eJournals Internationales Verkehrswesen 71/2

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2019-0046
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2019
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Smartphone-Applikaton als Mobilitätsbegleiter

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2019
Marcel Kalisch
Bernhard Rüger
Helmut Lemmerer
Menschen mit physischen oder kognitiven Einschränkungen sind in ihrer Alltagsmobilität aufgrund unterschiedlicher Unterstützungsmaßnahmen in der Regel gut organisiert. Abseits alltäglicher und routinierter Wege treten jedoch häufig Schwierigkeiten auf, die die Mobilität erschweren oder unmöglich machen. Im Rahmen eines Forschungsprojektes lag ein wesentlicher Fokus darauf, Anforderungen und Bedürfnisse sowie die Akzeptanz unter der Verwendung einer Smartphone-Applikation tiefgründig zu analysieren. Auf deren Grundlage konnte eine Umsetzungsempfehlung des Kommunikationstools erarbeitet werden.
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Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 86 TECHNOLOGIE Wissenschaft Smartphone-Applikation als-Mobilitätsbegleiter Möglichkeiten und Grenzen von Smartphone- Applikationen zur Unterstützung von Nicht-Routine-Wegen Digitalisierung, Applikation, Anforderungen, Bedürfnisse, Mobilitätseinschränkung, Usability Menschen mit physischen oder kognitiven Einschränkungen sind in ihrer Alltagsmobilität aufgrund unterschiedlicher Unterstützungsmaßnahmen in der Regel gut organisiert. Abseits alltäglicher und routinierter Wege treten jedoch häufig Schwierigkeiten auf, die die Mobilität erschweren oder unmöglich machen. Im Rahmen eines Forschungsprojektes lag ein wesentlicher Fokus darauf, Anforderungen und Bedürfnisse sowie die Akzeptanz unter der Verwendung einer Smartphone-Applikation tiefgründig zu analysieren. Auf deren Grundlage konnte eine Umsetzungsempfehlung des Kommunikationstools erarbeitet werden. Marcel Kalisch, Bernhard Rüger, Helmut Lemmerer D er demografische Wandel steht als Begriff gegenwärtig stark im Diskurs, nicht nur hinsichtlich einer immer älter werdenden Gesellschaft, sondern auch in Hinblick einer Veränderung der Gesellschaftsstruktur und damit verbundenen Herausforderungen unterschiedlicher Politikfelder. Dieser demografische Wandel ist für eine moderne Gesellschaft nichts Ungewöhnliches, eher das Ergebnis gesellschaftlicher Umbrüche im räumlichen Kontext. Im Wesentlichen zu erkennen ist in der Gesellschaft eine zunehmende Anzahl von Menschen mit physischen und kognitiven Einschränkungen. Eine Zunahme, die sich vor allem an der Zahl der Menschen identifizieren lässt, welche in den nächsten Jahren und Jahrzehnten in ihrem Alltag auf Hilfe angewiesen sind - oder angewiesen sein werden. Abgesehen von der bereits vorhandenen Personengruppe mit physischen und kognitiven Einschränkungen - wie Menschen mit Hör- oder Seheinschränkungen, Menschen mit Geheinschränkungen, Menschen mit mangelnder Sprachund/ oder Lesekenntnis oder auch Familien mit kleinen Kindern - wird eine immer größer werdende Personengruppe von älteren Menschen Unterstützungen abseits alltäglicher und routinierter Wege benötigen. Eine Unterstützung, welches physisch und kognitiv eingeschränkten Menschen ein selbstbestimmtes Leben gewährleistet und ihnen eine bessere Lebensqualität sichert. Abgesehen von den unterstützenden Notwendigkeiten, sind zusätzlich sowohl ein barrierefreier Zugang und Nutzbarkeit von Infrastrukturen als auch der zur Verfügung stehenden Transportmittel von hoher Bedeutung. Allerdings können durch flächendeckende bauliche und informative Verbesserungsmaßnahmen nicht alle Probleme gelöst werden und ist eher von einem langfristigen Prozess geprägt. Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, Lösungen zu finden, die der zunehmenden Anzahl von Menschen mit physischen und kognitiven Einschränkungen die Mobilität abseits alltäglicher und routinierter Wege kurzfristig erleichtern und eine Teilnahme am gesellschaftlichen und sozialen Leben ermöglichen. Smarte Idee für mehr Lebensqualität Unter Berücksichtigung der geschilderten Zusammenhänge war das zentrale Ziel des Forschungsprojektes, einen Applikations-Prototypen für Smartphones zu entwickeln, welches das intermodale Mobilitätsverhalten von physisch und kognitiv eingeschränkten Menschen unterstützt - vor allem hinsichtlich jener Bereiche, in denen abseits der alltäglichen und routinierten Wege kurz- oder mittelfristig keine baulichen oder informativen Lösungen zu erwarten sind. Prinzipiell betrifft die Unterstützung von physisch und kognitiv eingeschränkten Menschen auf allen Wegen, deren Durchführung von der Bereitstellung von relevanten Informationen über den Zugang zu Infrastruktureinrichtungen sowie deren Nutzung bis hin zu physischen Unterstützungen erleichtert oder erst ermöglicht. Unter physischen Unterstützungen ist zum Beispiel die Begleitung von physisch und kognitiv eingeschränkten Menschen wie etwa bei Orientierungsschwierigkeiten oder die Unterstützung beim Gepäcktransport, wie der Transport von Einkäufen zu verstehen. Für eine prototypische Umsetzung der Smartphone-Applikation war es in Folge des Forschungsprojektes nicht nur wesentlich, die technischen, Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 87 Wissenschaft TECHNOLOGIE fortbewegungsartbezogenen und individuellen Aspekte der Mobilitätsbedürfnisse hinsichtlich auf Akzeptanz und Funktionsfähigkeit zu berücksichtigen. Darüber hinaus lag auch ein Interesse auf einer tiefgründigen Analyse von Interaktionen zwischen den verschiedenen Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmern sowie deren gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Demnach konnte davon ausgegangen werden, dass das Wissen um die generell strukturellen Bedürfnisse und Anforderungen der verschiedenen Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer helfen kann, eine gesonderte und somit effizientere Hilfestellung abseits der alltäglichen und routinierten Wege für physisch und kognitiv eingeschränkte Menschen zu leisten. Die Kenntnis über die Intensität zur Nutzung der prototypischen Smartphone-Applikation nahm ebenso einen hohen Stellenwert innerhalb des Forschungsprojektes ein. Entscheidend waren, abgesehen vom Interesse sowie der formulierten Zielsetzung, die direkten und indirekten Einflussfaktoren und die Auswirkungen der prototypischen Smartphone-Applikation auf die Qualität der Alltagsmobilität von Nicht-Routine-Wege. Ausfallsicherheit durch universelle Bedürfnisse Die zuvor dargestellte Konzeptidee mit ihren sich zum Teil kreuzenden Faktoren stehen in einem prekären Verhältnis zueinander. So finden sich vor allem zur Sicherung der Lebensqualität von physisch und kognitiv eingeschränkten Menschen Abhängigkeiten, welche zu berücksichtigen sind, wenn eine Smartphone-Applikation zur Unterstützung abseits alltäglicher und nicht routinierter Wege entwickelt werden soll. Damit die unterschiedlichen Lebensqualitäten von physisch und kognitiv eingeschränkten Menschen in Gänze berücksichtigt werden können, welche sich auf das unterschiedliche Mobilitätsverhalten abseits alltäglicher und nicht routinierter Wege stützen, wurden in einem ersten Schritt die Bedürfnisse