zügen profitieren. Im Gegenteil: Der schrumpfende Markt für Triebfahrzeugführer und weiter überproportional steigende Energiekosten verschlechtern sogar tendenziell die Rahmenbedingungen der Schiene. Die Straße kann hingegen durch hoch- und sogar erste vollautomatisiert fahrende LKW und Platoons auf dem Korridor relevante Einsparungen von 30 bis 50 % der Betriebskosten realisieren. Zusätzlich kann über den hohen Grad der Automatisierung der zu erwartende steigende Fahrermangel deutlich abgemildert werden. Was getan werden muss Die Wirkung des tatsächlichen Eintritts eines derartigen Szenarios, in dem die Straße den Grad der Vollautomatisierung zuerst erreicht, wäre für die Schiene verheerend. Die bereits heute angespannte Wettbewerbsposition gegenüber der Straße würde sich weiter verschlechtern und in einigen Märkten sogar zum vollständigen Verlust der Wettbewerbsfähigkeit führen. Was müssen die Marktbeteiligten der Schienengüterverkehrsbranche also unternehmen, um dem Eintritt dieses Szenarios entgegenzuwirken? Folgende Aspekte könnten Bestandteile eines umfassenden Maßnahmenpaketes sein: • Hinwirken auf die Ertüchtigung der wichtigsten europäischen Schienenverkehrskorridore mit ETCS-Level 2/ 3 und auf den durchgehenden Einsatz des einheitlichen europäischen Eisenbahnverkehrsleitsystems ERTMS (European Rail Traffic Management System). • Aufsetzen einer übergreifenden Arbeitsgruppe bestehend aus EVU, Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU), Operateuren, Spediteuren, Terminals, Genehmigungsbehörden und Bahnindustrie (Technik, Fahrzeuge), um einen der EU-Verkehrskorridore zu einem Piloten für vollautomatisierte Güterzüge zu entwickeln (inkl. einer einheitlichen europäischen Rechtsgrundlage für fahrerlose Züge). Eine Förderung über EU-Subventionsprogramme (z. B. Horizon 2020) ist zu verifizieren. • Investitionen in Mehrsystemlokomotiven zur Vermeidung von Transportbrüchen und zur einheitlichen Steuerung der Verkehre (Reduzierung von Schnittstellen). • Vorantreiben innovativer Produktionskonzepte, wie z. B. Platooning on Rail, bei dem Züge die Trassen mit deutlich verringerten Zugfolgeabständen befahren (abhängig von Fortschritten bei ETCS und ERTMS). • Weiterentwicklung des Berufsbilds „Triebfahrzeugführer“. Ein zielstrebiges Umsetzen dieser Automatisierungspotenziale in Kombination mit weiteren begleitenden Maßnahmen, vor allem auch durch Änderung der Rahmenbedingungen seitens der Politik, wird die Schiene dabei unterstützen, ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber der Straße entscheidend zu verbessern. Dabei liegt das Optimierungspotential vollautomatisierter Züge im Gegensatz zur Straße, wie bereits angemerkt, nicht zuvorderst in geringeren Kosten, sondern vor allem in höheren Trassenkapazitäten und einer deutlich verbesserten Leistungsqualität. Im Idealfall können vollautomatisierte Züge die Ankunftspünktlichkeit auf Werte von weit über 90 % steigern, wobei bereits ein Wert von 85 bis 90 % eine enorme Verbesserung bedeuten würde. Ob sich im Modal Split der Anteil der Schiene bis ins Jahr 2030 nun insgesamt eher gegen 0 % oder eher in Richtung 30 % entwickeln wird, wie zu Beginn durch das Zitat aufgeworfen, hängt wesentlich von der zukünftigen Innovationskraft des Schienengütermarktes ab 12 . Die vielfältigen Chancen des vollautomatisierten Schienengütertransports müssen erkannt und ergriffen werden, um auch langfristig die Wettbewerbsfähigkeit der Schiene zu garantieren. Denn dass die Straße ihre eigenen Einsparpotentiale durch das vollautomatisierte Fahren umsetzen wird, ist sicher. ■ 1 Handelsblatt GmbH (2017) 2 Vgl. Statistisches Bundesamt (2018) 3 Vgl. im Folgenden Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V. (2017) 4 Vgl. Helmold, Marc/ Terry, Brian (2016), S. 135 5 Entnommen aus: VDA Verband der Automobilindustrie e.V. (2015), S. 15 6 Vgl. Ullrich, Günter (2014), S. 106 ff.; Vgl. dazu auch: Kleine- Besten, Thomas et