Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2019-0072
111
2019
714
CO2-Bepreisung und Entfernungspauschale
111
2019
Christian Holz-Rau
Im Verkehrsbereich soll das Instrument des CO2-Preises finanzielle Anreize für ein verändertes Verkehrsverhalten (kürzere Wege z. B. in der Freizeit, mehr Fahrten mit Bus, Bahn oder Fahrrad statt mit dem Auto) und zum Kauf von Fahrzeugen mit geringeren CO2-Emissionen setzen. Im Folgenden nehmen 15 Professorinnen und Professoren der Verkehrsplanung an deutschen Universitäten hierzu Stellung und zeigen: Die jetzt von der Bundesregierung beschlossenen CO2-Preise im Verkehr verteuern, anders als in nominalen Preisen dargestellt, den realen Benzinpreis nicht um 10 ct/l verteilt auf sechs Jahre, sondern aufgrund der Inflation nur um 2,6 ct/l. Für viele Autopendler verbilligt die erhöhte Pendlerpauschale die Autofahrt zur Arbeit sogar.
iv7140010
POLITIK Emissionssteuer Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 10 CO 2 -Bepreisung und Entfernungspauschale Die eingebildete Steuererhöhung CO 2 -Steuer, Klimaschutz, Kraftstoffpreis Im Verkehrsbereich soll das Instrument des CO 2 -Preises finanzielle Anreize für ein verändertes Verkehrsverhalten (kürzere Wege z. B. in der Freizeit, mehr Fahrten mit Bus, Bahn oder Fahrrad statt mit dem Auto) und zum Kauf von Fahrzeugen mit geringeren CO 2 -Emissionen setzen. Im Folgenden nehmen 15 Professorinnen und Professoren der Verkehrsplanung an deutschen Universitäten hierzu Stellung und zeigen: Die jetzt von der Bundesregierung beschlossenen CO 2 -Preise im Verkehr verteuern, anders als in nominalen Preisen dargestellt, den realen Benzinpreis nicht um 10 ct/ l verteilt auf sechs Jahre, sondern aufgrund der Inflation nur um 2,6 ct/ l. Für viele Autopendler verbilligt die erhöhte Pendlerpauschale die Autofahrt zur Arbeit sogar. Christian Holz-Rau D as Klimakabinett vereinbarte die Einführung eines CO 2 -Preises von 10 EUR/ t CO 2 im Jahr 2021, der bis 2025 auf 35 EUR/ t CO 2 steigen soll ([1]: 4). Dies wird von den meisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern als unzureichend kritisiert. Die ursprünglichen Vorschläge der Bundesumweltministerin auf Basis eines Gutachtens des DIW [2] lagen um ein Vielfaches höher. Politik und Medien sprechen von einer Erhöhung der Abgaben auf Benzin um 10-ct/ l bis zum Jahr 2025. Dies ist aufgrund der Kostenstruktur des Benzinpreises falsch. Zusammensetzung des Benzinpreises Der Benzinpreis 1 ergibt sich aus dem Produkteinstandspreis, den Deckungskosten der Unternehmen, der Energiesteuer sowie der Mehrwertsteuer [3]. Im politischen Zugriff befinden sich die Steuersätze und eine CO 2 -Bepreisung. Die Energiesteuer Die Energiesteuer ist eine fixe Steuer, die seit 2003 65,45 ct/ l Benzin beträgt (ohne Mwst.). Bei der „fixen“ Energiesteuer findet, anders als bei prozentual festgelegten Steuersätzen, kein selbstständiger Inflationsausgleich statt. Durch die Inflation ist die Energiesteuer je Liter seit 2003 real um etwa 20 % gesunken, gegenüber den Einkommen sogar um 26 %. 