eJournals Internationales Verkehrswesen 71/4

Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2019-0091
111
2019
714

Entwicklung von Mobilitätsstrategien auf Basis qualitativer Daten

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2019
Alexander Rammert
Stephan Daubitz
Oliver Schwedes
Mobilität zu gestalten bedeutet, die subjektiven Möglichkeitsräume der Menschen zu verändern. Effektive Maßnahmen und Strategien benötigten deshalb insbesondere qualitative Daten, um die Mobilität evidenzbasiert planen zu können. Neben der Erhebung und Auswertung ist besonders die Verwendung qualitativer Daten zur Strategieentwicklung bis heute noch unüblich in der praktizierten Stadt- und Verkehrsplanung. Die SWOT-Analyse bietet hierbei für Planende neue Möglichkeiten, sowohl die Bedürfnisse der Menschen als auch die Interessen der Stakeholder für Mobilitätsstrategien zu berücksichtigen.
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Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 86 MOBILITÄT Wissenschaft Entwicklung von Mobilitätsstrategien auf Basis qualitativer Daten Mobilität, Planung, Strategieentwicklung, SWOT-Analyse, Qualitative Daten Mobilität zu gestalten bedeutet, die subjektiven Möglichkeitsräume der Menschen zu verändern. Effektive Maßnahmen und Strategien benötigten deshalb insbesondere qualitative Daten, um die Mobilität evidenzbasiert planen zu können. Neben der Erhebung und Auswertung ist besonders die Verwendung qualitativer Daten zur Strategieentwicklung bis heute noch unüblich in der praktizierten Stadt- und Verkehrsplanung. Die SWOT-Analyse bietet hierbei für Planende neue Möglichkeiten, sowohl die Bedürfnisse der Menschen als auch die Interessen der Stakeholder für Mobilitätsstrategien zu berücksichtigen. Alexander Rammert, Stephan Daubitz, Oliver Schwedes D ie Entwicklung von Strategien im Verkehrsbereich ist bis heute stark von quantitativen Modellen dominiert. Beispiele hierfür sind die quantitativen Bewertungsverfahren des aktuellen Bundesverkehrswegeplans [1], die massive Nutzung von Verkehrsflussmodellen in der städtischen Verkehrsplanung [2] oder die interpolierten Berechnungen der Emissionsbelastungen [3]. Qualitative Informationen hingegen, wie beispielsweise die subjektive Wahrnehmung der Verkehrsteilnehmenden oder individuelle Einschätzungen von Stakeholdern, spielen für die konkrete Ausgestaltung von strategischen Leitfäden immer noch eine nachgeordnete Rolle. Besonders bei der Mobilität, die im Gegensatz zum Verkehr auch subjektive Möglichkeitsräume abbildet, sind qualitative Daten aber von zentraler Bedeutung, um adäquate Lösungsstrategien zu entwerfen. In diesem Sinne benötigen mobilitätbezogene Maßnahmen das Wissen um die subjektiven Wahrnehmungen und Bedürfnisse der Menschen einerseits und mobilitätsbezogene Strategien das Wissen um die qualitativen Ansprüche und Interessen relevanter Stakeholder andererseits. Erst wenn diese qualitativen Informationen einbezogen werden, wird eine zielorientierte und evidenzbasierte Gestaltung der Mobilität mit Hilfe von Maßnahmen und Strategien möglich. Das Forschungsprojekt „Mobilitätsmanagement - Möglichkeiten und Grenzen verkehrspolitischer Gestaltung am Beispiel Mobilitätsmanagement“ hat sich explizit mit dieser Frage beschäftigt, wie qualitative Daten genutzt werden können, um mobilitätsbezogene Strategien zu entwickeln. Hierbei sollte insbesondere ein Gegenansatz zu den klassischen in der