eJournals Internationales Verkehrswesen 71/4

Internationales Verkehrswesen
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expert verlag Tübingen
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Mobilitätsguthaben statt Dienstwagen

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Martin Timmann
Die „Generation Digital“ tickt anders. Unternehmen offerieren ihren Mitarbeitern flexible per App buchbare Mobilitätsguthaben, der Dienstwagen als Statussymbol hat ausgedient. Verkehrsverbünde müssen sich zu service-orientierten Mobilitätsdienstleistern wandeln, um diese neuen Kundenwünsche zufriedenstellend bedienen zu können.
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Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 93 Digitalisierung TECHNOLOGIE Während der drei Jahre unterstützt Kistler die Nachwuchsforscher sowohl materiell als auch ideell. Hardwareseitig stattet es alle acht Teams mit seinem „S-Motion“ optischen Sensor aus, der die Entwickler mit präzisen Daten zur Fahrdynamik und zum Fahrkomfort während der Testfahrten versorgt. Diese lassen sich dann einfach per Laptop auf der Rückbank auswerten. Die Stärke des Sensors liegt darin, dass er berührungslos präzise Messwerte bezüglich der Fahrzeugtrajektorie sowie der Längs- und Querdynamik aufzeichnet - die Entwickler sparen damit den Einsatz weiterer Messgeräte. Parallel bietet Kistler den Autotüftlern Training und Beratung an. Für Einbau und Inbetriebnahme des Geräts erhielten sie ein Installationsvideo. Zusätzlich fand zum Start eine Telefonkonferenz zwischen den Studenten und Ingenieuren von Kistler in Deutschland statt. Für Fragen im Laufe des Projektes stellt Kistler einen laufenden Servicekontakt zur Verfügung - Teamarbeit ganz im Sinne der Leitmotive des Unternehmens. Herantasten an die Realität Im Zuge des Wettbewerbs haben die jungen Ingenieure inzwischen ihre zweite Station in Michigan erreicht. Hier steht ihnen das universitätseigene Testgelände MCity zur Verfügung. Es bietet eine realitätsnahe, urbane Infrastruktur mit Ampeln, mehrspurigen Straßen und anderen Verkehrsteilnehmern. Zum ersten Mal sind die Entwickler hier gefordert, ihre Testautos auch auf bewegliche Objekte reagieren zu lassen. Diese Fähigkeit ist von zentraler Bedeutung, um das computergesteuerte Fahren von den Teststrecken in den Alltagsverkehr zu überführen. Auch wenn niemand diesen Weg genau bemessen kann, sind seine Etappen jedoch sehr wohl bestimmbar. Mit seiner innovativen Sensortechnik ist Kistler fest entschlossen, diese Etappen zu begleiten. ■ Denis Marschel, Dr. Divisional Marketing Manager ART, Kistler Instrumente AG, Winterthur (CH) denis.marschel@kistler.com Mobilitätsguthaben statt Dienstwagen Generation Digital erwartet multimodale ÖPNV-Konzepte Mobilitätsangebot, Mobilitätskontingent, Personenverkehr, Ticketing Die „Generation Digital“ tickt anders. Unternehmen offerieren ihren Mitarbeitern flexible per App buchbare Mobilitätsguthaben, der Dienstwagen als Statussymbol hat ausgedient. Verkehrsverbünde müssen sich zu service-orientierten Mobilitätsdienstleistern wandeln, um diese neuen Kundenwünsche zufriedenstellend bedienen zu können. Martin Timmann M obilität war schon immer verbunden mit dem Versprechen von Freiheit und Unabhängigkeit. Heute endet dieser Traum allerspätestens im nächsten Stau, in überfüllten und verspäteten U-Bahnen oder der nervenaufreibenden Suche nach einem freien Parkplatz in den überlasteten Ballungsräumen. Vor allem Berufspendler sind immer weniger bereit, diese Zustände hinzunehmen. Sie erwarten