2 Nach den aktuellen Entscheidungen bleibt die Energiesteuer nominal konstant und sinkt real (inflationsbereinigt) bis 2025 um etwa 9 % bzw. 6,5 ct/ l (einschl. Mwst.). Der CO 2 -Preis Ab 2021 soll dieses Preisgefüge ergänzt werden durch die CO 2 -Bepreisung, steigend von 10 EUR/ t CO 2 im Jahr 2021 auf 35 EUR/ t CO 2 im Jahr 2025. Für den Liter Benzin folgt aus dem CO 2 -Preis von 35 EUR/ t CO 2 ein nominaler Aufschlag von knapp 10 ct/ l Benzin. Dies entspricht zu heutigen Preisen einem realen Aufschlag von 9,04 ct/ l Benzin (einschl. Mwst., Umrechnung des CO 2 -Preises von EUR/ t auf ct/ l anhand [2]: 5). Energiesteuer plus CO 2 -Preis - eine Bilanz Nachfragerelevant ist dabei nicht die Zusammensetzung der Belastung, sondern allein die Gesamtbelastung. Dabei heben sich die neue CO 2 -Abgabe und die Inflationsverluste der Energiesteuer weitgehend auf: 9,04 ct/ l - 6,49 ct/ l = 2,55 ct/ l (zu Preisen von 2019). Die Beschlüsse des Klimakabinetts erhöhen also die Abgaben auf Benzin inflationsbereinigt nicht um 10 ct/ l, sondern lediglich um 2,55 ct/ l bis zum Jahr 2025, im Durchschnitt also um nicht einmal 0,5 ct/ a. Vergleicht man die Abgabenentwicklung mit der voraussichtlichen Einkommensentwicklung, bleiben die Abgaben je Liter nahezu konstant (+0,54 ct/ l von 2019 bis 2025, siehe Bild 1). Der ursprüngliche Vorschlag der Bundesumweltministerin, der damit immer noch hinter den Prognosegrundlagen des Bundesverkehrswegeplans 2014 blieb ([4]: 16), hätte immerhin 8,2 ct/ l für das Jahr 2020 und 19,3 ct/ l für das Jahr 2025 ergeben. Der Beschluss und seine Kommunikation führen zu einer eingebildeten Mehrbelastung, die mangels Inflations- und Einkommensbereinigung deutlich höher erscheint, als sie ist. Der Beschluss zur CO 2 - Bepreisung gibt keinen Anreiz zur CO 2 -Einsparung und keine Begründung für eine Kompensation. Die erhöhte Entfernungspauschale Trotzdem wurde beschlossen, die Entfernungspauschale zu erhöhen (5 ct/ km ab 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 2019 2020 2021 2022 2023 2024 2025 Energiesteuer/ l mit MWst. CO2-Preis/ l mit Mwst. ct/ l 77,9 76,4 77,7 79,0 78,8 78,6 78,4 Bild 1: Entwicklung der Abgaben auf Benzin als Summe von Energiesteuer und CO 2 -Preis nach Beschluss des Klimakabinetts in ct/ l (inflations- und einkommensbereinigt mit 1,89 %/ a) Quelle: Autor Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 11 Emissionssteuer POLITIK dem 21. Kilometer einfache Entfernung, befristet bis zum 31.12.2026, [1]: 5), um ein Vielfaches der geringfügigen Mehrkosten. Denn bei einem Verbrauch von 8 l/ 100 km und inflationsbereinigten Zusatzbelastungen von 2,55 ct/ l bis zum Jahr 2025 steigen die Kosten nur um 0,20 ct/ km. Bei einer einfachen Entfernung von 50-km und einem Grenzsteuersatz von 45 % bleiben im Jahr 2025 durch die Entfernungspauschale 93 EUR mehr im Portemonnaie, bei 100 km sogar 279 EUR (in Preisen von 2019, siehe Tabelle 1). Die erhöhte Entfernungspauschale führt verbunden mit dem geringen CO 2 -Preis und den Inflationsverlusten der Energiesteuer zu einer Überkompensation bei hohen Pendeldistanzen mit dem PKW (oberhalb 60 km gilt die Pauschale im ÖV nicht), vor allem bei hohen Einkommen. Erfolgreicher Klimaschutz senkt Steuereinnahmen und Nutzerkosten