Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2019-0020
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Fortschreitende Digitalisierung in der Luftfahrt
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Axel Voege
Im Jahr 2018 feierte Rolls-Royce ‚60 Jahre Business Aviation‘. Über die Jahre hat die Digitalisierung der Triebwerke stark zu- und die Zahl technisch bedingter Flugausfälle abgenommen. Durch digital basierte Entwicklung, Engine Health Monitorings und Predicitve Maintenance werden Antriebe zuverlässiger und Wartungszeiten kürzer. Die Entwicklung führt derzeit das Pearl Triebwerk, in dem erstmals tausende Triebwerksdaten erfasst werden. Big Data, Künstliche Intelligenz und Social Media-Ansätze dienen schon heute dem Betrieb von Rolls-Royce Triebwerken – sie markieren den Weg zur IntelligentEngine.
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Internationales Verkehrswesen (71) 1 | 2019 60 Fortschreitende Digitalisierung in der Luftfahrt Rolls-Royce entwickelt die ‚IntelligentEngine‘ für den Flugzeugantrieb Vorausschauende Instandhaltung, Triebwerksdaten, Künstliche Intelligenz, Triebwerksservice Im Jahr 2018 feierte Rolls-Royce ‚60 Jahre Business Aviation‘. Über die Jahre hat die Digitalisierung der Triebwerke stark zu- und die Zahl technisch bedingter Flugausfälle abgenommen. Durch digital basierte Entwicklung, Engine Health Monitorings und Predicitve Maintenance werden Antriebe zuverlässiger und Wartungszeiten kürzer. Die Entwicklung führt derzeit das Pearl Triebwerk, in dem erstmals tausende Triebwerksdaten erfasst werden. Big Data, Künstliche Intelligenz und Social Media-Ansätze dienen schon heute dem Betrieb von Rolls-Royce Triebwerken - sie markieren den Weg zur IntelligentEngine. Axel Voege R olls-Royce hat eine Vision für die Zukunft von Flugantrieben entwickelt, um Passagiere noch zuverlässiger und effizienter zu befördern: die IntelligentEngine. Grundlage dieser Vision ist die fortschreitende Annäherung der physischen Produkte und damit verbundenen Dienstleistungen; untrennbar verbunden sind sie schon heute. Erstmals wurde das vor rund 50 Jahren im Rolls-Royce ‚Power-bythe-Hour‘ Konzept sichtbar - einem stundenbasierten Betreuungsangebot für Triebwerke, das dem heutigen CorporateCare 1 für Geschäftsreiseflugzeuge und TotalCare 1 für Airline-Kunden weit vorausging. Seitdem hat sich der Wandel durch die fortschreitende Digitalisierung so beschleunigt, dass die Grenzen zwischen Produkten und Dienstleistungen immer weiter verschwimmen. Neben der digital unterstützten Konstruktion, Erprobung und Instandhaltung werden nach der Vision der IntelligentEngine Triebwerke künftig zunehmend vernetzt, kontextsensitiv und lernfähig sein, dabei zudem zuverlässiger und effizienter (Bild 1): • Vernetzt - mit anderen Triebwerken, dem Support-Ökosystem und den Kunden. Ermöglicht wird ein regelmäßiger, bidirektionaler Informationsfluss zwischen einer Vielzahl von Parteien. • Kontextsensitiv - bezogen auf die aktuelle, zulässige Betriebssituation und die Bedürfnisse des Betreibers. Reaktionen auf die Umgebung werden ohne menschliche Intervention möglich. • Lernfähig - lernt aus dem eigenen Betrieb sowie aus dem vergleichbarer, vernetzter Triebwerke, um das eigene Ver- TECHNOLOGIE Digitalisierung Internationales Verkehrswesen (71) 1 | 2019 61 halten zu optimieren und die bestmögliche Leistung zu erbringen. Grundlage dieser neuen digitalen Fähigkeiten ist eine intelligente Nutzung der immer breiter werdenden Datenbasis mit ihrer gleichzeitig wachsenden Informationstiefe: Wo früher pro Flug einige Kilobytes Triebwerksdaten erfasst und übertragen wurden, bereitet sich das Unternehmen heute auf Volumina im Bereich von Terabytes bei Großtriebwerken vor. Das erweitert einerseits das Spektrum neu möglicher Dienstleistungen, andererseits ganz konkrete Einsparungen. Hatte Rolls-Royce Engine Health Monitoring (EHM) bisher in erster Linie für Instandhaltungsleistungen eingesetzt, die an den direkten Betriebskosten