eJournals Internationales Verkehrswesen 71/3

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2019-0059
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Alternative Antriebe im SPNV zum Dieselersatz

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Jonas Vuitton
Markus Hecht
Die politischen Entscheidungen der letzten Jahre und die Forderung der Öffentlichkeit nach einer klimafreundlicheren, effizienten Mobilität setzen den Verkehrssektor vor großen Herausforderungen. Aufgrund einer fehlenden Vollelektrifizierung des deutschen Schienennetzes wird heute noch ein wesentlicher Teil des Schienenpersonennahverkehrs mit Dieselfahrzeugen ausgeführt. Die zurzeit entwickelten und erprobten alternativen Antriebe können im Vergleich zu anderen Verkehrssystemen mit relativ wenig Aufwand bis 2030 die Dieseltraktion ersetzen.
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Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 42 MOBILITÄT Schienenverkehr Alternative Antriebe im SPNV zum Dieselersatz In Deutschland werden noch 36 % der Zugkilometer mit Dieselantrieb gefahren, die CO 2 -Emissionen daraus betragen 1,1 Mio. t CO 2 -Minderung, Schienenverkehr, Elektrifizierung, Alternative Antriebe, Zero-Emission-Verkehr Die politischen Entscheidungen der letzten Jahre und die Forderung der Öffentlichkeit nach einer klimafreundlicheren, effizienten Mobilität setzen den Verkehrssektor vor großen Herausforderungen. Aufgrund einer fehlenden Vollelektrifizierung des deutschen Schienennetzes wird heute noch ein wesentlicher Teil des Schienenpersonennahverkehrs mit Dieselfahrzeugen ausgeführt. Die zurzeit entwickelten und erprobten alternativen Antriebe können im Vergleich zu anderen Verkehrssystemen mit relativ wenig Aufwand bis 2030 die Dieseltraktion ersetzen. Jonas Vuitton, Markus Hecht D ie Pariser Klimakonferenz hat 2015 strenge Klimaziele gesetzt. In Deutschland werden sie durch den vom Bundesministerium für Umwelt erstellten Klimaschutzplan 2050 in konkrete Maßnahmen übersetzt [1]. Die Treibhausgas-Emissionen des europäischen Verkehrssektors sollen bis 2030 um 40 % gegenüber 1990 sinken. Der Schlüssel dafür liegt in einer „Verkehrswende mit Vermeidung, Verlagerung und Verbesserung der Energieeffizienz“. Dass die Sensibilität der Bevölkerung für Klimathemen groß ist, zeigen nicht nur die NGO-Organisationen wie Greenpeace (Bild 1), sondern beispielsweise auch die wöchentlichen „Fridays for Future“- Demonstrationen, selbst in den Schulferien. Der Schienenverkehr als Rückgrat der nötigen Mobilitätswende Die Schiene bietet Systemvorteile gegenüber der Straße: geringer Roll- und Fahrwiderstand, geringer Flächenverbrauch [2]. Darüber hinaus kann die erforderte und gezielte Mobilitätswende nur durch eine Abkehr von fossilen Energien erfolgen [3]. In diesem Bereich liegt der Schienenverkehr deutlich vorne: Während Elektromobilität erst heute ein Thema im Straßenverkehr wird, fahren bereits seit 100 Jahren ein Thema im Straßenverkehr wird, so fahren bereits seit 100 Jahren Personen und Güter mit Elektrotraktion auf der Schiene. Die nichtgrünen Anteile des erzeugten Stroms werden von der Energiewirtschaft verantwortet und sind in CO 2 -Bilanzen dementsprechend zugeordnet: Elektrischer Bahnverkehr ist zu 100 % emissionsfrei - dennoch müssen die Bemühungen des Energiesektors zur CO 2 - Minderung durch Bezug von grünem Strom unterstützt werden [4]. Zudem ist durch Rückspeisung beim Bremsen der Energieverbrauch pro Personenkilometer (Pkm) oder Tonnenkilometer (tkm) sehr gering, guten Besetzungsgrad der Fahrzeuge und gute Zuladung vorausgesetzt. In den letzten Jahren wurden ehrgeizige politische Ziele gesetzt, die die Attraktivität des Schienenverkehrs steigern sollen. Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung von 2018 plant „bis 2030 doppelt so viele Bahnkundinnen und Bahnkunden [zu] gewinnen und dabei u. a. mehr Güterverkehr auf die umweltfreundliche Schiene [zu] verlagern“ [5]. Zusammen mit einem geplanten Wachstum des Personenverkehrs von 12 % zwi- Bild 1: Transparent auf der Fassade des Bundesverkehrsministeriums am 02.08.2017 anlässlich des ersten Dieselgipfels, der dort stattfinden sollte. Foto: Autoren Coradia iLint Foto: Alstom Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 43 Schienenverkehr MOBILITÄT schen 2010 und 2030 [6] bedeutet eine Verdoppelung des Schienenpersonennahverkehrs eine Erhöhung des Modal Splits von heutigen 8 % auf 14 % im Jahr 2030: Die Verkehrsleistung des ÖPNV soll von 90 auf 180 Mrd. Pkm steigen. Diese angestrebte Verlagerung von Straße auf Schiene und ein emissionsfreies elektrisches Bahnsystem bedeutet eine jährliche Einsparung von 14,3 Mio. t CO 2 . Als Vergleichswert emittiert der gesamte deutsche Verkehr jährlich 171 Mio. t CO 2 [7]. Die Vermeidung der Dieselemission heute würde immerhin 0,7 Mio. t CO 2 p. a. einsparen [8], obwohl 36 % der Zugkm im SPNV noch mit Dieseltraktion erfolgen [9]. Jeder Liter Diesel produziert 2,7 kg CO 2 [10]. Eine deutliche Erhöhung der Kapazität auf der Schiene setzt eine Elektrifizierung des Schienenpersonennahverkehrs voraus. Elektrotriebzüge weisen höhere Beschleunigungen auf als Dieselfahrzeuge und erhöhen damit die Kapazität auf stark befahrenen Strecken. Sie sind im Stillstand auch deutlich leiser und sorgen damit für eine bessere Akzeptanz durch die Bevölkerung, vor allem im städtischen Bereich. Elektrisch angetriebene Züge lassen sich aufgrund günstigerer Energiesowie geringerer Instandhaltungskosten auch wirtschaftlicher betreiben. Die Mobilitäts- und Kraftstoffstrategie der Bundesregierung [11] strebt eine kurzfristige Abkehr von fossilen Energiequellen an. Die Dieselverkehre müssen durch Elektrotraktion ersetzt werden und der benötigte Strom soll aus erneuerbaren Quellen stammen. Um diese Ziele einzuhalten, schlägt der VDE konkrete Maßnahmen vor [12]: Keine Neubeschaffung von Dieselfahrzeugen ab 2025, bereits 2025 muss die elektrische Leistung im SPNV über 90 % liegen. Dies stellt die Bahn vor eine große Herausforderung. Der Schlüssel für diese Transformation liegt in den Fahrzeugen, denn ein Ausbau der Infrastruktur kann nicht in einer so kurzen Zeit erfolgen. Streckenseitige Elektrifizierung: der-Königsweg? Das System Oberleitung - Pantograf hat sich seit 100 Jahren als sehr leistungsfähig erwiesen. Der Elektrifizierungsgrad in Deutschland liegt allerdings bei nur 60 %. Im aktuellen Koalitionsvertrag wird auf einen Elektrifizierungsgrad von 70 % bis 2025 abgezielt [5]. Branchenakteure begrüßen zwar diese Initiative, sie fordern aber eine schnellere Umsetzung und die Elektrifizierung weiterer Strecken. Zu den im Bundesverkehrswegeplan 2030 geplanten und fest disponierten Projekten schlägt die Allianz pro Schiene