Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2020-0053
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Fahrermangel im deutschen Straßengüterverkehr – Strukturelle Treiber und verkehrspolitischer Handlungsbedarf
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Diese Stellungnahme soll den Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur darin unterstützen, zielführende strukturelle und rechtliche Maßnahmen gegen den wachsenden Mangel an Berufskraftfahenden zu ergreifen. Lesen Sie hier eine Zusammenfassung, den vollständigen Text der Stellungnahme und weitere Infos finden Sie mit den Links auf Seite 13.
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POLITIK Standpunkt Internationales Verkehrswesen (72) 3 | 2020 10 Fahrermangel im deutschen Straßengüterverkehr - Strukturelle Treiber und verkehrspolitischer Handlungsbedarf Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur Diese Stellungnahme soll den Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur darin unterstützen, zielführende strukturelle und rechtliche Maßnahmen gegen den wachsenden Mangel an Berufskraftfahrenden zu ergreifen. Lesen Sie hier eine Zusammenfassung, den vollständigen Text der Stellungnahme und weitere Infos finden Sie mit den Links auf Seite 13. I m Straßengüterverkehr besteht auch bei einer konjunkturbedingten Entschärfung bereits heute in mehreren Ländern Zentral-Europas ein erheblicher Fahrermangel. Für die Zukunft ist in Deutschland mit einer bedeutenden Verschärfung des Problems zu rechnen. Der Fahrermangel hat volkswirtschaftliche Auswirkungen und betrifft nahezu alle Wirtschafts- und Lebensbereiche. Um die Versorgungssicherheit der Bevölkerung und der Wirtschaft zu gewährleisten, sind kurz-, mittel- und auch langfristig deutlich mehr Berufskraftfahrer nötig. Der Wissenschaftliche Beirat beim Minister für Verkehr und digitale Infrastruktur warnt davor, dass sich der LKW-Fahrermangel in Deutschland schon in absehbarer Zeit zu einem großen Problem auch für die Leistungskraft der deutschen Wirtschaft entwickeln kann. Um dies-abzuwenden, ist ein verstärktes politisches Engagement erforderlich. Handlungsbedarf für die deutsche Verkehrspolitik Das Verständnis von Berufskraftfahrern umfasst die Transportkategorien LKW-Nah- und Fernverkehr sowie die Kurier-, Express- und Paketdienste (KEP). Es betrifft das Führen von Fahrzeugen wie Transportern bis 3,5 Tonnen sowie von LKWs ab 3,5 bis zu 44 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht. Nachfolgend steht der LKW-Fernverkehr im Mittelpunkt. Das Problem des Fahrermangels kann weder durch technologische Entwicklungen noch durch Verlagerungen auf andere Verkehrsmittel mittelfristig in ausreichendem Maß gelöst werden. Aus umweltpolitischer und insbesondere klimapolitischer Sicht wünscht man sich derzeit einen Rückgang des LKW-Verkehrs und des Gütertransports insgesamt. Dies kollidiert allerdings mit den wirtschaftlichen Entwicklungen, die nach allen Prognosen zu einem Anstieg des Straßengüterverkehrs führen werden. In der Umweltpolitik gilt der Grundsatz einer graduellen und langfristigen Anpassung zugunsten umweltverträglicher Verkehrsmittel, möglichst ohne plötzliche und dramatische Belastungen für Wirtschaft und Gesellschaft. Um diesen Grundsatz auch beim Güterverkehr umzusetzen, muss das Problem des LKW-Fahrermangels abgemildert werden, selbst wenn mittel- und langfristig eine partielle Güterverkehrsverlagerung weg von der Straße anzustreben ist. Einen gewissen Hebel stellen noch zu realisierende Effizienzsteigerungen in den Bereichen Infrastruktur, Verkehrsmanagement und Logistik