Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2019-0071
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Klimastrategie im Mobilitätssektor: Mutlos, zögerlich und umsetzungsschwach
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2019
Gerd Aberle
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Gerd Aberle KURZ + KRITISCH Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 9 Klimastrategie im Mobilitätssektor: Mutlos, zögerlich und umsetzungsschwach D ie Klimakrise durch CO 2 -Emissionen ist eine fundamentale Herausforderung. Eine Reduzierung des hohen Beitrages des Mobilitätssektors ist nicht nur unabdingbar, sondern zeitlich dringend. Denn hier können mit vergleichsweise geringen unerwünschten Effekten erhebliche positive Wirkungen beim CO 2 -Ausstoß erreicht werden. Allerdings: Der Widerstand der Betroffenen im Mobilitätssektor wird politisch gefürchtet. Während durch Weltmarktschwankungen und marktstrategische Preisvariationen auftretende Preisbewegungen ohne Widerstände hingenommen werden, folgt bei Regulierungseingriffen - ziemlich unabhängig von deren Höhe - eine öffentliche Aufregung. Strategisch ist der Start mit einer CO 2 -Abgabe auf Basis von lediglich 10 EUR/ t CO 2 , also einem Preiseffekt von 3 ct/ l fossilen Brennstoffs, ein Systemfehler. Eine solche CO 2 -Abgabe mit folgenden Erhöhungen um den gleichen Wert erreicht im entscheidenden Basisjahr und dem Folgejahr noch nicht einmal die täglichen Variationen der Tankstellenpreise. Es ist wenig wahrscheinlich, dass dies im Verkehrsbereich überhaupt problemorientiert wahrgenommen wird. Der Industriesektor wird mit dem fast fünffachen Kosteneffekt bereits durch die Emissionszertifikate belastet - und dort sind Verhaltensänderungen ungleich schwieriger. Verhaltensänderungen im Mobilitätssektor - und um die geht es vorrangig - müssen durch preislich fühlbare Zusatzbelastungen vom Beginn der Maßnahmen an gefördert werden. Bei 3 ct/ l fossilen Brennstoffs fehlt der erforderliche Druck, individuelles Verhalten zu überdenken. Und das muss bereits zu Beginn der Regulierungsmaßnahmen erfolgen und nicht in einem quälenden langwierigen, über Jahre verteilten unerfreulichen Diskussionsprozess. Insofern wäre für die Treibstoffbelastung durch CO 2 -Abgaben im Startjahr eine Anhebung des Äquivalenzwertes auf 25 EUR/ t CO 2 , also rund 7,5 ct/ l, strategisch sinnvoll. Die gegenwärtig geplanten 3-ct führen zu unvertretbarer Zeitverzögerung angesichts der Dramatik des Klimaproblems. Förderlich für eine breite Akzeptanz der notwendigen Preismaßnahmen zur Erreichung von Klimazielen wäre es gewesen, bereits mittelfristig wirkende Regulierungsmaßnahmen anzukümdigen. Etwa die Vorgabe für in deutsche Seehäfen einlaufende Kreuzfahrtschiffe, bei den Hafenliegezeiten die Energieversorgung ausschließlich mit Landstrom durchzuführen. Die notwendigen Investitionen in den Häfen sollten kein Grund für Nichtstun sein, auch nicht eine zurückhaltende Position der Häfen mit Hinweisen auf deren Wettbewerbssituation. Hinsichtlich der vorgesehenen Erhöhung der Luftverkehrssteuer ist die politische Zurückhaltung in höchstem Maße kontraproduktiv. Die im Klimapaket vorgesehenen Zuschläge von 13 bis 59- EUR sind keinerlei Beitrag zu Reduzierung der hohen CO 2 -Belastungen. In diesen Preislagen sind die Preiselastizität der Nachfrage und die Kreuzpreiselastizitäten zu niedrig, um Flugreisenverzicht, Ausweichen auf ausländische Flughäfen oder zum politisch überbewerteten Hoffnungsträger Bahn erwarten zu können. Flughafen- und Flugunternehmensinteressen verhindern wirksame Regulierungsmaßnahmen. Und: Warum sollen Menschen auf Flugreisen verzichten, wenn insbesondere die Bundesverwaltung im innerdeutschen Flugverkehr eine Hauptnutzergruppe ist? Die durch die Schwachstellen des Klimapakets aufgeheizte öffentliche Diskussion führt zu grotesken Aussagen. So etwa in der TV-Sendung Anne Will am 15. September, als die Vertreterin von Green Peace ein Verbot der Zulassung von Benzin- und Dieselfahrzeugen ab 2025, also in fünf Jahren, forderte. Man stelle sich die chaotischen Auswirkungen auf die Fahrzeughersteller und die Zulieferindustrie vor. Doch das Studiopublikum applaudierte heftig. Und am nachfolgenden Freitag, dem ersten Herbstferientag in Hessen, stöhnte der Frankfurter Flughafen unter 240.000 Fluggästen. Es zeigt sich wieder einmal: Zwischen Beifallsbekundungen und Forderungen und tatsächlichem Verhalten besteht auch in der Klimadiskussion ein nicht nur sehr großer, sondern angesichts der existenziellen Gefährdung unserer Lebensumwelt geradezu erschreckender Unterschied. Und es sollte nicht verdrängt werden: Deutschland hat einen Anteil an den gesamten CO 2 -Emissionenen von etwa 2,3 %, über 1.000 Kohlekraftwerke sind weltweit im Bau oder in Planung und riesige CO 2 -Emissionen werden durch Brandstiftungen im Amazonasgebiet und Indonesien erzeugt. Ob Deutschland mit seinen Maßnahmen ein Vorbild für den Rest unserer Welt werden könnte oder sollte? ■ Prof. Gerd Aberle zu Themen der Verkehrsbranche