weitere Elektrifizierungsprojekte vor, die in Bild 2 wiedergegeben sind. Die hohen Kosten der Elektrifizierung (1 bis 2 Mio. EUR pro Streckenkilometer) sowie das lange Planfeststellungsverfahren (acht bis zehn Jahre) sorgen für diese Situation. Eine Vollelektrifizierung des deutschen Schienennetzes würde 20 bis 30 Mrd. EUR kosten [9, 12]. Zum Vergleich: Es werden jährlich 6 Mrd. EUR in das System Bahn investiert [12]. Um den von der Regierung abgezielten Elektrifizierungsgrad 2025 zu erreichen, müssen zwischen 2020 und 2025 jedes Jahr 630 km neu ausgerüstet werden. Im Vergleich dazu wurden zwischen 2012 und 2016 insgesamt nur 700 km ausgerüstet. Das Planungsbeschleunigungsgesetz strebt an, dass das Planfeststellungsverfahren schneller erfolgt. Allgemein bringt die Elektrifizierung auch andere Vorteile, wie das Schaffen von Ersatzrouten im Fall einer Störung, und erhöht dadurch die gesamte Zuverlässigkeit des Bahnsystems. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass die Elektrifizierung einer Strecke im Regelfall nur mit dichter Zugfolge einen Nutzen- Kosten-Faktor über 1 nachweisen kann. Ab einem Angebot mit Stundentakt zeigt sich die Elektrifizierung als wirtschaftlich [14]. Man kann damit rechnen, dass ein erheblicher Teil des deutschen Schienennetzes langfristig keine Oberleitung aufweisen wird. Es ist also an Antriebskonzepten zu arbeiten, die CO 2 -freies Fahren ohne Elektrifizierung der Strecken ermöglichen. Die derzeit entwickelten Lösungen basieren hauptsäch- Oebisfelde Schwerin Dresden München Magdeburg Kassel Erfurt Mainz Wiesbaden Wolfsburg Hannover Potsdam Baden-Württemberg Bayern Hessen Rheinland-Pfalz Saarland Nordrhein-Westfalen Niedersachsen Thüringen Sachsen Sachsen-Anhalt Brandenburg Berlin Mecklenburg-Vorpommern Schleswig-Holstein Hamburg Bremen Lüneburg Büchen Lübeck Stade Cuxhaven Bremerhaven- Speckenb. Grevesmühlen Neukirchen Bremerhaven- Wulsdorf Bremervörde Rotenburg Horka Bad Kleinen Schnabelwaid Hochstadt-Marktzeuln Oberkotzau Geithain Chemnitz Leipzig-Paunsdorf Leipzig-Plagwitz Blankenheim Schönebeck- Bad Salzelmen Dresden-Klotzsche Bautzen Cottbus Forst Spremberg Neuenmarkt- Wirsberg Bayreuth Furth im Wald Cham Schwandorf Hartmannshof Irrenlohe Landshut Hbf Mühldorf Neumarkt-Sankt Veit Wasserburg Rosenheim Leinefelde Gotha Görlitz Abzw. Glindenberg Schönhausen Rathenow Wustermark Offenburg Müllheim Mannheim Frankfurt am Main Hanau Fulda Bad Hersfeld Passow Tantow Puttgarden Langwedel Soltau Munster Uelzen Gera Gößnitz Kurve Mönchehof Vellmar- Oberv. Wolfhagen Warburg Burghausen Garching Tüßling Freilassing Friedrichshafen Stadt Niederbiegen Aulendorf Weimar Bad Schwartau Göschwitz Weiden Hof Hbf Regensburg Hbf Schirnding Bad Brambach Marktredwitz Plauen Nürnberg Hbf Neunkirchen am Sand Markt Schwaben Ulm Hbf Stuttgart- Untertürkheim Stuttgart-Feuerbach Stuttgart Hbf Oldenburg Hbf Sande Wilhelmshaven Jade Weser Port Geltendorf Kaufering Buchloe Hergatz Memmingen Kempten Hbf Kißlegg Lindau Hbf Landsberg Gottenheim Lenggries Tegernsee Holzkirchen Ebersberg Schaftlach Bayrischzell Erzingen Simmelsdorf- Hüttenbach Herrenberg Nagold Calw Metzingen Bad Urach Zweibrücken Neustadt Donaueschingen Elzach Rottweil Villingen Denzlingen Riegel Ort Breisach Flandersbach Dornap Düsseldorf-Gerresheim Tiefenbroich Duisburg-Hochfeld Süd Hüttenwerke Krupp-M. Neuss Kaarst Horrem