von verschiedenen physisch und kognitiv eingeschränkten Menschen erhoben und bestehende Best-Practice-Beispiele analysiert. Dadurch war es möglich, alle erdenklichen Schwierigkeiten von Mobilitätsbedürfnissen zu untersuchen und mit den unterschiedlichen Abläufen bei alltäglichen und nicht alltäglichen Wegeketten zu überlagern (siehe Bild 1). Durch diese Herangehensweise konnten vorhandene Lücken sichtbar gemacht und in weiterer Folge definiert werden. In einem weiteren Schritt wurden internationale und nationale angebotene Dienstleistungen miteinander verglichen, die die definierten Lücken weitgehend schließen können - erhoben, bewertet und auf deren Umsetzung im nationalen Anwendungsbereich hin geprüft. Aus diesen Erkenntnissen konnte ein neuartiges Servicepaket entwickelt werden, das Verkehrsteilnehmerinnen Zu Hause Zu Hause Im Verkehrsmittel Apotheke Lebensmittelgeschäft • Informationen zur Assistenz • Öffnungszeiten • Notwendige Parkplätze • Verkehrsbehinderung • Zugang Barrierefrei? • Öffnungszeiten • Einnahmehinweis der Psychopharmaka verständlich? • Barrierefreier Ein-/ Ausstieg möglich? • Informationen zugänglich? • Informationen zum Ticketkauf? • Zugang Barrierefrei? • Öffnungszeiten • Information über Zustellservice und/ oder Lieferservice? • Informationen zur Assistenz • Öffnungszeiten • Notwendige Gepäckhilfe? • Nachträgliche Produkthilfe? Geschlossene Wegekette mit unterschiedlichen Aktivitäten Zu Hause Zu Hause Im Verkehrsmittel Lebensmittelgeschäft Lebensmittelgeschäft • Informationen zur Assistenz • Öffnungszeiten • Notwendige Parkplätze • Verkehrsbehinderung • Barrierefreier Ein-/ Ausstieg möglich? • Informationen zugänglich? • Informationen zum Ticketkauf? • Zugang Barrierefrei? • Öffnungszeiten • Information über Zustellservice und/ oder Lieferservice? • Informationen zur Assistenz • Öffnungszeiten • Notwendige Gepäckhilfe? • Nachträgliche Produkthilfe? Geschlossene Wegekette mit gleichen Aktivitäten • Zugang Barrierefrei? • Öffnungszeiten • Information über Zustellservice und/ oder Lieferservice? Zu Hause Medizinische Behandlungen • Informationen zur Assistenz • Öffnungszeiten • Notwendige Parkplätze • Verkehrsbehinderung • Barrierefreier Ein-/ Ausstieg möglich? • Informationen zugänglich? • Informationen zum Ticketkauf? • Barrierefreier Zugang • Öffnungszeiten • Lift vorhanden? • Formulare verständlich? Offene Wegekette der Weg wird unmittelbar nicht beendet Wegekette Im Verkehrsmittel Zu Hause • Informationen zur Assistenz • Öffnungszeiten • Notwendige Parkplätze • Verkehrsbehinderung • Barrierefreier Ein-/ Ausstieg möglich? • Informationen zugänglich? • Informationen zum Ticketkauf? Im Verkehrsmittel Geschlossene Wegekette mit wenigen Aktivitäten Zu Hause • Informationen zur Assistenz • Öffnungszeiten • Notwendige Gepäckhilfe? • Nachträgliche Produkthilfe? Vorbereitungsphase Nachbereitungsphase Wegephase Bild 1: Beispielhafte Darstellung der Wegekettenanalyse Alle Darstellungen: Autoren Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 88 TECHNOLOGIE Wissenschaft und Verkehrsteilnehmer mit physischen und kognitiven Einschränkungen helfen kann, Mobilitätsbarrieren abseits alltäglicher und nicht routinierter Wege zu überwinden. Das Servicepaket in Form einer Smartphone- Applikation basiert dabei auf einer internetgestützten Vermittlung von Menschen, die Dienstleistungen und Hilfestellungen benötigen und Menschen, die Dienstleistungen und Hilfestellungen anbieten können. Demnach kann das Servicepaket als eine Schnittstelle verstanden werden, welches nicht nur beide Gruppen vernetzt, sondern mit dessen Hilfe durch ein zentrales