eJournals Internationales Verkehrswesen 72/2

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2020-0038
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Kooperation mit Hanse-Verbünden im Nord-Ostsee-Raum

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Thomas Decker
Internationalisierung und Kooperation zwischen dem Nord-Ostsee-Raum und Zentraleuropa bedeuten gleichzeitig Sicherung derselben. Für externe Schocks anfällige synchromodale Logistikkooperationen können durch etablierte Hanse-Verbünde stabilisiert werden. Mittels blockchainbasierter Datenbanken gelingt Datenumschlag vor Güterumschlag. Handels-, Verkehrs- und Sicherungsaktivitäten, mithin gesamte Wertschöpfungsketten werden durch „dezentrale Zentralisierung“ effizienter und sicherer.
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Internationales Verkehrswesen (72) 2 | 2020 29 Im Hafen von Helsinki Peter H. / pixabay Kooperation mit Hanse- Verbünden im Nord-Ostsee- Raum Sicherheitsstrategie für Seehafenhinterlandverkehre durch-Datenumschlag vor Güterumschlag Logistikkooperation, Hanse-Stadt, Seehafenhinterlandverkehr, Nordic Baltic Research Alliance, Hanse Institut für Logistik & Handelsmanagement, Blockchain Internationalisierung und Kooperation zwischen dem Nord-Ostsee-Raum und Zentraleuropa bedeuten gleichzeitig Sicherung derselben. Für externe Schocks anfällige synchromodale Logistikkooperationen können durch etablierte Hanse-Verbünde stabilisiert werden. Mittels blockchainbasierter Datenbanken gelingt Datenumschlag vor Güterumschlag. Handels-, Verkehrs- und Sicherungsaktivitäten, mithin gesamte Wertschöpfungsketten werden durch „dezentrale Zentralisierung“ effizienter und sicherer. Thomas Decker D ie „Blaue Banane“, eine Euro- Region der Sonderklasse mit rund 111 Mio. Einwohnern, ist ein Ballungsraum, dessen Akteure alleine aufgrund ihrer eurozentrierten Lage bereits in hohem Maße miteinander kooperieren können (Bild 1). Dieser Ballungsraum verfügt über überproportional viele zentrale Einrichtungen für Wirtschaft, Wissen, Kapital, Siedlungen, Verkehr und Infrastruktur, inklusive des Rheinischen Reviers und dem Rhein als zentraler Achse. Kooperationsoptionen sind daher überaus vielfältig. Der Raum in Richtung Nord- und Nordosteuropa mit ca. 20 Mio. Einwohnern bietet demgegenüber noch zahlreiche Entwicklungschancen. Der zunehmende Ausbau der Infrastruktur und eine zunehmende Nachfrage nach logistikspezifischen Dienstleistungen erfordern neue Allianzen, die diese Entwicklungen begleiten. Insbesondere bei der Verknüpfung der Transport- und Verkehrssektoren Zentraleuropas mit denen der skandinavischen und baltischen Staaten existiert noch eine Lücke, die es zu schließen gilt (Bild 2). Zunehmende Ziel-, Quell- und Transitverkehre bei allen Verkehrsträgern führen im Nord- und Ostseeraum zu verdichteteren Seehafenhinterlandverkehren, die Ostsee Neue Hanse LOGISTIK Internationales Verkehrswesen (72) 2 | 2020 30 LOGISTIK Neue Hanse gilt inzwischen als EU-Binnenmeer [1]. Darüber hinaus gefährden zunehmende Unsicherheiten internationaler Handelsrouten und Kommunikationskanäle (Logistik-Hub der VR China in Island, 5G/ Huawei usw.) und gleichzeitige Renationalisierungstendenzen (Brexit, Zollschranken etc.) funktionierende Waren- und Informationsaustausche. Diese Entwicklungen legen es daher nahe, den Verbund „Europäische Union“ durch ergänzende Verbünde auf privat-, gesamtwirtschaftlicher sowie transnationaler Ebene zu stärken. Internationalisierung synchromodaler Logistikkooperationen im Nord- Ostsee-Raum durch Hanse-Verbünde Folgende Ansätze zur stärkeren Anbindung des Nord-Ostsee-Raumes an Zentraleuropa befinden sich derzeit im Aufbau: • Integration privater und halbstaatlicher Kooperationen in der Verkehrslogistik mit dem Ziel einer progressiveren Synchromodalisierung, beispielsweise durch die LogCoop GmbH/ Düsseldorf, einer stark wachsenden, inzwischen über 200 Mitglieder starken Kooperation überwiegend mittelständischer Spediteure. • Ergänzung politischer Institutionen durch eine Stärkung historisch gewachsener Handelskooperationen wie z.B. der zunehmend wieder ins Bewusstsein rückenden und teilweise bereits etablierten und anerkannten Hanse-Verbünde. • Unterstützung der