heute individuelle Angebote, wie sie in anderen Branchen seit langem üblich sind. Das gilt auch für ihren Weg zur Arbeit. Dieser Trend stellt den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) und HR-Abteilungen von Unternehmen vor große Herausforderungen. Mutige Entscheidungen sind gefragt. Unternehmen müssen sich nach Alternativen zum traditionellen Dienstwagen und kreativen Anreizen umschauen und tun das schon. Der ÖPNV wird sich vom klassischen Verkehrsunternehmen weiter zum Service- und Kunden-orientierten Mobilitätsanbieter transformieren müssen, der nicht nur Busse und Bahnen, sondern auch Taxiunternehmen, Auto- und Fahrradverleiher oder E-Scooter in sein Dienstleistungsportfolio integriert. Dem Fahrgast ist es letztlich gleichgültig, wie und mit welchen Verkehrsmitteln er von A nach B kommt; er will sein Ziel oder Arbeitsplatz vor allem pünktlich, schnell und möglichst bequem erreichen und Tickets dabei unkompliziert buchen. Ein Lösungsansatz ist das sogenannte Mobilitätsguthaben. Mitarbeiter können dabei neben dem ÖPNV-Abo unterschiedliche Mobilitätsdienste wie Carsharing, On- Demand-Shuttle oder E-Roller über eine spezielle App nach Belieben individuell und im Rahmen ihres Mobilitätsguthabens wählen - und das in Echtzeit. Flexible Mobilitätskontingente statt-Dienstwagen Bedarfsorientierte Mobilitätskontingente, auf die Geschäftsreisende über eine Mobilitätsplattform zugreifen und mit denen sie dem Stau auf der Autobahn elegant ausweichen, stehen bereits zur Verfügung. Das kann zum Beispiel so aussehen: Mitarbeitern, die nur gelegentlich auf Dienstreise sind, oder Pendlern zahlt die Firma Intercity und Regionalexpress, ÖPVN, Taxi und Carsharing nach Nutzung. Für den vielreisenden Top-Manager begleicht sie eine Mobilitätspauschale, in der bestimmte Nut- Internationales Verkehrswesen (71) 4 | 2019 94 TECHNOLOGIE Digitalisierung zungskontingente bereits enthalten sind. Eine mobile App, die an eine Mobilitätsplattform mit Echtzeit-Informationen angeschlossen ist, sucht je nach Reiseziel und Reisezeit präzise und sekundenschnell die schnellsten Verkehrsmittel und die kürzeste Reiseroute heraus und übernimmt auch gleich die Buchung der Tickets. Besonders die digital-affine jüngere Generation, für die ein eigener Dienstwagen nicht mehr als Statussymbol des beruflichen Erfolges gilt und die sich flexible, nachhaltige Mobilität wünscht, die statt eines Taxis auch schon mal einen E-Scooter benutzt, wird sich davon angesprochen fühlen. Den vielreisenden Geschäftskunden, der im Auftrag seines Unternehmens unterwegs ist, wird überzeugen, dass er sein Reiseziel je nach Verkehrssituation sicher erreicht. Mobilitätsplattform im Hintergrund Für Berufspendler trägt dieses Angebot auch zu einem entspannten Weg ins Büro bei: Wer morgens per Smartphone rechtzeitig - und richtig - über Störungen informiert wird, muss nicht auf den Bus warten. Bei einer Verkehrsüberlastung könnnte er schnell aufs Fahrrad umsteigen, wenn er über Ridesharing und Leihfahrräder aktuell informiert wird - wo befindet sich die nächste Verleih-Station? Sind dort aktuell Räder verfügbar? - und erst recht, wenn solche Angebote in das Ticketing des jeweiligen Verkehrsunternehmens nahtlos integriert sind. Möglich wird das durch eine Mobilitätsplattform, auf die Kunden via mobiler App zugreifen und die alle verfügbaren Angebote so kombiniert, dass Reisende pünktlich und bequem ihr Ziel erreichen. Mit dem offenen System ist der Verkauf von ÖPNV-Tickets über die eigene App der Verkehrsunternehmen oder über beliebige Dritt-Apps