Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2019-0078
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2019
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Übermittlung von Informationen in der humanitären Logistik
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2019
Oliver Baldauf
Sarah Kohl
Antonio Olivieri
Dieter Uckelmann
Wenn Naturkräfte ihre volle Wirkung zeigen, sind Menschenleben gefährdet, und die Infrastruktur gesamter Landstriche wird unter Umständen zerstört. Die humanitäre Logistik ist dann ein elementarer Bestandteil, um Menschenleben zu retten und Verletzte zu versorgen. Dabei gilt es, die Potenziale und Herausforderungen des Einsatzes von Informationstechnologien sowie Technologien zur Übermittlung von Informationen, die die Prozesse innerhalb der Supply Chain der humanitären Logistik optimieren sollen, zu ermitteln. In diesem Beitrag soll vor allem herausgefunden werden, inwiefern Technologien unterstützend eingesetzt werden können, um die Kommunikation und Koordination entlang der gesamten Prozesskette zu verbessern.
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Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 30 INFRASTRUKTUR Informationstechnologie Übermittlung von Informationen in der humanitären Logistik Die Potenziale und Herausforderungen von Technologien Humanitäre Logistik, Informations- und Kommunikationstechnologie, Supply Chain Wenn Naturkräfte ihre volle Wirkung zeigen, sind Menschenleben gefährdet, und die Infrastruktur gesamter Landstriche wird unter Umständen zerstört. Die humanitäre Logistik ist dann ein elementarer Bestandteil, um Menschenleben zu retten und Verletzte zu versorgen. Dabei gilt es, die Potenziale und Herausforderungen des Einsatzes von Informationstechnologien sowie Technologien zur Übermittlung von Informationen, die die Prozesse innerhalb der Supply Chain der humanitären Logistik optimieren sollen, zu ermitteln. In diesem Beitrag soll vor allem herausgefunden werden, inwiefern Technologien unterstützend eingesetzt werden können, um die Kommunikation und Koordination entlang der gesamten Prozesskette zu verbessern. Oliver Baldauf, Sarah Kohl, Antonio Olivieri, Dieter Uckelmann I n den letzten Jahren ist ein akuter Anstieg von Naturkatastrophen zu verzeichnen [1]. Ob Tsunamis, Erdbeben oder andere Ereignisse - wenn Naturkräfte ihre volle Wirkung zeigen, sind Menschenleben gefährdet und die Infrastruktur gesamter Landstriche wird unter Umständen zerstört. Die humanitäre Logistik ist dann ein elementarer Bestandteil, um Menschenleben zu retten und Verletzte zu versorgen [2]. Die vorliegende Studie beschäftigt sich mit den Potenzialen und Herausforderungen des Einsatzes von Informationstechnologien sowie Technologien zur Übermittlung von Informationen, welche die Prozesse innerhalb der Supply Chain der humanitären Logistik optimieren sollen. Hierbei soll vor allem herausgefunden werden, inwiefern Technologien unterstützend eingesetzt werden können, um die Kommunikation und Koordination entlang der gesamten Prozesskette zu verbessern. Auf Basis einer Literaturrecherche werden diese Herausforderungen und Potenziale des Einsatzes von ausgewählten Informationstechnologien in der humanitären Logistik beleuchtet. Abschließend wird unter Darstellung eines optimierten Einsatzes kombinierter Technologien eine Handlungsempfehlung für den effizienten Einsatz von Informationstechnologien in der humanitären Logistik vorgestellt. Hintergrund Der zunächst nicht kritisch erscheinende globale Anstieg von Naturphänomenen kann bei genauerer Betrachtung erhebliche Probleme bergen - nämlich dann, wenn sich die auftretenden Naturphänomene zu Naturkatastrophen entwickeln [3]. In diesem Fall kann eine schnelle Handlung von großer Bedeutung sein für die schnelle Soforthilfe und die daraus resultierende Anzahl an Überlebenden [4]. Einen großen Anteil des Aufwands humanitärer Interventionen in Krisengebieten trägt dabei