Verkehrsplanung praktizierten quantitativen Methoden der Prognose- und Modellverfahren geschaffen werden. Ein Ergebnis dieses Forschungsprojekts ist ein detailliertes Strategie- und Handlungskonzept, um Mobilitätsmanagement in die deutsche Verkehrsplanung zu integrieren [4]. Die darin enthaltenen Handlungskonzepte und Lösungsstrategien basieren wiederum auf qualitativen Daten, welche mit Hilfe einer SWOT-Analyse - Strengths (Stärken), Weaknesses (Schwächen), Opportunities (Chancen), Threats (Risiken) - in konkrete Handlungsempfehlungen transformiert wurden. Die verwendete Methodenkombination von qualitativer Datenerfassung, SWOT- Analyse und Strategieentwicklung ist in dieser Form einzigartig für den Verkehrsbereich und ermöglicht gänzlich neue Perspektiven auf die Entwicklung mobilitätsbezogener Strategien. Im Folgenden werden die einzelnen Schritte dieser Methodenkombination näher dargestellt und anschließend die Möglichkeiten und Anwendungsbereiche diskutiert. Ziel dieses Textes ist es, sowohl die Erfassung qualitativer Daten als auch die Durchführung einer SWOT-Analyse als entscheidende Methoden zur Entwicklung von Mobilitätsstrategien zu positionieren. Dieses Vorgehen ist dabei keineswegs auf die Wissenschaft beschränkt, sondern kann von Entscheidungstragenden- in Kommunen und Ländern adaptiert werden, um- die Mobilität in Zukunft zielorientierter gestalten zu-können. Datenerfassung Der erste Schritt, um relevante qualitative Datensätze für eine Maßnahmen- oder Strategieentwicklung zu erhalten, ist die Definition der Zielgruppe. Je nach Erkenntnisinteresse kommen unterschiedliche Untersuchungsgruppen für die Datenerfassung in Frage. Geht es beispielsweise um den Umbau einer Straße zu einer Begegnungszone, sind klassischerweise die anliegenden PEER REVIEW - BEGUTACHTET Eingereicht: 23.07.2019 Endfassung: 25.09.2019 Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 87 Wissenschaft MOBILITÄT Akteure, wie Anwohnerinnen und Gewerbetreibende, Ziel der qualitativen Datenerfassung. Geht es hingegen um ein stadtweites Mobilitätskonzept, müssen andere Akteure, wie Interessenvertretungen, Verbände und öffentliche Institutionen, ins Auge gefasst werden. Demnach gilt es vor jeder qualitativen Datenerfassung eine Analyse des zielbezogenen Akteursfelds durchzuführen, um alle relevanten Stakeholder in die Strategieentwicklung mit einzubeziehen. Eine bewährte Methode zur Identifikation der relevanten Akteure ist die Politikfeldanalyse [5]. Je nach Untersuchungsgegenstand werden Diskurse, Restriktionen oder Netzwerke betrachtet und für das Politikfeld relevante Akteursgruppen identifiziert. Geht es beispielsweise um eine bundesweite Akteursanalyse im Politikfeld Verkehr, kann die Häufigkeit von Beteiligung an Gesetzabstimmungsverfahren ein Indikator sein, um wirkmächtige Akteure für die deutsche Verkehrspolitik zu identifizieren [6]. Alternativ können auch explorative Verfahren wie Horizon Scanning angewandt werden, um ein möglichst breites und diverses Spektrum an Akteuren, die eventuell in Diskursen und Beteiligungsverfahren unterrepräsentiert sind, zu identifizieren [7]. Je nach Ausrichtung der späteren Strategieentwicklungen kann die passende Methode zur Akteursanalyse genutzt werden, um strategierelevante Akteure zu identifizieren. Durch eine Kombination aus Horizon Scanning und Diskursanalyse konnten für das Untersuchungsfeld „Mobilitätsmanagement in Deutschland“ die