Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2019-0063
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2019
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Treibhausgasemissionen im fahrzweckbezogenen Verkehrsmittelvergleich
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Thomas Hagedorn
Gernot Sieg
Emissionsvergleiche verschiedener Verkehrsmittel konzentrieren sich üblicherweise auf einen relations- bzw. entfernungsbasierten Ansatz. Die Emissionen eines Verkehrsmittels werden pro Entfernung dargestellt. Für Fahrzwecke wie Freizeit und Urlaub eignet sich dieses Vorgehen jedoch nicht, da die Zielorte endogen festgelegt werden und die Entfernungen sich je nach Verkehrsmittel unterscheiden werden. In diesem Aufsatz wird die neue Kennzahl Full-Price-Emissions entwickelt, die für solche Fahrzwecke geeigneter ist. Full-Price-Emissions setzt die Treibhausgasemissionen des Transports ins Verhältnis zum vollen Preis des Transports. Die relative Klimaschädlichkeit des Flugzeugs, berechnet nach Full-Price-Emissions, ist um bis zu viermal größer als bei entfernungsbasierten Ansätzen. Zugleich visualisiert der neue Ansatz nicht-intendierte klimaschädliche Substitutionseffekte von Umweltpolitiken.
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Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 56 MOBILITÄT Wissenschaft Treibhausgasemissionen im fahrzweckbezogenen Verkehrsmittelvergleich Klimaschädlichkeit, Personenverkehr, Substitutionseffekte, Umweltpolitiken Emissionsvergleiche verschiedener Verkehrsmittel konzentrieren sich üblicherweise auf einen relationsbzw. entfernungsbasierten Ansatz. Die Emissionen eines Verkehrsmittels werden pro Entfernung dargestellt. Für Fahrzwecke wie Freizeit und Urlaub eignet sich dieses Vorgehen jedoch nicht, da die Zielorte endogen festgelegt werden und die Entfernungen sich je nach Verkehrsmittel unterscheiden werden. In diesem Aufsatz wird die neue Kennzahl Full-Price-Emissions entwickelt, die für solche Fahrzwecke geeigneter ist. Full-Price-Emissions setzt die Treibhausgasemissionen des Transports ins Verhältnis zum vollen Preis des Transports. Die relative Klimaschädlichkeit des Flugzeugs, berechnet nach Full-Price-Emissions, ist um bis zu viermal größer als bei entfernungsbasierten Ansätzen. Zugleich visualisiert der neue Ansatz nicht-intendierte klimaschädliche Substitutionseffekte von Umweltpolitiken. Thomas Hagedorn, Gernot Sieg Ü blicherweise werden bei der Beurteilung der Umweltschädlichkeit von Verkehrsmitteln relationsbezogene Kennzahlen herangezogen. Für die Betrachtung der Klimaschädlichkeit sind dies beispielsweise die Treibhausgasemissionen (gemessen in Gramm CO 2 -Äquivalenten) pro Entfernung (gemessen in Kilometern), wobei meist eine durchschnittliche Besetzung der Transportmittel angenommen wird. 1 Bei vielen Fragen, beispielsweise wie klimaschädlich das Pendeln zur Arbeit oder der Besuch einer Konferenz ist, ist dies der richtige Ansatz. Ein großer Teil der Fahrzwecke ist jedoch Freizeit (34 %, siehe Bild 1), unter denen auch die Zwecke Kurzurlaube und Urlaube subsumiert werden. Bei diesen Zwecken ist es oft der Fall, dass nicht nur die Verkehrsmittel zur Entscheidung stehen, sondern auch die zurückzulegenden Entfernungen vom Konsumenten gewählt werden. So könnten die Favoriten für die Freizeitgestaltung ein Musical-Besuch in einem 100-km entfernten Ort und der Theater-Besuch in einem 20 km entfernten Ort sein. Bei der Urlaubsreise könnte das Urlaubsziel Mallorca (1.450 km) mit dem Urlaubsziel Türkei (2.025 km) konkurrieren. Ist die Entfernung