Internationales Verkehrswesen
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expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2019-0023
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Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 6 IM FOKUS Testfeld für autonome Binnenschiffe geplant K leine, flexible Binnenschiffe, die miteinander kommunizieren, ihre Routen selbst berechnen und ihre Ladung eigenständig auf- und abladen können - und das ganz ohne Kapitän. So sehen Fachleute die Zukunft des vernetzten Güterverkehrs auf dem Wasser. Als ersten Schritt plant das DLR-Institut für Kommunikation und Navigation in Neustrelitz zusammen mit Industriepartner und Bund die Einrichtung eines digitalen Testfelds für Binnenschiffe an der Spree-Oder-Wasserstraße in Brandenburg zwischen den Häfen Königs Wusterhausen und Eisenhüttenstadt. Der Aufbau soll ab 2020 beginnen. Aktuell arbeiten die Forscher an einer Technik, mit der das Schiff automatisch in eine Schleuse ein- und ausfahren kann, ohne dass der Kapitän eingreifen muss. Solche oder ähnliche Technologien könnten in Zukunft auf dem Testfeld untersucht werden. Hierbei wird die Navigation unter Nutzung von globalen Satelliten-Navigationssystemen wie Galileo eine wichtige Rolle spielen. Aufbauend auf den gewonnenen Erkenntnissen sollen zukünftig auch komplett autonom fahrende Binnenschiffe auf dem Testfeld unterwegs sein. Darüber hinaus möchten die Wissenschaftler erforschen, an welchen Stellen Schiffe in etablierten Gütertransportketten eingesetzt werden können, um durch den Transport über Wasserstraßen überfüllte Straßen und Autobahnen vom LKW-Verkehr zu entlasten. Die Spree-Oder-Wasserstraße ist ein idealer Ort für das Testfeld. Hier herrscht wenig Binnenschiffsverkehr und damit eine geringe Kollisionsgefahr mit Gefahrguttransporten. Außerdem befindet es sich im Einzugsgebiet der Hauptstadt, und die Strecke verfügt über wichtige Infrastrukturen wie Häfen und Schleusen. Neben dem DLR sind auch der Hafen Königs Wusterhausen, der Hafen Eisenhüttenstadt, der Bundesverband öffentlicher Binnenhäfen e.V., die Alberding GmbH sowie die HPC Hamburg Port Consulting an dem Projekt beteiligt. www.dlr.de/ kn Quelle: DLR On-Demand-Ridepooling bald im Landkreis Hof I m Landkreis Hof soll ab Sommer 2019 innovative Mobilität auf 120 km 2 Fläche für eine neue Qualität des Öffentlichen Nahverkehrs im ländlichen Raum sorgen. In Rehau und Regnitzlosau wird durch Zusammenarbeit von Landkreis Hof und der Logistik Agentur Oberfranken sowie der ILE Dreiländereck bald von Montag bis Sonntag von 6 bis 24 Uhr der Bus digital per App bestellt. Auf Basis der Software von door2door ist der Kunde dann nicht mehr an feste Haltestellen gebunden. Ihm werden stattdessen über 200 virtuelle Haltestellen für den Ein- und Ausstieg angeboten. Die Technologie von door2door kalkuliert die optimalen Fahrtwege und den besten Einsatz der Flotte, so dass Fahrgäste, die eine ähnliche Route haben, sich die Fahrten teilen. Auch in München, Duisburg und Freyung arbeiten die regionalen Kommunen und Verkehrsunternehmen mithilfe von von door2door erfolgreich an neuen kundenzentrierten Mobilitätsformen. Der Service etabliert damit im Rahmen des öffentlichen Nahverkehrs ein bedarfsgerechtes Angebot digitaler Bedarfsverkehre in ländlichen