folgenden, für eine bundesweite Strategie zentralen Akteure identifiziert werden (Bild 1). Auf Basis des identifizierten Akteursfelds kann im zweiten Schritt die Erhebung qualitativer Daten vorgenommen werden. Je nach Akteurszusammensetzung kommen hierfür verschiedene Methoden der qualitativen Sozialforschung in Frage. Stellt sich das Akteursfeld vielteilig und divers dar, ist die Methode der Experteninterviews ein geeignetes Instrument, um Stellvertretende der verschiedenen Akteure zu untersuchen [8]. Ist das Akteursfeld hingegen stark zielgruppenfokussiert, beispielsweise wenn es um die mobilitätsbezogenen Ansprüche verschiedene sozialer Gruppen wie Sehbehinderte, Senioren oder Schüler geht, eignen sich eher gruppenorientierte Methoden wie die Fokusgruppendiskussion [9]. Je nach Forschungsfrage können auch problemzentrierte oder narrative Interviews zur Anwendung kommen, um die benötigten qualitativen Daten für eine Maßnahmen- oder Strategieentwicklung zu erhalten [10]. Unabhängig davon, welche Methode zur Erfassung genutzt wird, steht am Ende immer ein transkribierter Datensatz, welcher die qualitativen Daten des ausgewählten Akteursfelds abbildet. Im Gegensatz zu quantitativen Methoden geht es hierbei nicht um die statistische Repräsentativität der Daten, sondern um die Generalisierbarkeit. Ziel qualitativer Sozialforschung ist die universelle, typisierende Struktur oder Praktik im Akteursfeld zu identifizieren, ohne dabei auf den hohen Aufwand und die niedrige Erkenntnistiefe quantitativ repräsentativer Erhebungsmethoden angewiesen zu sein [11]. Damit wird die Erhebung qualitativer Informationen insbesondere auch für kommunale Verwaltungen oder Aufgabenträger interessant, da in der Regel weniger Personal- und Kostenaufwand für die Erhebung benötigt wird. Umgekehrt braucht es aber auch die entsprechende Expertise für qualitative Sozialforschung. Statt der Kenntnisse klassischer Verkehrsplanender, wie Verkehrssimulation oder Bauingenieurswesen, brauchen moderne Mobilitätsplanende Kenntnisse in der Erfassung und Auswertung qualitativer Daten. Es ist eine noch unübliche Berufsanforderung in den klassischen Planungsmilieus, was die mitunter hohe Unwissenheit und den fehlenden Gestaltungswillen im Mobilitätssektor erklärt. Ist die qualitative Datengrundlage geschaffen, werden im Anschluss die Informationen für die Strategieentwicklung vorbereitet. Auch hier können je nach Methodik verschiedene Auswertungsverfahren angewandt werden. Zentral ist immer, dass die qualitativen Datensätze in einer wissenschaftlich adäquaten Form kodiert und mit deskriptiven Indikatoren hinterlegt werden [12]. Die Formen der Textinterpretationen müssen gegen- Akteure des Mobilitätsmanagements Politik Verwaltung Beratung Unternehmen Interessenvertretung Forschung Bundespolitik Verkehrsnutzer Betriebliche Anwendung Privatwirtscha lich Bundesverwaltung Verkehrswissenscha Nahverkehrsunternehmen Mobilitätsdienstleister Kommunale Wirtscha sförderung Verkehrsumwelt Automobilhersteller Ö-entlich Kommunalverwaltung Kommunalpolitik Bild 1: Relevante Akteure für eine bundesweite Integration von Mobilitätsmanagement [4] Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 88 MOBILITÄT Wissenschaft standsangemessen sein. In der Regel werden Textsegmente entsprechenden Indikatoren zugeordnet, es kann aber auch Bild- und Filmmaterial kodiert werden. Die kategorienbasierte Auswertung von qualitativem Material liefert