al. (2015), S. 1.049 ff. 7 Vgl. hierzu ausführlich: Wilhelm, Ulf/ Ebel, Susanne/ Weitzel, Alexander (2015), S. 88 ff. 8 Vgl. König, Winfried (2015), S. 622 ff. 9 Interne Schätzungen 10 Vgl. Siemens AG (2016) 11 Vgl. Flämig, Heike (2015), S. 388 12 Vgl. ProMedia Europoint B.V. (2016): Thomas Steffens (BCG) hält fest, dass die Schiene bei ausbleibenden Innovationen in fahrerlose Güterzüge bis 2030 weitere 20-30% ihres Marktanteils an die Straße verlieren wird. LITERATUR Flämig, Heike: Autonome Fahrzeuge und autonomes Fahren im Bereich des Gütertransportes, in: Maurer, Markus et al. (Hrsg.): Autonomes Fahren - Technische, rechtliche und gesellschaftliche Aspekte, Berlin, Heidelberg, 2015, S. 377-398 Helmold, Marc; Terry, Brian: Lieferantenmanagement 2030: Wertschöpfung und Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit in digitalen und globalen Märkten, Wiesbaden, 2016 Kleine-Besten, Thomas et al.: Navigation und Verkehrstelematik, in: Winner, Hermann et al. (Hrsg.): Handbuch Fahrerassistenzsysteme - Grundlagen, Komponenten und System für aktive Sicherheit und Komfort, 3., überarbeitete und ergänzte Aufl., Wiesbaden, 2015, S. 1047-1079 König, Winfried: Nutzergerechte Entwicklung der Mensch-Maschine-Interaktion von Fahrerassistenzsystemen, in: Winner, Hermann et al. (Hrsg.): Handbuch Fahrerassistenzsysteme - Grundlagen, Komponenten und System für aktive Sicherheit und Komfort, 3., überarbeitete und ergänzte Aufl., Wiesbaden, 2015, S. 621-632 Ullrich, Günter: Fahrerlose Transportsysteme: Eine Fibel - mit Praxisanwendungen - zur Technik - für die Planung, 2., überarbeitete und erweiterte Aufl., Wiesbaden, 2014 Wilhelm, Ulf; Ebel, Susanne; Weitzel, Alexander: Funktionale Sicherheit und ISO 26262. In: Winner, Hermann et al. (Hrsg.): Handbuch Fahrerassistenzsysteme - Grundlagen, Komponenten und System für aktive Sicherheit und Komfort, 3., überarbeitete und ergänzte Aufl., Wiesbaden, 2015, S. 85-103 INTERNETQUELLEN Handelsblatt GmbH (Hrsg.), Schlesiger, Christian: Deutsche Bahn Cargo - Sicherheitsabläufe bremsen den Güterverkehr, Erscheinungsdatum: 28.02.2017, http: / / www.wiwo.de/ unternehmen/ dienstleister/ deutsche-bahn-cargo-sicherheitsablaeufe-bremsen-den-gueterverkehr/ 19431024-all.html ProMedia Europoint B.V. (Hrsg.), o.A.: Rail freight loses market share to self-driving road transport, Erscheinungsdatum: 22.08.2016, https: / / www.railtech.com/ news/ all/ 2016/ 08/ 22/ rail-freight-loses-market-share-to-self-driving-road-transport%E2%80%A8%E2%80%A8/ Siemens AG (Hrsg.), o.A.: Hintergrundinformation: Automatisiertes Fahren auf der Schiene, Erscheinungsdatum: 20.09.2016, https: / / www.siemens.com/ press/ pool/ de/ events/ 2016/ mobility/ 2016- 09-innotrans/ hintergrund-automatisiertes-fahren-d.pdf Statistisches Bundesamt (Hrsg.), o.A. (a): Anteil der Eisenbahn an der Transportleistung im Güterverkehr in Deutschland in den Jahren von 2013 bis 2021 (laut Modal Split), ohne Erscheinungsdatum, https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 12200/ umfrage/ anteilder-eisenbahn-am-gueterverkehr-in-deutschland/ Statistisches Bundesamt (Hrsg.), o.A. (b): Anteil der Lkw an der Transportleistung im Güterverkehr in Deutschland in den Jahren von 2013 bis 2021 (laut Modal-Split), ohne Erscheinungsdatum, https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 12195/ umfrage/ anteilder-lkw-am-gueterverkehr-in-deutschland/ VDA Verband der Automobilindustrie e.V. (Hrsg.), o.A.: Automatisierung: Von Fahrerassistenzsystemen zum automatisierten Fahren, Erscheinungsdatum: 03.09.2015, https: / / www.vda.de/ dam/ vda/ publications/ 2015/ automatisierung.pdf Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V. (Hrsg.); Betchen, Christian et al.: Fair Play für den Schienengüterverkehr, Erscheinungsdatum: 27.01.2017, http: / / www.mobi-wissen.de/ files/ vdv_SGV_digital.pdf Daniel Skopek Senior Business Consultant, DB Engineering & Consulting GmbH daniel.skopek@deutschebahn.com
