eJournals Internationales Verkehrswesen 72/1

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2020-0007
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Beim Aufbau nachhaltiger Verkehrssysteme ist Ausdauer gefragt

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Frank Hütten
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Internationales Verkehrswesen (72) 1 | 2020 25 I m Jahresendspurt wurde in Brüssel verkehrspolitisch noch einmal einiges geboten. Die neue EU-Kommission - erst wenige Tage im Amt - präsentierte dem Europäischen Parlament und den EU-Staats- und Regierungschefs ihre Klimaschutzstrategie bis 2050, den „Europäischen Grünen Deal“. Die Liste der Vorhaben für den Verkehrssektor hat es durchaus in sich. Dann einigten sich Unterhändler von Parlament und Ministerrat nach rund zweieinhalb Jahren teils erbitterter Diskussionen auf einen Kompromiss beim Gesetzespaket für den Straßengüterverkehr (Mobilitätspaket I). Ein wahrer Kraftakt, für den es eine der für die EU-Politik typischen Nachtsitzungen brauchte. Wenn der Kompromiss nach den Mitgliedstaaten auch noch vom Parlamentsplenum bestätigt wird, wäre das umstrittenste verkehrspolitische EU-Projekt der vergangenen Jahre in trockenen Tüchern. Was den „Green Deal“ betrifft, ist bisher nur die grobe Richtung beschrieben, wie die EU bis 2050 klimaneutral werden soll. Dass längst noch nicht klar ist, wie das genau gelingen kann, machte der EU-Gipfel im Dezember deutlich, auf dem sich Polen noch nicht in der Lage sah, sich zur Umsetzung dieses Ziels zu verpflichten. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte, dass es noch „viel Diskussionsbedarf“ geben wird, wenn erst einmal konkrete Gesetzesvorschläge auf dem Tisch liegen. Der Wert des „Green Deal“ besteht darin, dass die Kommission Hinweise gibt, an welchen der möglichen Stellschrauben sie drehen will, etwa in der Verkehrspolitik. Er ist eine Art Fahrplan für über 40 EU-Gesetze und Initiativen zum Klimaschutz, an denen in den nächsten Jahren gearbeitet werden soll. Klar dürfte sein, dass eine stärkere Vernetzung der verschiedenen Verkehrsträger und die Entwicklung „intelligenter“ Logistik- und Transportsysteme wichtige Elemente sein werden, um den Verkehr umweltverträglicher zu machen und die Ziele des „Green Deal“ zu erreichen. Konkretisiert werden sollen alle aktuellen Ankündigungen der Kommission in diesem Jahr durch eine „Strategie für nachhaltige und intelligente Mobilität“. Ein wichtiges Element wird dabei die stärkere Nutzung des multimodalen Verkehrs sein. „Vorrangig sollte ein wesentlicher Teil des Anteils von 75 Prozent des Güterbinnenverkehrs, der derzeit auf der Straße abgewickelt wird, auf die Schiene und auf Binnenwasserstraßen verlagert werden“, schreibt die Kommission. Wie die Kapazität dieser beiden Verkehrsträger erhöht werden kann, will sie bis 2021 vorschlagen. Den derzeit im Gesetzgebungsprozess feststeckenden Vorschlag zur Überarbeitung der Richtlinie für den Kombinierten Güterverkehr erwägt die Kommission zurückzuziehen. Ein neuer Vorschlag soll die Nutzung von Bahn, Binnen- und Küstenschiff im Kombinierten Verkehr ankurbeln. Auch beim Klimaschutz im Luftverkehr wird Vernetzung eine Rolle spielen, nämlich die engere Vernetzung der für das Luftraummanagement zuständigen Behörden. Die Kommission drängt darauf, den seit Jahren im Ministerrat blockierten Gesetzesvorschlag zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Luftraums endlich zu verabschieden. In Brüssel gibt es einige Hoffnung, dass hier nach dem Brexit etwas vorangeht. Denn dann findet der Streit zwischen Spanien und Großbritannien über Gibraltar und seinen Flughafen nicht mehr innerhalb des EU- Ministerrates statt. Dieser Streit hat dazu geführt, dass etliche Dossiers in der EU-Luftfahrtpolitik auf Eis lagen. Auf Vorschläge für strikteren Emissionshandel im Luftverkehr, ein Emissionshandelssystem für den See-und möglicherweise auch für den Straßenverkehr kann sich die Branche schon einmal einstellen. Bei letzterem Thema sollte die Bundesregierung zeitig Gespräche mit der Kommission aufnehmen. Denn der geplante deutsche Emissionshandel im Straßenverkehr müsste ja zu einem möglichen EU-System passen. Klar gemacht hat die Kommission auch, dass sie „wirksame Straßenbenutzungsgebühren“ für nötig hält, um mehr Gütertransporte auf Bahn und Schiff zu verlagern. Der Preis für Verkehrsdienstleistungen müsse „die Auswirkungen des Verkehrs auf die Umwelt und Gesundheit widerspiegeln“, heißt es im Strategiepapier. Wenn Europäisches Parlament und EU-Staaten das „hohe Ambitionsniveau“ des Kommissionsvorschlags zur Überarbeitung der Wegekostenrichtlinie (Eurovignette) nicht beibehalten, will die Kommission diesen zurückziehen und etwas anderes vorschlagen. Für all das wird viel politische Energie gebraucht. Es wäre also gut, der „Endspurt“ beim Mobilitätspaket wäre bald zu Ende. Dann kann man sich auf den „Langstreckenlauf“ beim Klimaschutz konzentrieren. ■ Frank Hütten EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Verkehrs-Zeitung B E R I C H T A U S B R Ü S S E L VON FRANK HÜTTEN Beim Aufbau nachhaltiger Verkehrssysteme ist Ausdauer gefragt