dar. Sie ermöglichen kurz- und mittelfristig höhere LKW-Auslastungsgrade und damit einhergehend (bei konstantem Sendungsvolumen) eine etwas reduzierte Anzahl einzusetzender LKWs. Dies trägt zumindest leicht zur Entspannung des Fahrermangels bei. Infrastrukturausbau, verbesserte Planungen sowie optimiertes Straßen-, Verkehrs- und Baustellenmanagement sind somit als Maßnahmen zur Begegnung des Fahrermangels zu sehen und zu fördern. Sie werden das Problem des Fahrermangels aber nicht lösen können. Entlastungen des einheimischen Arbeitsmarktes durch den Einsatz von Fahrpersonal aus dem Ausland bei inländischen Unternehmen sind wichtig, aber nicht beliebig ausweitbar. Die europaweit zunehmende Transportnachfrage bedingt, dass ausländische Fahrer ihren Beruf vermehrt in ihren Heimatländern ausüben. Die Integration von Fahrern aus dem Nicht-EU-Ausland ist in großer Zahl schwierig und unterliegt gesetzlichen Beschränkungen. Erleichterungen für die Anwerbung und Ausbildung ausländischer Arbeitskräfte stellen daher zwar eine wichtige politische Handlungsoption dar, die auch in den folgenden Empfehlungen aufgegriffen wird, doch werden sie allein nicht reichen. Zudem unterliegt ihre Wirksamkeit Risiken, die von Entwicklungen in anderen Ländern beeinflusst werden. Grundsätzlich vertritt der Wissenschaftliche Beirat die Auffassung, dass eine Branche ihre wirtschaftlichen Probleme selbst angehen muss. Dreh- und Angelpunkt für eine Lösung des Problems Fahrermangel sind Lohnerhöhungen und Verbesserungen der Arbeitsbedingungen für LKW-Fahrer am Markt. Solche Marktanpassungen finden bereits statt und werden in Zukunft weiter erfolgen. Es besteht aber die Sorge, dass die marktlichen Anpassungsprozesse - wie graduelle Lohnerhöhungen oder Effizienzsteigerungen - ohne verkehrspolitische Flankierung nicht rechtzeitig und in ausreichendem Maße stattfinden werden. Als Folge drohen erhebliche Internationales Verkehrswesen (72) 3 | 2020 11 Standpunkt POLITIK Anpassungszwänge mit negativen Auswirkungen auf die Wirtschaftsabläufe. Graduelle Marktanpassungen werden durch verschiedene Faktoren erschwert. Dies hat mit der besonderen Situation Deutschlands als wichtiges Ursprungs- und Destinationsland für Güterverkehre einerseits und als zentrales europäisches Transitland andererseits zu tun. Daher ist in Deutschland permanent eine große Anzahl an ausländischen LKWs unterwegs, welche im Rahmen der Kabotage-Regelungen - oder aber deren teilweiser Unterlaufung - eine stets drohende, potenzielle Konkurrenz für die inländischen Transporteure darstellen. Der Markt zeigt offensichtlich eine hohe Wettbewerbsintensität, so dass kaum Spielräume für Preiserhöhungen bestehen. Hinzu kommt, dass die Betreiber schwerer LKWs in der letzten Zeit einem wachsenden Konkurrenzdruck durch eine neuartige Fahrzeugkategorie ausgesetzt sind. Fahrzeuge mit bis zu 3,5 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht und einer kleinen Schlafkabine über dem Führerhaus sind nach derzeit geltendem Recht von der Mautpflicht befreit und auch den Vorschriften zu Lenk- und Ruhezeiten nicht unterworfen. Ferner gelten für diese Fahrzeuge keine Wochenendfahrverbote und keine generellen Geschwindigkeitsbegrenzungen. Damit sind diese Fahrzeuge hoch agil einzusetzen und fahren zu sehr niedrigen Grenzkosten, zumal auch sie oft aus Nachbarländern mit niedrigerem Einkommensniveau und Mineralölsteuern kommen, um den deutschen Markt zu bedienen. Der schnell wachsende Marktanteil dieser Fahrzeuge führt zu einem erhöhten Bedarf an Fahrern und oftmals zu erhöhten Emissionen und Straßenbelastungen, selbst bei