die Logistik. Für eine korrekte und schnelle Reaktion auf Naturkatastrophen ist es relevant, sich bewusst zu machen, welchen Herausforderungen in diesem Zusammenhang die Logistik begegnen muss. Hierfür ist es wichtig zu verstehen, welche Handlungen nach dem Auftreten von Naturkatastrophen in welcher Reihenfolge durchgeführt werden müssen und welche Herausforderungen sich für die einzelnen Prozessschritte im Besonderen ergeben [5]. Weiterführend ist zu erwähnen, dass verschiedene Ausprägungsformen von Naturkatastrophen in Wechselwirkungen zueinanderstehen oder weitere Auswirkungen, wie zum Beispiel den Zusammenbruch der Energie- und Bild 1: Akteure und deren Kompetenzen innerhalb der humanitären Logistik Eigene Darstellung in Anlehnung an [7] Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 31 Informationstechnologie INFRASTRUKTUR Stromversorgung, nach sich ziehen können [5]. Ebenso können Kommunikationssysteme gestört sein. Das hätte wiederum Folgen für den zuverlässigen Einsatz von unterstützenden Informationstechnologien. Akteure und Herausforderungen entlang der humanitären Supply Chain Um einen Überblick zu geben, wie den allgemeinen Herausforderungen einer Naturkatastrophe entgegengetreten werden kann, werden in diesem Kapitel zunächst die Akteure der Supply Chain humanitärer Logistik betrachtet, bevor anschließend auf den Status quo und die daraus resultierenden Herausforderungen Bezug genommen wird. Zu den Akteuren zählen nicht nur die Verantwortlichen, welche notwendige Ressourcen zur Verfügung stellen, sondern auch Personen und Organisationen, welche im Rahmen der Katastrophenvorsorge und -bewältigung handeln. Die beteiligten Akteure können in drei Bereiche eingeordnet werden. Zunächst existieren, wie in Bild 1 dargestellt, die Mittelgeber, deren Aufgabe es ist, notwendige Güter zur Verfügung zu stellen. Dabei können diese in Form von staatlichen Einrichtungen sowie spendenden Privatpersonen auftreten. Je nach Reichweite der staatlichen Organisationen erfolgt die Differenzierung zwischen internationalen, nationalen oder im kommunalen Bereich agierenden Organisationen [6]. Ein weiterer Akteur sind Hilfsorganisationen, welche insbesondere den Bewältigungsprozess einer Katastrophe begleiten und vor allem für die eigentliche Verfügbarkeit von Hilfe zuständig sind. Hilfsorganisationen können staatlich oder nicht staatlich organisiert sein [7]. Im humanitären Supply Chain Netzwerk befinden sich zudem Akteure, wie zum Beispiel Logistikdienstleister, Privatpersonen, Regierungen, das Militär aber auch Personen, welche selbst von der jeweiligen Katastrophe tangiert wurden [6]. Die Rolle der Logistikdienstleister besteht dabei wie in Bild 1 erkennbar in der Aufgabe, sowohl die Ressourcenbündelung als auch die Ressourcenallokation für die Hilfsorganisationen zu planen und durchzuführen. Ihr fällt daher die Aufgabe zu, sämtliche Hilfsgüter und Personenströme adäquat zu koordinieren [7]. Entlang der Supply Chain der Hilfsgüterversorgung können dabei für die einzelnen Akteursgruppen durch die Anforderungen der auftretenden Naturkatastrophen allgemeingültige sowie spezielle Herausforderungen identifiziert werden. Die humanitäre Logistik ist dabei abzugrenzen von der kommerziellen Logistik, da der Fokus hier nicht auf wirtschaftlichen Aspekten liegt sondern auf den Faktoren Zeit und Versorgungssicherheit [7]. Die Steuerung und Überwachung von Hilfsgüterströmen entlang der gesamten Lieferkette findet im Vergleich zur kommerziellen Logistik auch in der humanitären Logistik eine immer höhere Bedeutung. Durch den erhöhten Vernetzungsgrad der Bevölkerung und der schnellen Verbreitung von Informationen steigt der Druck der Öffentlichkeit auf alle beteiligten Akteure. Diese sind gezwungen, eine schnelle Versorgung und Bereitstellung von Hilfe zu gewährleisten und im besten Fall durch präventive Maßnahmen vorbereitet zu sein. Die mediale Aufmerksamkeit generiert einen zusätzlichen