Portal differenziert werden kann, wer in welcher Form eine Dienstleistung oder Hilfestellung benötigt und wer in welcher Form Dienstleistungen sowie Hilfeleistungen anbieten kann. Eine für die Studie implementierte Informations- und Servicezentrale diente dabei zur Erfüllung von teilnehmerbezogenen Funktionen (wie z. B. das Verwalten von Helferinnen und Helfern sowie Nutzerinnen und Nutzern, Führen von Teilnehmerdaten, Kommunikationssteuerung in Form einer Kontrolle der Zugangs- und Abgangsprozedur) sowie dienstbezogenen Funktionen (wie z. B. das Abwickeln der Dienste, Einbringen oder Ändern von Diensten und Informationen, Verwalten von Diensten) des neu entwickelten Servicepakets. Der Zugang dazu kann über eine Smartphone-Applikation, oder im Hinblick auf die Bedürfnisse vieler älterer Menschen mittels Telefonanruf, erfolgen. Durch die Herangehensweise war es möglich, die Entwicklung und Programmierung der prototypischen Smartphone-Applikation mit umfangreichen qualitativen und quantitativen empirischen Erhebungsmethoden auf Fehler oder Probleme der Bedienbarkeit sowie der technischen organisatorischen Funktionalitäten zu analysieren. Eine empirische Analyse, in der die sozialen Beziehungen und Interaktionen von hilfesuchenden sowie von hilfeanbietenden Menschen in Form von Beobachtungen, Aufnahmen und Sicherung von interaktiven Statistiken innerhalb eines festgelegten Untersuchungsfeldes untersucht wurde. Des Weiteren wurden zahlreiche Interviews und Befragungen mit Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmern im Rahmen von Fokusgruppen durchgeführt, um weitere Ideen oder Anforderungen sichtbar zu machen. Die teilnehmenden Beobachtungen von Interaktionen innerhalb des prototypisch umgesetzten Gesamtsystems zwischen hilfesuchenden sowie hilfeanbietenden Menschen, wie sie unbeeinflusst von der Informations- und Servicezentrale durchgeführt wurden, liefert zudem einen Kernbestand der empirischen Erhebungsdaten. Die Relevanz dieses Wissens liegt in der Ableitung der durchgeführten erhobenen, strukturierten und abgebildeten Anforderungen der hilfesuchenden sowie hilfeanbietenden Menschen - die Art und Weise, der inhaltliche Aufbau der prototypischen Smartphone-Applikation und der Ort von hilfesuchenden und hilfeanbietenden Menschen galt es auf negative oder positive Einflüsse und deren Effekt zu evaluieren. Anforderungsanalyse als wesentliche Grundlage Anhand der Anforderungsanalyse wurde ersichtlich, dass die Smartphone-Applikation für alle physisch und kognitiv eingeschränkten Menschen keinen Ersatz für eine persönliche Assistenz bei der Bewältigung von Mobilitätsbedürfnissen darstellt. Zudem wurde explizit seitens der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmern darauf hingewiesen, dass sowohl die Webseite als auch die Smartphone-Applikation barrierefrei gestaltet sein sollte - dabei ist auf ausreichende Farbkontraste, vorhandene Skalierbarkeit der Darstellungen, das Hinzufügen von Textalternativen, vorhandene Navigationsunterstützungen sowie auf einen einfachen Satzbau zu achten. Damit weitgehend alle Nutzerinnen und Nutzer mit physischen und kognitiven Einschränkungen erreicht werden können, ist die Verfügbarkeit einer Smartphone-Applikation für verschiedene Betriebssysteme sicherzustellen - führend dabei sind Android von Google, iOS von Apple, aber auch die Betriebssysteme von Windows Phone sowie Blackberry OS sind nicht zu vernachlässigen. Prinzipiell sollte ein Zugang zum System nur registrierten Nutzerinnen und Nutzern ermöglicht werden, wobei der Registrierungsvorgang entweder online oder über die Informations- und