Gebieten. Perspektivisch soll das neue Mobilitätskonzept nach der Pilotphase auf den ganzen Landkreis Hof ausgedehnt werden. www.door2door.io Aktuelle Meldungen finden Sie im Web unter www.internationales-verkehrswesen.de Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 7 IM FOKUS Grafik: DLR DLR/ NASA-Design Challenge: Kleine Fluggeräte im Regionalflugverkehr R adikal den Energieverbrauch eines Flugzeugs senken - wie das geht, zeigte im vergangenen Jahr ein vierköpfiges Team Studierender aus München mit dem Entwurf „The ,eRay‘ Aircraft Concept“ bei der DLR/ NASA-Design Challenge. Der länderübergreifende Wettbewerb geht 2019 in die dritte Runde. Diesmal stehen Luftfahrzeugentwürfe und Konzepte für die Verkehrsanbindung abgelegener Regionen mit kleinem Fluggerät im Mittelpunkt. Diese sollen sich durch eine hohe Wirtschaftlichkeit auszeichnen und dafür neben Passagierflügen mit Pilot auch nächtliche unbemannte Frachtflüge möglich machen. Die Aufgabe stellt das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) gemeinsam mit der NASA Studierenden in Deutschland und den USA. Zum Auftakt trafen sich die deutschen Teilnehmer aus fünf Hochschulen am 12. April 2019 am DLR-Standort Braunschweig. Bis Ende Juni haben die Teilnehmer nun Zeit, ihre Wettbewerbsvorschläge zu erstellen. Die deutschen Gewinner reisen im Herbst zur amerikanischen Luft- und Raumfahrtbehörde. Dort werden sie ihre Arbeit neben den amerikanischen Siegern des Wettbewerbs präsentieren. Weltweit gibt es abgelegene Regionen, die nur über den Luftweg effektiv angebunden sind. Hier rücken kleine Luftfahrzeuge mit möglichst geringen Fix- und Betriebskosten und flexibler Einsetzbarkeit zwischen Passagier- und Frachttransport in den Fokus, um auch bei geringem Passagieraufkommen einen möglichst wirtschaftlichen und zugleich umweltfreundlichen Betrieb zu ermöglichen. Im Wettbewerb sind dafür revolutionär neue Technologie-Ideen gefragt, von Flugzeugentwürfen bis hin zu unbemannten Betriebsszenarien. www.dlr.de Bolivien: Weltgrößtes urbanes Seilbahnnetz vervollständigt D ie zehnte Linie im größten urbanen Seilbahnnetz der Welt, die Línea Plateada (silber), ist seit 9. März 2019 in Betrieb. Das nun rund 33 Kilometer umfassende Netz besteht aus kuppelbaren Gondelbahnen und ist das Hauptverkehrsmittel der zusammengewachsenen Metropolen La Paz und El Alto in Bolivien. Die Línea Plateada ist ein wichtiges Element für die städtische Infrastruktur beider Städte: Mit der Verbindung der Linien Roja, Azul, Morada und Amarilla schließt sie das letzte Segment des Seilbahnrings. Damit sind nun alle Linien vernetzt. In modernen Kabinen für jeweils zehn Fahrgäste schweben bis zu 3.000 Personen pro Stunde von der Station „16 de Julio“ bis nach „Mirador“ und zurück. Die neue Linie führt über die Zwischenstation „Faro Murillo“ - das mit 10.000 m 2 Gesamtfläche größte Stationsgebäude im Seilbahnnetz. Hier können die Passagiere auf die im September 2018 eröffnete Línea Morada umsteigen. Seit der Eröffnung der ersten Seilbahn im Mai 2014 wurden bis heute fast 200 Millionen Fahrgäste transportiert. Täglich nutzen rund 300.000 Menschen das Verkehrsmittel des Betreiber Mi Teleférico - ein Referenzbeispiel für den Einsatz von Seilbahnen als öffentliches Verkehrsmittel im urbanen Raum. www.doppelmayr.com Foto: Doppelmayr Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 8 IM FOKUS Neue Zufahrtskontrollsysteme für Dauerparksysteme und-bezahltes Parken A usreichend Parkmöglichkeiten sind ein wichtiger Baustein innerstädtischer Infrastrukturen. Hörmann bietet nun für die Ein- und Ausfahrregelung neue Schranken, Ein- und Ausfahrstationen und Kassenautomaten in unterschiedlichen Größen und Ausführungen. Sie können von kleinen Parkplätzen bis hin zu großen Parkhäusern Durchfahrten bis zu einer Sperrbreite von 10,5 m absichern und sind als Flach-, Rund- und Achtkantbaum oder als Knickbaum- Schranke erhältlich. Die Öffnung ist mit verschiedenen Bedienelementen und Ausweismedien wie Handsender, Nummernschild-Erkennung oder Induktionsschleife, diversen Transponderkarten oder dem Smartphone möglich. Ein Vandalismusschutz sorgt dafür, dass die Schranken bei unrechtmäßiger Bedienung, beispielsweise gewaltsamem Hochdrücken, nicht beschädigt werden. Die Verwaltung ist über ein per LAN oder WLAN angebundenes Ausweismanagementsystem möglich. Besonders flexibel und ortsungebunden lassen sich die Schrankenanlagen und Parksysteme optional per Web-Server verwalten. Damit kann auf das Parkplatzsystem weltweit zugegriffen werden und Störungen somit ortsunabhängig und schnell analysiert werden. www.hoermann.de Foto: Hörmann Nutzfahrzeuge mittels Umrüstkit elektrifizieren S teigende Emissionswerte in den Innenstädten setzen die Betreiber unter Zugzwang: Die Dieselbusse müssen raus aus der Stadt. Viele Kommunen suchen daher den Einstieg in die Elektromobilität. Bestehende Busflotten komplett gegen neue Elektrofahrzeuge auszutauschen ist jedoch erheblich teurer als ein konventioneller Dieselbus. Zudem sind Neufahrzeuge derzeit auf dem Markt nur in geringen Stückzahlen verfügbar. Der Spezialist für Fahrzeugentwicklung und Systemintegration in-tech hat unter dem Namen „e-troFit“ ein professionelles Umrüstkit für die Nachrüstung vorhandener Niederflurbusse entwickelt. Eine solche Umrüstlösung soll bis zu 50 % günstiger als ein Neufahrzeug sein. Der neue Antriebsstrang im e-troFit- Konzept ist als vollständige Substitution des alten Antriebs konzipiert: Alle Funktionen werden von ihren neuen elektrischen Pendants übernommen. Nach der Entfernung des Dieselmotors und dessen Getriebe und Abgasanlage werden ebenso die Nebenaggregate wie Klimaanlage, Luftkompressor, Pumpen und Kühler ausgebaut. Je nach Fahrzeugtyp werden anschließend der Energiespeicher, Antrieb und elektrische Nebenaggregate integriert. Da durch das Bestandsfahrzeug Schnittstellen sowie Anforderungen bereits definiert sind, muss durch einen modularen Ansatz sichergestellt werden, dass Inkompatibilitäten vermieden werden oder dass durch die Parametrierbarkeit von Komponenten die Kompatibilität hergestellt werden kann. Neben den niedrigeren Anschaffungskosten hat eine Umrüstung auch noch weitere positive Aspekte, denn die Lebensdauer bestehender Fahrzeuge verlängert sich. Verschleißanfällige Antriebskomponenten werden im Rahmen der Umrüstung ersetzt, und dank der Aufbereitung und Modernisierung des Fahrgastraumes wird ein nachhaltiger „Second use“ des Fahrzeugs als Elektrobus möglich. Zum anderen wirkt die Umrüstung auch positiv auf ökologische und ökonomische Faktoren: Durch die Entfernung eines dieselgetriebenen Nutzfahrzeugs aus der globalen