Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2019-0038
51
2019
712
Verkehr und seine Umweltwirkungen
51
2019
Stefan Seum
Christian Winkler
Tobias Kuhnimhof
Simone Ehrenberger
Der mögliche Wandel der Mobilität in Deutschland steht derzeit im Fokus. Sowohl im Hinblick auf das Verkehrsaufkommen und lokale Luftqualität als auch im Hinblick auf den Klimaschutz sind weitreichende Änderungen notwendig, damit der Verkehr seinen Beitrag zur Qualitätsverbesserung leistet. Andererseits besteht die Notwendigkeit und auch das individuelle Bedürfnis, eine hohe Mobilität von Personen und Gütern in Zukunft zu gewährleisten. Das Projekt „Verkehrsentwicklung und Umwelt“ hat sich der Frage gewidmet, mit welchen Wirkungen bei der Umsetzung verschiedener Maßnahmenbündel zu rechnen ist.
iv7120049
Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 49 Verkehrsentwicklung MOBILITÄT Verkehr und seine Umweltwirkungen Szenarien für Deutschland 2040 Mobilitätsszenarien Deutschland, Verkehrsleistung, Verkehr und Klima, Verkehr und Luftschadstoffe Der mögliche Wandel der Mobilität in Deutschland steht derzeit im Fokus. Sowohl im Hinblick auf das Verkehrsaufkommen und lokale Luftqualität als auch im Hinblick auf den Klimaschutz sind weitreichende Änderungen notwendig, damit der Verkehr seinen Beitrag zur Qualitätsverbesserung leistet. Andererseits besteht die Notwendigkeit und auch das individuelle Bedürfnis, eine hohe Mobilität von Personen und Gütern in Zukunft zu gewährleisten. Das Projekt „Verkehrsentwicklung und Umwelt“ hat sich der Frage gewidmet, mit welchen Wirkungen bei der Umsetzung verschiedener Maßnahmenbündel zu rechnen ist. Stefan Seum, Christian Winkler, Tobias Kuhnimhof, Simone Ehrenberger M it dem aktuellen Klimaschutzabkommen und dem Ziel, den CO 2 -Ausstoß global so weit zu senken, dass eine Erderwärmung um mehr als 1,5 Grad verhindert wird, steigt auch der Handlungsdruck im Verkehrssektor in Deutschland. Dessen CO 2 -Emissionen sind, im Gegensatz zu den anderen Sektoren, seit 20 Jahren weitgehend unverändert (UBA 2018). Verschiedene Szenariostudien haben bereits untersucht, mit welchen Technologien und Entwicklungen gesetzte CO 2 -Minderungsziele erreichbar wären (z. B. BDI 2018, Öko- Institut 2016, WWF 2009). Solche Zielszenarien geben jedoch meist keine Auskunft darüber, wie realisierbare Maßnahmenbündel in der Praxis wirken. Hinzu kommt die Debatte um lokale Luftqualität, bei der der Verkehr ebenfalls im Fokus steht. Vor diesem Hintergrund setzte sich das Projekt „Verkehrsentwicklung und Umwelt“ (VEU) damit auseinander, welche Mobilitätsszenarien für Deutschland für das Jahr 2040 möglich sind. VEU entwickelte drei explorative Szenarien, bei denen insbesondere Konsistenz und Plausibilität der einzelnen Entwicklungsstränge berücksichtigt wurden: das Szenario „Referenz“, das Szenario „geregelter Ruck“ und das Szenario „freies Spiel“. Die drei Szenarien zeigen realistische Entwicklungspfade der Mobilität in Deutschland auf. Die Annahmen zur Bevölkerungsentwicklung (bis 2040 leichte Abnahme auf 77 Millionen Einwohner) und zur wirtschaftlichen Entwicklung (mit +1,14 % p. a. moderat wachsendes Bruttoinlandsprodukt bis 2040) sind in allen drei Szenarien identisch und stimmen mit den Annahmen für die Verkehrsprognose des Bundes bis 2030 überein (BMVi 2014). Die Szenarien unterscheiden sich im Hinblick auf weitere externe nationale und globale Rahmenbedingungen mit Einfluss auf den Verkehrssektor, z.B. Ambitionen bei der Einhaltung internationaler