konstantem Sendungsvolumen. Die inländischen Unternehmen des Schwerlastverkehrs zögern daher mit Preiserhöhungen, da sie unkalkulierbare Marktanteilsverluste gegenüber den Konkurrenten befürchten müssen. Zudem sind auf dem Straßengüterverkehrsmarkt viele Kleinstunternehmen aktiv, die ein bis fünf Fahrzeuge, ein bis zehn Mitarbeitende und geringe Eigenkapitalreserven haben. Bei diesen Marktteilnehmern ist davon auszugehen, dass ihre prekäre Position am Markt kaum Preiserhöhungen erlaubt. Wenn die Transportunternehmen generell den Spielraum für Preiserhöhungen gering einschätzen, dann müssen sie auch gegenüber Kostenerhöhungen zurückhaltend sein. Hinsichtlich des Fahrermangels werden sie daher nur sehr zögerlich Lohnerhöhungen oder mit Zusatzkosten verbundene Verbesserungen der Arbeitsbedingungen der Fahrer anbieten. Es droht eine Verschleppung der notwendigen Anpassungen, die branchenweit zu einer Zuspitzung des Problems des Fahrermangels führen kann. Hinzu kommt, dass Transportunternehmen die Arbeitsbedingungen ihrer Fahrer nur unvollständig kontrollieren können. Auf der Strecke werden die Arbeitsbedingungen insbesondere durch die relative Knappheit von Park- und Übernachtungsmöglichkeiten und die Prozesse bei den Güterterminals beeinträchtigt. Die Verschlechterung der realen Arbeitsbedingungen wird begleitet von der Erosion des ehemals vorteilhaften Berufsbildes. Der Markt steht damit zwar weiterhin in erster Linie selbst in der Verantwortung, die nötigen Anpassungen zu schaffen, braucht dabei aber zumindest temporär verkehrspolitische Unterstützung und wirksame Fördermaßnahmen, um weitreichende negative Folgen abzuwenden. Zudem wird die Nachfrage nach Transportangeboten im Straßengüterverkehr in Deutschland voraussichtlich weiter steigen. Die Zahl der verfügbaren LKW-Fahrer wird gleichzeitig deutlich abnehmen. In der Folge ist mit verstärkten Frachtraumengpässen und sinkendem Service-Level zu rechnen. Die bisherigen Maßnahmen der deutschen Verkehrspolitik reichen keineswegs aus, um dem Problem des Fahrermangels wirksam entgegenzutreten. Zudem fehlt bislang eine Wirkungskontrolle der bisherigen Maßnahmen. Der Verkehrspolitik ist demnach Handlungsbedarf im Sinne wichtiger flankierender Maßnahmen zu attestieren. Impulse und Empfehlungen für verkehrspolitische Maßnahmen Der Wissenschaftliche Beirat skizziert im Folgenden eine systematische, breiter als bisher angelegte Politik zur Linderung des Fahrermangels, die von der Erleichterung des Berufseinstiegs über die Steigerung der Jobattraktivität bis zu einem Marketing für ein positives Berufsbild reicht. Da es jedoch keinen „Königsweg“ zur Lösung des Problems gibt, ist eine Kombination verschiedener Impulse nötig, in die sich die bisher ergriffenen Maßnahmen als Bestandteile oder ausbaufähige Ansätze eingliedern lassen. Die Impulse orientieren sich an den identifizierten Ursachen des Fahrermangels in Deutschland (siehe dazu ausführlicher die Langfassung dieser Stellungnahme) und sind als Anregungen an die Verkehrspolitik zu verstehen. Generell ist zu konstatieren, dass alle beschriebenen Impulse das Potenzial haben, den Fahrermangel zu lindern, darüber hinaus aber auch mit Nebeneffekten verbunden sein können, die bei einer Umsetzung zu bedenken wären. Erleichterungen für den Berufseinstieg Eine erste Klasse an Maßnahmen zielt darauf ab, den Berufseinstieg zu erleichtern, bzw. für bestimmte Personengruppen überhaupt erst zu ermöglichen. Potenzielle Erleichterungen beim Zugang zum Führerschein dürfen dabei nicht zu Lasten der Verkehrssicherheit gehen. Beispiele aus dem Ausland zeigen Potentiale dafür