die empirischen Belege für die Erstellung eines Indikatorenkatalogs, der nachvollziehbar dokumentiert werden muss. Innerhalb dieses Katalogs werden die erfassten Aussagen und Transkriptionen anhand von Indikatoren mit der Strategie oder Maßnahme kontextualisiert. Zum methodischen Standard sollte gehören, den Indikatorenkatalog mit der empirischen Verankerung zur Verfügung zu stellen, um eine spätere intersubjektive Überprüfbarkeit der so hergeleiteten Strategien zu ermöglichen. Geht es beispielsweise um die Entwicklung eines umweltfreundlichen Verkehrssystems, gilt es, die qualitativen Aussagen der Akteure bezüglich der Umwelt und Ökologie zu typisieren und diese Verknüpfung im Katalog zu dokumentieren. Erst auf Basis dieser qualitativen Kodierungen in Form von Indikatoren können die Datensätze für eine SWOT-Analyse verwendet werden. SWOT-Analyse Die SWOT-Analyse als verbal-argumentatives Verfahren, in dem spezifisch für einen Untersuchungsgegenstand die Stärken (Strengths), Schwächen (Weaknesses), Chancen (Opportunities) und Risiken (Threats) untersucht werden, stammt ursprünglich aus dem betriebswirtschaftlichen Bereich und ermöglicht es durch das Einbeziehen interner und externer Faktoren, ganzheitliche Strategien zu entwerfen [13]. Die SWOT-Analyse beruht im Kern auf drei wesentlichen Schritten: 1. Zieldiskussion, 2. Erstellung der SWOT-Matrizen, 3. Strategieentwicklung. Grundlegende Voraussetzung ist zunächst die Zieldiskussion, um überhaupt ein Bewertungskriterium für die folgende Analyse zu erhalten. Nur auf Basis eines definierten Zielzustandes, beispielsweise „Vision Zero“ oder „Einhaltung der NOx-Grenzwerte“, können die qualitativen Daten analysiert und entsprechende Zielerreichungsstrategien entwickelt werden. Grundsätzlich kann hierbei auch mehr als ein Zielzustand definiert werden. Die SWOT-Analyse und Strategieentwicklung wird in diesen Fall mehrfach für jeden Zielzustand durchgeführt. Im zweiten Schritt werden die erhobenen Daten im Kontext des formulierten Zielzustanden den SWOT-Matrizen nach internen (Stärken und Schwächen) und ex- Bild 2: Kombination der Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken zu spezifischen Strategien im Rahmen der SWOT-Analyse (vgl. [4]: 134) Gütekriterium: Evaluierbar STÄRKEN SCHWÄCHEN ▪ Bewertungsmethodik ▪ Wissenschaft & Bildung ▪ Ressortaufteilung ▪ Wissensmehrung ▪ Vereinheitl. von Informationen ▪ Zieloperationalisierung Planungsstrukturen Grundl. Aufgabenträger Verwaltungsstrukturen Motivation Operationalisierung Professionalisierung ▪ Subjektive Erfahrungswerte ▪ Finanzielle Abhängigkeit ▪ Geringe Zieloperationalisierung ▪ Zeitliche Begrenzung ▪ Geringe Zieloperationalisierung ▪ Fehlende Kenntnis ▪ Evaluationsdefizit ▪ Begrenzte Ressourcen ▪ Motivationsdefizit ▪ Duales Verständnis ▪ Muddeling-through ▪ Fehlende Zugangsmöglichkeiten Kulturelle Dimension Planungsstrukturen Planungsstrukturen Förderstrukturen Politikstrukturen Verwaltungsstrukt. Verwaltungsstrukt. Verwaltungsstrukt. Unternehmensstrukt. Definitionswahrnehm. Professionalisierung Nutzerzugang CHANCEN RISIKEN ▪ Digitalisierungsmöglichkeiten ▪ Quantifizierung ▪ Kommunalförderung ▪ Politische Unabhängigkeit ▪ Verkehrsentwicklungspläne ▪ Zertifizierung ▪ Förderwettbewerbe ▪ Ganzheitliche Betrachtung Technologische Dim. Planungsstrukturen Förderstrukturen Verwaltungsstruk. Institutionalisierung Instrumentalisierung Thematisierung Thematisierung ▪ Wirtschaftliche