Abkommen. Zudem unterscheiden sich die Szenarien durch verkehrsrelevante Maßnahmenbündel, die zu den jeweiligen szenariospezifischen Kontextentwicklungen passen (Seum et al. 2017a und 2017b). Die Erstellung der VEU-Szenarien kombinierte qualitative Szenariotechnik mit einer umfangreichen quantitativen Modellkette (Bild 1). Der qualitative Teil umfasste Expertenworkshops zur Ausarbeitung der Szenarioparameter sowie eine Cross-Impact-Analyse zur Bündelung konsistenter Entwicklungen in Szenario-Storylines. Diese lieferten die Grundlage zur Festlegung quantitativer Modelleingangsparameter, die anschließend in die Verkehrs-, Technologie- und Energiesystementwicklung einflossen. Für die Modellierungen kamen die Modelle DEMO für die Verkehrsleistung des Bild 1: Schematische Darstellung der Modellkette des VEU Projektes Grafiken: Autoren Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 50 MOBILITÄT Verkehrsentwicklung Personen- und Güterverkehrs, VECTOR21 für die Fahrzeugtechnologieentwicklung und MESAP/ PlaNet für das Energiesystem zum Einsatz. Anschließend wurden die Luftqualitätsauswirkungen mit dem Modell SMOKE-EU und die Klimawirkungen mit den Modellen TransCLIM und EMAC berechnet. Auf dieser Grundlage konnte die Wirkung der Maßnahmenbündel auf Verkehr, Luftqualität und Klima modelliert und bewertet werden. Die Annahmen zu den Rahmenbedingungen in den Szenarien entstanden in den Jahren 2015 bis 2016 und spiegeln entsprechend den zu diesem Zeitpunkt absehbaren Stand von Entwicklungen. Der vorliegende Beitrag skizziert die Szenarien, stellt die Ergebnisse der Modellrechnungen vor und interpretiert die Ergebnisse. Die drei Bilder der VEU-Szenarien Im Szenario „Referenz“ wird eine Fortführung bereits eingeleiteter Trends und Entwicklungen abgebildet. Die Eingriffe und Veränderungen sind moderat. So werden beispielsweise die CO 2 -Flottengrenzwerte bis 2040 auf 65 g/ km verschärft. Die Entwicklung der Energiewende folgt den sich abzeichnenden Trends und 2040 haben erneuerbaren Energiequellen einen Anteil von 60 % am Strommix. Das Szenario „freies Spiel“ bettet sich in eine mehr am wirtschaftlichen Wettbewerb orientierte globale Ordnung ein, in der nationale Interessen stärker in den Vordergrund rücken. Es besteht ein breiter gesellschaftlicher Konsens, dass ökonomische Stärke und die Entwicklungen nach Marktkräften die beste Antwort auf globale Herausforderungen sind. Entsprechend zieht sich der Staat als regulierender Akteur zurück. So werden im „freien Spiel“ die CO 2 - Flotten-Grenzwerte auf dem 2020er Niveau von 95 g/ km belassen. Aufgrund der wettbewerblichen Position erreichen erneuerbare Energien nur 40 % des Strommix. Im Szenario „geregelter Ruck“ ist der globale Kontext deutlich kooperativer. Es kommt zu internationalen Vereinbarungen und mehr Zusammenarbeit zum Lösen großer Herausforderungen. Es besteht ein breiter Konsens, dass strengere Regeln kombiniert mit Förderungen und Investitionen in bestimmte Technologien am besten geeignet sind, um den Verkehrssektor umweltfreundlicher und weniger abhängig von fossilen Energiequellen zu gestalten. Neben der Förderung nichtmotorisierter Verkehre wird hier der CO 2 -Flottengrenzwert auf 45 g/ km verschärft und die Energiewende deutlich vorangebracht. 