einer Fluggesellschaft lediglich einen Anteil von 4 % haben, geht heute deutlich mehr: Das jetzt verfügbare Datenmaterial erlaubt, dieses Support-Niveau auf Servicelösungen rund um die Verfügbarkeit und Effizienz von Flugzeugen auszuweiten, die nahezu 70 % der zugehörigen Gesamtkosten ausmachen. Digitalisierung ist Teamarbeit Rolls-Royce Deutschland (RRD) arbeitet seit langem mit verschiedenen digitalen Werkzeugen, vor allem in den Bereichen Triebwerkskonstruktion, Simulation und Service. Ziel ist es dabei, die Vision der Intelligent- Engine durch einen durchgängigen, digitalen Faden in allen Lebensphasen der Triebwerke zu unterstützen. In der Fertigung steht das noch am Anfang, im Service ist das Leistungsspektrum bereits weit entwickelt. Die Leitzentrale dafür, das Rolls-Royce Business Aviation Aircraft Availability Centre in Dahlewitz, koordiniert die Arbeit der Servicetechniker von rund 70 Vertragswerkstätten weltweit und betreut so über 9000 Triebwerke, die derzeit weltweit im Einsatz sind, rund um die Uhr. Die Teams nutzen unter anderem cloudbasierte IT-Tools, Apps sowie Systemanbindungen an die Flugzeughersteller und IT-Partner, um einen kontinuierlichen und aktuellen Informationsfluss und schlanke Prozesse zu gewährleisten. Die Kompetenz des deutschen Netzwerks von Digital-Spezialisten im Hause wird einerseits durch die Konzernabteilung, „R 2 Data Labs“, andererseits auch durch die Beiträge externer Partner im Ökosystem stetig vorangetrieben. Zu diesen zählen das Hasso-Plattner-Institut in Potsdam ebenso wie kleinere Start-up-Unternehmen und vier deutsche, universitäre Technologiezentren (UTCs): • Das Karlsruher Institut für Technologie KIT beherrscht die Simulationen komplexer Verbrennungsprozesse, u.a. mit Hilfe von Verfahren aus der Astrophysik, mit denen ursprünglich Explosionen ganzer Galaxien berechnet und visuelle Effekte in Filmen kreiert wurden. Digitalisierung TECHNOLOGIE Virtuelle Realität erleichtert Konstruktion und Training. Alle Fotos: Rolls-Royce Bild 1: Rolls-Royce Engine Health Monitoring erweitert das Spektrum neu möglicher Dienstleistungen und bringt zudem konkrete Einsparungen. Internationales Verkehrswesen (71) 1 | 2019 62 TECHNOLOGIE Digitalisierung • Die TU Darmstadt und die TU Dresden simulieren Einzelteile und das Zusammenspiel von Komponenten. • Die TU Cottbus-Senftenberg schließlich hat die Fähigkeit zur 3D-Darstellung von Triebwerken maßgeblich mit entwickelt. Das Ergebnis: ein immersives Virtual Reality-System bei Rolls Royce in Dahlewitz, in dem sich Triebwerke und Komponenten auf Basis der Konstruktionsdaten detailliert darstellen und modifizieren lassen. Ingenieure können damit auch komplizierte Details und Konstruktionen auf einen Blick erfassen, sich im Team in Echtzeit austauschen sowie Veränderungen schnell auswerten. Servicekräfte trainieren damit auch ohne physisches Gerät Wartungsabläufe. Moderner Triebwerksservice - ohne-Computer undenkbar Der 24/ 7 Operational Service Desk (OSD) ist der zentrale Teil des Business Aviation Availability Centre mit Sitz in Dahlewitz. Es betreut den weltweiten Ersatzteilsupport sowie das Lagernetzwerk und den Kontakt zu Endkunden und steuert Serviceaktivitäten, um Kunden, deren Flugzeug vorübergehend am Boden bleiben muss, schnellstmöglich wieder flugfähig zu machen. Das OSD stellt dafür eine digitale Plattform zur Verfügung, die ein voll integriertes Fallmanagement ermöglicht. Alle logistischen und technischen Schritte, die zur Erhöhung der Flugzeugverfügbarkeit erforderlich sind, laufen hier zusammen. 