eJournals Internationales Verkehrswesen 71/4

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2019-0076
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Smarte Wege zum „Green Deal“ gesucht

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Frank Hütten
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Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 25 E uropa soll zum ersten Kontinent der Welt werden, der nur so viele Treibhausgase emittiert, wie die Umwelt absorbieren kann. Das hat die gewählte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen als eines der wichtigsten Ziele ihrer Amtszeit ausgegeben und einen „Green Deal“ für die Europäische Union angekündigt. Um das Ziel zu erreichen, müssen auch in der Verkehrspolitik wichtige Weichen gestellt werden. Maßgeblich mitbestimmen werden den künftigen Kurs zwei Schwergewichte an der Kommissionsspitze: Frans Timmermans - Klimaschutzkommissar und als exekutiver Vizepräsident für die Umsetzung des „Green Deal“ verantwortlich - und Margrethe Vestager, Wettbewerbskommissarin und Hauptverantwortliche für die Digitalisierung. Timmermans könnte etwa bei der Ausweitung des Emissionshandels auf den Seeverkehr und der Reform des Airline-Emissionshandels viel bewegen. Und von der Digitalisierung erhofft man sich „intelligente“ Wege zur Treibhausgasvermeidung. Alles soll „smart“ werden: smarte Gebäude, smarte Fahrzeuge, smarte Verkehrslenkungssysteme. Die Digitalisierung käme vielleicht schneller voran, wenn es dabei nur um technische Fragen ginge. Sicher, der Aufbau eines Internets der Dinge, Künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen oder die Konstruktion autonom fahrender LKW, Eisenbahnen oder Schiffe sind alles andere als trivial. Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite gibt es viele Unternehmen und Behörden, die zurückhaltend sind, den Treibstoff zur Verfügung zu stellen, der für die Digitalisierung notwendig ist: Daten. Beispiele dafür wurden bei den „Digital Transport Days“, einer von EU-Kommission und finnischer EU-Ratspräsidentschaft organisierten Konferenz, reichlich angeführt. So könnten Positions- oder Wetterinformationen von Schiffen für besseres Management von Routen oder Hafenkapazitäten zusammengeführt werden, doch oft fehlen dafür die Nutzungsrechte. Autohersteller gewähren nicht immer Zugriff auf Daten, die zum Reparieren ihrer Fahrzeuge nötig sind. Und Containerfirmen wollen oft nicht, dass Transporteure offenlegen, wo sich wie viele ihrer Behälter gerade befinden. „Fehlendes Vertrauen“ wurde bei vielen Diskussionen zwischen Vertretern aus Politik und Wirtschaft als Hauptgrund genannt, warum der Datenaustausch vielfach nicht in Gang kommt. Fehlendes Vertrauen, was die anderen mit den preisgegebenen Daten machen und wie sie gespeichert werden. Dafür gibt es auch berechtigte Gründe. Etwa die Sorge, dass durch die Verbindung zu Datenportalen Sicherheitslücken im eigenen Betrieb entstehen. Oder: Ein Verlader möchte vielleicht gerne Echtzeit-Informationen, die ihm zeigen, welche Probleme sein Spediteur beim Transport gerade hat. Mit dem Kunden, der auf die Lieferung länger warten muss, will er diese Informationen dagegen nicht so gerne teilen. Es geht bei der Digitalisierung also nicht nur um die Entwicklung neuer technologischer Möglichkeiten, sondern auch darum, wie Geschäftsmodelle dazu passen und wie sie eventuell verändert werden müssen. Ein Einstellungswandel bei Unternehmenschefs, die jahrelang miteinander konkurriert haben und jetzt plötzlich kooperieren sollen, kann nötig sein, damit die Digitalisierung die Effizienz der Transportwirtschaft erhöhen und den Verkehr klimafreundlicher machen kann. Das ist der menschliche und der unternehmerische Faktor der Digitalisierung. Von ihm hängt maßgeblich ab, welche Früchte die Digitalisierung am Ende trägt. Die EU-Institutionen sind gefragt, hier Einfluss zu nehmen und nicht nur die Entwicklung von neuen Technologien zu fördern und zu koordinieren. Vertrauen für einen Datenaustausch über Grenzen hinweg aufzubauen, ist eine klassische EU-Aufgabe. Das kann über Regulierung geschehen und indem Systeme für ein sicheres Teilen von Daten gefördert werden, in denen jeder Teilnehmer noch kontrollieren kann, mit wem er welche Informationen teilen-will. Auch die Standardisierung von Datenformaten ist eine internationale Aufgabe. Sie muss - mindestens - auf europäischer Ebene gelöst werden, damit eine umfassende Vernetzung möglich wird und keine „Daten-Silos“ entstehen. Die scheidende EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc sagte, dass sie sich zur Förderung des Datenaustauschs eine Diskussion wünscht, die weniger darum kreist, wem Daten gehören, sondern darum, welche Daten von wem genutzt werden können. Hier die Weichen zu stellen, ist Aufgabe der neuen EU-Kommission und der anderen EU-Institutionen. ■ Frank Hütten EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Verkehrs-Zeitung B E R I C H T A U S B R Ü S S E L VON FRANK HÜTTEN Smarte Wege zum „Green Deal“ gesucht