Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2019-0034
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Digitale Begleiter sorgen für Transparenz in der Logistikkette
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Dominik Temerowski
Friederike Weismann
Das globale Transportvolumen soll Marktforschern von Transparency Market Research zufolge bis 2024 auf mehr als 90 Millionen Tonnen wachsen. Mit einer analogen Technik könnte die Transport- und Logistikbranche da bald den Überblick verlieren. Mit Lösungen wie sensorbestückten IoT-Trackern und digitalen Frachtbriefen lässt sich die komplette Lieferkette durchgehend digitalisieren und überwachen.
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Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 36 LOGISTIK Digitalisierung Digitale Begleiter sorgen für-Transparenz in der Logistikkette Cloud, Europalette, Lieferkette, Tracking Das globale Transportvolumen soll Marktforschern von Transparency Market Research zufolge bis 2024 auf mehr als 90 Millionen Tonnen wachsen. Mit einer analogen Technik könnte die Transport- und Logistikbranche da bald den Überblick verlieren. Mit Lösungen wie sensorbestückten IoT-Trackern und digitalen Frachtbriefen lässt sich die komplette Lieferkette durchgehend digitalisieren und überwachen. Dominik Temerowski, Friederike Weismann E lf Bretter, neun Klötze, 78 Nägel: Die Standard-Europalette ist der wichtigste Ladungsträger in der Logistik. Allein in Deutschland wurden 2017 laut Statistischem Bundesamt mehr als 100 Millionen Stück produziert; in Europa sind mehr als 500 Millionen im Umlauf. Aber wo genau? Ob sich eine bestimmte Palette aktuell im Lager, noch auf dem LKW oder in irgendeiner Ecke eines Firmengeländes befindet und was mit ihr nach der Übergabe am nächsten Verarbeitungsort geschieht, lässt sich häufig nicht auf die Schnelle feststellen. Zumindest nicht auf Knopfdruck und nicht über eine mehrstufige Logistikkette. Dabei stapeln sich oft hohe Versicherungssummen auf ihren 1,20 x 0,80 m - und die Paletten selbst werden ebenfalls gerne gestohlen. Ein riesiges Digitalisierungspotenzial in der Logistik und Intralogistik für eine Trackinglösung - sofern sie kosteneffizient genug für hohe Stückzahlen ist. Vom Ladungszum Informationsträger Das Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik (IML) hat gemeinsam mit der Deutschen Telekom ein kostengünstiges Trackingmodul für die Massenproduktion entwickelt, das sich beispielsweise ins Holz einer Palette einsetzen lässt 1 . Der Low Cost Tracker ist mit diversen Sensoren ausgestattet, die Position, Temperatur, Erschütterung und Bewegung erfassen. Diese Daten meldet das Gerät über Mobilfunk an eine Cloud-Plattform - bei Bedarf, etwa bei Über- und Unterschreiten definierter Schwellwerte, oder periodisch, zum Beispiel alle 24 Stunden. Der Anwender hat über ein Web-Portal jederzeit den Überblick und kann stets nachvollziehen, ob und wie lange sich eine Palette bewegt hat. Über eine Schnittstelle lassen sich die Daten automatisch in ein ERP-System übernehmen und dort weiterverarbeiten. Der Tracker kann auch einer Lieferung beigelegt oder an Transportboxen und Containern befestigt werden, um wertvolle Güter zu lokalisieren. Eine größere Version des Geräts nutzt das neue Maschinen- und Sensorennetz der Telekom basierend auf NarrowBand IoT (NB-IoT) 2 : Dieser neue Funkstandard ermöglicht eine Lokalisierung selbst dort, wo der Mobilfunkempfang schlecht ist, zum Beispiel in Fabrikhallen oder Kellern. Dank seines niedrigen Energieverbrauchs liefert die integrierte Batterie genügend Strom für mehrere Jahre. Doch selbst mit den mobilen Trackern bleiben immer noch Blind Spots in der Logistikkette: Um Transportbehälter zu lokalisieren und gleichzeitig zu wissen, was sich in ihnen befindet, muss der bislang analoge Prozess der Kennzeichnung digitalisiert werden. Um Komponenten und Teile zwischen Standorten zu transportieren, setzt die Industrie häufig sogenannte Kleinladungsträger ein. Die genormten Kunststoffboxen sind mit Papieretiketten für Adresse, Liefernummer und Komponentenname versehen und werden während des