Bedburg Herzogenrath Stolberg Langerwehe Köln-Nippes Gbf Kall Euskirchen Bonn Remagen Ahrbrück Bad Münstereifel Kalscheuren Gummersbach Köln Fr. Str. Wesel Xanten Millingen Oberhausen Walsum Niebüll Westerland Hameln Lage Bielefeld Ost Osnabrück-Eversburg Münster Zentrum Nord Gronau Bocholt Niederlahnstein Limburg Ehrang Illingen Homburg Lebach-Jabach Bitburg-Erdorf Gerolstein Berlin-Baumschulenweg Neuburxdorf Mühlberg Berlin-Halensee Itzehoe Brunsbüttel Hamburg Eidelstedt Kaltenkirchen Kiel Rövershagen Graal-Müritz Flensburg Sigmaringen Basel Bad. Bf Waldshut Tübingen Neu Ulm Weißenhorn Friedberg Friedrichsdorf Usingen Wetzlar Elze Hochspeyer Aschaffenburg Miltenberg Eberbach Bad Kreuznach Bad Münster a. S. Gau Algesheim Neubrücke Bingen Hbf Pfronten-Steinach Radolfzell Stockach Tuttlingen Horb Balingen Albstadt Schwäbisch Hall- Hessental Markt Erlbach Heidenau Siegelsdorf Öhringen-Cappel Wörth Berg (Pfalz) Winden Neustadt Enkenbach Kaiserslautern Dortmund-Hörde Iserlohn Elektrifizierungsziele Anteil elektrifizierter Strecken <60 % 70 % 75 % 2030 2025 2017 Branchenvorschlag 3 Bundesziel Allianz pro Schiene-Vorschläge Neubauprojekte im Bundesverkehrswegeplan Ausbauprojekte im Bundesverkehrswegeplan 70 Prozent Streckenelektrifizierung bis 2025: Vorschläge zur Zielerreichung Quelle: Allianz pro Schiene | 12/ 2018 Lizenz: Nutzung frei für redaktionelle Zwecke unter Namensnennung Karte: commons.wikimedia.org/ David Liuzzo 1 ohne Strecken nichtbundeseigener Eisenbahnen (Streckenlänge: 33.400 km) 2 mit Strecken nichtbundeseigener Eisenbahnen (Streckenlänge: 38.500 km) 3 Weitere Informationen in der VDV-Broschüre „Voll elektrisch! “ und auf allianz-pro-schiene.de/ elektrifizierung +5 km +7 km +18 km +24 km +62 km +141 km +187 km +202 km +328 km +353 km +382 km +435 km +506 km +557 km +865 km +1.309 km +5.381 km +6.200 km Bremen Hamburg Berlin Saarland Mecklenburg-Vorp. Brandenburg Thüringen Sachsen-Anhalt Hessen Sachsen Rheinland-Pfalz Schleswig-Holstein Niedersachsen Nordrhein-Westf. Baden-Württemb. Bayern Deutschland +2.060 km +1.120 km +2.201 km 67 % 60 % 70 % des Bundesschienennetzes 1 Zum Vergleich: 70 % des gesamten Schienennetzes 2 Bild 2: 70 % Streckenelektrifizierung bis 2025: Vorschläge zur Zielerreichung [13] Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 44 MOBILITÄT Schienenverkehr lich auf Batterien oder Brennstoffzellen [15]. Superkondensatoren zeichnen sich durch schnelle Be- und Entladezyklen mit hoher Leistung auf. Dementsprechend eignen sie sich vor allem für Straßenbahnbetriebe, wo die Superkondensatoren an den Haltestellen in wenigen Sekunden aufgeladen werden können. Für Bahnanwendungen können sie nicht genügend Energie speichern. Hybridisierung mit Inselelektrifizierung Einen anderen Ansatz stellt die Inselelektrifizierung dar. Statt der aufwendigen Gesamtelektrifizierung werden mehrere, kürzere Abschnitte mit Oberleitung ausgerüstet. Bereits heute weisen 82 % der mit Dieselfahrzeugen betriebenen deutschen Strecken mindestens einen elektrifizierten Abschnitt auf [16]. Die Mehrsystemfahrzeuge Diesel- Elektrisch der französischen Staatsbahn (SNCF) der Baureihen B81500 und B82500 fahren zum Beispiel elektrisch mit Pantografen auf Abschnitten mit Oberleitung und überbrücken nichtelektrifizierte Abschnitte mit dem Dieselaggregat. Heutige Hybridantriebe basieren auf einer ähnlichen