Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2019-0056
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Alle Linien einer Landkarte selber zeichnen
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Ulrich Thüer
Ulrich Thüer lebt seit 2017 in Liberia und ist dort als Projektleiter bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) für den Aus- und Aufbau von Kapazitäten im Verkehrssektor verantwortlich. Im Gespräch mit den GIZ-Mitarbeitern Lea Königshofen und Daniel Bongart berichtet er von der Entscheidung, mit seiner Familie nach Westafrika zu ziehen.
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Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 34 INFRASTRUKTUR Interview Alle Linien einer Landkarte selber zeichnen Ulrich Thüer lebt seit 2017 in Liberia und ist dort als Projektleiter bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) für den Aus- und Aufbau von Kapazitäten im Verkehrssektor verantwortlich. Im Gespräch mit den GIZ-Mitarbeitern Lea Königshofen und Daniel Bongart berichtet er von der Entscheidung, mit seiner Familie nach Westafrika zu ziehen. Herr Thüer, Sie sind derzeit Projektleiter bei der GIZ in Liberia - wie ist Ihr Werdegang bislang? Seit fast zwei Jahren arbeite ich hier in Monrovia, der Hauptstadt des westafrikanischen Staates Liberia. Von Haus aus bin ich gelernter Straßenbaumeister und Ingenieur und habe lange Zeit im Straßen- und Landschaftsbaubetrieb meiner Eltern gearbeitet. 2008 habe ich den Betrieb dann verkauft und im Bereich der Unternehmensberatung zum ersten Mal komplett neu angefangen. 2017 war wieder Zeit für etwas Neues und ich bin nach Liberia gegangen. Wie sind Sie zu der Stelle in Liberia gekommen? Eigentlich bin ich nur zufällig auf die Stellenausschreibung gestoßen. Die Karriere- Plattform XING hatte mir die GIZ-Ausschreibung als „100%-Match“ vorgeschlagen, und darüber bin ich gewissermaßen gestolpert. In dem Bereich, aus dem ich komme, guckt man eigentlich nicht nach Stellenausschreibungen von der GIZ, generell nicht aus dem öffentlichen Dienst. Daher hat mich dieser Vorschlag stutzig gemacht. Ich habe die Anzeige meiner Frau gezeigt und die hat nur gelacht. Weil ich aber ein neugieriger Mensch bin, habe mich dann trotzdem mal gemeldet. Ich wollte wissen: Zwar erfülle ich alle fachlichen Anforderungen, habe aber keine langjährige Erfahrung in der Entwicklungszusammenarbeit - hätte ich denn überhaupt eine reale Chance? Die Antwort kam prompt und dann ging alles recht schnell. Ich habe meine Töchter gefragt - damals zwölf, neun und drei - ob sie sich einen Umzug nach Afrika vorstellen könnten, und die fanden das eine super Idee. Wie ist das, die Zelte hinter sich abzubrechen und nach Afrika zu ziehen? Es ist ein Bruch mit allem Gewohnten. Ich habe in meinem Leben nie Herausforderungen gemieden, aber hier habe ich definitiv eine besondere Herausforderung gefunden. Liberia ist das fünftärmste Land der Welt, man arbeitet in einem sehr fragilen Umfeld, die Partner sind im Umgang z.T. anspruchsvoll. Dafür kann man aber aktiv was bewegen, man sieht den Fortschritt deutlich. In der Organisationsentwicklung ist es in Liberia, wie wenn man mit einem weißen Blatt Papier anfängt und alle Linien einer Landkarte selber zeichnet. In Deutschland gibt es so etwas in keinem Umfeld mehr, da gibt es für alles bereits bestehende Strukturen und man kann höchstens kleine Linien revidieren. Außerdem kommen neben technischen und kaufmännischen Fragestellungen politische Überlegungen als dritte Dimension in jeder Aufgabenstellung dazu. Das ist spannend. Das Leben hat sich mit dem neuen Job radikal verändert. Wenn ich hier im Büro aus dem Fenster gucke, sehe ich Palmen und das Meer. An den Wochenenden gehe ich mit meinen Kindern am Strand statt im Wald spazieren. Unser nächster Ausflug wird zur Marshall Lagune sein, dort kann man wunderbar angeln - was mir in Deutschland im Traum nicht eingefallen wäre. Natürlich ist nicht alles paradiesisch, es gibt Kriminalität, man bekommt nicht immer alles im Supermarkt, was man will, die Infrastruktur ist schlecht. Das ist einfach Teil der Herausforderung. Inzwischen fühlt sich die Familie recht wohl hier, es gibt eine gute internationale Schule und gute private Kontakte vor allen in der internationalen Community. Was muss man für den Job als Projektleiter in Afrika mitbringen? Als Projektleiter bin ich Fachmann, Motivator, Koordinator, Administrator und Mana- „In der Organisationsentwicklung ist es in Liberia, wie wenn man mit einem weißen Blatt Papier anfängt und alle Linien einer Landkarte selber zeichnet.