2040 werden ca. 80 % der elektrischen Energie aus erneuerbaren Quellen erzeugt. Die Folgen der Szenarien für Verkehr und Umwelt Verkehrsnachfrage Die maßgeblichen Steuerungselemente für die Verkehrsnachfrage sind Investitionen in Infrastrukturen sowie ordnungspolitische Eingriffe, insbesondere in urbanen Räumen. Investitionen in den öffentlichen Personenverkehr und den schienengebundenen Güterverkehr wirken sich auf die Geschwindigkeiten und die Preise dieser Optionen aus. Zusätzliche ordnungspolitische Eingriffe wie striktere Geschwindigkeitsbeschränkungen, Parkraumbewirtschaftung, Energiesteuern und Nutzungsgebühren wirken parallel auf die individuelle PKW- Nutzung. Die Tabellen des Beitrags geben einen Überblick über die Modellergebnisse zur Verkehrsleistung in den drei Szenarien. Auffällig ist, dass die Gesamtpersonenverkehrsleistung (Tabelle 1) in den Szenarien „Referenz“ und „freies Spiel“ deutlich zunimmt, während sie im Szenario „geregelter Ruck“ stagniert. Darüber hinaus kommt es zu Verlagerungseffekten: im „freien Spiel“ hin zum Automobil und im „geregelten Ruck“ Szenario sehr deutlich hin zu öffentlichen Verkehren sowie Fuß und Radverkehren. Die PKW-Nutzung nimmt im „geregelten Ruck“ um fast 10 % ab. In Bezug auf die Güterverkehrsleistung weisen alle drei Szenarien einen deutlichen Anstieg von über 50 % bis 2040 gegenüber 2010 auf (Tabelle 2). Auch im Güterverkehr zeigt sich im Szenario „geregelter Ruck“ eine deutliche Verlagerung auf den Schienengüterverkehr, der sich mit 92 % Wachstum fast verdoppelt, während der Straßen- Basis 2010 2030 2040 Veränderung 2040 gg. 2010 Referenz Szenario Fuß & Rad 67.874 68.659 68.516 0,9 % PKW 923.366 1.001.071 1.015.195 9,9 % Car-Sharing - - ÖV 154.027 164.482 167.570 8,8 % Summe 1.145.268 1.234.212 1.251.282 9,3 % Freies Spiel Szenario Fuß & Rad 65.798 64.522 -4,9 % PKW 1.033.473 1.034.983 12,1 % Car-Sharing - - ÖV 148.587 144.759 -6,0 % Summe 1.145.268 1.247.857 1.244.264 8,6 % Geregelter Ruck Szenario Fuß & Rad 77.608 77.051 13,5 % PKW 878.960 837.862 -9,3 % Car-Sharing 7.499 11.338 NA ÖV 213.340 226.748 47,2 % Summe 1.145.268 1.177.407 1.152.998 0,7 % Tabelle 1: Entwicklung der Personenverkehrsleistung in den VEU Szenarien (Millionen Personen-km) Basis 2010 2030 2040 Veränderung 2040 gg. 2010 Referenz Szenario LKW 437.841 602.012 695.191 58,8 % Bahn 107.600 139.200 146.900 36,5 % Binnenschiff 62.300 74.500 79.800 28,1 % Summe 607.741 815.712 921.891 51,7 % Freies Spiel Szenario LKW 607.301 697.358 59,3 % Bahn 139.700 151.000 40,3 % Binnenschiff 80.400 86.800 39,3 % Summe 607.741 827.401 935.158 53,9 % Geregelter Ruck Szenario LKW 580.333 649.377 48,3 % Bahn 182.900 206.300 91,7 % Binnenschiff 77.500 79.200 27,1 % Summe 607.741 840.733 934.877 53,8 % Tabelle 2: Entwicklung der Güterverkehrsleistung in den Szenarien (Millionen Tonnen-km) Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 51 Verkehrsentwicklung MOBILITÄT güterverkehr hier mit 48 % am schwächsten wächst. Das Fazit der Verkehrsnachfrage: Auf den Fernstraßen wird es voller und zwar in allen Szenarien. Dies ist maßgeblich dem weiter stark wachsenden LKW-Verkehren geschuldet. In den Szenarien „Referenz“ und „freies Spiel“ wachsen zudem alle PKW- Verkehre weiter an, was insbesondere durch eine deutliche Zunahme des Personenwirtschaftsverkehrs begründet ist. Lediglich das Szenario „geregelter Ruck“ verzeichnet einen spürbaren Umstieg auf den öffentlichen Personenverkehr (ÖV). Hintergrund dieser Verkehrsverlagerung sind deutliche Qualitätsverbesserungen (Takt, Geschwindigkeit, Komfort) und eine günstige Entwicklung- der Nutzerkosten im ÖV im Vergleich zum PKW. Fahrzeugtechnologie, Luftschadstoff- und CO 2 -Emissionen Die maßgeblichen Treiber der technologischen