Teil der Entscheidungsmenge, so können entfernungsbezogene Emissionsvergleiche in die Irre führen. Aus diesem Grunde wird in diesem Aufsatz eine neue Emissionskennzahl Full-Price-Emissions eingeführt. Die entscheidungsrelevante exogene Größe bei Kurzurlauben ist das zur Verfügung stehende Budget an Zeit und Geld. Der Konsument möchte ein verlängertes Wochenende verbringen und maximal 600 EUR ausgeben. Dieses Budget verursacht je nach Verkehrsmittel eine unterschiedliche Klimabelastung. Setzt man die Emissionen von Treibhausgasen (THG) ins Verhältnis zum Budget, kann man die relative Umweltschädlichkeit von Verkehrsmitteln berechnen, die für den Zweck des Kurzurlaubs genutzt werden. Zurzeit gibt es noch keine für alle Verkehrsmittel einheitliche Bepreisung der Grenzemissionen. Trotz aller Bemühungen ist wohl auch in der näheren Zukunft nicht damit zu rechnen. In diesem Fall liegt ein Second-Best- Problem vor: Bestimme den optimalen Treibhausgasemissionspreis unter der Nebenbedingung, dass die möglichen alternativen Verkehrsmittel nicht optimal bepreist sind. Eine Veränderung des Preises eines Ver- 21,0% 17,0% 4,0% 7,0% 12,0% 34,0% 6,0% Personenverkehrsleistung nach Fahrzwecken in Deutschland 2017 Arbeit dienstlich Ausbildung Einkauf Erledigung Freizeit Begleitung Bild 1: Personenverkehrsleistung nach Fahrzwecken in Deutschland 2017 Quelle: Eigene Darstellung auf Basis von infas et al., 2018 Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 57 Wissenschaft MOBILITÄT kehrsmittels in Richtung des First-Best kann dann aber zu einem Wohlfahrtsverlust führen, da das gewählte (falsch bepreiste) Substitut umweltschädlicher ist als das ursprüngliche Verkehrsmittel. Ein Beispiel wäre eine Erhöhung der Energiesteuer für Diesel, die dazu führt, dass der Kurzurlaub an der Ostsee (mit dem PKW) ersetzt wird durch einen Kurzurlaub auf Mallorca (mit dem Flugzeug). Die Kennzahl Full-Price-Emissions (Emissionen pro vollem Preis) ermöglicht den Verkehrsmittelvergleich für Freizeit- und Urlaubsverkehre und soll sensibilisieren, nicht-intendierte klimaschädliche Substitutionseffekte zu vermeiden. Literaturüberblick Der übliche, in vielen Studien zu findende Ansatz zum Vergleich der Emissionen verschiedener Verkehrsmittel ist relationsbezogen. Zumeist werden die Emissionen pro Entfernung bestimmt. In einer Berechnung des Umweltbundesamtes aus dem Jahr 2018 werden die durchschnittlichen Emissionen verschiedener Verkehrsmittel verglichen. 2 Betrachtet werden die Emissionskategorien Treibhausgase, Stickoxide, Feinstaub, Kohlenmonoxid und Flüchtige Wasserstoffe (siehe Tabelle 1). Die ermittelten Emissionswerte berücksichtigen neben den indirekten Emissionen aus der Energieerzeugung und -bereitstellung auch die Auslastungen der Verkehrsträger. Zubringerverkehre werden nicht berücksichtigt. Die Emissionswerte werden pro Person und Entfernung (Pkm) verglichen. Der Vergleich umfasst unter anderem die Verkehrsmittel PKW, Fernbus, Eisenbahnfernverkehr und Flugzeug. In Bild 2 sind die Ergebnisse für Treibhausgase dargestellt. Erkennbar weist der Fernbus die geringsten durchschnittlichen Treibhausgasemissionen auf. Grund dafür sind unter anderem eine moderne Fahrzeugflotte sowie eine verhältnismäßig hohe durchschnittliche Auslastung (59 %). Der Eisenbahnfernverkehr weist trotz niedrigerer Durchschnittsauslastung (56 %) ebenso geringe durchschnittliche Treibhausgasemissionen auf. Dies ist durch den nahezu vollständig elektrifizierten Zugbetrieb im Fernverkehr begründet. Die Treibhausgasemissionen im Eisenbahnverkehr sind wesentlich von der