Ökobilanz entsteht ein größerer Vorteil im Vergleich zur Anschaffung eines elektrischen Neufahrzeugs. www.in-tech.com Foto: in-tech Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 9 IM FOKUS Digitale Fahrradabstellanlagen D er Radverkehrsanteil in Deutschland am Gesamtverkehr ist bundesweit auf 11 % gestiegen, in den Großstädten sogar auf durchschnittlich 15 %, wie Ergebnisse der Mobilitätsstudie „Mobilität in Deutschland (MiD)“ zeigen. Nicht nur im „Fahrrad- Vorzeigeland“ Holland, auch in deutschen Städten ist der Ausbau des Radverkehrs zur besonderen Aufgabe geworden. Besonders sinnvoll ist die Verknüpfung des Radverkehrs mit dem öffentlichen Nahverkehr, etwa wenn Pendler zum Bahnhaltepunkt radeln oder am Endpunkt in die Innenstädte fahren möchten. Da zugleich die Fahrräder - vor allem solche mit elektrischer Unterstützung - immer kostspieliger werden und als Prestige-Objekte den PKW ablösen, sind zunehmend sichere Abstellmöglichkeiten gefragt. Kein Radler möchte sein - nach aktuellen Hochrechnungen durchschnittlich 1.272 EUR teures - Pedelec tagsüber offen am Bahnhof stehen lassen, und abends sollte möglichst auch der Akku wieder voll aufgeladen sein. Das Projekt „DeinRadschloss“ hat im Ruhrgebiet bereits knapp 1.000 digitale Fahrrad-Abstellanlagen in Betrieb. Die Erfahrungen und Ergebnisse der Nutzungsstatistiken erlauben Voraussagen für die Planung künftiger Abstellanlagen: Digitale sichere Fahrradabstellanlagen benötigen einen einfachen Zugang, buchbar für jedermann und zu jeder Zeit. Nach Auswahl und Bezahlen des Stellplatzes wird an der Anlage mit dem geeigneten Zugangsmedium die Tür zum Stellplatz geöffnet. Die Berechtigung dazu kann per Mobilfunk oder „offline“ über eine Registrierung mittels Zahlencode übermittelt werden. Auch RFID-Karten können als Zugangsmedium genutzt werden. Verschiedene Anlagentypen wie einstöckige und zweistöckige Einzel-Boxen bis 40 Stellplätze je Standort, Sammelgaragen mit 20 bis 80 Gruppenstellplätzen und auch Großanlagen mit über 200 Stellplätzen sind verfügbar. www.dein-radschloss.de www.kienzler.com Foto: Kienzler Stadtmobiliar GmbH Power to Liquid-Anlage im industriellen Maßstab geplant I m Rahmen einer Absichtserklärung haben sich mehrere Partner aus Industrie und Forschung darauf verständigt, unter dem Titel GreenPower2Jet (GP2J) einen Förderantrag zum Bau einer industriellen Demonstrationsanlage zu stellen und gemeinsame Forschung zu betreiben. Ziel des Projektes ist es, nach einem erfolgreichen Pre- Engineering eine industrielle Power to Liquid-Anlage (PtL) zu bauen, die vor allem nachhaltige synthetische Kohlenwasserstoffe für die Produktion grüner, klimaneutraler Flugkraftstoffe liefert. Ein Schlüssel zum Erfolg der Mobilität von morgen können im Straßenverkehr unter anderem elektrische Antriebsformen sein, sofern diese mit erneuerbarer Energie betrieben werden. Im Flugverkehr jedoch lassen sich Triebwerke und Kerosin nicht so einfach durch Elektromotoren und Batterien ersetzen. Deshalb steht die Produktion nachhaltiger Flugtreibstoffe im Fokus des aktuellen Engagements des neuen GP2J- Konsortiums. Damit Treibhausgas-Emissionen in der Luftfahrt trotz des vorhersehbaren Wachstums nachhaltig reduziert werden können, muss Kerosin auf Basis der PtL-Technik breit in den Markt eingeführt werden. Dabei