Transportvorgangs mehrmals aktualisiert oder ausgetauscht. So klebt zum Beispiel ein Motorteile-Zulieferer für die Auslieferung einer Ladung Generatoren ein Label mit der Adresse eines Automobilherstellers auf die Box; dort angekommen, klebt der Wareneingang ein neues Label auf mit dem Ziel Fertigungshalle 3, wo die leere Kiste nach der Entnahme der Generatoren ein weiteres Etikett mit der Rücksendeadresse des Zulieferers erhält. Dort wird der Ladungsträger gereinigt und das Bekleben beginnt von neuem. Ein überholter Prozess, der täglich Zehntausende Etiketten an einem einzigen Produktionsstandort verbraucht. Foto: www.ipal-pallets.org Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 37 Digitalisierung LOGISTIK Papierlose Logistik mit digitalen Frachtpapieren Effizienter funktioniert die papierlose Logistik 3 künftig mit einem elektronischen, an die Cloud angebundenen Label, das die Papieretiketten ersetzt. T-Systems hat ein solches E-Label für die Inbound-Logistik entwickelt. Es zeigt auf einem etwa vier Zoll großen Schwarz-Weiß-Display, das wie ein E-Book-Reader mit E-Ink-Technologie arbeitet, alle relevanten Informationen an: Absender und Empfänger, Lieferscheinnummer, Barcode, Bauteilbezeichnung und Bestellmenge, Zustand. Die anzuzeigenden Elemente lassen sich frei konfigurieren. Der Bildschirm benötigt keine Hintergrundbeleuchtung und daher wenig Strom. Nur wenn sich die Anzeige ändert, springt die Batterie an. Selbst wenn diese einmal leer sein sollte, bleiben die Informationen auf dem Display sichtbar. Das E-Label ist darüber hinaus mit einem GPS-Sensor ausgestattet, der eine genaue Lokalisierung der Box während des Transports ermöglicht. Für den Weg auf einem Firmengelände von Halle zu Halle lässt sich das digitale Frachtpapier per Geofencing lokalisieren. Erreicht der Ladungsträger mit seinem E-Label den Rand eines zuvor definierten Radius - zum Beispiel eine Halle, das Werksgelände oder ein Gewerbegebiet -, wird automatisch der Wareneingangsprozess im ERP-System des Unternehmens angestoßen. Neben Informationen zur Position bieten elektronische, vernetzte Module auch Transparenz über den Zustand des Transportbehälters. Das lässt Rückschlüsse auf den Zustand der Ware zu. Dank eines eingebauten Schocksensors gibt das E-Label sofort Feedback über Stöße, die eine gewisse Schwelle überschreiten. Das Display zeigt ein Warnsymbol an, was den Wareneingangsprozess erleichtert: Sieht der Bearbeiter, dass der Ladungsträger offenbar starken Erschütterungen ausgesetzt war, kann er die Annahme verweigern. Die Ware muss dann nicht den internen Retourenprozess durchlaufen. Gleichzeitig schickt das elektronische Label via Mobilfunk eine Meldung in die Cloud. Eine IoT-Plattform speichert Zustand und Position der Ware und benachrichtigt den Anwender sofort per E-Mail oder SMS. Eine Warnung kann das elektronische Label auch bei Unter- oder Überschreiten einer Soll-Temperatur anzeigen und in die Cloud melden. Das ist sinnvoll etwa bei zu kühlenden Lebensmitteln. Digitale Lieferkette dank elektronischem Frachtbrief Nicht nur Papieretiketten an Transportboxen lassen sich durch digitale Lösungen ersetzen. So fordert die Branche schon länger die Einführung des elektronischen Frachtbriefs, zuletzt der Deutsche Speditions- und Logistikverband (DSLV) 4 . Nur hat Deutschland das Zusatzprotokoll zum elektronischen Frachtbrief im grenzüberschreitenden Straßengüterverkehr (e-CMR) immer noch nicht ratifiziert. Dabei bietet das System viele Vorteile: Logistikdaten lassen sich schnell und einfach archivieren, Verlader und Transportunternehmen haben über den gesamten Prozess jederzeit Zugriff auf Informationen wie Ort und Zeitpunkt der Beladung, Position der Ware oder Art des Transportmittels. Lieferbestätigung, Rechnungsstellung, Zahlungsprozess oder Reklamation laufen schneller und kostengünstiger. Die Abfertigung bei Kunden, Spediteuren und Fluggesellschaften - und auch die Zollabfertigung im internationalen Güterverkehr - beschleunigt sich. T-Systems hat ein E-Paper entwickelt, das die Funktion des Papier-Frachtbriefs übernehmen soll. Mit einem speziellen Stift lässt sich das digitale