Servicezentrale erfolgen soll sowie deren Identität zu verifizieren ist. Dabei sind grundsätzliche Basisdaten zur Person anzugeben - wie Name, Alter, Geschlecht, ein aktuelles Profil-Foto zur Erkennung, die Wohnadresse, Telefonnummer und E-Mailadresse. Durch eine detaillierte Liste sollte es möglich sein, eine Angabe tätigen zu können, welche physische oder kognitive Einschränkung(en) die hilfesuchenden Menschen haben oder welche Hilfeleistungen die hilfeanbietenden Menschen gewährleisten können. Darunter sollte zusätzlich auch eine Funktion berücksichtigt werden, die Ausschlussgründe vorsieht. Ausschlussgründe könnten zum Beispiel sein, dass nur hilfeanbietende Frauen gewünscht werden oder aber bestimmte Fähigkeiten und Kenntnisse für Hilfeleistungen Voraussetzung sind. Sollte eine Hilfeleistung als Buchungsvorgang in Auftrag gegeben werden, so sollte die Wartezeit nur maximal 10 bis 15 Minuten in Anspruch nehmen - was somit die Smartphone-Applikation zu einem kurzfristigen und spontanen System auslegt. Des Weiteren müssen beim Buchungsvorgang die grundsätzlichen Basisdaten der Hilfesuchenden sowie der Hilfeanbietenden, die physische und kognitive Einschränkungsart und die benötigte Hilfeleistung angezeigt werden. Entscheidend für ein Zustandekommen einer Hilfeleistung ist auch die Dauer und Art der Hilfeleistung sowie die Bekanntgabe eines Treffpunktes. Im Falle, dass in einem unmittelbaren Umfeld sich keine hilfeanbietenden Menschen befinden, soll es auch möglich sein, sich über die Informations- und Servicezentrale einen hilfeanbietenden Menschen vorschlagen zu lassen - den hilfesuchenden Menschen sollte es allerdings möglich sein, diesen nach eigenem Ermessen abzulehnen. Wie im Rahmen der Anforderungsanalyse festzustellen war, nimmt die Informations- und Servicezentrale im Gesamtsystem eine zentrale Rolle ein (siehe Bild 2). So soll es nicht nur möglich sein, Hilfesuchende und Hilfeanbietende zu vermitteln, sondern auch beim Registrierungsvorgang zu unterstützen oder Hilfeanbietende zu verifizieren und dadurch die Qualität und Sicherheit des Gesamtsystems zu erhöhen. Unverzichtbar ist die Informations- und Servicezentrale gerade auch für ältere Personen, welche eventuell kein Smartphone besitzen. Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 89 Wissenschaft TECHNOLOGIE Evaluierung für einen Zusammenhang zwischen Ziel und Zweck Eine Evaluierung der Gesamtkonzeptionierung stellt die tatsächlich erzielte Wirkung der prototypischen Smartphone-Applikation des Forschungsprojektes dar - und mit ihr in der Regel auch die möglichen Grenzen für eine Implementierung. Demnach wurde das prototypisch umgesetzte Gesamtsystem hinsichtlich der technischen als auch der organisatorischen Funktionalitäten sowie der Nutzerinnen- und Nutzerakzeptanz bewertet. Anhand der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmern konnte sichtbar gemacht werden, dass die Motivation zur Nutzung der Smartphone-Applikation sinkt, wenn bei Bedarf keine Hilfeleistung erfolgt oder bestätigte Anfragen kurzfristig in Summe storniert werden. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass es für einen lückenlosen Betrieb sowie eine akzeptable Wartezeit einer ausreichend hohen Anzahl an möglichen hilfeanbietenden Menschen bedarf und dadurch zusätzlich die Unsicherheiten gegenüber einer Nutzung der Smartphone-Applikation verringert werden. Abgesehen von der Unsicherheit war es den Studienteilnehmerinnen und -teilnehmern ebenso wichtig, dass zwischen den Hilfesuchenden und den Hilfeanbietenden im Vorfeld Vertrauen aufgebaut und gesteigert wird. Eine frühzeitige Vermittlung der Sicherheit ist vor allem für physisch und kognitiv eingeschränkte Menschen wichtig, welche zum Beispiel im Rahmen einer Einschulung nahgebracht werden kann. Eine Einschulung ist allerdings nicht nur für einen Aufbau von Vertrauen und Sicherheit notwendig, es bedarf auch einer Einschulung für Menschen mit geringer Smartphone-Affinität. Im Rahmen der Evaluierung hat sich gezeigt, dass vor allem zukünftige Betreiberinnen und Betreiber vor der Aufgabe stehen werden in Form von Workshops die Funktionalitäten, die Bedienung und allfällige Fragen zu erklären. Sicherheit und Vertrauen können zusätzlich durch einen Helferinnen- und Helferausweis erhöht werden, welcher entweder in Papierform oder in der Smartphone-Applikation integriert wird und bestehende Qualifikationen oder Fähigkeiten festgehalten werden. Die Smartphone-Applikation sollte als weitere Eigenschaft eine integrierte Chat-Funktion beinhalten, die es den Hilfesuchenden und Hilfeanbietenden ermöglicht, detailliertere Angaben zur benötigten Hilfeleistung, zum Standort oder zu Wartezeiten zu kommunizieren. Wobei sich die Wartezeit nicht vermeiden lassen wird - in den Usability-Testphasen hat sich gezeigt, dass die Hilfeanbietenden mindestens eine Vorlaufzeit von 10 bis 30 Minuten benötigen, um einer Hilfeanforderung nachzukommen, je nach den regionalspezifischen infrastrukturellen Gegebenheiten. Tendenziell werden allerdings eher 30 Minuten Vorlaufzeit benötigt. Die hilfesuchenden Menschen wünschten sich dagegen zwar mehr Spontanität und mehr Möglichkeiten einer kurzfristigen Hilfeleistung, dies wird sich allerdings nur umsetzen lassen, wenn es eine große Anzahl an hilfeanbietenden Menschen gibt und in der Smartphone-Applikation das Suchumfeld entsprechend geringgehalten wird. Damit Missverständnisse vermieden werden können, ist es eine kurzfristige Lösung, die verbleibende Wartezeit bis zur Hilfeleistung in Minuten durch einen Counter in der Smartphone-Applikation anzuzeigen oder durch eine Kalenderfunktion planbar zu gestalten, wodurch es ermöglich wird, benötigte Hilfeleistungen bereits im Vorhinein zu organisieren. Weiterhin muss angemerkt werden, dass sich die Smartphone-Applikation nicht für Notsituationen eignet und hier eher auf bewährte Alternativen zurückgegriffen werden sollte. In Sachen Anonymität war es im Rahmen Informations- und Servicezentrale Schnittstelle Webverbindung Applikationen Sprechverbindung Zugangsarten Digitale Informationssäule Smartphones SmartCard Computer Telefon Servicetelefon Anreizsysteme Geld Zeit (Arbeitszeit) Image Dienstleistungsaustausch Teil eines Ausbildungsprogrammes Freiwilligkeit Hilfeanbietende Menschen Fahrtendienste Öffentliche Einrichtungen Arbeitssuchende Menschen Organisationen/ Institutionen Zivildienst/ Bundesheer Freiwillige Informationen über Dienstleistungen Rechtliche Rahmenbedingungen Haftpflichtversicherung Datenschutz Sicherheitsvorschriften Informationen über Serciveleistungen Bild 2: Schematisierung der Informations- und Servicezentrale Internationales Verkehrswesen (71) 2 | 2019 90 TECHNOLOGIE Wissenschaft der Evaluierung gewünscht, in der Smartphone-Applikation nur die notwendigsten Daten darstellen zu lassen. Vorstellbar ist, auf eine Darstellung des vollständigen Namens in der Smartphone-Applikation zu verzichten und nur den Vornamen oder den Profilnamen anzeigen zu lassen. Im Umgang mit physisch und kognitiv eingeschränkten Menschen sind gewisse Kenntnisse notwendig, wie technische Kenntnisse zum Umgang mit einem Elektro-Rollstuhl oder mit bestimmten Einschränkungsarten. Es hat sich als notwendig herausgestellt, die