beschreibt PtL (Power-to-Liquid) unterschiedliche technische Prozesse, die die nachhaltige Herstellung flüssiger Kraftstoffe zum Ziel haben. Das geschieht durch den Einsatz „grüner“ elektrischer Energie, die wesentlich zur Senkung von Treibhausgas-Emissionen beiträgt, da sie aus der Nutzung regenerativer Energiequellen stammt. Im Idealfall kann so klimaneutrales Kerosin produziert werden. Zum Konsortium gehören neben der TUHH als Projektkoordinator auch Airbus, BP, Air BP, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Dow und Hoyer Logistik sowie als potenzielle Abnehmer für den produzierten Kraftstoff DHL, easyJet unterstützt durch den Flughafen Hamburg, GDH Transport und Containerlogistik sowie die Flotte Hamburg. Geplant ist, die Projektidee über eine Förderdauer von fünf Jahren zu verwirklichen. www.tuhh.de | www.aireg.de Foto: AvantgardeConcept/ Unsplash POLITIK Ländliche Mobilität Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 10 Über-Land Mit Autos den öffentlichen Verkehr im ländlichen Raum retten Mitfahrkonzept, Öffentlicher Verkehr, Mobilitätsangebot Ob eine Verkehrswende gelingt, entscheidet sich in den ländlichen Räumen. Denn diese machen in Deutschland mehr als 60 Prozent der Fläche aus, und die Zahl der zugelassenen PKW übersteigt bereits die 700er Marke. Während in den Städten das eigene Auto im Durchschnitt nur noch bei einem Drittel der Wege beteiligt ist, in Großstädten sind es sogar nur noch 25 Prozent, fehlen auf dem Land Alternativen. Anke Borcherding, Andreas Knie, Lisa Ruhrort D as Auto ist das Maß der Dinge, praktisch für alle Wege. Der öffentliche Verkehr ist jenseits von Agglomerationsgebieten und Zubringerfunktionen kaum noch existent. Rund 90 Prozent der Fahrgäste auf dem Land sind Schüler und Auszubildende. Alle bisherigen Reformvorschläge, durch eine Flexibilisierung von Busangeboten („Rufbusse“) oder sogar Carsharing eine Umkehrung der Tendenz zu schaffen, sind fehlgeschlagen. Zwar existieren informelle Mitfahrangebote und Mitfahrzentralen, neuerdings sogar Mitfahrbänke, aber ein professionelles Angebot jenseits des privaten Autos gibt es nicht. Dies hat auch seinen Grund: das Personenbeförderungsgesetz. Die aus den 30er Jahren stammende Regelung ist so etwas wie das Grundgesetz für die Organisation des Verkehrs. Grundsatz Nummer 1: Der gewerbliche Transport von Menschen bedarf einer besonderen Genehmigung. Dies kommt daher, dass der Staat in der Vergangenheit nicht nur den Besitz von privaten Automobilen mit vielen Freiheiten und Förderungen unterstützt hat, sondern auch denjenigen eine Chance einräumen wollte, die nicht selbst fahren konnten. Dafür waren Busse und Bahnen und gelegentlich Taxis gedacht. Die letzteren werden vom Staat entweder direkt durch Zuwendungen unterstützt - man nennt dies gemeinwirtschaftlicher Verkehr - oder es werden Schutzrechte eingeräumt wie bei den Taxis, die einen eigenwirtschaftlichen Betrieb ermöglich. Die Autogesellschaft war in Deutschland auch rechtlich aus einem Guss. Man kann daher gut nachvollziehen, dass Ideen wie die des amerikanischen Plattformanbieters Uber, jeder kann jeden gegen ein Entgelt mitnehmen, in Deutschland im wahrsten Sinne des Wortes keinen Platz hatten. Aber haben Uber und die anderen Plattformbetreiber nicht doch den zeitgemäßeren Ansatz? Denn es ist doch