Akteure zu beiden vorgenannten Punkten durch evidenzbasierte Forschungsallianzen, z.B. durch „The Nordic Baltic Hanseatic League 2.0“, einer in 2019 initiierten Logistikallianz des Hanse Instituts für Logistik & Handelsmanagement an der RFH University of Applied Sciences Köln. Internationalisierung synchromodaler Logistikkooperationen im Nord-Ostsee-Raum Die Frachtaufkommen steigen auch im Nord-Ostsee-Raum auf allen Verkehrsträgern. Die Verkehrsinfrastrukturen dieser Region Europas haben zwar ihre Limits noch nicht erreicht, eine ähnliche Entwicklung wie im Einzugsgebiet der „Blauen Banane“ ist jedoch absehbar [2]. Bestehende Transportketten sind daher stärker zu vernetzen und flexibler zu gestalten. Dies setzt neuartige Software- und Datenbankstrukturen voraus, die alle Teilhaber des Systems gleichberechtigt und diskriminierungsfrei auf alle Informationen zugreifen lässt. Dazu bedarf es in der Transportbranche neuer Kooperationsmodelle, die ggf. sogar- eine offene Kommunikation von Preisen unter den Transportdienstleistern einfordert. Zwar sind die „goldenen Zeiten“ gebundener Frachttarife seit mehr als einem Vierteljahrhundert vorbei und der Preisdruck anhaltend hoch. Transportkooperationen versprechen jedoch einen Turnaround, da es ihren Kooperativen gelingen könnte, notwendig höhere Frachtpreise auf Verlader und Endverbraucher überzuwälzen. Zudem existieren innerhalb der Transportketten unverändert und teilweise verständliche Ressentiments der Beteiligten untereinander. Das Problem des „Cherry Pickings“ innerhalb der Supply Chains ist allen Spediteuren bekannt und dessen Eindämmung ein unausgesprochenes Ziel in der Konkurrenz um rentable Touren. Die Eindämmung könnte gelingen, und zwar durch Kooperationsmodelle auf Basis blockchaingebundener und diskriminierungsfreier Datenbanken, dies zum Wohle aller Kooperativen. Entsprechende Beispiele gibt es inzwischen, so z.B. im Bereich der Agrogüter-Nährstofflogistik, in dem halbstaatliche Landwirtschaftskammern die Logistikrouten teilweise bereits mitbestimmen [3]. Kooperationen dieser Coleur benötigen einen unabhängigen und neutralen Systemkopf, wie z.B. die LogCoop GmbH/ Düsseldorf, die im Auftrag ihrer Mitglieder bereits entsprechende Dienste anbieten. Eine diskriminierungsfreie Datenbank bedeutet jedenfalls, dass alle verfügbaren Informationen und vor allem Preise jedem Systemmitglied vorliegen. Hier macht es keinen Unterschied, ob das Systemmitglied Fuhrunternehmer, Rail- oder Bargeoperator oder ggf. sogar Verlader wäre. Alle Systemmitglieder kommunizieren offen über London Amsterdam Rotterdam Paris Frankfurt/ M. Stuttgart Düsseldorf Zürich Mailand Genua Madrid Barcelona Marseille Rom München Wien Budapest Hamburg Bremen Leipzig Berlin Warschau Prag Kopenhagen Stockholm Riga Helsinki Bild 1: Die „Blaue Banane“ nach Roger Brunet (1989) ist eine bandförmige europäische Megaregion zwischen Irischer See und Mittelmeer. Eigene Bearbeitung Bild 2: Die Prozesse der Globalisierung haben in den vergangenen Jahrzehnten zur Erweiterung der Verdichtungsgebiete geführt, die Ostsee gilt inzwischen als EU-Binnenmeer [1]. Grafik: C. Ziegler / Trialog Publishers Neue Hanse LOGISTIK ihre operativen Transaktionen und tauschen Frachten nach ihren Fähigkeiten. Jedem Systemmitglied wird für seine Dienstleistung eine angemessene, tarifähnliche Marge vergütet. Internationale und regionale Hanse- Verbünde am Beispiel der Neusser Hanse Seit rund drei Dekaden nimmt die Zahl Hanse-affiner Verbünde zu, etwa der sog. Hanse-Städtebund, das Hanse-Parlament oder auch diverse Hanse-Gesellschaften, die bislang aber zumeist lediglich das historische Erbe der Hanse pflegen. Die Stadt Neuss besaß z.B. seit 1475 das Hanseprivileg, verliehen durch Kaiser Friedrich III. Der Handel zwischen Neuss und den Niederlanden blühte umgehend auf. Selbst nach Skandinavien und in den Ostseeraum reichten die Neusser Handelsbeziehungen. Heute sind die Neuss-Düsseldorfer Häfen mit einem Güterumschlag von rund 16 Millionen Tonnen der drittgrößte Binnenhafen Deutschlands. Um die Vorteile dieser traditionsreichen Hanse-Netzwerke auch in Zukunft nutzen und ausbauen zu können, ist es allerdings notwendig, diese um angewandt forschende Hochschulnetzwerke und im