Druck und erfordert einen reibungslosen Ablauf in der humanitären Supply Chain, um Ineffizienzen und Fehler zu vermeiden [8]. Vergleich zwischen kommerzieller und humanitärer Logistik Tomasini [8] skizziert die Eigenschaften einer humanitären Supply Chain unter anderem mit den eher unklaren Zielen der betroffenen Akteure, der begrenzten Ressourcenverfügbarkeit, der notwendigen Handlungsschnelligkeit, der hohen Unsicherheit und den politischen Umweltfaktoren im betroffenen Katastrophengebiet. Die Limitierung der Ressourcen bezieht sich auf verschiedene Faktoren. Erstens ist das Kapital, welches von den Spendern zur Verfügung gestellt wird, nicht immer gleich verfügbar, zweitens ist es schwierig, qualifiziertes Personal zu bekommen, das geschult ist, die hohe physische und psychische Belastung mit einer gewissen Rationalität zu bewältigen. Drittens stellt die durch Katastrophen oftmals stark zerstörte Infrastruktur eine weitere Herausforderung dar, denn die mit einer Katastrophe verbundene hohe Nachfrage an Ressourcen kann nur über eine bestehende Infrastruktur sichergestellt werden [8]. Bezogen auf den Punkt der politischen Umweltfaktoren sehen sich die Akteure der Supply Chain oft mit Problemen der politischen Strukturen in den jeweils betroffenen Gebieten konfrontiert. Dies erschwert die unabhängige und störungsfreie Hilfeleistung in allen Bereichen [8]. Bild 2 veranschaulicht den Aufbau einer Versorgungskette in der humanitären Logistik. Innerhalb dieser lassen sich kongruente Strukturen im Vergleich zur kommerziellen Logistik erkennen. Logistikdienstleister haben im Verlauf der Jahre eine zunehmend zentrale Funktion eingenommen und fungieren auch in der humanitären Supply Chain als relevante Akteure, die einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen von Hilfsaktionen leisten [7]. Gemäß Abidi, Zinnert und Klumpp bestehen wie in Tabelle 1 ersichtlich innerhalb humanitärer Supply Chains vor allem Ansprüche an die Struktur sowie Zuständigkeitsbereiche der einzelnen humanitären Organisationen, die oftmals nicht eindeutig und transparent zu sein scheinen. Des Weiteren fehlen in Krisengebieten Lagermöglichkeiten für zu verteilende Hilfsgüter sowie klare Verteilungsstrukturen. Durch beschädigte (Verkehrs-)Infrastruktur kann sich außerdem die Transportkapazität der Hilfslieferungen einschränken und es schwierig machen, Hilfsgüterlieferungen zu lokalisieren [7]. Außerdem ist die vermeintliche Konkurrenzsituation der einzelnen Hilfsorganisationen zu erwähnen, die zum einen dafür sorgt, dass die verschiedenen Hilfsorganisa- Bild 2: Darstellung der Entwicklung einer Versorgungskette in der humanitären Logistik Eigene Darstellung in Anlehnung an [7] Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 32 INFRASTRUKTUR Informationstechnologie tionen nicht ausreichend miteinander kommunizieren und kooperieren und zum anderen unterschiedlich entwickelte beziehungsweise nicht miteinander kompatible IT-Systeme verwenden [9]. Die Folge ist ein mangelnder Informationsfluss entlang der gesamten Lieferkette. Da Naturkatastrophen darüber hinaus nur eingeschränkt prognostizierbar sind und Frühwarnsysteme in der Regel bislang nicht voll ausgereift sind, ist die Umsetzung von Präventionsmaßnahmen notwendig. Hierbei muss der Herausforderung entgegengetreten werden, dass zu verteilende Hilfsgüter unter Umständen sehr verschiedenen Produktionszeiten unterliegen, aber dennoch alle zur selben Zeit verteilt werden müssen [7]. In der Tabelle 1 werden die Unterschiede zwischen der kommerziellen und humanitären Logistik anhand von verschiedenen Charakteristika dargestellt. Um diesen Herausforderungen innerhalb der humanitären Logistik bestmöglich entgegentreten zu können, kann sich der Vergleich mit den Lösungsansätzen der kommerziellen Logistik lohnen. Die kommerzielle Logistik überwindet Informationsasymmetrien vor allem durch den Einsatz zusätzlicher Technologien zur Schaffung von