auf, Ausbildungsprozesse zu verschlanken und mit entsprechenden Anreizsystemen zu kombinieren. In diese Richtung geht der Vorschlag, einen (ggf. eingeschränkten) LKW-Führerschein bereits mit 17 Jahren zu ermöglichen. Eine „Jugendlichkeits-Problematik“ - analog zum PKW - wäre in diesem Fall nicht zu erwarten, jedoch müsste altersbedingten körperlichen und geistigen Besonderheiten Rechnung getragen werden (z. B. schnellere Ermüdung im jungen Alter). Die Maßnahme darf nicht Foto: 587679011/ Shutterstock POLITIK Standpunkt Internationales Verkehrswesen (72) 3 | 2020 12 als Vorstufe für die Einführung des PKW-Führerscheins mit 17 Jahren missverstanden werden, sondern ist klar als Teil einer Berufsausbildung zu sehen. Anknüpfend an das bereits initiierte Förderprogramm des BMVI ist es unabhängig vom Alter der Kandidaten denkbar, eine finanzielle Förderung des Führerscheinerwerbs oder die Auszahlung eines Bonus vom Staat bei Abschluss einer Fahrerausbildung und anschließender Arbeit im Beruf auszuloben. Auch die Umschulung von Arbeitnehmern mit anderem Hintergrund (Quereinsteiger) kann auf diese Art unterstützt werden. Die Teilnahme an solch einem Programm sollte auch in die Aufnahme einer entsprechenden Tätigkeit münden und nicht nur als Zugang zu einem kostenlosen Führerschein gesehen werden. Auf besonders restriktive Anforderungen ist in dieser Hinsicht allerdings zu verzichten. Es reicht, wenn der Erwerb des geförderten Führerscheins mit einer zeitlich begrenzten „Schnupper-Tätigkeit“ im Fahrerberuf verbunden wird. Die Aufnahme der Tätigkeit muss auch nicht beim ausbildenden Unternehmen erfolgen, um die Förderfähigkeit zu erhalten. Sinnvoll erscheint zudem die Optimierung bzw. Straffung des Qualifikationsprozesses bei unveränderter Qualität der Ausbildung bzw. uneingeschränkter Aufrechterhaltung etablierter und bewährter Anforderungen an die Qualifikation als Berufskraftfahrer. Denkbar ist dabei eine beschleunigte Grundqualifikation durch ein modulares Qualifizierungsprogramm, in dem eine Grundqualifikation für einen leichten Einstieg ebenso enthalten ist wie modulare Vertiefungen (ggf. gefördert) nach Bedarf (Stufenprogramm). Diese Vertiefungen, die in der Regel mit Blick auf die Anforderungen im jeweiligen Unternehmen erfolgen, könnten über eine Bezuschussung für die betroffenen Unternehmen zusätzlich erleichtert werden. Als generelles Beispiel mag hier Österreich dienen, wo ein Programm mit halber Lehrzeit (eineinhalb statt wie bisher drei Jahre Ausbildungszeit) bereits in einigen Landesteilen umgesetzt wurde. Vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung in Deutschland sollte die Akquise ausländischer Arbeitnehmer angestrebt und erleichtert werden. Dazu gehören auch Social-Media- Aktivitäten wie etwa Flagship-Programme. Eine Prüfung und ggf. Beseitigung bestehender bürokratischer Hürden, z. B. bei der Anerkennung ausländischer Führerscheine, hält der Wissenschaftliche Beirat für angebracht. Man kann auch über eine stark geförderte Um- oder Nachschulung der Fahrerkenntnisse auf Basis eines ausländischen Führerscheins nachdenken. Um Arbeitnehmer aus dem europäischen Ausland anzuwerben, kann ein kombiniertes Angebot von Fahrerausbildung, Sprachkurs, weiteren Integrationsprogrammen und vorübergehendem Wohnraum aufgesetzt werden. Dies würde ausländischen Arbeitnehmern, die am deutschen Arbeitsmarkt interessiert sind, die Gelegenheit für einen Einstieg geben, dies mit einer Berufsausbildung in einer Branche, die langfristig Arbeitskräftebedarf aufweisen wird, zu verbinden. Solche Programme können speziell auch Flüchtlingen zugänglich