Dokument direkt über den tabletgroßen E-Ink-Bildschirm bearbeiten: Empfang quittieren, Warenmenge anpassen, unterschreiben. Anschließend werden die Informationen wieder in die Cloud hochgeladen, für den nächsten Prozessschritt zur Verfügung gestellt und abschließend automatisch und gesetzeskonform archiviert. Damit eignet sich das E- Paper beispielsweise für den Einsatz an Containern, Gitterboxen oder Transportbehältern in der Luftfracht. Die Vorteile: Zeit und Arbeitskraft für Bearbeitung und manuellen Austausch entfallen, der Logistikprozess wird effizienter - und transparenter: Das Label zeigt nicht nur alle relevanten Informationen sondern auch Änderungen an. Sensoren liefern Informationen über Stöße, Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Druck. Hinzu kommt der Umweltaspekt: Laut DSLV würde der komplette Umstieg auf elektronische Dokumentation branchenweit pro Jahr 7.800 t Papier sparen. Die Cloud als virtueller Datentransportweg Die gesammelten Daten der digitalen Begleiter landen in Cloud-basierten IoT-Plattformen und gehen von dort in die Backend- Systeme der Kunden - die heutzutage selbst zunehmend in der Cloud betrieben werden. So stellt beispielsweise T-Systems die technische Integration zwischen ihrer eigenen IoT-Cloud und der Cloud-basierten Plattform von SAP sicher. Die Cloud ist prädestiniert für die Transportindustrie, ist sie doch so verfügbar, wie die Branche arbeitet: rund um die Uhr und rund um die Welt. Sind die Geräte in Zukunft erst einmal nahtlos in die Logistiksysteme des Kunden integriert, steht Prozessautomatisierung und Effizienzsteigerung nichts mehr im Wege. Und natürlich ist auch hier die Blockchain 5 ein Thema, etwa wenn es um Smart Contracting 6 geht. Hat das transportierte Kühlgut einen bestimmten Temperaturwert überschritten, wird dies in der Datenbank festgehalten und der Vertrag automatisch abgelehnt oder es tritt ein Versicherungsfall ein. Die Königsdisziplin ist dann die Vorhersage von Ereignissen. Die Intelligenz steckt in Analyseplattformen in der Cloud, die externe - auch historische - Informationen wie beispielsweise Wetter- und Verkehrsdaten hinzufügen und kombinieren. Hier hat die Deutsche Telekom mit dem Data Intelligence Hub (DIH) eine neutrale Analyseplattform geschaffen. Über den DIH lassen sich Transportrouten optimieren, Verzögerungen vermeiden und Lieferdaten präziser voraussagen - ein Fernziel der Transport- und Logistikbranche, das die Digitalisierung lieber heute als morgen ermöglichen soll. ■ 1 Siehe auch: „Erste Live-Anwendung mit 500 intelligenten Paletten“ (24.10.2018), online: https: / / www.internationales-verkehrswesen.de/ intelligente-paletten/ (letzter Abruf 03.04.2019) 2 online: https: / / iot.telekom.com/ iot-de/ konnektivitaet/ narrowband-iot (letzter Abruf 03.04.2019) 3 online: https: / / www.t-systems.com/ de/ best-practice/ 02-2018/ best-practices/ paperless-logistics/ papierloselogistik-806502 (letzter Abruf 03.04.2019) 4 Siehe: „Elektronischer Frachtbrief: Wann wird Deutschland das Protokoll unterzeichnen? “, online: https: / / trans.info/ de/ elektronischer-frachtbrief-wann-wird-deutschlanddas-protokoll-unterzeichnen-101643 sowie „BDI / BDL / DSLV-Branchengespräch Luftfracht: Schnittstellen zwischen Wirtschaft und Behörden hemmen Digitalisierung der Luftfrachtlogistik“, online: https: / / www. dslv.org/ dslv/ web.nsf/ id/ li_fdihb26gfe.html? OpenDocum ent&highlight=frachtbrief (letzter Abruf 03.04.2019) 5 Siehe: „Blockchain bis 2025 ausgereift für globale Lieferketten“ (19.10.2018), online: https: / / www.internationalesverkehrswesen.de/ blockchain-fuer-globale-lieferketten (letzter Abruf 03.04.2019) 6 BMWi: „Blockchain - Von Supply Chain Finance über Smart Payment bis zu Smart Contracting“, online: https: / / www. de-hub.de/ blog/ d/ blockchain-von-supply-chain-financeueber-smart-payment-bis-zu-smart-contracting (letzter Abruf 03.04.2019) Dominik Temerowski Leiter Growth Partner Management, T-Systems International GmbH dominik.temerowski@t-systems.com Friederike Weismann Leiterin M2M Business Solution Systems, T-Systems International GmbH friederike.weismann@telekom.de
