Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2020-0065
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Systemanalyse für ein Güterverkehrsterminal
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Gregor Malzacher
Marc Ehret
Mathias Böhm
Andrei Popa
Um trotz steigender Verkehrsnachfrage zur Erfüllung der internationalen Klimaschutzziele beitragen zu können, entwickelt das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. mit dem Next Generation Train CARGO ein holistisches Güterverkehrskonzept mit der Schiene als zentralem Transportmodus. Die für dieses Konzept erforderliche Umschlagsinfrastruktur ist jedoch noch nicht im Detail konzipiert worden. Nachfolgend wird ein modellbasierter Systems Engineering-Ansatz für die nähere Analyse und Spezifikation eines intermodalen Güterterminals sowie deren Resultate vorgestellt.
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Internationales Verkehrswesen (72) 3 | 2020 72 Systemanalyse für ein Güterverkehrsterminal Anwendung des Model-Based System Engineering im Kontext des Next Generation Train CARGO Güterumschlag, Automatisierung, Intermodalität, Schienengüterverkehr, Innovation Um trotz steigender Verkehrsnachfrage zur Erfüllung der internationalen Klimaschutzziele beitragen zu können, entwickelt das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. mit dem Next Generation Train CARGO ein holistisches Güterverkehrskonzept mit der Schiene als zentralem Transportmodus. Die für dieses Konzept erforderliche Umschlagsinfrastruktur ist jedoch noch nicht im Detail konzipiert worden. Nachfolgend wird ein modellbasierter Systems Engineering-Ansatz für die nähere Analyse und Spezifikation eines intermodalen Güterterminals sowie deren Resultate vorgestellt. Gregor Malzacher, Marc Ehret, Mathias Böhm, Andrei Popa D amit sowohl die Ziele der Europäischen Union (EU) [1] als auch die Verpflichtungen der Mitgliedsstaaten im Rahmen des Pariser Abkommens [2] zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen erfüllt werden können, besteht unter anderem die Absicht, bei steigendem Verkehrsbedarf bis 2030 mindestens 30 % des gesamten Straßengüterverkehrsaufkommens innerhalb der EU auf andere, energieeffizientere Verkehrsträger, vor allem die Schiene, zu verlagern [3]. Bisher konnte jedoch über einen langen Zeitraum keine signifikante Verkehrsverlagerung beobachtet werden [4]. Im Hinblick auf den Güterverkehrsmarkt wird erwartet, dass der Großteil des zukünftigen Wachstums in Europa durch den vermehrten Transport von Low Density - High Value (LDHV) Gütern generiert wird [5]. Charakteristisch hierfür sind kleine, unregelmäßige Aufkommensgrößen mit dispersen Quelle-Ziel- Relationen, welche einen zuverlässigen, schnellen und flexiblen Versand erfordern [6], was im Schienengüterverkehr durch das Produktionssystem des Einzelwagenladungsverkehrs abgebildet wird [7]. In der EU werden diese Gutgruppen derzeit hauptsächlich auf der Straße transportiert [8]. Die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene erfordert Konzepte, die einen wettbewerbsfähigen Transport ermöglichen [9]. Aus dieser Motivation entwickelt das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit dem Next Generation Train CARGO (NGT CARGO) ein hoch automatisiertes und flexibles Fahrzeug- und Logistikkonzept. Der ganzheitliche Ansatz dieses Konzepts bildet die kom- Foto: Markus Distelrath / pixabay LOGISTIK Wissenschaft Internationales Verkehrswesen (72) 3 | 2020 73 Wissenschaft LOGISTIK plette intermodale Lieferkette der Güter vom Versender bis zum Empfänger ab und beinhaltet neue Technologien, die einen hohen Automatisierungsgrad beim Umschlag, Rangieren und Transport ermöglichen [10, 11]. Da die meisten potentiellen Versender und Empfänger über keinen eigenen Gleisanschluss verfügen, stellt die Möglichkeit von intermodalen Operationen zur Abdeckung der ersten und/ oder letzten Meile auf der Straße ein erfolgsentscheidendes Schlüsselelement dar [12]. Dies erfordert Umschlageinrichtungen, wie z. B. Terminals, die den Güterumschlag zwischen der Schiene