2017 führte Rolls-Royce eine Business Aviation Availability App ein, die Leistungen der CorporateCare Wartungsverträge und den sofortigen Zugriff auf Echtzeit-Service- Informationen direkt auf mobile Geräte überträgt. Das Hauptmerkmal der App ist der „AOG Alert“, der es den Kunden ermöglicht, das Business Aviation Availability Centre sofort über jede „Aircraft on Ground“ (AOG) Situation oder das potenzielle Risiko einer solchen Situation zu informieren. Kunden erhalten Echtzeit-Service-Informationen, eine schnelle und intelligente Entscheidungsfindung wird erleichtert und die Zeit bis zur Wiederherstellung der Flugfähigkeit verkürzt. Die bereits sehr geringe Zahl technisch bedingter Flugausfälle wird weiter reduziert. Die Servicequalität im Einzelfall profitiert ganz erheblich von Kenntnissen über die gesamte Triebwerksflotte. Rolls-Royce hat das Flottenmanagement mit einer App, dem Engine Network, optimiert. Eine gesteigerte Verfügbarkeit der Business Jet Triebwerke bedeutet niedrigere Kosten und höhere Kundenzufriedenheit. Engine Network ermöglicht es, die bereits erhobenen Daten aller Business Jet Triebwerke noch tiefer und umfassender als bisher zu nutzen. Dabei werden die gesammelten Daten beispielsweise über die Art und Weise, wie Triebwerke geflogen werden, oder zu deren Wartungsorten zusammengeführt und gemeinsam präsentiert. Das Ergebnis: ein vollständiges und konsolidiertes Bild mit allen wichtigen Informationen über die Triebwerke einer Flotte und ein „Profil“ jedes einzelnen Triebwerks darin - wie bei bekannten Social Media. Das Profil zeigt, wie das spezifische Triebwerk betrieben wird, an welchem Flugzeug es installiert wurde, welche Teile es enthält und zunehmend auch, wie viel Lebensdauer jeder Komponente verbleibt. Die App beinhaltet darüber hinaus einen Newsfeed, der wichtige Informationen aus der gesamten Flotte anzeigt. Besonders nützlich sind die dabei integrierten Ursachenanalysen und Empfehlungen aus anderen Systemen zu präventiven Wartungsarbeiten für einzelne Motoren, die auf Erfahrungen mit der gesamten Flotte beruhen. Service-Teams können damit schneller fundierte Entscheidungen treffen und handeln, um eine maximale Verfügbarkeit zu gewährleisten. Kunden und Passagiere profitieren von weniger Störungen, Erfahrungen mit der fliegenden Flotte können künftigen Triebwerksgenerationen zu Gute kommen. Mehr Messpunkte, mehr Daten, noch-mehr Anwendungen Im Mai 2018 hat Rolls-Royce die neue Pearl Triebwerksfamilie für Geschäftsreiseflugzeuge vorgestellt (Bild 2). Die Triebwerke werden durch den Rolls-Royce Corporate- Care Service unterstützt und stehen als aktuellstes Beispiel für die Realisierung der Vision der IntelligentEngine. Sie besitzen ein Engine Health Monitoring System der neuesten Generation, das mehr Parameter als alle vorherigen erfassen kann. Darüber hinaus ermöglicht das Triebwerk eine Ferndiagnosefunktion mit bidirektionaler Kommunikation. Erstmals wird so eine Konfiguration der Motorüberwachungsfunktionen vom Boden aus möglich: Durch diese bidirektionale Kommunikation kann das Monitoring System zentral exakt an die Betriebssituation angepasst werden. Es schickt dadurch im Gegenzug alle relevanten Daten zurück an die Zentrale bei Rolls-Royce. Insgesamt erfasst die elektronische Triebwerkssteuerung mehrere tausend Parameter parallel. Dank der digitalen Revolution können die Aircraft Availability Centres künftig als Drehscheibe für weitere neue digitale Anwendungen dienen, mit denen noch schneller Lösungen für spezifische technische Situationen in ermöglicht werden. So können Triebwerksingenieure in aller Welt beispielsweise mithilfe eines Echtzeit-Kooperationssystems Live-Bilder aus dem Triebwerksinneren zu dem Team im Kontrollzentrum schicken und sich von dort zu möglichen Maßnahmen beraten lassen. „Telechirurgie“-Verfahren werden es den Experten in der Zentrale ermöglichen, komplexe technische Arbeiten an einem Triebwerk auch über große Entfernungen auszuführen, unabhängig davon, ob dabei ein Techniker oder ein ferngesteuerter Werkzeugroboter aktiv wird. Letztere werden in einigen Jahren vielleicht sogar während des Fluges selbstständig operieren. ■ 1 CorporateCare, TotalCare und Pearl sind Marken von Rolls- Royce Axel Voege Head of Digital Operations, Rolls-Royce Germany, Blankenfelde- Mahlow axel.voege@rolls-royce.com Bild 2: Pearl Triebwerk für Geschäftsreiseflugzeuge mit Engine Health Monitoring System der neuesten Generation