gemacht werden, um deren Eingliederung zu fördern. Steigerung der Job-Attraktivität Eine zweite Kategorie von Maßnahmen adressiert die Attraktivität des Kraftfahrerberufs. Dazu gehören übergeordnete Aspekte wie etwa die finanzielle Situation der Arbeitnehmer oder bessere Möglichkeiten der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Auf der Detailebene betrifft dies die konkreten Arbeitsbedingungen der LKW- Fahrer. Die hier vorgeschlagenen Maßnahmen zielen dabei sowohl auf die Gewinnung potenzieller Interessenten am Fahrerberuf als auch auf die langfristige Bindung bereits für den Beruf gewonnener Fahrer ab. Ein zentraler Aspekt bei der Entscheidung für oder gegen den Kraftfahrerberuf ist zweifellos die Entlohnung. Entsprechend muss es Ziel sein, deutliche Lohnsteigerungen für LKW-Fahrer zu erreichen. Für dieses Bestreben zuträglich könnten gezielte Mautbefreiungen für Unternehmen mit Fahrzeugen sein, die überdurchschnittlich wenige Emissionen ausstoßen. Umgekehrt könnte auch eine Mauterhebung von kleineren LKW (unter 7,5 Tonnen) in Erwägung gezogen werden, die dann entsprechend Spielraum für höhere Margen bei den größeren LKWs schaffen könnte. In die Neugestaltung des LKW-Mautsystems könnte auch eine Anreizsetzung in Verbindung mit der Fahrzeugauslastung einbezogen werden. Die Anwerbung von Arbeitskräften aus dem Ausland würde auch durch die Vermittlung von langfristigem Wohnraum für die Fahrer unterstützt werden. Eine solche Unterstützung von staatlicher Seite kann einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Nationen bedeuten, in denen ein solches Angebot nicht vorhanden ist. Dieser Service kann auch inländischen Arbeitskräften angeboten werden, wenn für sie Umzüge nötig werden. Für inländisches ebenso wie für ausländisches Fahrpersonal wichtig erscheinen Programme zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Nicht zu vernachlässigen ist zudem das Weiterbildungsangebot für Fahrer (sowohl mit unmittelbarem Bezug zur Fahrertätigkeit als auch darüber hinaus) sowie die Möglichkeit, derartige Angebote auch wahrzunehmen. Entsprechende Konzepte zur Fahrer-bezogenen Weiterbildung, z. B. durch den Einsatz von mobilen Fahrsimulatoren sowie die Einbindung von Fahrzeug-Herstellern, sind im Ausland bereits zu beobachten (siehe z. B. Volvo Group Australia Driver Academy). Aber auch die zunehmende Digitalisierung, die zweifellos eine Herausforderung für die Branche darstellt, kann im Kontext Weiterbildung als Chance verstanden und aufgegriffen werden nach dem Motto „Digitalisierung verändert den Beruf, schafft ihn aber nicht ab“. Entsprechende Weiterbildungsangebote sowie diesbezügliche Anpassungen in den Ausbildungsprogrammen können zusätzlich geeignet sein, den Beruf für potenzielle Interessenten attraktiver zu machen. Der Verbesserung der Arbeitsbedingungen während der Touren dient eine Förderung für das Aufrüsten von Parkplätzen und Raststätten im Hinblick auf Services wie Zugang zu sanitären Einrichtungen (Dusche/ WC) sowie Verfügbarkeit von Internet oder Bewachung der Fahrzeuge. Dies gilt auch für privat betriebene Stationen. Um neue und größere Raststätten und Parkplätze zu errichten, sollte der Bund die betroffenen Kommunen finanziell kompensieren, so zum Beispiel für eine (verbindlich zu vereinbarende) verstärkte polizeiliche Präsenz bei diesen Anlagen und in ihrem räumlichen Umfeld. Bei sehr großen Anlagen, für deren konkrete Standorte es ausreichende räumliche Flexibilität gibt, könnte der Bund ein Ausschreibungsmodell für die Kommunen mit der Diktion aufsetzen, dass diejenige Kommune, welche die geringsten