weiteren Verlauf um projektspezifische Plattformen zwischen Deutschland und den skandinavischen Ländern des Nord-und Ostseeraumes zu erweitern. Dass derartige Hanse-Kooperationen, wenn auch zunächst nur im nationalen bzw. regionalen Rahmen, positive Verkehrsverlagerungseffekte erzeugen können, zeigen einschlägige Projekte [4]. Hanse Institut für Logistik & Handelsmanagement an der RFH University of Applied Sciences / Köln Die zwei zuvor thematisierten Lücken werden künftig reduziert durch die bereits initiierte Logistikallianz „The Nordic Baltic Hanseatic League 2.0: Alliance for Sustainable Logistics & Trade Solutions“. Ihr Forschungsschwerpunkt ist die Digitalisierung, Ökologisierung und Sicherung der internationalen Handelsrouten und -netzwerke aller Anrainerstaaten im Nord- und Ostseeraum mit dem Ziel, diese stärker an den zentraleuropäischen Raum anzubinden. Einschlägige Forschungspartner etwa sind: 1. Die Stadt Riga und die Riga Technical University (RTU) 2. Die Stadt Danzig und die Technische Hochschule Danzig (GUT) 3. Die Stadt Danzig und die Universität Danzig 4. Die Stadt Bergen und die Hochschule Bergen (HiB) 5. Die Stadt Hafnarfjördur und die University of Iceland 6. Die Stadt Turku und die Turku AMK University of Applied Sciences 7. Die Stadt Kalmar und die Linnaeus University 8. Die Stadt Venlo und die Fontys Hogeschool Techniek en Logistiek Fazit Internationalisierung und Kooperation zwischen dem Nord-Ostsee-Raum und Zentraleuropa bedeuten gleichzeitig Sicherung derselben. Synchromodale Logistikkooperationen sind allerdings anfällig für exogene Schocks. Etablierte Hanse-Verbünde können dem entgegen wirken durch diskriminierungsfreie Blockchain-Datenbanken und durch neue Forschungsallianzen wie der „Nordic Baltic Hanseatic League 2.0“. Handel, Verkehr und Sicherheit bzw. Sicherung werden für den gesamten Nord-Ostsee- Raum insoweit aus der aktuell globalisierten Einbindung „eine Ebene tiefer“ gesetzt. Diese neue „Dezentrale Vernetzung“ bietet ihren Partnern jenseits der EU die Chance, Datenumschlag noch vor dem Güterumschlag zu realisieren. Die IT-affinen baltischen Staaten des Nord-Ostsee-Raumes bieten dafür beste Voraussetzungen: Mithin eine aussichtsreiche Perspektive, um Verkehrssteuerung und Wertschöpfung wieder dezentraler und damit sicherer zu machen. ■ QUELLEN [1] Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (2007): Entwicklung des Seetransportes im Baltischen Raum. www.bund.net/ fileadmin/ user_upload_bund/ publikationen/ mobilitaet/ mobilitaet_seetransporte_baltischer_raum.pdf; Abruf: 20.01.2020 [2] Buss, K.-P. (2018): Branchenanalyse Hafenwirtschaft - Entwicklungslinien des Hafenwettbewerbs und Herausforderungen der öffentlichen Akteure, Hans-Böckler-Stiftung. www.boeckler.de/ pdf/ p_study_hbs_402.pdf (Abruf: 20.01.2020) [3] Decker, T. (2014): Transport von Agrogütern mit Binnenschiffen zur Versorgung von Biomassekraftwerken, Ergebnisbericht zum EURE- GIO-Forschungsprojekt HARRM Neusser Schriften, 1. Jg., (1) 2014 [4] Decker, T.; Kostosz, R. (2016): Untersuchung der Seehafenhinterlandanbindungen entlang einer West-Ost-Schiene zwischen Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt / Brandenburg / Berlin, 20 S., Neusser Schriften, 3. Jg., (1) 2016 Thomas Decker, Prof. Dr. Leiter Hanse Institut für Logistik & Handelsmanagement, Professur für Transport- und Verkehrslogistik, Rheinische Fachhochschule Köln gGmbH, Standort Neuss thomas.decker@rfh-neuss.eu IDEEN FÜR DIE STADT VON MORGEN www.transforming-cities.de/ einzelheft-bestellen www.transforming-cities.de/ magazin-abonnieren Digitalisierung versus Lebensqualität Big Data | Green Digital Charter | Kritische Infrastrukturen | Privatheit | Sharing-Systeme 1 · 2016 Was macht Städte smart? URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Mit veränderten Bedingungen leben Hochwasserschutz und Hitzevorsorge | Gewässer in der Stadt | Gründach als urbane Klimaanlage |Baubotanik 1 · 2017 Stadtklima URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Lebensmittel und Naturelement Daseinsvorsorge | Hochwasserschutz | Smarte Infrastrukturen | Regenwassermanagement 2 · 2016 Wasser in der Stadt URBANE SYSTEME IM WANDEL. 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