eJournals Internationales Verkehrswesen 71/3

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2019-0060
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Die Dekarbonisierung des Flugverkehrs ist eine der Kardinalfragen

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Jens Baumgartner
In der Diskussion um die CO2-Reduzierung gilt die zivile Luftfahrt als einer der größten Verursacher des Klimagases. Doch mithilfe deutscher Technologie soll klimaneutrales Fliegen schon in naher Zukunft möglich sein. Wie kann das funktionieren – und welche Veränderungen sind dazu nötig? Antworten von Dr. Jens Baumgartner, Business Development Manager Electrolysis, des Dresdener Technologieunternehmens Sunfire.
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Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 46 MOBILITÄT Interview Die Dekarbonisierung des-Flugverkehrs ist eine der-Kardinalfragen In der Diskussion um die CO 2 -Reduzierung gilt die zivile Luftfahrt als einer der größten Verursacher des Klimagases. Doch mithilfe deutscher Technologie soll klimaneutrales Fliegen schon in naher Zukunft möglich sein. Wie kann das funktionieren - und welche Veränderungen sind dazu nötig? Antworten von Dr. Jens Baumgartner, Business Development Manager Electrolysis, des Dresdener Technologieunternehmens Sunfire. Herr Baumgartner, Luftverkehr und Flugreisen stehen derzeit wegen hoher CO 2 -Emissionen im Fokus der Klimadiskussion. Nun will Sunfire gemeinsam mit Partnern die Erzeugung von erneuerbarem Kerosin angehen. Was ist hier geplant? Gerade der Flugverkehr ist mit einem steten Passagierwachstum und steigendem Verkehrsvolumen ein besonders CO 2 -intensiver Bereich. Es braucht ein verstärktes Engagement und innovative Konzepte, um die CO 2 - Emissionen in diesem Sektor möglichst schnell zu mindern. Dazu haben wir mit EDL Anlagenbau und weiteren Partnern am Flughafen Rotterdam Den Haag ein Pilotprojekt zur Herstellung von erneuerbarem Kerosin aus atmosphärischen CO 2 initiiert. Welche Vorteile soll dieser erneuerbare Jet-Kraftstoff bringen? Zunächst ist das übergeordnete Ziel, den ökologischen Fußabdruck des Luftverkehrs schnell und effektiv zu reduzieren. Erneuerbarer Jet-Kraftstoff, der aus atmosphärischem CO 2 gewonnen wird, ist CO 2 - und somit klimaneutral. Da der Einsatz von erneuerbarem Kerosin augenblicklich ohne größere Anpassung der jetzigen Flugzeugtechnik und bestehenden Infrastruktur möglich ist, können sofort positive Effekte auf Umwelt und Gesundheit durch Reduktion von CO 2 -Emissionen sowie der Verringerung der Feinstaubbelastung aufgrund der saubereren Verbrennung von synthetischen Kraftstoffen erzielt werden. Wie wollen Sie das „grüne“ Flugbenzin erzeugen? Das Verfahren zur Erzeugung des „grünen“ Kerosins in dieser Größenordnung wurde erst durch die Verknüpfung von hochinnovativen und gleichzeitig bewährten Technologien möglich. Im ersten Schritt wird CO 2 Foto: Sunfire GmbH Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 47 Interview MOBILITÄT mithilfe einer Direct-Air-Capture-Anlage aus der Umgebungsluft gefiltert. Mittels Solarstrom, der direkt am Flughafen gewonnen wird, stellt Sunfires Hochtemperatur- Co-Elektrolyseur aus dem gewonnenen CO 2 und Wasserdampf sogenanntes Synthesegas her. Dieses Gasgemisch dient als Grundstoff für die sogenannte Fischer-Tropsch-Synthese, in der e-Crude entsteht, ein klimaneutrales, flüssiges Kohlenwasserstoffgemisch, welches die Eigenschaften von fossilem Rohöl hat. Daraus wird schlussendlich der „grüne“ Jet-Kraftstoff raffiniert. Welche Aufgaben haben die verschiedenen Industrie-Partner in diesem Projekt? Wir stellen in dem Projekt die Co-Elektrolyse-Einheit und Verfahrens-Knowhow zur Verfügung. Der Elektrolyseur ist von besonderer Bedeutung, weil die Endkosten des Kerosins maßgeblich von den Stromkosten und somit dem Wirkungsgrad der Elektrolyse abhängen. Wir verfügen dazu über das weltweit effizienteste Verfahren. Climeworks aus Zürich ist für die Direct-Air-Capture-Technologie verantwortlich, die das CO 2 für unseren Elektrolyseur bereitstellt. Ineratec wandelt das Synthesegas aus der Elektrolyse zum synthetischen Erdölsubstitut, das dann von EDL im finalen Schritt zu „grünem“ Kerosin verarbeitet wird. Der gesamte Prozess ist CO 2 -neutral, da die