Kompensationszahlungen fordert, einen Zuschlag für die Errichtung der Anlage mit dem Zuschuss erhält. Die Refinanzierung solcher Bundeszahlungen kann über die LKW-Maut erfolgen. Denn die der LKW-Maut zugrundeliegende Wegekostenrechnung berücksichtigt alle im Zusammenhang mit den Bundesfernstraßen entstehenden Kosten. Dabei werden Kosten von speziell für LKWs eingerichteten Raststätten und Parkplätzen auch voll den LKWs angelastet. In diesem Zusammenhang erscheint auch eine Revision des Fahrpersonalgesetzes in Bezug auf das zwingende Verbringen der wöchentlichen Pausenzeiten außerhalb des Fahrzeuges geboten. Das Bestreben der Bundesregierung, Sozialstandards für die Fahrer schützen, ist zwar prinzipiell zu unterstützen. Jedoch legt die Erfahrung seit Einführung des Gesetzes nahe, dass dessen aktuelle Ausgestaltung von den Fahrern nicht als Schutz, sondern vielmehr als finanzielle Verschlechterung wahrgenommen wird, und damit der Attraktivität des Kraftfahrerberufs abträglich ist. Entsprechend empfiehlt der Wissenschaftliche Beirat eine mit EU-Recht kompa- Internationales Verkehrswesen (72) 3 | 2020 13 Standpunkt POLITIK tible Neufassung des Gesetzes, sodass längere Pausen mit Übernachtungen im Fahrzeug erlaubt werden, wenn Mindeststandards im Fahrzeug (Kabine) und am Parkplatz (sanitäre Anlagen) erfüllt sind. Zusammen mit den zuvor beschriebenen Anstrengungen für eine Aufrüstung von Parkplätzen und Raststätten sollte sich dann eine Verbesserung der Bedingungen für die Fahrer ergeben. Eine besondere Situation entsteht für die Fahrer an den Rampen von Hubs und Distributionszentren. Be- und Entlade-Slots werden im Vorfeld einzelnen Fahrzeugen zugeteilt, wobei die Algorithmen der Slot-Vergabe sich an optimierten Abläufen in den Hubs und nicht an den Touren der LKWs ausrichten. Das Verpassen eines zugeteilten Slots führt in der Regel dazu, dass ganze Touren zusammenbrechen und zudem empfindliche Strafzahlungen für die Transportunternehmen fällig werden. Entsprechend groß ist der Druck auf die Fahrer, die Slots zu treffen. Die Fahrer planen deshalb Zeitpuffer in der Nähe der Rampen ein, z. B. auf nahe gelegenen Autobahnparkplätzen. Vor den Rampen rücken die LKWs dann schrittweise auf. Dieses Aufrücken gilt als Lenkzeit, obwohl die Fahrzeuge größtenteils stehen. Dieses Gesamt-Phänomen löst einen großen Stressfaktor bei den Fahrern aus. Mit gezielten Fördermaßnahmen kann das BMVI auf die Verbreitung digitaler Instrumente einwirken, welche die Slot-Planung mit der Tourenplanung kombinieren und so den Druck auf die Fahrer reduzieren. Positive Imagebildung des Berufs Eine weitere Kategorie von Maßnahmen zielt auf die öffentliche Wahrnehmung des Berufsbildes Kraftfahrer ab. Hier ist ein breites Spektrum an Maßnahmen denkbar. Anknüpfend an die Arbeitsbedingungen erfahren LKW-Fahrer oftmals keine ausreichende Wertschätzung, insbesondere beim Kundenkontakt an den Be- und Entladestellen sowie in der breiten Öffentlichkeit, etwa in Anbetracht des großen LKW-Aufkommens auf den Autobahnen. Dies kann als Hemmnis bei der Berufswahl wirken. Die verkehrspolitische Förderung von Image-Kampagnen zugunsten der LKW-Fahrer wäre ebenso hilfreich wie die Unterstützung des Auslobens von CSR-orientierten 1 Awards für Unternehmen, die einen besonders fairen und respektvollen Umgang mit LKW-Fahrern pflegen. Weitere denkbare Maßnahmen adressieren das Image der Logistik- und Transportbranche allgemein. Davon profitiert auch das Berufsbild des LKW-Fahrers. Generell notwendig erscheint eine Förderung des Berufsimages durch ein aktiveres Marketing sowohl von Seiten der Arbeitgeber als auch