und anderen Verkehrsträgern ermöglichen [13, 14]. Die Terminalgestaltung erfordert die Identifikation und Ableitung der entsprechenden Anforderungen basierend auf einer gründlichen Analyse des betrieblichen Kontextes-[15]. Ziel dieses Beitrags ist die Darstellung der Anwendung der Methodik des Model-Based Systems Engineering (MBSE) zur Analyse des Systemkontextes und Ableitung der Anforderungen und Systemfunktionen eines intermodalen Güterterminals für das NGT CARGO Logistikkonzept. Das MBSE schlägt ein strukturiertes Vorgehen für die Systemanalyse vor, um das Terminal auf der Grundlage der Bedürfnisse der wesentlichen Stakeholder zu spezifizieren. Durch die Verwendung formalisierter Modelle werden komplexe Systemzusammenhänge erkannt und visualisiert. Darüber hinaus ermöglichen die Modelle eine konsistente Dokumentation der Analyseergebnisse und dienen als Ausgangspunkt für den anschließenden physikalischen Entwurf des Terminals. Die Anwendung der Methodik der MBSE wird aktuell in der Entwicklung von Eisenbahnfahrzeugen erprobt [16]. Model-Based System Engineering (MBSE) Systems Engineering (SE) ist ein interdisziplinärer und holistischer Ansatz, der darauf abzielt, die zunehmende Komplexität technischer Systeme im Rahmen ihrer Gestaltung zu beherrschen [17]. Dadurch sollen Schwachstellen bereits in der Entwicklungsphase erkannt werden, was eine klare, konsistente und transparente Dokumentation der Systemspezifikation während des gesamten Lebenszyklus erfordert. Die MBSE-Methodik schlägt für diese Aufgabe die Anwendung formalisierter Systemmodelle vor, anstatt unterschiedliche Informationen in verschiedenen Dokumenten zu pflegen und vorzuhalten. Die Hauptziele dieses Ansatzes sind nach [17] eine Verbesserung der Kommunikation, die Erhöhung der Fähigkeit zur Verwaltung der Systemkomplexität sowie eine Steigerung der Qualität und ein verbessertes Wissensmanagement. Es existieren verschiedene Methoden, Tools und Sprachen zur Umsetzung der modellbasierten Systementwicklung. In dieser Arbeit wird der Cameo Systems Modeler von MagicDraw genutzt, der auf der Systemmodellierungssprache SysML basiert, einer standardisierten objektorientierten Sprache zur Beschreibung von Systemspezifikationen. Die gewählte Methode ist an den SYSMOD-Prozess angelehnt und wird detailliert in [18] beschrieben. Die grundlegenden Schritte der gewählten Methodik sind die Systemanalyse und der Systementwurf. Der in dieser Arbeit durchgeführte Analyseprozess wird in folgende Teilschritte gegliedert: • Spezifizieren der Systemidee und des Systemkontextes • Stakeholder- und Anforderungsanalyse • Anwendungsfall-Analyse Während des darauffolgenden Entwurfsprozesses werden die Systemstruktur und ihre Subsysteme durch Anwendung eines Top-Down-Ansatzes auf der Grundlage der Analyseergebnisse spezifiziert. Dazu gehört die Verifikation jeder Systemebene hinsichtlich der spezifizierten Anforderungen. Systemanalyse Die Entwicklung der Systemidee stellt den Einstieg in die Systemanalyse dar. In diesem Schritt werden die übergeordneten Ziele des Systems definiert und der Kontext Bild 1: System Kontext des Terminals Internationales Verkehrswesen (72) 3 | 2020 74 LOGISTIK Wissenschaft des Systems analysiert. Ein wesentliches Ziel des NGT CARGO-Konzepts ist der Transport von LDHV-Gütern auf der Schiene, unter Nutzung der vorhandenen Eisenbahnschieneninfrastruktur. Hierbei besteht die Hauptaufgabe des Terminals darin, die NGT CARGO-Fahrzeuge in bestehende und zukünftige Logistikketten für diese Art von Transporten zu integrieren. Aufgrund der hohen Anforderungen an Transportzeiten, Zuverlässigkeit und Kosten ist ein effektiver Umschlag zwischen den NGT CARGO-Fahrzeugen und anderen Verkehrsträgern unerlässlich. Durch die Analyse des Systemkontextes wurden eine Vielzahl an Akteuren und externen Systemen erkannt, die aktiv oder passiv mit dem Terminal interagieren. Das Terminal stellt die Schnittstelle von vier verschiedenen Kategorien von externen Systemen dar. Dabei handelt es sich um 1) Logistiksysteme, 2) Infrastruktursysteme, 