Entwicklungen bei den Kraftfahrzeugen sind die Flottengrenzwerte der Europäischen Union für CO 2 , die Entwicklung der EURO Emissionsnormen, Kostendegressionen durch technologische Lernkurven, Ladeinfrastrukturen sowie Energiesteuern. In allen drei Szenarien gewinnen zunächst Hybrid-Antriebe (ohne externe elektrische Ladeoption) gegenüber den konventionellen Verbrennungsmotoren und insbesondere dem Diesel-PKW an Bedeutung. Eine ähnliche Entwicklung gilt für Nutzfahrzeuge. In den Szenarien „Referenz“ und „geregelter Ruck“ nehmen zudem die Plug- In-Hybride deutlich zu. Im Szenario „geregelter Ruck“ gibt es ab 2025 einen nennenswerten Bestand an batterieelektrischen Fahrzeugen und ab 2035 auch einige Brennstoffzellenfahrzeuge. Durch die sukzessive Erneuerung der Fahrzeuge erfüllen 2040 fast alle konventionellen Antriebe die EURO 6-Abgasnormen. Die direkten Emissionen des PKW-Bestandes sind einerseits durch die Fortschritte in den Abgasreinigungen höherer EURO- Normen und andererseits durch den Anteil von elektrisch gefahrenen Kilometern bestimmt. Von 2010 ausgehend zeigen unsere Modellrechnungen deutliche Rückgänge der Stickoxide (NO x ) und der Partikelemissionen (PM) und zwar in allen Szenarien (Bild 2). Dabei sind im Jahr 2040 die PKW- Emissionswerte des Bestandes für NO x und PM in den Szenarien „Referenz“ und „freies Spiel“ jedoch immer noch etwa doppelt so hoch wie im Szenario „geregelter Ruck“. Insgesamt liegen die über alle PKW gemittelten NO x -Emissionen 2040 zwischen 84 % und 93 % unter denen von 2010, als noch EURO 3- und EURO 4-Motortechnologien 0 0,05 0,1 0,15 0,2 0,25 0,3 0,35 0,4 0,45 2010 2020 2030 2040 g NOx/ PKW -km Ø PKW Referenz Ø PKW geregelter Ruck Ø PKW freies Spiel Bild 2: Entwicklung der Stickstoffoxid Emissionen von PKW, gemittelt über den Technollogiemix des jeweiligen Bestandes in den drei Szenarien. Als Referenz: Der NO x -Grenzwert für EURO 4- Diesel liegt bei 0,25 g/ km und für Benzin bei 0,08 g/ km. Für EURO 6-Diesel ist dieser 0,08 g/ km und für EURO 6-Benzin 0,06 g/ km. Basis 2010 2030 2040 Veränderung 2040 gg. 2010 Referenz-Szenario PV-Benzin 360,0 374,7 390,2 8,4 % PV-Diesel 259,7 280,6 226,7 -12,7 % PV-Gas 0,2 5,7 4,2 PV-Strom - 30,6 74,4 PV-H 2 - - - GV-Diesel 101,7 163,0 173,2 70,3 % GV-Gas - 6,7 7,2 GV-Strom - 12,5 23,8 GV-H 2 - - - Summe 721,6 873,8 899,7 24,7 % Szenario Freies Spiel PV-Benzin 398,2 500,0 38,9 % PV-Diesel 295,2 197,5 -24,0 % PV-Gas 7,4 8,9 PV-Strom 5,3 0,6 PV-H 2 - - GV-Diesel 131,4 105,4 3,7 % GV-Gas 38,5 73,6 GV-Strom 6,1 14,4 GV-H 2 - - - Summe 721,6 882,1 900,4 24,8 % Szenario Geregelter Ruck PV-Benzin 372,6 325,8 -9,5 % PV-Diesel 146,0 62,4 -76,0 % PV-Gas 6,0 4,9 PV-Strom 30,3 159,8 PV-H 2 1,6 12,3 GV-Diesel 139,4 88,3 -13,2 % GV-Gas 13,4 7,1 GV-Strom 30,3 102,3 GV-H 2 0,2 2,9 Summe 721,6 739,7 765,7 6,1 % Tabelle 3: Entwicklung der Fahrleistungen PKW und LKW nach Energieträgern (Milliarden Fahrzeugkm). PV = Personenverkehr, GV = Güterverkehr Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 52 MOBILITÄT Verkehrsentwicklung dominierten. Das Fazit bezüglich der direkten Luftschadstoffe ist, dass die heute im Vordergrund stehende Problematik der NO x , für die kurzfristig Lösungen gefunden werden müssen, schon in wenigen Jahren szenariounabhängig ihre Dringlichkeit verlieren wird. Im Hinblick auf die Faktoren, die die Kohlendioxidemissionen (CO 2 ) des Verkehrs bestimmen, gibt es relevante Unterschiede zwischen den drei Szenarien. Hier spielt der Anteil der Fahrleistungen