von öffentlicher Seite. Dazu gehört z. B. das Bewerben des Berufs in Schulen, etwa mit Hilfe eines „rollenden Arbeitsplatzes“ einschließlich Demonstrationsmaßnahmen an LKWs. Die beruflichen Möglichkeiten, die sich aus den in Kapitel 2.2 beschriebenen Maßnahmen ergeben, sind mit einer geeigneten Öffentlichkeitsarbeit zu unterstützen. Es ist davon auszugehen, dass nicht jeder Flottenbetreiber über die Kapazitäten oder Kompetenzen verfügt, die notwendige Öffentlichkeitsarbeit zu leisten. Unterstützung von öffentlicher Seite, z. B. hinsichtlich der strategischen Ausrichtung zur Akquise von Fahrern, ist hier erforderlich. Als besondere Zielgruppe sind Frauen zu fördern. Im Jahr 2017 betrug der Frauenanteil bei sozialversicherungspflichtigen Berufskraftfahrern lediglich 1,7 Prozent. Hier liegt deutliches Potential, auch vor dem Hintergrund technologischer Entwicklungen und der damit verbundenen Reduzierung der Anforderungen an die Körperkraft. Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit sind sinnvollerweise auch konkret auf diese Zielgruppe und deren Wünsche und Bedürfnisse zuzuschneiden. Jegliche Imageförderung muss dabei mit Fingerspitzengefühl betrieben werden. Denn eine positivere Darstellung des Berufsbildes darf nicht tatsächliche Maßnahmen zur Behebung von Missständen (siehe auch „Steigerung der Job-Attraktivität“) ersetzen, ansonsten wären sogar konträre Effekte zu befürchten. Fazit zu den Empfehlungen des Wissenschaftlichen-Beirats Nicht zuletzt mit Blick auf die aktuelle Klimadebatte geht es bei verkehrspolitischen Maßnahmen zur Linderung des Fahrermangels keinesfalls darum, einen Modal Shift zugunsten der Straße zu bewirken. Vielmehr sollen die Maßnahmen notwendige Initiativen der Marktakteure flankieren, um die sich abzeichnenden negativen Konsequenzen wie eine Gefährdung der Versorgungssicherheit für die Bevölkerung abzuwenden. Der Wissenschaftliche Beirat empfiehlt der deutschen Verkehrspolitik, Maßnahmen in den Bereichen Erleichterungen für den Berufseinstieg, Steigerung der Jobattraktivität und positive Imagebildung für den Beruf zu ergreifen, die deutlich über die bisher ergriffenen Maßnahmen hinausgehen. Dazu bedarf es einer umfassenden Aufarbeitung der hier unterbreiteten Vorschläge, um mögliche Nebeneffekte vor einer Umsetzung gezielt festzustellen. Im Zusammenhang mit der Umsetzung legt der Wissenschaftliche Beirat darüber hinaus die Eruierung und Festlegung geeigneter Wirkungskontrollen nahe, die auch auf das Zusammenspiel mit den Initiativen der Marktakteure auszulegen sind. ■ Im Februar 2020 Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur Die komplette Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur finden Sie im Web unter www.iv-dok.de/ dok44-2009 Über den Wissenschaftlichen Beirat: www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Artikel/ G/ wissenschaftlicher-beirat-bmvi.html 1 CSR: Corporate Social Responsibility, Unternehmerische Sozialverantwortung. Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur Prof. Dr.-Ing. Hartmut Fricke Dresden Prof. Dr.-Ing. Markus Friedrich Stuttgart Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike Dresden Prof. Dr. Astrid Gühnemann Wien Prof. Dr. Hans-Dietrich Haasis Bremen Prof. Dr. Natalia Kliewer Berlin Prof. Dr. Dr. h.c. Andreas Knorr Speyer Prof. Dr.-Ing. Ullrich Martin Stuttgart Prof. Dr. Kay Mitusch (Vorsitzender) Karlsruhe Prof. Dr. Stefan Oeter Hamburg Prof. Dr. Tibor Petzoldt Dresden Prof. Dr. Gernot Sieg Münster Prof. Dr. Wolfgang Stölzle St. Gallen Prof. Dr.-Ing. Peter Vortisch Karlsruhe Prof. Dr. rer. nat. Hermann Winner Darmstadt
