eJournals Internationales Verkehrswesen 71/1

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2019-0021
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Online-Handel - Fluch oder Segen?

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Detlef Frank
In der Diskussion um die wachsenden Verkehrsbeeinträchtigungen, vor allem im urbanen Straßenverkehr, steht der durch den Online-Handel ausgelöste Lieferverkehr zunehmend in der Kritik. Ist das gerecht? Ein Zwischenruf.
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Internationales Verkehrswesen (71) 1 | 2019 67 Meinung FORUM Online-Handel - Fluch-oder-Segen? In der Diskussion um die wachsenden Verkehrsbeeinträchtigungen, vor allem im urbanen Straßenverkehr, steht der durch den Online-Handel ausgelöste Lieferverkehr zunehmend in der Kritik. Ist das gerecht? Ein-Zwischenruf. Z wei Dinge befördern die Vorbehalte gegen diesen Lieferverkehr. Zum einen fallen die gegenüber einem PKW größeren Fahrzeuge optisch auf - und das Parken in der zweiten Reihe sowie auf Rad- oder Fußwegen sind der Akzeptanz ebenfalls abträglich. Zum anderen scheinen die sozialen Medien Vorurteile massiv zu verstärken. Was im Zeitalter des Alarmismus in Facebook und Co. in- Millisekunden zweimal den Globus umrundet hat, gilt schnell als gesichertes Wissen und findet Eingang in die traditionelle-Berichterstattung von Zeitung und Fernsehen. Gleichwohl lohnt es sich, die verkehrliche Wirkung von Lieferverkehren durch E- Commerce an Fakten zu messen. In der Vorweihnachtszeit antwortete der Fahrer eines Lieferdienstes auf die Frage, wie viele Pakete oder Päckchen er an diesem Tage auszuliefern habe: 157 Stück. Ob er sich seinen Dienst auch mit einem Elektro-Fahrzeug vorstellen könnte? Die Antwort war eindeutig positiv, denn seine gesamte Tagesstrecke war nur 80 km lang! Eine kleine Divisionsaufgabe genügt, um festzustellen, dass bei dieser Lieferfahrt nur etwa 0,5 km jedem einzelnen Liefergut zuzurechnen sind. Das heißt, hier findet eigentlich etwas statt, was im Personenverkehr politisch massiv gefordert und gefördert wird: Bündelung durch Massenverkehr in größeren „Gefäßen“, nämlich im ÖPNV. Was wäre, wenn es den Lieferdienst auf der Straße nicht gäbe? Da wir in unserer schnelllebigen Zeit gewohnt sind, etwas sofort zu bekommen, darf getrost vermutet werden, dass vor allem bei Artikeln der Elektrik- oder Elektronik-Branche sowie bei Textilien und Schuhen der größere Teil der Kundschaft nicht bis zum ohnehin bald fälligen Großeinkauf wartet, sondern allein für dieses eine Gut aus dem Haus geht. Sicher werden vor allem Bewohner einer Großstadt den ÖV, das Fahrrad oder den Fußweg nutzen. Aber nimmt man einmal an, dass nur etwa ein Viertel der Kunden hierfür den individuellen PKW mit - konservativ gerechnet - je 5 km Hin- und Rückfahrt nutzt, dann entstehen für entfallene 80 km des einen Lieferfahrzeugs etwa 400 km individuelle Fahrten durch 40 PKW. Das Dilemma ist nur, dass man den lästigen Lieferwagen sieht - die entfallenen PKW-Fahrten jedoch nicht wahrnimmt. Es ist also höchst zweifelhaft, ob der Lieferverkehr durch Online- Handel unsere Verkehrssituation tatsächlich verschärft. Kontraproduktiv sind natürlich die im Online-Handel möglichen Retouren, wenn man sich gerade bei Schuhen oder Textilien mehrere Produkte zur Auswahl bestellt, bereits wissend, dass man nur einen Teil wirklich kaufen und die anderen Produkte zurückschicken wird. Aber auch wenn der Netto-Gewinn an vermiedener Fahrleistung durch gebündelte Auslieferung noch nicht übermäßig groß sein sollte, lohnt es sich, nach Verbesserungen zu suchen, denn der Online-Handel wird sich nicht zurückdrängen lassen. Was daher nötig ist, sind weitere Optimierungen im System, d. h. noch mehr Bündelung durch intelligentes Management. Mehr fußläufig von der Wohnung aus erreichbare Zustellboxen würden z. B. die Zahl der notwendigen Halte der Lieferfahrzeuge deutlich verringern, ohne den Zustellkomfort übermäßig einzuschränken. Anlieferung am Arbeitsplatz oder die Ablage im PKW-Kofferraum würden die Zustellsicherheit erhöhen und unnötige Abholfahrten des Kunden vermeiden. Die Umstellung auf Elektro-Traktion sollte in den nächsten fünf bis acht Jahren möglich sein. Damit entfällt schon einmal die Belästigung durch in der Regel im Leerlauf laufende Verbrennungsmotoren während der Auslieferung. Weiterhin muss über die notwendige Größe der Lieferfahrzeuge neu nachgedacht werden. 1,5 t Nutzlast und 3 t Gesamtgewicht müssen nicht sein, 0,75 t Nutzlast reichen vermutlich aus. Kleinere Lieferfahrzeuge sind dann auch beim manchmal unvermeidlichen Halten in der zweiten Reihe ein geringeres Hindernis. Und schließlich müssen auch nicht zur selben Zeit mehrere Lieferfahrzeuge von DHL, DPD, UPS etc. im selben Quartier unterwegs sein. Man könnte sich Routenbedienung und Paketboxen teilen. Der Einwand, dass es sich ja um Wettbewerber handelt, die wohl schwerlich zu gemeinsamem Handeln zu bewegen seien, wird durch ein sehr prominentes Beispiel entkräftet: Die beiden großen Wettbewerber im Carsharing und Mobilitätsmarkt, BMW und Daimler, bringen ihre Dienste (Car2Go, Drive now, my Taxi etc.) zu beiderseitigem Nutzen in eine gemeinsame Gesellschaft ein. In einer Studie hat das ZukunftsInstitut Frankfurt dies mit dem neudeutschen Begriff „Frienemies“ beschrieben. Man wird zwar noch nicht „Friend“, ist aber auch kein „Enemy“ mehr. Die Lieferdienste sollten sich das zum Vorbild nehmen. Detlef Frank, Dipl.-Ing. Mitglied im Fachbeirat Verkehr und Umfeld in der VDI-Gesellschaft Fahrzeug- und Verkehrstechnik frankde@t-online.de