möglich. Sie bündelt Fahrpläne und Tarife der unterschiedlichen Verkehrsregionen Deutschlands auf einer Plattform, Geschäftskunden können dadurch mit einer einzigen Registrierung in allen teilnehmenden Verkehrsregionen mobil Tickets kaufen und mit Mobilitätsangeboten wie Taxis, Mietwagen oder E-Scootern kombinieren. APIs integrieren mobile Services Die Integration in Dritt-Apps erfolgt über die API-Schnittstelle. Mit einer API (Application Programming Interface) lassen sich Informationen zwischen einer Anwendung und einzelnen Programmteilen standardisiert austauschen und neue Kanäle oder zusätzliche Angebote einfacher anbinden. Dabei bleibt die Software unabhängig von bestimmten Frontends. Auch die Einbindung in Firmen-Apps, über die Mitarbeiter dann ihre Reise buchen können, ist via API ohne Probleme möglich. Echter Mehrwert für den Firmenkunden entsteht durch die Integration in Dritt-Apps, die das Angebot ergänzen und erweitern. Das kann die Möglichkeit sein, die Strombetankung für sein Elektroauto zu buchen oder beim Umstieg vom PKW auf den öffentlichen Nahverkehr gleich das Ticket für den Park-and-Ride-Parkplatz zu lösen. Über eine API lässt sich zum Beispiel auch das Navi im firmeneigenen PKW in die Ticket-Lösung integrieren, so dass beispielsweise bei einem Stau das Navi direkt einen P&R-Parkplatz und ein Anschlussticket im ÖPNV kauft. Über die API-Schnittstelle lassen beliebige Zusatzangebote integrieren, von Carsharing und Leihfahrrädern bis hin zu Parkscheinen. Rechnung all-inclusive Ein weiterer wesentlicher Vorteil für Firmenkunden ist dabei, dass die Mobilitätsplattform den Bezahlvorgang vereinfacht: Statt für jeden genutzten Dienst eine eigene Rechnung auszustellen, werden alle anstehenden Zahlungen in einer Sammelrechnung zusammengefasst. Dabei ist es irrelevant, ob der Fahrgast nur den ÖPNV genutzt hat oder vielleicht fünfmal den ÖPNV, dreimal ein Taxi und einmal ein Leihfahrrad. Gleichzeitig lassen sich neben klassischen Bezahlformen wie Lastschrift und Kreditkarte auch Paypal, Apple Pay oder Google Pay einbinden, wodurch die größtmögliche Flexibilität für den Fahrgast erreicht wird. Da alle Kundeninformationen an einem zentralen Punkt, der Mobilitätsplattform, zusammenlaufen, steht den Betreibern eine große Menge an Daten zur Verfügung, die sie für Analysen nutzen können: von der klassischen Vertriebsauswertung bis zur Kundensegmentierung. Die Ergebnisse ermöglichen es Verkehrsunternehmen, ihr Angebot stetig zu verbessern und zielgerichtet an die Bedürfnisse von Firmenkunden anzupassen. Individuellere Kundenansprachen In einer Zeit, in der sich Kundenwünsche immer stärker differenzieren und Mobilität neu definiert wird, bietet eine Mobilitätsplattform Verkehrsunternehmen die nötige Flexibilität. Interoperabilität, ein modularer Aufbau und die Basiskomponenten Tarife, Ticketing, Routing, Abrechnung und Echtzeitinformationen schaffen die Voraussetzungen für eine flexible und zukunftsfähige Lösung. Diese Gründe sprechen dafür, den Ticketkauf über unterschiedliche, auch markt- und branchenspezifische Apps anzubieten, die jeweils auf die Bedürfnisse der einzelnen Kundengruppen ausgerichtet sind. Dann werden Verkehrsunternehmen neue Kundengruppen zielgenauer ansprechen und noch besser bedienen. ■ Martin Timmann Geschäftsführer, HanseCom Public Transport Ticketing Solutions GmbH, Hamburg hallo@hansecom.com In eine Mobilitätsplattform lassen sich durch den modularen Aufbau auch Fremdanwendungen wie Navigationssysteme integrieren und so neue Kundengruppen erschließen. Quelle: HanseCom