nach Antriebsarten (Tabelle 3) eine Rolle und inwieweit Strom aus dem Stromnetz zur Bewältigung der elektrischen Fahrleistung genutzt wird. In allen Szenarien gibt es eine Abnahme der Diesel-PKW-Kilometer. Am deutlichsten ist diese Abnahme im Szenario „geregelter Ruck“, in dem auch die benzinbetriebene Fahrleistung von PKW deutlich zurückgeht. Hier machen die auf Strom aus dem Stromnetz basierenden Fahrleistungen 28 % aus. In diesem Szenario gehen auch im Güterverkehr die dieselbetriebenen Fahrleistungen zurück. Für die CO 2 -Reduzierung durch Elektrifizierung ist der Strommix entscheidend. Aus den unterschiedlichen Entwicklungen im Strommarkt ergibt sich, dass im Szenario „freies Spiel“ ein elektrisch zurückgelegter PKW-Kilometer etwa 140 g CO 2 an Vorketten-Emissionen aufweist. Auch im Szenario „Referenz“ hat die Elektromobilität mit 87 g CO 2 / km nur einen geringen CO 2 -Vorteil gegenüber konventionellen Antrieben. Lediglich im „geregelten Ruck“ reduziert das elektrische Fahren, aufgrund von fast 80 % erneuerbaren Stroms, mit nur 25 g CO 2 / km die Treibhausgasbilanz. Auch bei den CO 2 -Emissionen des ÖV gibt es eine große Bandbreite. Während im „freien Spiel“ Szenario ca. 55 g CO 2 pro Passagier-Kilometer emittiert werden, sind es in der Referenz 37 g und im „geregelten Ruck“ Szenario lediglich 16 g CO 2 pro Passagier-Kilometer. Ursächlich sind hier ebenfalls technische Effizienzsteigerungen im ÖV, aber auch organisatorische Aspekte sowie vor allem die Auslastung spielen eine Rolle. Dennoch bleibt in allen drei Szenarien der Personentransport im ÖV CO 2 -effizienter als die Fahrt im individuellen PKW. Im „geregelten Ruck“ kommt noch eine weitere Technik zum Einsatz: der Oberleitungs-LKW auf allen Hauptrouten der Autobahnen in Deutschland. Diese Maßnahme steht stellvertretend für die direkte Elektrifizierung der Güterverkehre (GV). Dies kann entweder durch die Verlagerung der GV auf die Schiene oder die Elektrifizierung der LKW-Fernstrecken erfolgen. Beides erfordert massive Investitionen in die Infrastruktur und auch regulative Eingriffe, die beispielsweise fossiles Fahren auf langen Distanzen dann verbieten. Im Fazit zeigen die Modellierungsergebnisse der drei Szenarien einen Rückgang der CO 2 -Emissionen des Verkehrs (Bild 3). Alle drei Szenarien verfehlen jedoch die für 2030 gesteckten Klimaschutzziele der Bundesregierung. Lediglich das Szenario „geregelter Ruck“ erreicht - wenn auch verzögert - dieses Klimaschutzziel. Bedingung hierfür ist ein deutlicher Zuwachs elektrischer Fahrleistungen, kombiniert mit dem Rückgang der Kohleverstromung und dem Gelingen der Energiewende. Zusammenfassung Im Projekt Verkehrsentwicklung und Umwelt (VEU) wurden drei mögliche zukünftige Mobilitätsszenarien mit Hilfe einer umfangreichen Modellkette untersucht. Insgesamt verdeutlichen die Szenarien, dass auch in Zukunft weiteres Verkehrswachstum technische Effizienzgewinne zu kompensieren droht, so dass im Hinblick auf die Umweltbelastung des Verkehrs nicht die erhofften großen Fortschritte eintreten. Dies gilt grundsätzlich sowohl für den Personenals auch für den Güterverkehr. Lediglich im Szenario „geregelter Ruck“ führen recht massive Eingriffe in die Kosten und Nutzerfreundlichkeit des PKW, gepaart mit deutlichem Ausbau des öffentlichen Verkehrs, zu einer Reduzierung der PKW-Verkehre. Was die Luftqualität angeht, ist in den nächsten Dekaden, insbesondere zwischen 2020 und 2030, mit einer deutlichen Verringerung der direkten Emissionen, einschließlich