eJournals Internationales Verkehrswesen 72/1

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2020-0012
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Besserer Informationsfluss - optimaler Warenfluss

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Joyce Bliek
Dem Transportwesen wird immer mehr abverlangt. Mehr Waren müssen schneller, besser und sicherer von A nach B gelangen. Dem Ausbau von Bahntrassen, Flüssen oder Relationshäufigkeiten sind aber natürliche Grenzen gesetzt und der Ausbau braucht viel Zeit. Um die Kapazitäten der Lieferkette zu erhöhen, kommt dem digitalen Informationsaustausch daher eine zentrale Rolle zu, wie Erfahrungen des Hafens Rotterdam zeigen.
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Internationales Verkehrswesen (72) 1 | 2020 40 Besserer Informationsfluss - optimaler Warenfluss Digitalisierung, Lieferkette, Estimated Time of Arrival Dem Transportwesen wird immer mehr abverlangt. Mehr Waren müssen schneller, besser und sicherer von A nach B gelangen. Dem Ausbau von Bahntrassen, Flüssen oder Relationshäufigkeiten sind aber natürliche Grenzen gesetzt und der Ausbau braucht viel Zeit. Um die Kapazitäten der Lieferkette zu erhöhen, kommt dem digitalen Informationsaustausch daher eine zentrale Rolle zu, wie Erfahrungen des Hafens Rotterdam zeigen. Joyce Bliek D urch Informationen muss und kann die gesamte Lieferkette mitsamt ihren logistischen Abläufen digitalisiert werden. Partner profitieren, wenn sie effizient, automatisch und unmittelbar Daten mit allen Beteiligten austauschen und in ihre Planung integrieren. Der Informationsfluss muss und kann dabei begradigt werden, wenn man bedenkt, dass jeder Warentransport bisher im Schnitt rund 200 mit Dokumenten und Daten zu belegende Interaktionen zwischen 28 beteiligten Organisationen - Hafenbehörden, Terminals, Forwarder, Reedereien, Verlader - hervorruft. Digitaler Logistik-Treibstoff Informationen werden zum Treibstoff für den Warenverkehr. Die Beteiligten brauchen daher einen neuen Zugriff darauf. Bisher sind sie fragmentiert oder werden überhaupt nicht berücksichtigt. Doch nur wenn alle Beteiligten diese kennen, können sie sie nutzen. Und nur so können Daten die Rolle spielen, die ihnen zukommt: als Treibstoff für Applikationen, die IT-gesteuerte Betriebsabläufe planen und unmittelbar durchführen helfen. Dazu vernetzen sich alle Mitglieder der Supply Chain engmaschig und über offene Plattformen und arbeiten applikationsbasiert zusammen - sofern die Beteiligten bereit sind, die Informationen zu teilen. Entscheidend ist dabei vor allem der Zugriff auf die Schnittstellen von Anwendungen - die APIs einer Software, die Daten zwischen den Beteiligten austauscht. Am Ende einer digitalisierten Supply Chain stehen offene und sichere Plattformen zum Austausch nautisch standardisierter Daten, die alle Informationen den Beteiligten in Echtzeit in aktueller Form bereithalten. Ein Hafenbetrieb agiert hier nicht nur aus Eigennutz als Wegbereiter, um solche Plattformen zur Verfügung zu stellen: Nur er kann erfolgversprechend aus seiner neutralen Position heraus alle Mitglieder der Supply Chain an einem digitalen Tisch zusammenbringen. LOGISTIK Digitalisierung Digitale Plattformen zum Informationsaustausch bieten Reedereien, Agenten, Dienstleistern und Betreibern eine gemeinsame, auf internationalen Standards basierende Basis für den Austausch aller Port-Call-Informationen. Dadurch können alle Nutzer die mit dem Anlaufen eines Hafens einhergehenden Tätigkeiten optimal planen, ausführen und überwachen. Foto: Hafenbetrieb Rotterdam Internationales Verkehrswesen (72) 1 | 2020 41 Digitalisierung LOGISTIK Tracking für verbesserte Planung Das Tracking von Schiffen ist ein Beispiel, wie Daten Logistikprozesse in Seehäfen effektiv steuern und Planungsprozesse beschleunigen. Offen zugängliche Informationen zur automatischen Identifizierung und zum Verfolgen von Schiffen werden ausgewertet und dank KI-basierter Algorithmen und Big-Datasowie Machine-Learning- Ansätzen dazu genutzt, um Einlaufzeiten von Schiffen genau vorauszuberechnen. Dabei werden Faktoren wie Standort, Route, Fahrgeschwindigkeit und der Kurs anderer Schiffe in der Nähe berücksichtigt. Das Gesamtpaket der herangezogenen Faktoren wird dabei permanent überprüft. Die künstliche Intelligenz sagt mittlerweile die Ankunft von Schiffen bis auf 20 Minuten genau voraus - für Schiffe, die erst in sieben Tagen in Rotterdam eintreffen werden. Experten arbeiten daran, in Zukunft die geschätzte Ankunftszeit ETA (Estimated Time of Arrival) schon 30 Tage im Voraus zu berechnen und dabei auch das Anlaufen anderer Häfen einzukalkulieren. Aufbauend auf einer möglichst exakten Vorhersage der tatsächlichen Anlegezeit