Energiebereitstellung und damit den Anteilen der Energieträger an der Stromerzeugung (Energiemix) abhängig. Die höchsten durchschnittlichen Emissionen verursachen der PKW und das Flugzeug. Für den PKW liegt dies im Wesentlichen an der geringen durchschnittlichen Auslastung (1,5 Personen/ PKW). Beim Flugzeug sind der hohe Energiebedarf (und damit hohe Emissionen) sowie die größere Klimawirksamkeit der Emissionen in der Höhe für den hohen Treibhausgasemissionswert verantwortlich. Methodisches Vorgehen Wie bereits beschrieben, eignen sich die oben vorgestellten Ergebnisse vorwiegend für Fahrzwecke mit exogenem Ziel, etwa Berufs- oder Geschäftsverkehre. Ein großer Anteil der Fahrten fällt jedoch in die Kategorie Freizeit (siehe Bild 1), zu der auch Urlaubsfahrten zählen. Für beide Zwecke gilt häufig, dass ein Konsument neben der Wahl des Verkehrsmittels auch über das Ziel und damit die zurückzulegenden Entfernungen entscheiden kann. Folglich kann eine Konkurrenz zwischen zwei Urlaubsorten bestehen, die unterschiedliche Distanzen aufweisen, wie etwa das bereits erwähnte Beispiel des Urlaubsziels Mallorca (1.450 km) oder Türkei (2.025-km). Da hier also die Entfernung Teil der Entscheidungsmenge ist, wird im Folgenden die Kennzahl Full-Price-Emissions entwickelt, welche die Emissionen für diese Art von Fahrzwecken besser repräsentieren kann. Als entscheidungsrelevante exogene Größe wird das zur Verfügung stehende Budget an Zeit und Geld (im Folgenden als Full-Price Budget bezeichnet) gewählt. Dies ist insbesondere bei (Kurz-)Urlauben eine sinnvolle Annahme, da die Konsumenten einen begrenzten Zeitraum möglichst effektiv, d.h. mit einem geringen monetären Budget viel Zeit am Urlaubsort verbringen, nutzen möchten. Implizit wird damit ausgeschlossen, dass Konsumenten beispielsweise ein (verlängertes) Wochenende nutzen, um interkontinental zu verreisen. Somit umfasst das Full-Price Budget zwei Komponenten: die monetären Kosten der Fahrt (Fahr-/ Ticketpreis bzw. Fahrkosten) und die Opportunitätskosten der Reisezeit. Um - im Gegensatz zu den konventionellen Emissionsvergleichen - eine weitgehend relationsunabhängige Berechnungsmethode für Emissionen zu kreieren, wurde eine bewusst allgemeine Berechnungsform gewählt. Die Ermittlung der monetären Kosten einer Fahrt erfordert personenkilometerbezogene Fahrkostenfaktoren (als Yields bezeichnet). Für das Verkehrsmittel Eisenbahn werden diese über das Verhältnis der Umsätze der DB Fernverkehr AG zur Beförderungsleistung der DB Fernverkehr AG approximiert. Für das Flugzeug wird hier beispielhaft Ryanair als Anbieter von Flügen im Low-Cost-Segment, die besonders relevant für eine solche Art der Reise sein dürften, gewählt. Die Passagiererlöse Ryanairs werden dann wiederum ins Verhältnis zur Beförderungsleistung gesetzt. Für Fernbusse werden Daten zu den Umsatzerlösen je Fahrgast und Kilometer genutzt. Die Ermittlung von Fahrkostenfaktoren für PKW erfolgt auf Basis der Berechnung marginaler, fahrleistungsabhängiger Kosten einer Fahrt. Diese beinhalten neben Kraftstoff- und Werkstattkosten auch fahrleis- 0,0 50,0 100,0 150,0 200,0 g CO2-Äq./ Pkm Durchschnittliche Treibhausgasemissionen Pkw Fernbus Flugzeug Eisenbahnfernverkehr Bild 2: Durchschnittliche Treibhausgasemissionen (in g CO 2 -Äq./ Pkm) Quelle: Eigene Darstellung auf Basis von Umweltbundesamt, 2018 und Bruns et al., 2018, S. 53 Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 58 MOBILITÄT Wissenschaft tungsabhängige Abschreibungen. Für die Ermittlung dieser Kosten werden drei Fahrzeugklassen (Kleinwagen, Kompaktklasse, Mittelklasse) und zwei Antriebsarten (Benzin, Diesel) gewählt. 