Technik, ersetzen jedoch das Dieselaggregat durch Batterien und sind damit voll emissionsfrei. Aufgrund der geringen Leistungsdichte der Lithium-Ionen-Batterien können nur nicht-elektrifizierte Abschnitte bis 40 km überbrückt werden, ohne dass das Gewicht der mitzunehmenden Batterien zu hoch wird [9]. Aus diesem Grund ist der potenzielle Einsatzbereich von Batterietriebzügen zurzeit auf teilweise elektrifizierte Strecken begrenzt. Der von Bombardier mit Hilfe der Technischen Universität Berlin entwickelte Talent 3-Batterietriebzug (Battery-Electric- Multiple-Unit, BEMU) [17] ist ein Beispiel heutiger Batterietechnologie an Bord von Schienenfahrzeugen. Stadler entwickelt aktuell ebenso ein BEMU auf Grundlage der FLIRT-Plattform [18], welches in Bild 3 zu sehen ist. Während das Fahrzeug unter Fahrdraht fährt, werden die Fahrmotoren direkt gespeist. Gleichzeitig werden auch die Batterien aufgeladen. Das Aufladen an den Endstationen beim Stehen ist zwar grundsätzlich möglich, es ist jedoch mit längeren Haltezeiten verbunden, die oft mit der Betriebsführung nicht kompatibel sind [16]. Obwohl die Beschaffungskosten von Batterieantrieben gegenüber Dieselaggregaten höher sind, lässt der steigende Preis von Kraftstoff sowie der günstigere Betrieb von Elektroantrieben einen Kostenvorteil bei langfristigen Betrachtungen erwarten. Darüber hinaus wird sich die Batterietechnologie deutlich weiterentwickeln, sodass die Lebensdauer erweitert wird und die Beschaffungskosten sinken werden. Damit wird der Einsatz von Batterien noch wirtschaftlicher und aus technischer Sicht günstiger. Elektrischer Betrieb ohne Oberleitung mit Brennstoffzellen Um lange Linienabschnitte ohne Oberleitung befahren zu können, sind Batterien allein nicht geeignet. Brennstoffzellen hingegen weisen eine größere Reichweite auf, denn sie haben eine deutlich höhere Energiedichte. Ein wesentliches Beispiel eines Wasserstoff-Triebzuges bildet der Coradia iLint von Alstom. Er ist für eine Reichweite von 600 bis 1.000 km ausgelegt [12] und kann dementsprechend einen kompletten Betriebstag ohne Nachtanken fahren. Allerdings verfügen Brennstoffzellen über eine geringere Dynamik und Leistungsdichte. Batterien müssen stets zusätzlich eingesetzt werden, um als Puffer zu wirken: Die Brennstoffzelle lädt die Batterien auf; die Fahrmotoren werden aus der Batterie gespeist. Dies ermöglicht außerdem die Energierückgewinnung bei Bremsvorgängen und bildet selbst bei Ausfall der Brennstoffzelle ein Notantriebssystem. Die Kosten zum Einsatz von Brennstoffzellenantrieben sind heute fahrzeugseitig sowie infrastrukturell wegen des Tankstellenbaus und Wasserstofferzeugung sehr hoch, sodass ein wirtschaftlicher Betrieb genau untersucht werden muss [14]. Umsetzung und Zusammenfassung Aufgrund der langen Lebensdauer von Schienenfahrzeugen ist damit zu rechnen, dass Dieselfahrzeuge, die bis 2030 geliefert werden, auf alternative, umweltfreundliche Antriebe umgerüstet werden müssen. Dabei ist die Herausforderung groß: Der verfügbare Bauraum an Bord der Fahrzeuge ist sehr begrenzt und beschränkt mögliche Umbauten erheblich; wegen des hohen Gewichts von Batterien muss zusätzlich auf die Massenbilanz geachtet werden [19]. Gegebenenfalls muss der mögliche Aufbau eines Pantografen auf dem Wagenkastendach im Einzelfall betrachtet werden, um die Tragfähigkeit der Struktur und die