Austauschplattformen und demzufolge zur Vernetzung mit Logistikpartnern, Zulieferern und Kunden [8]. Dadurch ist für die eingesetzten Technologien innerhalb der vergangenen Jahre eine stetige Entwicklung zu beobachten [10]. Einsatz von Technologien für die Übermittlung von Informationen in der humanitären Logistik In der humanitären Logistik wird zum heutigen Stand, anders als in der kommerziellen Logistik bereits üblich, selten auf verschiedene Technologien für ein optimiertes Güterhandling zurückgegriffen [11]. Im Folgenden ist also zu klären, an welchen Schnittstellen der Einsatz welcher Technologie den größtmöglichen Nutzen innerhalb der Hilfsgüterversorgung bieten würde. Dabei muss für jede der betrachteten Technologien geklärt werden, welche bisher auftretenden Herausforderungen durch deren Einsatz in der humanitären Logistik überwunden werden können. Dabei kann die Nutzung einzelner Technologien grundsätzlich sehr unterschiedlich ausfallen. Je nach Einsatzart werden sie für verschiedene Aufgabenbereiche eingesetzt [12]. Die Voraussetzung für die Anwendung aller analysierten Technologien zur Übermittlung von Informationen ist allerdings ein hinreichender Ausbau der Netzinfrastruktur sowie des Mobilfunknetzes. Darauf basierend sind die eingesetzten Technologien mehr oder weniger performant und können mit höherer oder geringerer Ergebnisqualität eingesetzt werden [13]. Beispielsweise hat sich der Anteil der globalen Bevölkerung mit Internetzugang von weniger als 20 % im Jahr 2010 auf über 55,6 % im Jahr 2018 erhöht. Weiterhin wird ein zusätzlicher Anstieg der Weltbevölkerung mit Internetzugriff auf etwa 4,4 Milliarden Nutzer im Jahr 2021 erwartet [14]. Demgegenüber steht die Abdeckung des weltweiten Mobilfunknetzes bei nahezu 100 %. Von diesen Investitionen in die flächendeckende digitale Vernetzung kann auch die humanitäre Logistik profitieren, um zukünftig Informationsübermittlung gewinnbringend einsetzen zu können, denn für der Einsatz von verschiedenen Technologien wird vor allem für die Auswertung und Bereitstellung gesammelter Daten immer eine Netzwerkverbindung benötigt [12]. Um trotz aller Hemmnisse eine Handlungsempfehlung über einen ressourcensparenden und effizienten Einsatz der verschiedenen Technologien in der humanitären Logistik zu treffen, wird im Folgenden eine Auswahl einsetzbarer Technologien genauer beleuchtet. Diese Informationstechnologien sowie Technologien zur Übermittlung von Informationen wurden wegen ihrer bereits ausgereiften Entwicklung ausgewählt, wodurch ein zielführender Einsatz mit lediglich geringer Ausfallwahrscheinlichkeit gewährleistet werden kann. Dementsprechend werden anhand der im Vorfeld identifizierten Herausforderungen für den Einsatz der im Folgenden dargestellten Technologien die größten Potenziale gesehen. Big Data-Analysen Für die humanitäre Logistik bieten Big Data-Analysen den Lösungsansatz, große Datenmengen zu analysieren. Dadurch wird es den Akteuren entlang der humanitären Supply Chain möglich, die Herausforderung der geringen Prognostizierbarkeit zu überwinden und so der dementsprechend geringen Planbarkeit von benötigten Ressourcen entgegenzutreten. Hierfür ist die Voraussetzung ein Hochleistungsnetzwerk, innerhalb dessen große Datenmengen gesammelt, verarbeitet und in Echtzeit transferiert werden können [14]. „Big Data“ sind Basis einer Sammel- und Analysemethode für Daten verschiedenster Technologien. Beispielsweise können Geodaten, Verbindungsdatensätze oder Informationen aus sozialen Netzwerken und Satellitendaten analysiert und miteinander korreliert werden [5]. Durch die Auswertung und Analyse dieser Daten können größere Effizienzen durch eine genauere Prognose von zukünftig auftretenden Naturkatastrophen getroffen werden. Dementsprechend genauer fallen Verbrauchs- und Bestandsprognosen von Hilfsgütern aus. Track and Trace-Systeme in Kombination mit RFID-Technologie Bekannt ist die Methode des Track and Trace bereits