Bei Erreichen der Klimaschutzziele 2030, auf die sich die Bundesregierung gleichzeitig festgelegt hat ([1]: 8), werden 40 % bis 42 % weniger Kraftstoffe verbrannt, verkauft und bezahlt. Eine erfolgreiche Klimapolitik im Verkehr kann daher die Autofahrerinnen und Autofahrer entlasten, selbst bei steigenden Kraftstoffpreisen. So stellt sich die Frage nach einer Kompensation der Mindereinnahmen des Staates aus der Energiesteuer. Die Einnahmen werden in den nächsten zehn Jahren abhängig von der Höhe des CO 2 -Preises sinken, ab 2050 mit dem Ziel der Null-Emission entfällt diese Einnahmequelle nahezu vollständig. Um die Verkehrsinfrastruktur in Zukunft zu erhalten und zu modernisieren, müssen weitere Einnahmequellen erschlossen werden - z. B. durch Straßenbenutzungsgebühren. 3 Schlussfolgerungen Die beschlossenen CO 2 -Preise setzen bei erhöhter Entfernungspauschale und inflationsbedingt sinkender Energiesteuer keinen relevanten Anreiz zur Reduzierung der CO 2 -Emissionen im Verkehr. Erwerbstätige mit hohen Distanzen und Einkommen profitieren sogar. Die Beschlussfassung erfordert eine erneute Diskussion. Dabei gilt: • Angaben von nominalen Preisen, die weder die Inflation noch die Einkommenssteigerungen berücksichtigen, führen zu einer drastischen Überschätzung der Belastung von Bürgerinnen und Bürgern. Das Ausblenden der Energiesteuer und ihrer Inflationsverluste verschärft die Problematik, da der Inflationsverlust der Energiesteuer den CO 2 -Preis weitgehend aufhebt. • Die Diskussion mehrjähriger Fristen führt zu einer weiteren Überschätzung der Preissteigerungen. Selbst die nominale Erhöhung um 10 ct/ l bis 2025 entspricht einem jährlichen Aufschlag von nur 1,7 ct/ l, der inflationsbereinigte Aufschlag von 2,55 ct/ l einem jährlichen Aufschlag von nur 0,43 ct/ l. • Eine Senkung der CO 2 -Emissionen führt zu geringeren Ausgaben für Kraftstoffe. Ein CO 2 -Preis von real 20 ct/ l wird durch eine Verbrauchsminderung von 8 auf 7 l/ 100 km vollständig kompensiert, ein CO 2 -Preis von real 50 ct/ l durch eine Verbrauchsminderung von 8 auf knapp 6-l/ 100 km. Sparsamere Autos führen zu sinkenden Ausgaben selbst bei steigenden Benzinpreisen. • Das Erreichen der Minderungsziele senkt die Einnahmen aus Energiesteuer und CO 2 -Preis, nach den Zielen für 2050 nahezu auf null. Es bedarf daher einer Kompensationsdebatte zur sinkenden Energiesteuer, zu der die Einführung einer allgemeinen Straßenmaut gehören kann. • Die Beschlüsse und die öffentliche Diskussion über höhere Abgaben auf Benzin basieren auf Fehleinschätzungen infolge methodischer Defizite. Wer sachgerechte Entscheidungen treffen und die Bürgerinnen und Bürger beim Klimaschutz mitnehmen will, muss die Energiesteuer einbeziehen, jährliche Zuschläge statt Preissteigerungen über lange Fristen betrachten sowie die Verbindung zur Kostenreduzierung durch sparsamere Fahrzeuge herstellen. ■ Folgenden Kolleginnen und Kollegen danke ich für die Unterstützung bei Kontrolle und Überarbeitung sowie der inhaltlichen Zustimmung: Prof. Dr.-Ing. Bernhard Friedrich (TU Braunschweig), Prof. Dr.- Ing. Markus Friedrich (Universität Stuttgart), Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike (TU Dresden), Prof. Dr.