der NO x -Emissionen, zu rechnen. Die Abnahme der Partikelbelastung wird deutlich geringer ausfallen, da Abriebsemissionen und Aufwirbelungen weiterhin ein Thema bleiben. Die Reduzierung verkehrsbedingter Klimagase erfordert neben einer Verlagerung der Verkehre auf die Schiene eine Abkehr sowohl von fossilen flüssigen Kraftstoffen als auch von der Verstromung von Kohle. Unter solchen Rahmenbedingungen kann die Elektrifizierung der individuellen Mobilität maßgeblich zu einer Dekarbonisierung des Verkehrs beitragen. ■ Bild 3: Bilanz der Treibhausgasemissionen als CO 2 -Äquivalente für das Basisjahr 2010 sowie für die Jahre 2030 und 2040 für die drei Szenarien. Die Emissionen PKW, ÖPV und GV zählen nach Kyoto-Protokoll zu den Verkehrsemissionen. Raffinerie Emissionen und Emissionen der Stromerzeugung sind anderen Sektoren zugeordnet. Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 53 Verkehrsentwicklung MOBILITÄT DANKSAGUNG Das Projekt Verkehrsentwicklung und Umwelt war ein DLR-Verbund- Projekt, an dem insgesamt über 60 Wissenschaftler in 12 Forschungsinstituten beteiligt waren. Besonderer Dank im Rahmen der vorgestellten Ergebnisse gilt hierbei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der DLR- Institute für Fahrzeugkonzepte, für Flughafenwesen und Luftverkehr, für Physik der Atmosphäre, für Technische Thermodynamik, für Verkehrsforschung, für Verkehrssystemtechnik, sowie dem Zentrum für Material und Küstenforschung am Helmholtz-Zentrum Geesthacht, die an dem Gelingen der Szenario-Rechnungen beteiligt waren. https: / / verkehrsforschung.dlr.de/ de/ projekte/ veu LITERATUR BDI (2018): Klimapfade für Deutschland. Studie der Boston Consulting Group (BCG) und Prognos im Auftrag des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). BMVI (2013): Analyse aktueller Szenarien zur Entwicklung des Verkehrs in Deutschland und dessen Umweltwirkungen. Authors: Dünnebeil, F; Lambrecht, U.; Goletz, M.; Zittel, W.; Schmidt, P.; Müller-Langer, F.; Naumann, K.(2013): Kurzstudie im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtenwicklung (BMVBS). Leipzig, September 2013. BMVI (2014): Verkehrsverflechtungsprognose 2030. Schlussbericht. Verkehrsverflechtungsprognose 2030, Los 3: Erstellung der Prognose der deutschlandweiten Verkehrsverflechtungen unter Berücksichtigung des Luftverkehrs. Intraplan Consult GmbH und BVU Beratergruppe Verkehr + Umwelt GmbH im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. 11. Juni 2014. Öko-Institut (2016): Renewbility III: Optionen einer Dekarbonisierung des Verkehrssektors. Study on behalf of the Federal Ministry for the Environment, Nature Conservation, Building and Nuclear Safety in cooperation with DLR, IFEU and Infras. http: / / www.renewbility.de/ downloads/ Seum, S., Goletz, M., Kuhnimhof, T. (2017a): Verkehrssystemforschung am DLR - Mobil in Deutschland 2040. Teil 1: Der methodische Szenario- Ansatz im Projekt Verkehrsentwicklung und Umwelt. In: Internationales Verkehrswesen (69) 1, 2017, S. 60-63. Seum, S., Goletz, M., Kuhnimhof, T. (2017b): Verkehrssystemforschung am DLR - Mobil in Deutschland 2040. Teil 2: Die Szenarien des VEU- Projekts. In: Internationales Verkehrswesen (69) 2, 2017, S. 78-81. UBA (2018): Klimabilanz 2017: Emissionen gehen leicht zurück. Pressemitteilung 08/ 2018. https: / / www.umweltbundesamt.de/ presse/ pressemitteilungen/ klimabilanz-2017-emissionen-gehen-leichtzurueck WWF (2009): Modell Deutschland, Klimaschutz bis 2050: vom Ziel her denken. In cooperation