lässt sich der gesamte „Port Call“ mit genügend Vorlauf durchplanen. Das ist wichtig, weil Schiffe an straffe Fahrpläne gebunden sind. Wenn ein 18.000-TEU-Schiff sich um ein paar Stunden verspätet, kann dies Verzögerungen im Fahrplan von mehr als einer Woche hervorrufen. Wer die ETA genau kennt, kann Abfertigungs-Slots zutreffender buchen, Kapazitäten besser planen und Verzögerungen vermeiden. Wenn abzusehen ist, dass sich Schiffe bei der Ankunft stauen werden, können Hafenbetriebe präventiv die Schleppaktivitäten erhöhen und weitere Schleppboote anfordern. Auch das Bunkern wird beschleunigt. Eine große Bunkerpartie muss Tage im Voraus bestellt und die Treibstoffmischung auf die verlangten Spezifikationen getestet werden. Bunkerschiffe beliefern jeden Tag mehrere Seeschiffe. Je exakter also die Daten, um so effizienter können Schiffe betankt werden. Außerdem können auch die Schiffe selber richtig reagieren. Wenn sie eine Stoßzeit im Hafen absehen, drosseln sie die Geschwindigkeit, um einen Stau am Kai zu vermeiden. So sparen sie zugleich Treibstoff und senken ihre Emissionen. Der Hafen Rotterdam konnte in Pilotprojekten gemeinsam mit dem Terminal APMT MVII, der Reederei Maersk und dem Schiffagenten Inchcape Shipping Service (ISS) positive Ergebnisse erzielen. Der Anteil der Bunkervorgänge mit Verzögerungen bei Maersk-Schiffen reduzierte sich von 19 % auf Null. Im Rahmen einer sechswöchigen Pilotphase konnten auch am ECT Delta Terminal Rotterdam Verzögerungen vermieden werden. Schiffe machten nun korrekt fest: Traf bisher ein Schiff zur falschen Zeit ein und es kam zu Konflikten mit einem später eingeplanten Schiff, musste nun immer der Hafenmeister gefragt werden, ob der Anlegeplatz des Schiffes am Kai verschoben werden durfte. In der Projekt phase kam es nicht mehr zu solchen Problemen. Tiefe Erkenntnisse Ein weiterer Bereich, in dem Informationen helfen, Abläufe zu beschleunigen ist die sensorbasierte Erfassung von Daten im Hafengelände. Internet-of-Things-Infrastrukturen messen Daten vor Ort, leiten sie sofort weiter und analysieren sie auch hier mit den Methoden von KI, Big Data und Machine Learning. So zum Beispiel Wasserstände: Selbst minimale wetterbedingte Schwankungen der Pegelstände können die Kapazität eines Containerschiffs enorm erhöhen. Eine möglichst genaue Berechnung des voraussichtlichen Tiefgangs am Kai ermöglicht die optimale Ausnutzung des möglichen Tiefgangs. Sensoren in Kaimauern, Dalben und Wasserstraßen erfassen ununterbrochen Messdaten. Ein Dashboard sammelt Hydro- und Meteorologie-Daten wie beispielsweise Wasserstände, Salzgehalt, Windgeschwindigkeit, Sichtverhältnissen und Strömung. Daraus ergeben sich zum Beispiel Zeitfenster, innerhalb derer Schiffe den Hafen mit einem größeren Tiefgang anlaufen oder verlassen können. Während der Flutphase macht das schnell ein paar Zentimeter zusätzlich aus. Bei einem durchschnittlichen Tanker bedeuten 10 cm zusätzlicher Tiefgang bereits 900 t zusätzliche Ladung pro Schiff. Digitalisierung in der Logistik geht aber noch viel weiter. Künstliche Intelligenz steuert im Hafen Rotterdam mittlerweile auch Baggerarbeiten, um eine ausreichende Tiefe der in Fahrrinnen zu sichern. Angesichts der Möglichkeiten, mit automatisiertem und digitalisiertem Informationsfluss Logistikprozesse effizient zu gestalten, leuchtet es ein, dass Logistikprozesse nicht mehr länger auf Excel-Tabellen basieren können. Die Planung von Schiffsabläufen profitiert generell von Tools zur Weitergabe von Informationen. Selbst smartphone-basierte Apps gestalten dabei das Bunkern effektiv. So bietet etwa eine App die Möglichkeit, die Pflichtmeldung eines Bunkervorgangs mit ein und demselben Klick sowohl dem Hafenmeister als auch optional dem Zoll zukommen zu lassen. Auch Online-Systeme zur Reservierung von Bojen und Dalben binden Daten nahtlos in Abläufe ein und ermöglichen eine effektive, weil konfliktfreie Planung und Abwicklung von Port Calls. Automatisierte Alert-Meldungen ersetzen in Zukunft Mails oder Telefonate. Sicherheit, Qualität und Effizienz wachsen, das Einsparungspotential ist enorm: Nach einer PricewaterhouseCoopers-Studie von 2017 sparte eine von den Häfen Rotterdam und Amsterdam gemeinsam betriebene Plattform zur Teilung von Informationen für alle Beteiligten in der Supply Chain pro Jahr ca. 186 Mio. EUR ein: 100 Mio. E-Mails weniger wurden verfasst, 30 Mio. Telefonate weniger geführt und 30 Mio. LKW-Kilometer weniger gefahren. ■ Korrekt im Voraus berechnete Ankunftszeiten von Schiffen ermöglichen eine effektive Abfertigung und sparen Benzin und CO 2 -Emissionen ein. Bild: Hafenbetrieb Rotterdam Joyce Bliek, Director of Digital Business Solutions, Hafenbetrieb Rotterdam pmj.gommers@portofrotterdam.com