nötigen elektrischen Sicherheitsanforderungen zu gewährleisten. Es darf außerdem nicht vergessen werden, dass ggf. lange Umbauzeiten die Fahrzeugverfügbarkeit einschränken. Die Neuzulassung von Fahrzeugen ist ein aufwendiges und risikobehaftetes Verfahren, vor allem aufgrund der geringen Erfahrung mit alternativen Antrieben. Bei der Konzeption von Dieselfahrzeugen sollten dieselelektrische Antriebe befürwortet werden. Sie verfügen über elektrische Fahrmotoren - so können die Fahrwerke im Fall einer Hybridisierung bzw. Elektrifizierung weiterverwendet werden. Es wird also lediglich die Energiequelle vom Dieselaggregat zu einer alternativen Lösung getauscht. Die Hilfsbetriebe - z. B. die Klimaanlage - werden in dieselmechanischen oder dieselhydraulischen Fahrzeuge oft mechanisch angetrieben, sodass eine Hybridisierung den Austausch dieser Komponente erfordert. Dies ist bei dieselelektrischen Fahrzeugen nicht der Fall [20]. Die Elektrifizierung von Strecken ohne Oberleitung bietet trotz ihrer hohen Kosten die besten technischen Eigenschaften und das aktuelle Elektrifizierungsprogramm muss fortgesetzt und beschleunigt werden. Die hier präsentierten alternativen Technologien sind noch alle in der Erprobungsphase und deren möglicher Einsatz muss noch im Einzelfall überprüft werden. Fest steht aber: Gegenüber Dieselantrieben bringt Elektrotraktion viele Vorteile mit sich, sei es mit Oberleitung, mit Brennstoffzellen oder mit Batterien. Neben den geringeren Energie- und Instandhaltungskosten sind diese Fahrzeuge deutlich umweltfreundlicher und leiser im Stillstand. Bei elektrischen Antrieben besteht heute die Möglichkeit, Bild 3: Der Triebzug FLIRT Akku von Stadler Rail verkehrt dank der Traktionsbatterie emissionsfrei. Foto: Autoren Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 45 Schienenverkehr MOBILITÄT Bremsenergie rückzugewinnen: Im Betrieb mit Pantografen wird die Energie zurück in den Fahrdraht gespeist, bei Batteriefahrzeugen werden die Batterien beim Bremsen aufgeladen. Dies ermöglicht bis zu 20 % Einsparung des Gesamtenergiebedarfs eines Fahrzeugs. Dank höherer Beschleunigungen wird die Kapazität des Schienennetzes erhöht. Dies steigert die Attraktivität und die Wirtschaftlichkeit des Schienenpersonenverkehrs und trägt dazu bei, die Verkehrsströme auf die Schiene zu verlagern, um die angestrebte Mobilitätswende zu erreichen. Zusammen mit Bahnstrom aus erneuerbaren Energien kann eine massive Elektrifizierung bzw. Dekarbonisierung des Schienenpersonennahverkehrs einen Beitrag zu der Einhaltung der Klimaziele insgesamt leisten, nicht nur für den Verkehr, sondern auch für die Energiewirtschaft. ■ LITERATUR [1] Klimaschutzplan 2050. Klimaschutzpolitische Grundsätze und Ziele der Bundesregierung, Bundesministerium für Umwelt u. Naturschutz und nukleare Sicherheit, Berlin 2016 [2] Hecht, M., Polach, O. u. Kleeman, U.: Schienenfahrzeuge. Kapitel Q2. In: Grote, K.-H., Bender, B. u. Göhlich, D. (Hrsg.): Dubbel. Taschenbuch für den Maschinenbau. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg 2018, Q38-Q72 [3] European Environment Agency: Greenhouse gas emissions from transport, Kopenhagen 2018. https: / / www.eea. europa.eu/ data-and-maps/ indicators/ transport-emissions-of-greenhouse-gases/ transport-emissions-ofgreenhouse-gases-11, abgerufen am: 25.07.2019 [4] Deutsche Bahn AG: DB auf Kurs zur Klimaneutralität bis 2050. Ökostrom-Anteil im Bahnstrom wächst rasant: 80 Prozent bis 2030 • 15 größte Bahnhöfe in Deutschland seit Januar grün, 2018. https: / / www.deutschebahn.com/ de/ presse/ suche_Medienpakete/ medienpaket_klimaschutzziel-1201550? contentId=1204722, abgerufen am: 25.07.2019 [5] Deutsche Bundesregierung: Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD. 2018 [6] Bundesverkehrswegeplan 2030, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Berlin 2016 [7] Klimaschutz in Zahlen. Fakten, Trends und Impulse deutscher Klimapolitik, Ausgabe 2018, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, Berlin 2018 [8] Hecht, M. u. Culemann, C.-R.: Klimaschutz als Chance für die Bahn. In: Deine Bahn (Hrsg.): Deine Bahn, Bd. 46. Berlin: BVF Bahn Fachverlag 2018, S. 14-17 [9] Reaktivierung stillgelegter Schienenstrecken und Elektrifizierung des deutschen Schienenverkehrs. Fachworkshop im Rahmen der Mobilitäts- und Kraftstoffstrategie der Bundesregierung. Berlin 2018 [10] Umweltbundesamt: CO 2 -Emissionsfaktoren für fossile Brennstoffe 27/ 2016, Jurich, K., Dessau-Roßlau 2016 [11] Die Mobilitäts- und Kraftstoffstrategie der Bundesregierung (MKS). Energie auf neuen Wegen, Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Berlin 2013 [12] Alternativen zu Dieseltriebzügen im SPNV. Einschätzung der systemischen Potenziale, Klebsch, W., Heininger, P. u. Martin, J., Frankfurt am Main 2019 [13] Roggermann, M.: 70 Prozent Streckenelektrifizierung bis 2025: Vorschläge zur Zielerreichung, Allianz pro Schiene. Berlin, 2018 [14] Wissenschaftliche Bewertung von alternativen, emissionsarmen Antriebskonzepten für den bayerischen SPNV, Technische und wirtschaftliche Bewertung alternative Antriebskonzepte 2017-EB-008-1, Müller, A., Dresden 2017 [15] Geißler, A. u. Sklaska, J.: Mehr Klimaschutz mit Schienenverkehr. Handlungsfelder und Lösungsansätze. Allianz pro Schiene, Berlin 2018 [16] Schirmer, T., Pagenkopf, J., Dittus Holger u. Winter, J.: Brennstoffzelle oder Batterie? - Eine Analyse zum Einsatz in Triebzügen. ZEVrail 143 (2019) 1-2, S. 40-47 [17] Mach, S. von, Buschbeck, J., Flerlage, H., Zimmermann, U. u. Boev Pavel: Die Entwicklung und Markteinführung des TALENT 3 Batterietriebzuges. Eisenbahntechnische Rundschau 67 (2018) 9, S. 115-119 [18] Stadler Rail AG: Stadler lässt den FLIRT von der Leine. Berlin 2018 [19] Kometer, J., Seelos, G., Kurzeck, B. u. van der Linden, F.: Alternative Antriebsvarianten für Schienenfahrzeuge - Trend zur Vermeidung bzw. Reduktion von Verbrennungskraftmaschinen. In: Edel, R., Lang, H.-P., Schindler, C. u. Veit, P. (Hrsg.): 45. Tagung Moderne Schienenfahrzeuge, Bd. 143. Graz 2019, S. 26-33 [20] Fichtl, H., Beims, M., Werner, C. u. Sören, C.: EcoTrain: The Erzgebirgsbahn‘s New Hybrid Railway Vehicle. Transportation Research Procedia 14 (2016), S. 575-584 Jonas Vuitton, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fachgebiet Schienenfahrzeuge, Technische Universität Berlin jonas.vuitton@tu-berlin.de Markus Hecht, Prof. Dr.-Ing. Fachgebietsleiter, Fachgebiet Schienenfahrzeuge, Technische Universität Berlin markus.hecht@tu-berlin.de 26. - 28. 11. 19 Frankfurt Ein Programm drei Tage zahlreiche Impulse 70271_HM_AZ_Besucher_Hand_Internationales_Verkehrswesen_102x297 • FOGRA 39 • CMYK • es: 01.08.2019 DU: 08.08.2019 Inland Jetzt Ticket sichern hypermotion.com