nahezu paradox, dass jeden Tag Millionen Fahrzeuge unterwegs sind, in denen mindestens drei Plätze frei bleiben. Bereits vorhandene Kapazitäten besser zu nutzen und mit digitalen Zugängen neu zu vermarkten, scheint bei Lichte betrachtet überhaupt der Ausweg aus der Verkehrsmisere zu sein. Man muss das ja nicht gleich wie Uber tun. Man stelle sich folgendes deutsche Szenario vor: Ein öffentliches Verkehrsunternehmen bietet diesen neuen Dienst an: Menschen können bei dem Unternehmen, das sie bisher nur als Busanbieter kannten, elektrische Autos mieten. Bezahlt wird eine monatliche Mietrate, die man aber absenken kann, wenn man im Auftrag des Unternehmens andere Menschen gegen Entgelt mitnimmt. Vereinbart wird 1 EUR/ km, dazu gibt es noch Gruppenrabatt. Mit den Taxis verständigt man sich, dass die Fahrten erst nach 19 Uhr angeboten werden, und mit dem Verkehrsunternehmen legt man grundsätzlich das Bediengebiet fest, nämlich dort, wo sich Busangebote nicht lohnen. Pro Monat - auch das ist festgelegt - sind nur maximal 450 EUR an Zusatzverdienst möglich. Nicht möglich? Doch. Im Wartburgkreis hat die dortige Genehmigungsbehörde dem antragstellenden Verkehrsunternehmen „Wartburgmobil“, unterstützt durch das Land Thüringen, erstmals in Deutschland eine solche Genehmigung erteilt. Grundlage ist der Paragraph 2 Absatz 7, die sogenannte Experimentierklausel, die eine solche Ausnahme möglich macht. Vorausgegangen war ein monatelanger Interessenabgleich auf der Basis des gemeinsamen Willens, die bisher geltenden Rechtsgrundlagen als nicht mehr zeitgemäß zu betrachten. Der Bedarf an individueller Mobilität wird sich schwerlich zurückdrängen und kaum mehr in Form von Buslinien abbilden lassen, die zu Zeiten fahren, wo keiner kann und zu Orten, wo keiner hin will. Umgekehrt kann auch der weitere Aufwuchs von Verbrennungskraftfahrzeugen keine Perspektive bieten. Es ist daher Zeit, die technischen Optionen des mobilen Internets zu nutzen und den aus der Zeit gefallenen Rechtsrahmen daraufhin anzupassen. Der Versuch startet unter dem Namen „Wartburgmobil Carla“ im Mai 2019. Wenn es nicht klappt, wird bald keiner mehr darüber reden. Er könnte aber auch wie schon das Erneuerbare Energien-Gesetz 1998 zunächst völlig unbemerkt, langsam, aber sicher und praktisch auch als Idee unumkehrbar den gesamten Verkehr auf dem Land ändern. Ohne Uber wären solche Reformen in Deutschland nicht vorstellbar gewesen. Ohne eine Grenzüberschreitung bestehender Regeln kommt keine Bewegung ins System, wird keine Phantasie freigesetzt. Allerdings funktioniert eine auf Dauer gestellte Überschreitung in Deutschland auch nicht. Dazu braucht es wieder - aber diesmal veränderte - Regeln. ■ LITERATUR: Canzler, W.; Knie, A.; Ruhrort, R., Scherf. C.: Erloschene Liebe zum Automobil? Bielefeld 2018 Andreas Knie, Prof. Dr. Leitung der Forschungsgruppe Wissenschaftspolitik, WZB Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH andreas.knie@wzb.eu Lisa Ruhrort, Dr. (des) Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsgruppe Wissenschaftspolitik, WZB Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH lisa.ruhrort@wzb.eu Anke Borcherding Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsgruppe Wissenschaftspolitik, WZB Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH anke.borcherding@wzb.eu