3 Für jede Fahrzeugklasse und Antriebsart wird ein repräsentatives Fahrzeugmodell ausgewählt. 4 Die Werkstattsowie die Kraftstoffkosten werden dem Autokostenrechner des ADAC entnommen. Die fahrleistungsabhängigen Abschreibungen je Kilometer (km) werden auf Basis der Herstellerpreise der Fahrzeugmodelle, einer durchschnittlichen jährlichen Fahrleistung von 15.000 km und einer Nutzungsdauer von zwölf Jahren berechnet. Schließlich wird ein mit den Anteilen der Fahrzeugklassen und den Antriebsarten gewichteter Mittelwert der Kosten ermittelt und durch den Besetzungsgrad (1,5 Personen) dividiert (um eine personenkilometerbezogene Größe zu erhalten). 5 Da die Fahrzeit Teil des Full-Price Budgets ist, müssen auch die Reisezeitopportunitätskosten geschätzt werden. Dazu werden distanzabhängige Zeitwerte für nicht-geschäftliche Fahrzwecke aus dem Methodenhandbuch des Bundesverkehrswegeplans 2030 mit den durchschnittlichen Geschwindigkeiten der Verkehrsmittel multipliziert. Für das Flugzeug werden zusätzlich die Kosten, die durch den Check-in- und Check-out-Prozess entstehen, einberechnet. Diese werden mit 1,5 Stunden je Flug angenommen und würden von einem rationalen Konsumenten in der Planung berücksichtigt werden. Für die übrigen Verkehrsmittel sind hingegen die Vorbereitungszeiten gering, sodass die dadurch entstehenden Zeitkosten als vernachlässigbar gering eingeschätzt werden können und daher nicht mit einberechnet werden. Den Full-Price eines Verkehrsmittels j erhält man durch Multiplikation der Summe aus Fahrkosten und Reisezeitkosten mit der Entfernung: (1) Zur Ermittlung der Emissionen wird auf Daten des Umweltbundesamtes (UBA) zurückgegriffen, welches die durchschnittlichen Emissionen einzelner Verkehrsmittel pro Personenkilometer bestimmt hat (siehe Tabelle 1). Der Fokus dieses Aufsatzes liegt auf den THG- Emissionen, da diese über die politisch diskutierte Reform der Energiesteuer für Diesel oder über eine CO 2 - Besteuerung internalisiert werden könnten. Der Vergleich der Emissionen erfolgt in diesem Fall über das zur Verfügung stehende Full-Price Budget. Es wird angenommen, dass ein Konsument, der ein verlängertes Wochenende verreisen möchte, ein Budget von 600 EUR zur Verfügung hat. Ein Teil dieses Gesamtbudgets ist der An-/ Abreise vorbehalten und damit implizit als Full-Price Budget festgelegt. Angenommen, das Full-Price Budget für Hin- und Rückreise beträgt 1/ 3 des Gesamtbudgets, so stünden je Fahrt 100 EUR zur Verfügung. Die neue Kennzahl Full-Price-Emissions wird dann wie folgt ermittelt: Mithilfe von Formel (1) ist es möglich zu berechnen, welche Entfernungen (in km) verkehrsmittelspezifisch mit dem vorhandenen Budget maximal zurückgelegt werden können: (2) Die Entfernungen werden dann mit den durchschnittlichen Emissionsfaktoren des UBA multipliziert. Abschließend werden die resultierenden Emissionen ins Verhältnis zum Full-Price gesetzt, sodass sich die Kennzahl Full-Price-Emissions als Größe Emissionen (in kg CO 2 - Äq.) je Person und Euro Full-Price ergibt: (3) Analyse und Ergebnisse Die THG-Emissionen (in kg CO 2 -Äquivalenten) für ein- Full-Price Budget von 100 EUR sind in Bild 3 dargestellt. Emissionsart Fernbus Eisenbahn, Fernverkehr Flugzeug PKW Treibhausgase (g/ Pkm) 32 36 201 139 Kohlenmonoxide (g/ Pkm) 0,04 0,02 0,13 0,60 Kohlenwasserstoffe (g/ Pkm) 0,02 0,00 0,04 0,14 Stickoxide (g/ Pkm) 0,05 0,04 0,51 0,34 Feinstaub (g/ Pkm) 0,002 0,000 0,004 0,004 Auslastung 59 % 56 % 82 % 1,5 Pers./ PKW Tabelle 1: Durchschnittliche Emissionen einzelner