Korrelation ▪ Öffentliche Wahrnehmung ▪ Selbstdarstellung ▪ Agieren im Graubereich ▪ Konkurrenzansatz ▪ Marketing ▪ Leuchturmprojekte Wirtschaftliche Dim. Politikstrukturen Politikstrukturen Professionalisierung Professionalisierung Thematisierung Thematisierung Bild 3: Die eingeteilten Indikatoren (inklusive thematischer Kodierungskategorien) für den Zielzustand der Evaluierbarkeit von Mobilitätsmanagement ([4]: 130) Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 89 Wissenschaft MOBILITÄT ternen Faktoren (Chancen und Risiken) zugeteilt. Dabei werden die kodierten Daten in Form von deskriptiven Indikatoren als Stärke, Schwäche, Chance oder Risiko eingeordnet. Im dritten Schritt werden die gesammelten Indikatoren miteinander kontextualisiert und zu neuen Strategien zusammengeführt. Das Ergebnis bilden vier verschiedene Strategietypen, die für die Erreichung des definierten Zielzustandes genutzt werden können (Bild-2). Deutlicher wird dieser Prozess am Beispiel des Mobilitätsmanagements. So wurden zunächst sechs Gütekriterien definiert, die aus wissenschaftlicher Sicht den Zielzustand eines bundesweit erfolgreichen Mobilitätsmanagements ermöglichen ([4]: 122f ). Auf Basis dieser sechs Gütekriterien konnten dann im Anschluss die kodierten Textpassagen aus den Experteninterviews in sechs SWOT-Matrizen eingeteilt werden. Dabei ist festzuhalten, dass es sich hierbei um ein verbal-argumentatives Verfahren handelt, es also keine objektiven Kriterien gibt, die darüber entscheiden, ob eine Textpassage als Stärke oder Schwäche für den Zielzustand ausgelegt wird. Deshalb ist es umso wichtiger, diese Einteilung von mehreren Personen durchführen zu lassen und die jeweiligen Begründungen ausführlich im Gruppenrahmen zu diskutieren und zu dokumentieren. Ergebnis sind dann eine oder mehrere SWOT-Matrizen, welche die qualitativ ermittelten Indikatoren bezüglich des Zielzustandes einteilen. Als Beispiel die SWOT-Matrix für das Gütekriterium der Evaluierbarkeit von Mobilitätsmanagement in Bild 3. Die hier eingeteilten Indikatoren sind wiederum im Indikatorenkatalog mit verschiedenen Textpassagen aus den unterschiedlichen Interviews hinterlegt, die alle zu einem spezifischen Thema (kursiv gedruckt) eine qualitative Aussage abbilden. Insofern bildet die SWOT-Matrix nur einen kleinen Ausschnitt der zugrundeliegenden Daten ab, erleichtert damit aber die politische und gesellschaftliche Kommunizierbarkeit. Dementsprechend ist insbesondere der zugrundeliegende Indikatorenkatalog von hoher Relevanz, welcher die in der Matrix verwendeten Indikatoren mit konkreten Textpassagen aus den qualitativen Datensätzen verknüpft. Durch die Verknüpfung der Indikatoren mit konkreten qualitativen Datensätzen, wie Interviewpassagen, ist der Auswertungsprozess transparent und nach wissenschaftlichen Gütekriterien nachvollziehbar. Auf Basis solch einer SWOT-Matrix kann im Anschluss nach dem in Bild 2 skizzierten Schema eine Strategieentwicklung vorgenommen werden. Die Strategieentwicklung ist hierbei als Kreativprozess zu betrachten, indem es darum geht, möglichst innovative Indikatorkombinationen zu entdecken, welche neue noch unerschlossene Handlungsspielräume eröffnen. Beispielsweise könnte ein Indikator „Staubelastung in der Innenstadt“ als Schwäche gemeinsam mit „Fördermöglichkeit für Fahrradinfrastruktur“ als Chance kombiniert werden, um strategisch die bereits bestehenden Restriktionen im motorisierten