eJournals Internationales Verkehrswesen 71/3

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2019-0049
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2019
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Immer wieder: Hoffnungsverkündungen der Verkehrspolitik

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Gerd Aberle
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Gerd Aberle KURZ + KRITISCH Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 11 Immer wieder: Hoffnungsverkündungen der-Verkehrspolitik D ie deutsche Verkehrspolitik ist einem Hoffnungsrausch erlegen, diesmal unter der Rubrik Dekarbonisierung des Verkehrs durch nachhaltige und hohe Zunahme des Marktanteils der Eisenbahn. Das gesamte Politikspektrum wird von Vorgaben zur Verdoppelung (! ) der Personenbeförderungen bis 2030 und des Modal Split im Güterverkehr von 18 auf 23 % (! ) dominiert. Von den anderen Verkehrsträgern im Landverkehr, etwa der Binnenschifffahrt und auch dem Straßengüterverkehr, wird kaum gesprochen. Und es wird der Eindruck erweckt, durch eine sehr starke Ausweitung der Finanzierung der Schieneninfrastruktur im Rahmen der 3. LuVF zwischen Bund und DB AG in Höhe von rd. 86 Mrd. EUR bis 2030 könne die Bahn den entscheidenden und klimapolitisch hochbedeutsamen Beitrag leisten. Ein verkehrspolitisch seit Jahren massiv geforderter Baustein in dieser Strategie ist der ab 2030 angekündigte Deutschlandtakt im Personenverkehr. Der allerdings ist nur realisierbar, wenn erhebliche Investitionen im Streckennetz und den Bahnknoten erfolgen, also Umsetzung der Investitionen des BVWP 2030. Dies aber sind wesentlich Aus- und Neubaumaßnahmen, für die Baurechte vorliegen müssen. Planfeststellungsverfahren beanspruchen in Deutschland Zeiträume von 15 bis 20 Jahren bis zum Baurecht. Auch die verstärkte Einführung von ECTS könnte zur Notwendigkeit neuer Planfeststellungsverfahren führen (höhere Zugzahlen, Lärmbelastungen). Weiterhin: Die gefeierten hohen Finanzmittelzuweisungen der LuFV 3 sind nur für Bestandsnetzmaßnahmen (Sanierungen, Ersatz) verwendbar, nicht jedoch für den dringenden Kapazitätsausbau der Schiene. Dieser ist unabdingbar, auch um die klimapolitischen Ziele der Bahnpolitik bis 2030/ 35 zu erreichen. Realistische Hoffnungen? Zur Erinnerung: Die deutsche Verkehrspolitik hat in den vergangenen 30 Jahren hinsichtlich des Kapazitätsausbaus wichtiger Bahnrelationen versagt, nicht nur bei den Zulaufstrecken für den fertiggestellten Gotthard-Tunnel und den im Bau befindlichen Brenner-Tunnel. Deutschland hat seit 20 Jahren die Ausbauverpflichtungen des Staatsvertrages mit der Schweiz nicht erfüllt (Streckenausbau Karlsruhe - Basel). Für den Zulauf Brennertunnel (Rosenheim - Kufstein) sind noch nicht einmal mögliche Plantrassen festgelegt. Da sind die aktuellen Selbstbelobigungen der Verkehrspolitik hinsichtlich ihrer Förderung der Schiene als Instrument der Klimapolitik mehr peinlich als überzeugend. Der weitere kapazitäts- und umweltpolitische Hoffnungsträger der Verkehrspolitik, die Binnenschifffahrt, leidet neben jahrzehntelangen Vernachlässigungen ihrer Wasserstraßeninfrastruktur zusätzlich unter klimatischen Folgeeffekten durch Niedrigwasserstände insbesondere des Rheins. Die Auswirkungen haben die wirtschaftliche, ja existenzielle Relevanz der Schifffahrt für bedeutsame Branchen (Chemie-, Stahl- und Mineralölindustrie) verdeutlicht. Der Masterplan Binnenschifffahrt sieht bis 2030 eine Steigerung ihres Marktanteils von 8 auf 12 % (! ) vor. Aber das setzt den Ausbau von Engstellen des Mittelrheins und Niederrheins voraus. Die Binnenschifffahrt ist seit Jahren ein geduldiger Verkehrsträger auch bei Nichterfüllung ihrer jahrzehntelangen Forderungen nach Kapazitätssteigerungen durch Anhebung von Brücken im Kanalgebiet, um 2-lagig Container fahren zu können, oder beim erforderlichen Zweitschleusenbau. Überhaupt: Die Leistungen des Binnenschifffahrtsgewerbes, das im Unterschied zur Bahn national und international von privaten Unternehmen mit hohem Kapitalrisiko betrieben wird, können sich verkehrspolitisch über lobende Reden hinsichtlich Schiffskapazitäten und guter Umweltstandards freuen. Finanzierungspolitisch sind sie im Infrastrukturbereich, verglichen mit der Bahn, fast eine Nullstelle. Der staatliche Aufwand zur Umsetzung der wichtigsten Infrastrukturmaßnahmen dürfte 500 Mio. EUR kaum überschreiten. Doch mangelnde Infrastrukturplanung, auch aufgrund von Personalengpässen in der Schifffahrtsverwaltung, Unterfinanzierung sowie die generelle Politikausrichtung am bahnpolitischen Hoffnungsszenario, erschweren optimistische Prognosen. Übrigens: Die Kunden der Schifffahrt sind mit deren Leistungen zufrieden, insbesondere im internationalen Verkehr. Bei der Bahn ist dies noch Hoffnung. Wie überhaupt der Qualitätsaspekt bei den massiven politischen Leistungsvorgaben für die Bahn, insbesondere im Personenverkehr, entweder nicht erwähnt oder verdrängt wird. Nicht jedoch vom Kunden. ■ Prof. Gerd Aberle zu Themen der Verkehrsbranche