Verkehrsmittel im Personenverkehr 6 0,0 50,0 100,0 150,0 200,0 kg CO2-Äquivalenten Treibhausgasemissionen Pkw Fernbus Flugzeug Eisenbahnfernverkehr Bild 3: THG-Emissionen in kg CO 2 -Äquivalenten bei einem Full-Price Budget von 100 EUR Quelle: Eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 59 Wissenschaft MOBILITÄT Der Fernbus weist dabei die geringsten THG-Emissionen (~ 12,8 kg CO 2 -Äq.) auf. Ein Aspekt, der dieses Ergebnis begründet, ist die verhältnismäßig hohe Durchschnittsauslastung der Fernbusse (59 %) sowie eine moderne Fahrzeugflotte, die sich in einen geringen THG- Emissionsfaktor übertragen. Der wesentlichere Grund liegt jedoch in den Geschwindigkeiten der Verkehrsmittel, die die möglichen Entfernungen beeinflussen. Mit dem Flugzeug sind aufgrund seiner hohen Durchschnittsgeschwindigkeit in kurzer Zeit weite Entfernungen überwindbar, während mit dem Fernbus in vergleichbarer Zeit deutlich kürzere Distanzen zu überwinden sind. Dies wird im nachfolgenden Vergleich der Kennzahlen besonders deutlich. Der Abstand gegenüber der Eisenbahn ist gering (~ 15,4 kg CO 2 -Äq.) und hängt vom Energiemix ab. Diesbezüglich sind in Zusammenhang mit der steigenden Energieerzeugung durch Erneuerbare Energien künftig positive Entwicklungen für die Eisenbahn zu erwarten. Auch eine höhere Auslastung der Eisenbahnen könnte zu einer Verbesserung der relativen THG-Emissionsbelastung führen. Die PKW verursachen bei einem Budget von 100 Euro etwa viermal so hohe THG-Emissionen (~ 52,8 kg CO 2 -Äq.). Das Flugzeug stößt trotz höchster Durchschnittsauslastung (82- %) mit großem Abstand die meisten THG-Emissionen aus (~ 240,7 kg CO 2 -Äq.). Ein Vergleich der entfernungsbezogenen Emissionskennzahl mit den Full-Price-Emissions ist in Bild 4 (Werte des Fernbusses wurden als Bezugsgröße auf 1 normiert) dargestellt. Unabhängig vom Fahrzweck bzw. der gewählten Kennzahl verursacht das Flugzeug die höchsten relativen Emissionen, während Eisenbahn und Fernbus in beiden Vergleichen am umweltfreundlichsten bewertet werden können. Die Ergebnisse der Kennzahlen deuten damit zwar in die gleiche Richtung, dennoch ist ein Unterschied besonders signifikant: Die relative Umweltschädlichkeit des Flugzeugs ist bei Betrachtung der Full-Price-Emissions wesentlich größer (das etwa 19-Fache gegenüber dem Fernbus, siehe Bild 4 rechts) als bei den konventionellen, relationsbezogenen Emissionsvergleichen (das Sechsfache gegenüber dem Fernbus, siehe Bild-4 links). Die Endogenität des Zielortes bestimmt die Ergebnisse beim Vergleich der Full-Price-Emissions. Bei fixen Full- Price Budgets sind mit dem Flugzeug aufgrund niedriger Ticketpreise und verhältnismäßig kurzer Reisefahrzeiten vergleichsweise große Entfernungen zu überwinden. Insbesondere die starke Konkurrenz im Low-Cost-Bereich beeinflusst diese Tendenz. Zwar bieten Fernbusse und Eisenbahnen im Fernverkehr auch günstige Fahrpreise (etwa Super-Sparpreise), doch sind mit diesen höhere Zeitkosten verbunden, da die Reisefahrzeiten je nach Entfernung spürbar länger sind. 7 Dadurch werden die mit einem bestimmten Budget erreichbaren Entfernungen eingeschränkt. Insgesamt übertragen sich diese Distanzunterschiede in stärker auseinanderfallende absolute THG-Emissionen und damit auch Full-Price- Emissions. Der Klimanachteil des Flugzeugs ist dabei bei kleinen Budgets geringer, da die Zeiten für Check-in und Checkout einen größeren Anteil am Full-Price Budget ausmachen. Mit zunehmenden Budget steigt der Klimanachteil deutlich an, da sowohl geringere Fahrpreise als auch Fahrzeiten negativ auf die Emissionsbelastung