3) andere Verkehrsträger oder zukünftige Transportsysteme, z. B. Seilbahnen oder Drohnen und 4) Produktionssysteme. Bei den Akteuren (symbolisch dargestellt als Strichmännchen) handelt es sich im Wesentlichen um Nutzer und Betreiber, die für den Güterumschlag mit verschiedenen Verkehrsträgern verantwortlich sind, wie z. B. Eisenbahnunternehmen oder Spediteure. Die einzelnen Verbindungslinien stellen jeweils Interaktionen zwischen dem Terminal sowie den externen Systemen oder Akteuren dar, die in Abhängigkeit von entsprechenden Ein- und Ausgängen Hinweise auf die erforderlichen Schnittstellen geben, z. B. den Austausch von datenbasierten Informationen zwischen dem Terminal und Logistikmanagementsystemen (Bild 1). Die Kontextanalyse stellt im Weiteren die Grundlage für die Identifikation der Stakeholder dar. Neben den Akteuren werden auch Personen oder Institutionen identifiziert, die generell von dem Terminal betroffen sind. Dazu gehören u.a. auch die Öffentlichkeit und die Entwickler selbst. Die wichtigsten Stakeholderkategorien sind: • Nutzer und Betreiber (Hauptakteure): - Verlader von potentiellen Gütern - Logistik-Dienstleister - Spediteur und Frachtführer (Straße, Schiene, andere) - Terminal- und Infrastrukturbetreiber (Straße, Schiene, Energie, Kommunikation) • Öffentlichkeit: - Genehmigungsbehörden, Kommunen, Anwohner - Verbände und Organisationen und Vereinigungen • Entwickler: - Forschung und Konzeptentwurf - Planungs- und Entwicklungsunternehmen sowie Subsystementwickler Jede Kategorie ist in weitere Unterkategorien unterteilt. Zur Übersichtlichkeit werden in der Liste nur die höchsten Ebenen dargestellt. Die Anforderungsanalyse beginnt mit der Erhebung der zentralen Bedürfnisse der identifizierten Stakeholder. Dazu wurden Literaturrecherchen und Interviews mit Vertretern der verschiedenen Kategorien durchgeführt, wobei sich auf die Hauptakteure (Nutzer und Betreiber) konzentriert wurde, die in erster Linie das Konzept des Terminals beeinflussen. Anschließend wurden diese Bedürfnisse in Stakeholder-Anforderungen übersetzt. Diese werden in die Systemanforderungen für das Terminal überführt, indem sie den Kategorien Funktion, Nutzbarkeit, Zuverlässigkeit, Leistung, physische und wirtschaftliche Anforderungen zugeordnet werden [18]. In Bezug auf den Transport von potentiellen Gütern, die vom NGT CARGO transportiert werden sollen, wurde bestätigt, dass die Grundbedürfnisse der Verlader übereinstimmen (dazu zählen: Zuverlässigkeit, Flexibilität, Planbarkeit, kurze Transportzeiten, Kosten und sorgfältige Handhabung). Bei näherer Betrachtung ergibt sich jedoch ein breites Spektrum an güterspezifischen Anforderungen, die deren Handhabung, Behandlung und logistische Prozesse definieren. Im Gegensatz zu den anderen identifizierten, potenziellen Gütern unterliegen land- und forstwirtschaftliche Produkte, Lebensmittel, Getränke und Pharmazeutika strengen Anforderungen hinsichtlich der Einhaltung der Kühlkette. Die Anforderungen sind wiederum abhängig von der Art des Gutes. Z. B. wird für Obst und Gemüse nach [19] eine Transporttemperatur von 3 °C bis 12 °C gefordert. Dies erfordert unterschiedliche temperaturgeführte Lager- und Umschlagsbereiche im Terminal. Um Diebstahl, Zugriff und Austausch durch Dritte zu verhindern, müssen die Lager- und Umschlagbereiche von Arzneimitteln zusätzlich mit Zugangskontroll- und Alarmsystemen ausgestattet werden [20]. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass sich die Ladeeinheiten der potenziellen Güter in Abmessungen und Gewicht deutlich unterscheiden, insbesondere bei Sammelgut. Dies führt zu unterschiedlichen Funktions- und Nutzungsanforderungen an den Umschlag und die Lagerung der Güter und damit an den Automatisierungsgrad im Terminal. Mit Ausnahme der Güter, die in festen Ladeeinheiten wie Pakete oder Getränke auf Paletten transportiert wird, stellt sich heraus, dass die Prozesse in den derzeitigen Logistikterminals meist manuell durchgeführt und nur durch halbautomatische Ladetechnik und Verfolgungssysteme unterstützt werden. Die