Hilfeanbietenden durch Kurse oder Schulungen auszubilden und entsprechend auf künftige Hilfeleistungen vorzubereiten (siehe Bild 3). Aussicht auf Implementierung Es gilt in jedem Fall zu berücksichtigen, dass potentielle hilfeanbietende Menschen nicht als Vertreterinnen und Vertreter im Namen von Institutionen tätig sind - in diesem Fall also als Privatperson agieren. Eine Implementierung des Gesamtsystems für Betreibende des öffentlichen Verkehrs bedarf eines ganzheitlichen Geschäftsmodells und der Beachtung sämtlicher technischer und vor allem rechtlicher Bestimmungen der jeweiligen Institution. Aufgrund der unterschiedlichen Voraussetzungen und Bestimmungen in unterschiedlichen ÖV-Betreibenden Institutionen wird von einer solchen Implementierung abgesehen und ein eigenständiger Betrieb durch eine externe Organisation empfohlen. Für eine reale Implementierung des Gesamtsystems bedarf es außerdem weiterer Förderungen aus öffentlichen Förderprogrammen, speziell um die Entwicklungskosten abdecken zu können. ■ Zusammenarbeit von acht institutionellen Expertisen Im Rahmen der Forschungstätigkeiten haben folgende Institutionen maßgeblich an den Planungen und Durchführungen der empirischen Datenerhebung beigetragen: netwiss OG; Technische Universität Wien, Institut für Verkehrswissenschaften, Forschungsbereich Eisenbahnwesen, Verkehrswissenschaften und Seilbahnen; Technische Universität Wien, Institut für Verkehrswissenschaften, Forschungsbereich für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik; Wirtschaftsuniversität Wien, Institut für Transport und Logistik; Wiener Hilfswerk; equality; IT-eXperience Informationstechnologie GmbH; Vereinigung sehbehinderter Menschen Gefördert durch das Programm „Mobilität der Zukunft“ Das Forschungsprojekt konnte durch eine Förderung im Förderprogramm „Mobilität der Zukunft“ vom Bundesministerium für Verkehr, Technologie und Innovation sowie der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) durchgeführt werden. Bernhard Rüger, Dipl.-Ing., Dr. techn. Geschäftsführer der netwiss OG & Projektassistent an der Technischen Universität Wien; Institut für Verkehrswissenschaften; Forschungsbereich für Eisenbahnwesen, Verkehrswirtschaft und Seilbahnen bernhard.rueger@netwiss.at Helmut Lemmerer, M.Sc. Projektassistent an der Technischen Universität Wien; Institut für Verkehrswissenschaften; Forschungsbereich für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik helmut.lemmerer@tuwien.ac.at Marcel Kalisch, Dipl.-Ing., B.Sc. Projektassistent an der Technischen Universität Wien; Institut für Verkehrswissenschaften; Forschungsbereich für Eisenbahnwesen, Verkehrswirtschaft und Seilbahnen marcel.kalisch@tuwien.ac.at Ticket mit Hilfeanfrage erstellen Hilfeanfrage über die Smartphone-Applikation Hilfeanfrage über die Informations- und Servicezentrale Hilfeanfrage über Webfrontend Funktionalitäten Kontrolle und Aufnahme durch die bestehenden Funktionalitäten Unvollständig? ja nein Verteilung an aktive hilfeanbietende Menschen Annahme der Hilfeleistung? nein Mitteilung über nicht erfolgreiche Vermittlung Mitteilung über erfolgreiche Vermittlung Kontaktaufnahme und bilaterale Abstimmung Hilfestellung beim Ticketkauf Hilfestellung bei der Orientierung in der Umgebung Begleitung und Unterstützung bei Arztbesuch oder Behördenbesuch Art der Hilfeleistung ... Bestätigung der getätigten Hilfeleistung Ticket mit Hilfeanfrage schließen Erfolgreich? Bewertung der hilfeanbietenden und hilfesuchenden Menschen ja ja Feedback an die Informations- und Servicezentrale nein Gesamtsystem Bild 3: Designprozess der Smartphone-Applikation