“ ©_GIZ Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 35 Interview INFRASTRUKTUR ger - alles zusammen eigentlich Anforderungen wie an den Geschäftsführer eines kleinen Unternehmens. Ich leite ein zwölfköpfiges GIZ-Team mit zusätzlich bis zu vier Consultants, bin in ständigem Austausch mit Ministerien, dem Bauunternehmerverband, Organisationen wie der EU oder USAID und sogar einem Pionierbataillon der liberianischen Armee. Das alles fordert natürlich. Ich habe aber festgestellt, dass man als Quereinsteiger ein unglaubliches Potential für einen solchen Job mitbringt. Ich schöpfe jeden Tag sowohl aus meiner technisch/ handwerklichen und kaufmännischen Berufserfahrung aus Geschäftsführung und Unternehmensberatung. Ohne meine bisherigen Berufserfahrungen könnte ich diese Stelle nicht ausfüllen. Das gute Angebot der GIZ an Vorbereitungskursen konnte ich leider aus Zeitmangel kaum wahrnehmen, interkulturelle Kommunikation halte ich für das fast wichtigste Thema der Vorbereitung. Menschen mit Erfahrung in Personalführung und Change-Management haben es sicher leichter. Also alles in Butter? Was man auf jeden Fall auch mitbringen sollte, ist eine gewisse Frustrationstoleranz. Die Kommunikation hier ist nicht immer einfach, die Liberianer nehmen Probleme oft anders wahr und man muss damit rechnen, dass Sachen auch mal nicht wie geplant funktionieren. Daher sind besonders Leute für solche Jobs geeignet, die schon einige Jahre Berufserfahrung haben, vielleicht wie ich selbstständig waren, und auch mit Rückschlägen umgehen können. Dazu sollte man ein positives Menschenbild haben, pragmatisch, neugierig und lernbereit sein. Dann ist man meiner Erfahrung nach eigentlich schon sehr gut vorbereitet. Welche Freiheiten haben Sie gewonnen, welche haben Sie eingebüßt? Der Wechsel aus der Privatwirtschaft hierher war eine Entscheidung aus dem Bauch heraus, keine strategische Überlegung. Aber der Schritt hat mir einiges an Freiheiten eingebracht. Neben finanzieller Sicherheit und festem Urlaubsanspruch - ich habe seit dem Studium nicht mehr so viel Urlaub gemacht - habe ich hier vor allem auch inhaltliche Freiheit. Die GIZ hat eine hohe Organisationsreife, für verschiedene Aufgaben stehen Experten zur Verfügung. Anders als in der Selbstständigkeit gibt es für fast jede Problemstellung einen Ansprechpartner und einen Standardprozess. Das gibt einem die Freiheit, stärker an den eigentlichen Arbeitsinhalten zu arbeiten. Natürlich ist man nach so einer Karriereentscheidung deutlich weniger in seinem gewohnten Umfeld in Deutschland, aber man gewinnt Kontakte zu interessanten Menschen aus der ganzen Welt dazu, und das ist definitiv eine Bereicherung. Ich wusste am Anfang nicht viel über das Land, eigentlich nur, dass bis vor gar nicht langer Zeit Bürgerkrieg herrschte, dass es Ebola gab und der Präsident mal Weltfußballer des Jahres 1995 war. Wenn man hier ist, lernt man ein Land mit durchaus schönen Ecken und liebenswerten Menschen kennen. War es also die richtige Entscheidung, für die GIZ nach Afrika zu gehen? Ja - auf jeden Fall! Veränderung war für mich schon immer spannend. Anders als in meiner bisherigen Berufstätigkeit ist das persönliche Risiko als Angestellter in einem Bundesunternehmen gering. Als Selbstständiger wäre das Risiko beruflicher Tätigkeit in Afrika zu groß. Die Tätigkeit für die GIZ ist also eine gute Kombi: eine persönliche Herausforderung bei gleichzeitig geringem wirtschaftlichen Risiko. Außerdem fühlt es sich gut an, für etwas zu arbeiten, wofür man sich nicht rechtfertigen muss. Der Gedanke, die Welt retten zu wollen, wäre naiv und würde zur Frustration führen, dafür ist der Fortschritt hier auch einfach zu langsam. Aber man kann definitiv Veränderung bewirken, und das ist ein gutes Gefühl. ■ www.giz.de 0 1/ 2 1 km 0 1/ 2 1 mi A T L A N T I C O C E A N M e s u r a d o R i v e r ATLANTIC OCEAN Balli Island Mamba Point Providence Island Front St. Tubman Avenue Chessman Ave. Payne Ave. Russel Ave. United Nations Dr. Benson St. Sekou Toure Ave. Broad St. Center St. 18th St. 9th St. Lynch St. Clay St. Randall St. Camp Johnson Capitol Hill Sinkor Matadi Congotown Larkpase Fiamah International Airport Payne Airport Terminal Zaire Embassy JFK Hospital Sierra Leone Embassy Ghanaian Embassy Executive Mansion United Kingdom Embassy UNDP Offices United States Embassy French Embassy Post Office Barclay Training Centre Stadium University of Liberia City Hall Guinean Embassy Cameroun Embassy Riverview Section Monrovia LIBERIA SIERRA LEONE GUINEA GHANA C TE DʼIVOIRE MONROVIA The boundaries and names shown and the designations used on this map do not imply official endorsement or acceptance by the United Nations. Map No. 3939 May 1996 Rd. T ubman Boulevard United Nations Dr. Ulrich Thüer und GIZ-Mitarbeiter: „Eigentlich Anforderungen wie an den Geschäftsführer eines kleinen Unternehmens.