Ergebnisse legen nahe, diese Komplexität dadurch zu reduzieren, dass entweder die Liste der potenziellen Güter die im Terminal umgeschlagen werden, reduziert oder das Terminal in bestimmte Bereiche getrennt wird, so dass ähnliche Güter mit derselben Technologie und ähnlichem Automatisierungsgrad umgeschlagen werden können. Da sich Logistikdienstleister teilweise auf bestimmte Gutarten konzentrieren, existieren derzeit verschiedene Logistiknetzwerke für den Transport, z. B. Kurier-, Express- und Paketdienste und Stückgut. Mangels konkurrenzfähiger Angebote der Eisenbahnverkehrsunternehmen für KEP und Stückgut bzw. LDHV-Güter werden fast ausschließlich Straßenfahrzeuge als Transportmittel genutzt. Die Lage der bestehenden Terminals ist daher an die Straßeninfrastruktur angepasst und für die Be- und Entladung von Straßenfahrzeugen ausgelegt. Damit der Hochgeschwindigkeits-Schienengüterverkehr ein Teil der Logistikkette in diesen Netzen werden kann, z. B. der Hauptlauf, ist die Erreichbarkeit der Terminals für potentielle Spediteure ein wichtiges Kriteri- Internationales Verkehrswesen (72) 3 | 2020 75 Wissenschaft LOGISTIK um. Darüber hinaus sind die Anforderungen an die Umschlagzeiten der potentiellen Güter im Vergleich zu heutigen Güterzügen extrem kurz und stark abhängig vom Logistiknetzwerk. Auf der Grundlage von Interviews mit Akteuren der Logistikbranche wird davon ausgegangen, dass auf Grund der Übernachtzustellung in Deutschland eine Umschlagszeit am Terminal von weniger als einer Stunde erforderlich ist. Durch die begrenzte Kapazität und die engen Zeitpläne im Eisenbahnbetrieb für die gemischten Strecken und den Hochgeschwindigkeitsverkehr [21] wird deutlich, dass die im Terminal stattfindenden Prozesse sehr strukturiert und effizient sein müssen. Dies erfordert die Planung der ein- und ausgehenden Fahrzeuge, die Zuweisung und Reservierung von Umschlagflächen für alle Fahrzeuge, die entsprechende Abschätzung von Umschlagzeiten und Lagerflächen sowie zuverlässige Verfolgungs- und Sortierprozesse. Die Ergebnisse der Bedarfsanalyse lassen erkennen, wie potenzielle Logistikketten mit der Schiene als zentralem Transportmodus auf der Grundlage der derzeitigen Transportnetze für diese Art von Gütern gestaltet werden können. Dazu gehören auch vertiefende Untersuchungen zur Optimierung der Standorte für die Terminals. Insgesamt wurden 50 Top-Level-Anforderungen identifiziert und in dem entwickelten Systemmodell dokumentiert. Die spezifischen Leistungsanforderungen, wie z. B. die Umschlags- und Lagerzeiten und -mengen, konnten nicht allgemein definiert werden, da sie stark von den jeweiligen Transportbeziehungen abhängen. Eine mögliche Lösung ist ein modularer Aufbau des Terminals, der auf die geforderten Leistungsanforderungen skaliert werden kann. In der anschließenden Anwendungsfall-Analyse werden die funktionalen Anforderungen detailliert, um die wesentlichen Funktionen des Terminals zu spezifizieren. Ein Anwendungsfall beschreibt eine bestimmte Aufgabe, die von einem System bereitgestellt wird und bezieht sich auf einen oder mehrere Stakeholder. Insgesamt wurden 23 wesentliche Anwendungsfälle identifiziert, welche mit der Be- und Entladung von Straßen- und Schienenfahrzeugen, dem Management von Güterströmen sowie dem Rangieren von Schienenfahrzeugen im Terminal im Zusammenhang stehen. Bild 2 zeigt exemplarisch einige dieser Anwendungsfälle. Durch den systematischen Analyseprozess ergibt sich ein strukturierter Überblick über die einzelnen Aufgaben die vom Terminal ausgeführt werden müssen und identifiziert redundante Funktionen. Diese Analyse schärft das gemeinsame Verständnis für das Terminal, indem die Hauptfunktionen gruppiert und visualisiert werden. Dabei können missverständliche Anforderungen und fehlende Spezifikationen frühzeitig erkannt werden. Anschließend werden die einzelnen Schritte, die für jeden Anwendungsfall durchgeführt werden müssen, durch die Implementierung entsprechender Aktivitäten im Systemmodell spezifiziert. Diese Aktivitäten beschreiben definierte Abläufe und