-Ing. Jürgen Gerlach (Universität Wuppertal), Prof. Dr.-Ing. Carsten Gertz (TU Hamburg-Harburg), Prof. Dr.-Ing. Felix Huber (Universität Wuppertal), Prof. Dr.-Ing. Tobias Kuhnimhof (RWTH Aachen), Prof. Dr.-Ing. Bert Leerkamp (Universität Wuppertal), Prof. Dr.-Ing. Wilko Manz (Universität Kaiserslautern), Prof. Dr.-Ing. Uwe Plank-Wiedenbeck (Bauhaus-Universität Weimar), Prof. Dr.-Ing. Ulrike Reutter (Universität Wuppertal), Prof. Dr. Oliver Schwedes (TU Berlin), Prof. Dr.- Ing. Carsten Sommer (Universität Kassel), Prof. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky (Universität Duisburg Essen) 1 Die folgenden Berechnungen beschränken sich auf den Benzinpreis, da dieser in der Diskussion im Vordergrund stand. Der Dieselpreis wird bei Umsetzung der bisherigen Beschlussfassung etwas stärker steigen als der Benzinpreis. 2 Für den Zeitraum von 2003 bis 2018 sind die Preise in Deutschland um 24,3 %, die Nettoeinkommen um 32,6 % gestiegen (oder um 1,46 %/ a bzw. 1,89 %/ a) (berechnet nach[5] und [6]). Diese Werte liegen den Berechnungen zugrunde. 3 Rechtlich sind Steuereinnahmen nicht zweckgebunden. Die Höhe der Energiesteuer auf Kraftstoffe (ehemals Mineralölsteuer) stand aber immer im Zusammenhang mit den Ausgaben für die Verkehrsinfrastruktur. QUELLEN [1] Die Bundesregierung (2019): Eckpunkte für das Klimaschutzprogramm 2030 (Fassung nach Klimakabinett)www.bundesregierung. de/ resource/ blob/ 975202/ 1673502/ 768b67ba939c098c994b71c0b7d 6e636/ 2019-09-20-klimaschutzprogramm-data.pdf? download=1 [2] DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung Berlin) (2019): Für eine sozialverträgliche CO 2 -Bepreisung. In: Politikberatung kompakt 138/ 2019 [3] BMFi (Bundesfinanzministerium) (2019): Grundlagenwissen zum Benzinpreis und seiner Entwicklung. https: / / www.bundesfinanzministerium.de/ Content/ DE/ Standardartikel/ Service/ Einfach_ erklaert/ 2018-01-11-grundlagen-benzinpreis.html (Zugriff 26.9.2019) [4] Holz-Rau, Christian; Mattioli, Giulio (2019): CO 2 -Steuer - worüber streitet die Politik überhaupt? In: Internationales Verkehrswesen 71 (2019), Heft 3, S. 15-17 [5] Statista (2019a): https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 2550/ umfrage/ entwicklung-des-verbraucherpreisindex/ (Zugriff 30.09.2019) [6] Statista (2019b): https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 370558/ umfrage/ monatliche-nettoloehne-und-gehaelter-jearbeitnehmer-in-deutschland/ (Zugriff 30.09.2019) Einfache Entfernung zum Arbeitsplatz Grenzsteuersatz 0 % 15 % 25 % 35 % 45 % 10 km -9 -9 -9 -9 -9 20 km -18 -18 -18 -18 -18 30 km -28 -12 -2 9 19 40 km -37 -6 15 35 56 50 km -46 0 31 62 93 60 km -55 7 48 89 131 70 km -64 13 65 116 168 80 km -73 19 81 143 205 90 km -83 26 98 170 242 100 km -92 32 114 197 279 Tabelle 1: Saldo aus Steuerersparnis und Mehrausgaben in EUR/ Jahr bei einem CO 2 -Preis von 35-EUR/ t und um 5 ct/ km erhöhter Entfernungspauschale (Jahr 2025 in Preisen von 2019) Christian Holz-Rau, Prof. Dr.-Ing. Fakultät Raumplanung, Verkehrswesen und Verkehrsplanung, TU Dortmund christian.holz-rau@tu-dortmund.de