zur Abfrage des Sendungsstatus sowie zur Lokalisierung von Versandstücken. Beispielsweise durch GPS-Signale können Positionsdaten einzelner Sendungen weitergeleitet werden. Darauf aufbauend kann zudem die voraussichtliche Ankunftszeit der Güter an ihrem Zielort prognostiziert werden [15]. In komplexen (internationalen) Lieferketten ermöglicht der Einsatz von Track and Trace-Systemen einen gesamtheitlichen Überblick über den Zustellungsstatus einer Sendung und trägt dazu bei, einen optimalen Logistikeinsatz zu gestalten [16]. Für den Einsatz in Katastrophengebieten kann die Positionsbestimmung von Hilfsgütern ein essentieller Vorteil sein. Zum einen müssen die Hilfsgüter schnell und effizient an einzelne Orte transportiert werden, zum anderen muss sichergestellt werden, dass die nachgefragten Hilfsgüter vollständig am Zielort ankommen [17]. Für die Positionsbestimmung der Hilfsgüter kann einerseits auf die bewährte GPS- Merkmale Kommerzielle Logistik Humanitäre Logistik Beschaffungszyklen regelmäßig unregelmäßig Planbarkeit planbar unplanbar Kosten Kostensenkung wird fokussiert Irrelevant Liefertermintreue relevant hat oberste Priorität Prozessketten benötigen hohe Standardisierung benötigen hohe Flexibilität Zuständigkeitsbereiche vollständig transparent Intransparent Lagermöglichkeiten gegeben und vollständig kalkulierbar nicht zwingend (ausreichend) gegeben bzw. nicht kalkulierbar Informationsfluss bestenfalls entlang der gesamten Supply Chain gegeben oft nicht oder nur mangelhaft gegeben Tabelle 1: Merkmalsvergleich zwischen kommerzieller und humanitärer Logistik Eigene Darstellung in Anlehnung an [7] Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 33 Informationstechnologie INFRASTRUKTUR Technik zurückgegriffen werden. Hier können Positionsdaten über die Ausrüstung der eingesetzten LKW generiert und mittels GSM-Netz übertragen werden. Andererseits ist gerade die Erfassung von Warenein und -ausgängen an rechtlichen Gefahrenübergängen zwischen den Akteuren humanistischer Supply Chains relevant, um von vornherein Haftungsstreitigkeiten bei Güterverlusten ausschließen zu können. Der Einsatz von RFID-Technologie zur Identifikation von Waren und Gütern in großen logistischen Netzwerken entlang der kompletten Transportkette ist hierfür eine preisgünstige, wenn auch aufwändige Möglichkeit, die Warenein- und Ausgänge der Hilfsgüter bei den jeweiligen Akteuren zu verfolgen [18]. Der besondere Vorteil von RFID-Technologie liegt in der Möglichkeit, Daten zwischen dem mit einem Transponder versehenen Objekt und einem speziellen Lesegerät kontaktlos versenden zu können [19]. Mit dem Einsatz der RFID-Technologie könnte somit zukünftig der Prozess von Wareneingangskontrollen eingespart und die freigewordenen Mitarbeiterressourcen anderweitig eingesetzt werden. Eine weitere Option wäre die direkte Verwendung RFID-tauglicher GPS-Ortungsgeräte, mit denen sowohl die Positionsbestimmung der Hilfsgüter auf dem Transportweg, als auch das automatische Setzen von Zeitstempeln für Wareneingänge und -ausgänge erfolgen können [19]. Der Vorteil des Einsatzes dieser spezifischen RFID-Transponder liegt in der Kombinationsmöglichkeit beider Ortungsmethoden in einem Gerät. Negativ bewertet werden muss die Tatsache, dass für die optimale Positionsbestimmung der Hilfsgüter sämtliche in die Güterbereitstellung involvierten Akteure ihre eigene Unternehmensinfrastruktur mit RFID-Lesern und Middleware aufrüsten müssen. Die Positionsbestimmung von Hilfsgütern bietet im Zweifelsfall allerdings keinen sicheren Schutz vor Diebstahl. Drohnen Die Drohne, welche in den vergangenen Jahren eine verstärkte wissenschaftliche Aufmerksamkeit bekam, ist im Zuge dieser Thematik ebenfalls zu nennen. Drohnen können zum einen als Überwachungsdrohnen eingesetzt werden, zum anderen ist aber auch das Aufnehmen von Daten und Messungen möglich. Beide Maßnahmen steigern die Informationsqualität über das betroffene Gebiet und