with Öko-Institut e.V. and Prognos AG. Simone Ehrenberger, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Institut für Fahrzeugkonzepte, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR), Suttgart simone.ehrenberger@dlr.de Stefan Seum, Projektleiter Verkehrsentwicklung und Umwelt, Institut für Verkehrsforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR), Berlin stefan.seum@dlr.de Tobias Kuhnimhof, Abteilungsleiter Personenverkehr, Institut für Verkehrsforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR), Berlin. Derzeit: Institut für Stadtbauwesen und Stadtverkehr, RWTH Aachen kuhnimhof@isb.rwth-aachen.de Christian Winkler, Gruppenleiter Verkehrsmodellierung, Institut für Verkehrsforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR), Berlin christian.winkler@dlr.de WISSEN FÜR DIE STADT VON MORGEN Digitalisierung versus Lebensqualität Big Data | Green Digital Charter | Kritische Infrastrukturen | Privatheit | Sharing-Systeme 1 · 2016 Was macht Städte smart? URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Mit veränderten Bedingungen leben Hochwasserschutz und Hitzevorsorge | Gewässer in der Stadt | Gründach als urbane Klimaanlage |Baubotanik 1 · 2017 Stadtklima URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Lebensmittel und Naturelement Daseinsvorsorge | Hochwasserschutz | Smarte Infrastrukturen | Regenwassermanagement 2 · 2016 Wasser in der Stadt URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Verbrauchen · Sparen · Erzeugen · Verteilen Energiewende = Wärmewende | Speicher | Geothermie | Tarifmodelle | Flexible Netze | Elektromobilität 2 · 2017 Stadt und Energie URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Erlebnisraum - oder Ort zum Anbau von Obst und Gemüse Urban Farming | Dach- und Fassadenbegrünung | Grüne Gleise | Parkgewässer im Klimawandel 3 · 2016 Urbanes Grün URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Die Lebensadern der Stadt - t für die Zukunft? Rohrnetze: von Bestandserhaltung bis Digitalisierung | Funktionen von Bahnhöfen | Kritische Infrastrukturen 4 · 2016 Städtische Infrastrukturen URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Die Vielschichtigkeit von Informationsströmen Smart Cities | Automatisierung | Mobilfunk | Urbane Mobilität | Datenmanagement | Krisenkommunikation 3 · 2017 Urbane Kommunikation URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Angri ssicherheit · Betriebssicherheit · gefühlte Sicherheit IT-Security | Kritische Infrastrukturen | Notfallkommunikation | Kaskadene ekte | Vulnerabilität | Resilienz 4 · 2017 Sicherheit im Stadtraum URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Was macht Städte smart? Soft Data | IT-Security | Klimaresilienz | Energieplanung | Emotionen | Human Smart City | Megatrends 1 · 2018 Die intelligente Stadt URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Energie, Wasser und Mobilität für urbane Regionen Mieterstrom | Solarkataster | Wärmewende | Regenwassermanagement | Abwasserbehandlung | Mobility as a Service 2 · 2018 Versorgung von Städten URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Zunehmende Verdichtung und konkurrierende Nutzungen Straßenraumgestaltung | Spielraum in Städten | Grüne Infrastruktur | Dach- und Fassadenbegrünung | Stadtnatur 3 · 2018 Urbane Räume und Flächen URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Das technisch-wissenschaftliche Fachmagazin zum urbanen Wandel www.transforming-cities.de Eigenanzeige 0,5 quer.indd 1 28.08.2018 10: 30: 32