wirken (aufgrund größerer Entfernungen). Schlussfolgerungen und Diskussion Die im Verkehrssektor insgesamt steigenden THG- Emissionen haben eine Diskussion um geeignete klimapolitische Maßnahmen in Gang gebracht. Aus theoretischer Sicht wären sowohl der sektorübergreifende Zertifikatehandel (z.B. Cap-and-Trade-System) als auch eine allumfassende CO 2 -Steuer geeignete Instrumente. In der Praxis wird jedoch über eine Erhöhung der Energiesteuer für Diesel oder eine CO 2 -Steuer diskutiert, die einige Sektoren wie Flug- und Schiffsverkehr nicht oder nur teilweise berücksichtigen. Diese Maßnahmen können sektorspezifisch ein Schritt in Richtung First-Best sein, zugleich aber aufgrund der nicht-optimalen Situation in einem anderen Sektor die Umweltschäden vergrößern. Eine Second-Best Lösung sollte diesen Effekt berücksichtigen. Die Berechnungen der hier neu entwickelten Kennzahl Full-Price-Emissions offenbaren diese Problematik: Die Einführung einer CO 2 -Steuer (oder in ähnlicher Form eine Erhöhung der Energiesteuer für Diesel) betrifft sowohl den Straßenals auch den Eisenbahnverkehr direkt. Es wäre damit zu rechnen, dass die zusätzli- 0,0 5,0 10,0 15,0 20,0 kg CO2-Äq./ Pkm Entfernungsbezogene Treibhausgasemissionen Pkw Fernbus Flugzeug Eisenbahnfernverkehr 0,0 5,0 10,0 15,0 20,0 kg CO2-Äq./ Person und € Full-Price-Emissions Pkw Fernbus Flugzeug Eisenbahnfernverkehr Bild 4: THG-Emissionen einzelner Verkehrsmittel, links: entfernungsbezogen (THG-Emissionen in kg CO 2 -Äq. je Pkm), rechts: Full-Price-Emissions (THG-Emissionen in kg CO 2 -Äq. je Person und Euro) Quelle: Eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (71) 3 | 2019 60 MOBILITÄT Wissenschaft che Steuerbelastung an die Konsumenten weitergegeben würde. Bei festgelegten Budgets würden durch steigende Full-Prices Substitutionseffekte provoziert. In unserem Beispiel könnte das etwa bedeuten, dass der Kurzurlaub an der Ostsee (mit dem PKW) durch eine Flugreise nach Mallorca substituiert wird. Damit verbunden wäre ein Anstieg der Umweltbelastung um den Faktor 4. Ein Vorteil der entfernungsbezogenen Kennzahl ist, dass die Emissionen „technisch“ korrekt berechnet und darauf basierend mit einer ökonomischen Bewertung versehen werden, aber exogen in Bezug auf die Entscheidung des Verkehrsmittels und der zurückgelegten Relation sind. Auch spielt eine Änderung der Umweltpolitik, beispielsweise die Einführung einer CO 2 -Abgabe im Flugverkehr, für die Berechnung der Emissionen pro km keine Rolle. Die Kennzahl Full-Price-Emissions ist politikabhängig und ändert sich, wenn sich die Politik ändert. Auch deshalb ist eine Übertragbarkeit auf Länder mit anderer Umweltpolitik nicht möglich. Die Komplexität der Full-Price-Emissions, und damit einhergehend das Problem der schwierigeren Interpretierbarkeit, wird jedoch aufgewogen durch die durch sie zu gewinnenden Erkenntnisse. Besonders deutlich wird die Notwendigkeit einer Gesamtbetrachtung von Politikmaßnahmen, um nicht-intendierte, klimaschädliche Substitutionseffekte zu vermeiden. Als neues Instrument können dafür die Full-Price-Emissions genutzt werden. ■ 1 Vgl. Laage et al., 2015; Bruns et al., 2018. 2 Vgl. Umweltbundesamt, 2018; Bruns et al., 2018, S. 53. 3 Es wurden die drei Fahrzeugklassen mit den höchsten Anteilen am Fahrzeugbestand in Deutschland gewählt; dies waren im Jahr 2018 die Fahrzeugklassen Kleinwagen, Kompaktklasse und Mittelklasse. 4 Die gewählten Fahrzeugmodelle für Benzin-PKW sind: Volkswagen Polo VI 1.0 MPI (Kleinwagen), Volkswagen Golf VII 1.0 TSI (Kompaktklasse), BMW 320i (Mittelklasse); und für Diesel-PKW: Volkswagen Polo VI 1.6 TDI (Kleinwagen), Volkswagen Golf VII 1.6 TDI (Kompaktklasse), BMW 318d (Mittelklasse). 