ermöglichen so den gezielteren Einsatz von Hilfsmaßnahmen. Ein weiteres Einsatzgebiet stellt der Transport von Lasten im kleinvolumigen Bereich und der Transport von Personen mit Groß- Drohnen wie den sogenannten „Volocoptern“ dar [20]. Hinsichtlich der humanitären Logistik sollen insbesondere diese Einsatzmöglichkeiten näher beschrieben werden. Das aktuelle Transportvermögen und die Reichweite von Drohnen sind sehr begrenzt, trotzdem können sie ein wichtiger Vorteil sein, um eine erste Versorgung mit kleinvolumigen Hilfsmitteln, wie Medikamenten, herzustellen. Im Gegensatz zu anderen Flugobjekten, wie Hubschraubern oder Kleinflugzeugen, sind diese in ihrer Anschaffung und im Einsatz kostengünstiger [21]. In Katastrophengebieten, bei denen es oftmals durch die Zerstörung zu schwer zugänglichen Regionen kommt, stellt die Drohne in der Funktion als Transportmittel beispielsweise bei der Erstversorgung mit Medikamenten eine flexible und schnelle Alternative dar [22]. Als Beispiel kann hier das Land Papua-Neuguinea aufgeführt werden. Das Land, welches mitunter eine der weltweit höchsten Tuberkuloseraten aufweist, bediente sich dieser Einsatzmöglichkeiten von Drohnen. Hierbei wurden Bluttests der Menschen in schwer zugänglichen Gebieten in nächst größere Krankenhäuser gesendet. Anschließend konnte die Testauswertung und im Falle einer Erkrankung auch simultan der Impfstoff mittels Drohne in kleinen Paketen zurückgesendet werden [22]. In Tabelle 2 wird der Mehrwert des Einsatzes der vorgestellten Technologien aufgezeigt. Dabei wird der Bezug auf bisherige Herausforderungen in der humanitären Logistik hergestellt. Die Potenziale der einzelnen Technologien sind vielfältig und weisen alle für sich Alleinstellungsmerkmale auf, die es an unterschiedlichen Stellen ermöglichen, die humanitäre Logistik im Positiven zu unterstützen. Im Folgenden soll dargestellt werden, wie eine potenzielle zukünftige Prozesskette unter Einbeziehung der vorgestellten Informationstechnologien gestaltet werden kann, um ein bestmögliches Handling von Hilfsgütern entlang der gesamten Distributionskette zu gewährleisten. Kombinierter Einsatz verschiedener Technologien in der humanitären Logistik Anhand der zuvor durchgeführten Literaturrecherche wurde eine in Bild 3 dargestellte Supply Chain unter kombinierter Anwendung der vorgestellten Technologien zur Übermittlung von Informationen erstellt. Hierbei wurde unterschieden zwischen präventiven Maßnahmen, die bereits vor dem Eintritt einer Naturkatastrophe durchgeführt werden sollten, sowie den reaktiven Maßnahmen danach. Erstens sollte der Einsatz von Big Data- Analysen zur zukünftigen Erstellung verlässlicher Prognosen von Naturkatastrophen angestrebt werden. Durch den Einsatz von Big Data könnten zukünftig benötigte Hilfsgüter proaktiv und bedarfsgerecht bereits vor dem Eintreten der Naturkatastrophe zusammengestellt und gebündelt werden. Eine bedarfsgerechte Verteilung der verschiedenen Arten von Hilfsgütern findet ebenfalls ihre Grundlage in der Verwendung von Big Data-Analysen. Zweitens sollten alle Prozessbeteiligten zur Beschaffung von Informationen auf dieselbe Plattform zugreifen können. Dort sollten bestenfalls sowohl Hilfsgüterbedarfe als auch bereitgestellte Ressourcen transparent abrufbar werden. Ein Vorteil ist hier die spätere Zeitersparnis bei der finalen Zuordnung und Verteilung von Hilfsgütern. Gleichzeitig könnten durch eine genauere Prognose zum Auftreten von Naturkatastrophen Menschen proaktiv aus kritischen Regionen evakuiert werden. Sollte die Evakuierung von Personen nicht mehr rechtzeitig erfolgen, kann drit- Technologie Bisherige Herausforderung Mehrwert des Einsatzes Drohne Unsicherheiten des Geländes zerstörte Infrastruktur Hilfspersonen nicht im direkten Gefahrenfeld, Medikamentenlieferungen sofort möglich Big Data Begrenzte Ressourcenverfügbarkeit, geringe Prognostizierbarkeit verbesserte Planbarkeit von Verbrauchs und