“ ©_GIZ Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 36 Fälschungen, Finanzwesen, Produktpiraterie, Technologie Die Blockchain-Technologie zieht auch in die chinesische Logistik ein: Alibaba und JD investieren große Summen in entsprechende Anwendungen. Neben Entwicklungen für den Finanz-, Gesundheits- und Lebensmittelbereich, soll die Technologie auch für mehr Transparenz in den Versorgungsketten sorgen und die Fälschung von Produkten verhindern. Chinas Präsident Xi Jinping bezeichnet die Blockchain- Technologie als Game Changer für die Wirtschaft. Dirk Ruppik B lockchain-Technologie findet nicht nur bei Krypto-Währungen, sondern zunehmend auch in der internationalen Logistik Anwendung [1]. Weltweit führend bei Blockchain- Patenten ist der chinesische Konzern Alibaba des Unternehmensgründers Jack Ma (Bild 1). Andere in der Blockchain-Technologie sehr aktive chinesische Konzerne sind JD, Tencent und Baidu. Die Zahl der Blockchain-Patente steigt generell rasant an. In 2016 wurden vergleichsweise nur 134 Patente in diesem Sektor verzeichnet; 2017 dagegen wurden global insgesamt 406 Patente in Bezug auf Blockchain veröffentlicht - darunter 43 von Alibaba und 68 der People’s Bank of China (PBOC): Thomson Reuters berichtet, dass 227 (56 %) der 406 Patente in China beantragt wurden [2], die USA waren nur für 89 Beantragungen (22 %) verantwortlich. Alibaba besitzt Blockchain-Patente in den Bereichen Finanzen (Ant blockchain Services für KMU [3]), Gesundheitswesen, Lebensmittel- und Logistik-Sektor, Smart Contracts und einigen mehr (Bild 2). Alibabas mobile und Online-Zahlungsplattform Alipay partnerte im August mit der Provinzregierung in Wuchang, um die Authentizität von Reis via Blockchain sicherzustellen. Damit soll verhindert werden, dass gefälschte Versionen des bekannten Wuchang-Reis auf den Markt kommen. Alibabas B2C-Onlineplattform Tmall will den Reis mit einem QR-Code versehen, der Informationen über die Ernte, die Saatgutsorte, Lieferzeit, u. a. enthält. Darüber hinaus arbeitet Alibaba mit der chinesischen Regierung im Bereich Gesundheitswesen zusammen und ermöglicht den sicheren Austausch von Patientendaten von Ärzten. Krypto-Währungen verbieten, Anonymität aufheben Anfang 2018 hat das Land der Mitte den Handel mit Krypto-Währungen und IPCO (Initial Public Coin Offerings) im Land verboten. Säuberungsaktionen im Internet werden seither regelmäßig durchgeführt. Allerdings steht die Regierung der zugrundeliegenden Technologie sehr aufgeschlossen gegenüber. Der chinesische Präsident Xi Jinping bezeichnet Blockchain als eine neue Generation von Technologien, „die die Struktur der künftigen globalen Wirtschaft erheblich verändern wird“. Aber ohne Restriktionen geht es auch dabei in China nicht. Ein neuer Entwurf sieht die Aufhebung der Anonymität der Nutzer von Blockchain- Diensten vor. Diese müssten dann ihren echten Namen und ihre Ausweise bei der Registrierung vorweisen. Transparente Versorgungsketten als-Ziel Weltweit eruieren Unternehmen den Einsatz von Blockchain-Technologien in der Logistik [4]. Sie soll mehr Transparenz in die Versorgungsketten bringen. Geplante Einsatzbereiche sind beispielsweise die Adressierung des Problems der gefälschten Markenartikel und Güter, die fälschungssichere Aufnahme von Transaktionsdetails sowie der Kampf gegen schlechte und ausbeuterische Arbeitsbedingungen entlang der Versorgungskette. Alibaba ist wie gesagt Vorreiter an der Blockchain-Front und hat sie bereits im Kampf gegen Betrug im Lebensmittelbereich, Schutz von medizinischen Daten und zur Nachverfolgung von-grenzüberschreitenden Sendungen eingesetzt. Im März 2018 erklärte Lynx International, eine Tochterfirma von Alibaba, dass Blockchain-Technologie erfolgreich in das grenzüberschreitende Geschäft des Unternehmens zur Nachverfolgung relevanter Foto: Gerd Altmann | pixabay LOGISTIK Blockchain China im Kampf gegen Fälschungen