5 Vgl. Intraplan Consult et al., 2015, S. 282, 336. Abschreibungen sind demnach zu 50 % fahrleistungsabhängig. 6 Vgl. Umweltbundesamt, 2018; Bruns et al., 2018, S. 53. 7 Beispielsweise würde eine Fahrt von Hamburg nach München mit dem Fernbus etwa 11 Stunden dauern, während das Flugzeug diese Distanz innerhalb von ca. 1,5 Stunden (+1,5 Std. Check-in/ -out) schafft. LITERATUR Bruns, Frank, Peter de Haan, Roberto Bianchetti, Robert Follmer und Johannes Eggs (2018): „Bestandsaufnahme zu den Auswirkungen von Fernbusreisen auf Verkehrsentwicklung und Emissionen in Deutschland“. In: Umweltbundesamt TEXTE 33 infas, DLR, IVT und infas360 (2018): Mobilität in Deutschland - MiD Ergebnisbericht (im Auftrag des BMVI) Intraplan Consult GmbH, Planco Consulting GmbH, TUBS GmbH (2015): Grundsätzliche Überprüfung und Weiterentwicklung der Nutzen-Kosten-Analyse im Bewertungsverfahren der Bundesverkehrswegeplanung Kirnich, Peter (2013): „Fernbus vs. Bahn - Fernbusse: Günstig, aber langsamer“. In: Berliner Zeitung, 15.09.2013 Laage, Tim, Thilo Becker und Sven Lißner (2015): „Liberalisierung des Fernbusverkehrs - Wie hoch ist der Beitrag zum Klimaschutz? “ In: Internationales Verkehrswesen (67) 1, S. 52-54 Ryanair (2018): Annual Report Statista (2019a): Entwicklung der Kilometerpreise für Fernbuskunden in Deutschland von 2012 bis 2018. https : / / de. statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 380601/ umfrage/ kilometerpreise-fernbuslinien-in-deutschland Statista (2019b): Verkehrsleistung der IC- und EC-Züge der Deutsche Bahn AG in den Jahren 2004 bis 2018. https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 162885/ umfrage/ verkehrsleistung-der-ic--und-ec-zuege-derdeutschen-bahn-seit-2004 Statista (2019c): Verkehrsleistung der ICE-Züge der Deutsche Bahn AG in den Jahren 2004 bis 2018. https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 162884/ umfrage/ verkehrsleistungder-ice-zuege-der-deutschen-bahn-seitdem-jahr-2004 Statistisches Bundesamt (2017): 111,9 Millionen Flugpassagiere im Jahr 2016 - neuer Rekordwert. www.destatis.de/ DE/ Presse/ Pressemitteilungen/ 2017/ 02/ PD17_066_464.html Umweltbundesamt (2018): Emissionsdaten. www.umweltbundesamt.de/ themen/ verkehrlaerm/ emissionsdaten#textpart-1 Gernot Sieg, Prof. Dr. Institutsleiter, Institut für Verkehrswissenschaft, Westfälische Wilhelms-Universität Münster gernot.sieg@uni-muenster.de Thomas Hagedorn, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Verkehrswissenschaft, Westfälische Wilhelms-Universität Münster thomas.hagedorn@uni-muenster.de Brief und Siegel für Wissenschafts-Beiträge Peer Review - sichtbares Qualitätsinstrument für Autoren und Leserschaft P eer-Review-Verfahren sind weltweit anerkannt als Instrument zur Qualitätssicherung: Sie dienen einer konstruktiv-kritischen Auseinandersetzung mit Forschungsergebnissen, wissenschaftlichen Argumentationen und technischen Entwicklungen des Faches und sollen sicherstellen, dass die Wissenschaftsbeiträge unserer Zeitschrift hohen Standards genügen. Herausgeber und Redaktion laden daher Forscher und Entwickler im Verkehrswesen, Wissenschaftler, Ingenieure und Studierende sehr herzlich dazu ein, geeignete Manuskripte für die Rubrik Wissenschaft mit entsprechendem Vermerk bei der Redaktion einzureichen. Die Beiträge müssen „Originalbeiträge“ sein, die in dieser Form und Zusammenstellung erstmals publiziert werden sollen. 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