Verkehr zu nutzen und damit ein neues Angebot an Fahrradinfrastruktur zu promoten; immer in Bezug auf einen gewünschten Zielzustand, beispielsweise ein nachhaltiges städtisches Mobilitätssystem. Die Vielzahl der entwickelten Strategien kann dann wiederum in einem ganzheitlichen Strategiekonzept zusammengeführt werden, welches die qualitativen Daten aus dem gesamten Akteursfeld entsprechend der definierten Zielansprüche kontextualisiert. Mit Blick auf den angestrebten Zielzustand eines bundesweit erfolgreichen Mobilitätsmanagements, wurde dementsprechend aus dem in der SWOT-Analyse systematisierten umfangreichen Interviewmaterial die Empfehlungsbroschüre „Mobilität erfolgreich managen“ [14] erstellt. Inhalt sind sowohl spezifizierte Handlungsempfehlungen für die einzelnen Akteure als auch ein ganzheitliches Strategiekonzept, welches die verschiedenen Teilstrategien aus der SWOT-Analyse innerhalb eines 5-Phasen-Modells (Bild 4) zusammenfasst. Fazit Die moderne Verkehrsplanung und -politik muss die Mobilität in ihren Gestaltungsraum mit aufnehmen, wenn es darum geht, die Verkehrsentwicklung nachhaltig zu verändern. Um die dafür benötigten mobilitätsbezogenen Maßnahmen und Strategien zu entwerfen, braucht es im Gegensatz zu der klassischen quantitativen Datenverwertung insbesondere qualitative Verfahren. Die ermittelten qualitativen Daten, wie subjektive Nutzeransprüche oder individuelle Aussagen verschiedener Akteursgruppen, sind von zentraler Bedeutung, wenn es darum geht, langfristige und erfolgreiche Mobilitätsstrategien zu entwerfen. Hierbei erweist sich die SWOT-Analyse als geeignete Methode, um qualitative Daten zu konkreten und innovativen Strategien umzuwandeln. Wesentlich für die Güte einer SWOT-Analyse ist deren Dokumentation, um dem Vorwurf der Willkürlichkeit und der Unvollständigkeit zu begegnen. Idealerweise ist der Prozess der Aggregation von Informationen und der Übergang von der Analysehin zur Bewertungsebene aufzuzeigen. Da es sich bei der SWOT-Analyse um eine verbal-argumentative Methode handelt, sind die einzelnen diskursiv hergestellten Interpretationsschritte für jeden verständlich in Form eines Indikatorenkatalogs darzustellen. Nur so können präsentierte Strategien auch von der Öffentlichkeit nachvollzogen werden. Zukünftige Verkehrsplanende müssen dementsprechend auch sozialwissenschaftliche Methodenkompe- PHASE 1 PHASE 2 PHASE 3 PHASE 4 PHASE 5 Standardisierung und Qualifizierung von Mobilitätsmanagement Aktivierung der Bundesebene zur Schaffung übergeordneter Rahmenbedingungen Entwicklung eines zielorientierten Bundesförderungsansatzes Wettbewerbsmodell für deutsche Kommunen und Unternehmen Systematisches Mobilitätsmanagement als Teil einer integrierten Verkehrsplanung Bild 4: 5-Phasen-Strategiekonzept für die Implementierung eines systematischen Mobilitätsmanagements [14] Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 90 MOBILITÄT Wissenschaft tenzen aufweisen, um adäquate Mobilitätsstrategien und Maßnahmen entwickeln zu können. Festzuhalten bleibt, dass es neue Ansätze abseits klassischer Verkehrsplanungsverfahren braucht, wenn die Mobilität tatsächlich als vollwertiges Maßnahmen- und Strategiefeld anerkannt werden soll. Damit eröffnet sich ein gänzlich neuer Handlungsspielraum für Kommunen und Länder, mit qualitativen Verfahren Mobilität und Verkehr besser verstehen, planen und gestalten zu können. ■ LITERATUR [1] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2016): Bundesverkehrswegeplan 2030, S. 53 ff [2] Rammert, Alexander; Sternkopf, Benjamin (2019): Administrative Barrieren der Verkehrswende. In: Transforming Cities (3) Heft 2, S. 4-8 [3] Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (2019): Basisbericht Umweltgerechtigkeit. Grundlagen für die sozialräumliche Umweltpolitik. Berlin. S. 147-156 [4] Schwedes, Oliver; Sternkopf, Benjamin; Rammert, Alexander (2017): Mobilitätsmanagement. Möglichkeiten und Grenzen verkehrspolitischer Gestaltung am Beispiel Mobilitätsmanagement. Abschlussbericht. Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung. Berlin. Online verfügbar unter: www.ivp.tu-berlin.de/ fileadmin/ fg93/ Forschung/ Projekte/ Mobilit%C3%A4tsmanagement/ Endbericht_MobMan.pdf [Zugriff am 05.04.2018] [5] Blum, Sonja; Schubert, Klaus (2009): Politikfeldanalyse. Eine Einführung. 3. Auflage. Wiesbaden: Springer VS [6] Schwedes, Oliver (2017): Verkehr im Kapitalismus. Münster: Dampfboot Verlag, S. 59 ff [7] Umweltbundesamt (2015): „Horizon Scanning“ und Trendmonitoring als ein Instrument in der Umweltpolitik zur strategischen Früherkennung und effizienten Politikberatung. Konzeptstudie. TEXTE 106/ 2015. Dessau-Roßlau [8] Bogner, Alexander (Hrsg.) (2005): Das Experteninterview. Theorie, Methode, Anwendung. 2. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften [9] Barbour, Rosaline (2018): Doing focus groups. 2. edition. Hg. v. Uwe Flick. London: Sage Publishing Ltd (The Sage qualitative research kit, 4) [10] Flick, Uwe (2000): Qualitative Forschung. Theorie, Methoden, Anwendung in Psychologie und Sozialwissenschaften. Orig.-Ausg., 5. Auflage, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt-Taschenbuch-Verl. (Rowohlts Enzyklopädie, 55546), S. 116 ff [11] Lamnek, Siegfried (2005): Qualitative Sozialforschung. 4. Auflage. Basel: Beltz Verlag, S. 167 [12] Flick, Uwe (2000): Qualitative Forschung. Theorie, Methoden, Anwendung in Psychologie und Sozialwissenschaften. Orig.-Ausg., 5. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt-Taschenbuch-Verl. (Rowohlts Enzyklopädie, 55546). S. 232 ff [13] Fürst, Dietrich; Scholles, Frank (2008): Handbuch Theorien und Methoden der Raum- und Umweltplanung. 3. Auflage. Dortmund: Rohn, S. 505 ff [14] TU Berlin - Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung (2018): Mobilität erfolgreich managen. Broschüre. Online verfügbar unter: www.ivp.tu-berlin.de/ fileadmin/ fg93/ Forschung/ Projekte/ Mobilit%C3%A4tsmanagement/ Broschuere_Mobilitaetsmanagement_web.pdf [19.06.19] Stephan Daubitz Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung, TU Berlin stephan.daubitz@tu-berlin.de Oliver Schwedes, Prof. Dr. Leiter Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung, TU Berlin oliver.schwedes@tu-berlin.de Alexander Rammert Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung, TU Berlin alexander.rammert@tu-berlin.de Brief und Siegel für Wissenschafts-Beiträge Peer Review - sichtbares Qualitätsinstrument für Autoren und Leserschaft P eer-Review-Verfahren sind weltweit anerkannt als Instrument zur Qualitätssicherung: Sie dienen einer konstruktiv-kritischen Auseinandersetzung mit Forschungsergebnissen, wissenschaftlichen Argumentationen und technischen Entwicklungen des Faches und sollen sicherstellen, dass die Wissenschaftsbeiträge unserer Zeitschrift hohen Standards genügen. 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