Bestandsprognosen, erhöhte Produktivität durch Prozessoptimierung Track & Trace- Systeme/ RFID Warenverluste durch Plünderungen und Überfälle Hoher Personalaufwand durch geringe Prozesstransparenz Sicherstellung von Warenankünften Verbesserung der Effizienz und Transparenz Ressourceneinsparung bei Wareneingangskontrollen Tabelle 2: Gegenüberstellung von Herausforderungen der humanitären Logistik und Potenzialen durch den Einsatz spezifischer Technologien Eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 34 INFRASTRUKTUR Informationstechnologie tens der Einsatz von Drohnen zu Aufklärungszwecken beziehungsweise der Erstversorgung mit Medikamenten entscheidend sein. Eine Erstversorgung wird für Gebiete geleistet, welche durch eine zerstörte Infrastruktur schwer oder gar nicht zugänglich sind. Der Einsatz von Drohnen würde den direkten Ersteinsatz von Hilfspersonal in Gegenden mit ungewissem Gefahrenpotenzial ersetzen. Stattdessen können Hilfspersonen dann eingesetzt werden, wenn die Situation als definitiv unkritisch eingestuft werden kann. Viertens sollten Krisenregionen geographisch in gefährliche und ungefährliche Regionen unterteilt werden. Mittels Track and Tracing sollte sichergestellt werden, dass Hilfstruppen kritische Zonen meiden beziehungsweise vor dem versehentlichen Befahren gewarnt werden können. Gleichzeitig bietet es sich an, den Einsatz von RFID-Technologie entlang der gesamten Versorgungskette zu durchdenken. Die Vernetzung aller vorgestellten Technologien kann letztlich für eine erhöhte Transparenz zwischen den einzelnen Akteuren der humanitären Logistik sorgen. Fazit Der Einsatz von Technologien zur Übermittlung von Informationen in der humanitären Logistik ist mit großen Herausforderungen verbunden. Jede auftretende Naturkatastrophe zieht individuelle Anforderungen nach sich, die es gesondert zu prüfen gilt [5]. Dieser Beitrag gibt einen Einblick, welche grundlegenden Maßnahmen sowohl präventiv als auch während eines humanitären Hilfseinsatzes beachtet werden müssen. Der effiziente Einsatz von Informationstechnologien kann einen Beitrag leisten, Menschenleben zu retten. Die bessere Koordination der einzelnen Akteure, die stetige Verbesserung der Prozesse sowie der bedarfsgerechte Ressourceneinsatz werden durch die vorgestellten Technologien fokussiert. Wichtig ist, dass zwischen den verschiedenen Akteuren entlang der gesamten Supply Chain Transparenz geschaffen wird und Kommunikationsbarrieren abgebaut werden, um in Zukunft den Fortschritt der Technologien, welche sich teilweise schon in der kommerziellen Logistik etabliert haben, auch in der humanitären Logistik zu nutzen. ■ LITERATUR [1] A. O. J. Nolte: Klimawandel: Eine Herausforderung für die Wirtschaft: Handlungsoptionen für Industrieunternehmen in Deutschland. Hamburg, 2008. [2] A. Thomas: Humanitarian Logistics: matching recognition with responsibility. In: Freight & Logistics (2005), S. 32-34. [3] R. P. J. Geipel: Naturgefahren und Naturrisiken. In: Geographische Rundschau Bd. 54 (2002), Nr. (1), p. 2. [4] T. Klose: Naturkatastrophen und ihre Ursachen. In: Handbuch Humanitäre Hilfe. Berlin, Heidelberg, Springer, 2013, pp. 186-191. [5] M. Szgelat: Naturkatastrophen und Naturphänomene. www.naturkatastrophen.mobi/ . Zugriff am 08 05 2019. [6] O. S.-W. A. 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Sarah Kohl Studiengang Umweltorientierte Logistik, Hochschule für Technik, Stuttgart 82kosa1mul@hft-stuttgart.de Antonio Olivieri Studiengang Umweltorientierte Logistik, Hochschule für Technik, Stuttgart 82olan1mul@hft-stuttgart.de Oliver Baldauf Studiengang Umweltorientierte Logistik, Hochschule für Technik, Stuttgart 82baol1mul@hft-stuttgart.de Bild 3: Darstellung einer optimalen Kombination verschiedener IT-Technologien in der humanitären Logistik Eigene Darstellung Dieter Uckelmann, Prof. Dr.-Ing. Studiendekan Informationslogistik, Hochschule für Technik, Stuttgart dieter.uckelmann@hft-stuttgart.de