Photovoltaikanlage des Flughafen Rotterdam Den Haag den notwendigen Ökostrom bereitstellt. Was leistet die von Ihnen beigesteuerte Elektrolyse-Anlage - lässt sich das in Litern ausdrücken? Die Gesamtanlage wird auf die Produktion von 1.000 Liter grünen Kerosins pro Tag ausgelegt. Unser Co-Elektrolyseur stellt hierzu einige Tonnen Synthesegas für die weitere Umwandlung bereit. Welches Potenzial sehen Sie bei einer noch größeren Produktionsskalierung, oder ist sogar eine Herstellung auf industriellem Niveau möglich? Bei der derzeit geplanten Anlage handelt es sich um einen Demonstrator, der den Weg zu größeren Anlagen im industriellen Maßstab bahnen soll. Das heißt, als nächster Schritt sind Großanlagen angedacht, um dem Markt signifikante Mengen „grünen“ Kerosins zur Verfügung zu stellen. Wirtschaftlichkeit und Effizienzen verbessern sich generell, je größer die Anlagen werden. Darüber hinaus bietet die Technologie selbst weitere Entwicklungspotenziale, da wir ja gerade eine neue Technologie auf den Markt bringen. Wichtig ist, dass die im Demonstrator gewählte Kombination von Technologien, insbesondere unsere Hochtemperatur- Co-Elektrolyse und deren enge Prozessintegration mit der Fischer-Tropsch-Synthese, den bei weitem größten Wirkungsgrad für die Umwandlung von erneuerbarer Energie in Kraftstoff und somit die absehbar geringsten Kosten für das Endprodukt grünes Kerosin aufweist. Dies wird von essenzieller Bedeutung sein, um Wirtschaftlichkeit und Klimaschutz zu verbinden. Gibt es bereits Anwendungen oder Anwender, die diesen „grünen“ Treibstoff einsetzen wollen? Die Dekarbonisierung des Flugverkehrs ist eine der Kardinalfragen einer nachhaltigen Energiewende, die es schnellstmöglich zu beantworten gilt. Das Projekt zur Herstellung von „grünem“ Kerosin trifft dementsprechend auf viel Zuspruch, gleichermaßen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. So hat die niederländische Fluggesellschaft Transavia das Gespräch mit unserem Konsortium gesucht und konnte bereits als potenzieller Kunde gewonnen werden. Auch die Politik hat den Flugverkehr in den Blick genommen und diskutiert über sinnvolle Lösungsansätze. Hierzulande wurden zuletzt höhere Flugsteuern ins Gespräch gebracht. In den Niederlanden geht man einen Schritt weiter, denn hier verläuft die Debatte in Richtung einer gesetzlichen Verpflichtung, „grünen“ Treibstoff dem konventionellen Kerosin beizumischen. Ähnliche Pläne werden auch in Schweden und Norwegen seit längerem diskutiert. Diese Debatte scheint aber nun auch nach Deutschland zu kommen. Welche Marktmöglichkeiten sehen Sie darüber hinaus für das Verfahren? Der große Vorteil unseres Verfahrens zur Herstellung eines „grünen“ synthetischen Rohöl-Substituts ist, dass es viele Möglichkeiten eröffnet, da verschiedene Kraftstoffe, zum Beispiel Diesel für Fahrzeuge oder die Schifffahrt, produziert werden können. Das heißt, auch diese Verkehrssektoren könnten schnell und deutlich von diesem Verfahren profitieren. Darüber hinaus verwendet natürlich die Chemieindustrie derzeit große Mengen an fossilem Rohöl, um diverse Produkte herzustellen. Auch diese könnten im Prinzip durch unser Verfahren klimaneutral gemacht werden. Wir werden in den kommenden Jahren eine Großvolumen-Anlage in Norwegen in Betrieb nehmen, um e-Crude im industriellen Maßstab zu produzieren. Ab 2022 sollen hier jährlich 8.000 Tonnen entstehen, die für eine Vielzahl von Produkten - deren Herstellung bislang ohne Rohöl nicht denkbar war - den notwendigen Grundstoff bereitstellen wird. Oder den Wasserstoff direkt nutzen …? Man kann den Wasserstoff aus der Elektrolyse selbstverständlich auch direkt verwenden. Gerade deshalb stehen die Technologien rund um Wasserstoff bei den aktuellen Strategien der deutschen Ministerien und Parteien ganz oben auf der Liste. Dasselbe gilt für diverse Industriesektoren: Zum Beispiel wird die Stahlindustrie künftig Wasserstoff ebenfalls vermehrt nutzen. Unser Hochtemperatur-Elektrolyseur wird hier bei der Verhüttung von Eisenerzen eingesetzt und substituiert dadurch die konventionelle, umweltschädliche Koksverbrennung in den Hochöfen. Das ist nur ein Ausschnitt aus den vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von Wasserstoff. ■ Erzeugung von erneuerbarem Kerosin aus CO 2 und Wasser. Quelle: Sunfire