können Objekte enthalten, die generiert, weitergegeben werden oder einbzw. austreten. Dabei handelt es sich unter anderem um physische Objekte, wie Ladeeinheiten, Fahrzeuge oder Bild 3: Aktivitätsdiagramm „Eingehende Frachtströme planen“ Bild 2: Anwendungsfall-Diagramm für den Terminal-Operator Internationales Verkehrswesen (72) 3 | 2020 76 LOGISTIK Wissenschaft Bild 4: Aktivitätsdiagramm zur Beschreibung der grundlegenden Systemprozesse auch Daten. Exemplarisch ist in Bild 3 die Aktivität, die den Anwendungsfall „Eingehende Frachtströme planen“ spezifiziert, dargestellt. Im übergeordneten Aktivitätsdiagramm werden die im Terminal stattfindenden Systemprozesse der obersten Ebene strukturiert und visualisiert (Bild 4). Hierbei werden die Anwendungsfälle durch entsprechende Aktivitäten abgebildet. Es können Bereiche erkannt werden, in denen spezifische Aktivitäten und Anwendungsfälle stark miteinander verbunden sind. Der zentrale Teil des Diagramms umfasst das interne Management und die Verfahren, die sich um die Handhabung, Sortierung und Lagerung der Güter kümmern. Es wird deutlich, dass für die Koordination dieser internen Terminalprozesse eine Vielzahl von Informationsflüssen notwendig ist. Auf der linken Seite sind Prozesse gebündelt, die sich mit der Be- und Entladung von Straßenfahrzeugen befassen, während auf der rechten Seite Aktivitäten im Zusammenhang mit Eisenbahnfahrzeugen stattfinden. Das Aktivitätsdiagramm kann als eine Art funktionale Architektur betrachtet werden, die die wesentlichen Systemfunktionen durch Objektflüsse strukturiert und miteinander verbindet. Somit wird die technologieunabhängige Beschreibung des Terminals ermöglicht, was den letzten Schritt dieser Systemanalyse darstellt. Zusammenfassung und Ausblick Mit Hilfe der MBSE-Methodik konnten die komplexen Zusammenhänge in einem Logistikterminal für den Hochgeschwindigkeitsgüterverkehr am Beispiel des NGT Cargo durchdrungen und systematisiert dargestellt werden. Die durchgeführte Kontextanalyse erfasst die Systemabhängigkeiten in Lieferketten und ordnet das Terminal darin ein, wodurch unterschiedliche Perspektiven auf das Terminal hervortreten. Die Analyse hob zudem die Vielfalt der potenziellen Nutzer und Betreiber hervor, darunter Verlader, Logistikdienstleister, Eisenbahn- und Infrastrukturunternehmen sowie Spediteure und Transporteure anderer Verkehrsträger. Der Austausch mit Vertretern von Logistikdienstleistern verdeutlichte die Komplexität der gegenwärtigen Logistikketten, die u. a. LDHV-Güter transportieren. Anschließend wurden die Bedürfnisse der potentiellen Hauptnutzer und Betreiber abgeleitet und in funktionale Anforderungen überführt. Internationales Verkehrswesen (72) 3 | 2020 77 Wissenschaft LOGISTIK Es zeigte sich, dass die Integration eines intermodalen Terminals zur Verlagerung des Hauptlaufs von der Straße auf die Schiene mit hohen Anforderungen an Erreichbarkeit, Umschlagszeiten, Kosten und Zuverlässigkeit des Terminals verbunden ist. Insbesondere Sammelgüter und LDHV-Sendungen im Business-to-Business- Bereich sind in Bezug auf Masse und Handling-Anforderungen nicht standardisiert und zeichnen sich durch eine große Varianz aus. Dies erschwert die Ableitung von standardisierten Umschlagtechnologien sowie die Möglichkeiten zum automatisierten Handling. Insgesamt wurden 50 Top-Level-Anforderungen abgeleitet, die das Terminal spezifizieren. Aufgrund der Vielfalt der Stakeholder musste jedoch die Anzahl der Interviews für die dargestellte Analyse eingeschränkt werden, so dass nur mit einer relevanten Auswahl von Vertretern in Kontakt getreten wurde, um in die Diskussionen über zukünftige Transportsysteme zu gehen. Die Ergebnisse der Methodik der Anforderungsanalyse hängen demnach stark von der individuellen Expertise und Anzahl der befragten Stakeholder ab. Durch die Anwendungsfallanalyse wurden die funktionalen Anforderungen verfeinert und Widersprüche aufgedeckt. Dabei wurden die funktionalen Anforderungen in konkrete Anwendungsfälle überführt und 23 Hauptaufgaben identifiziert, die im Terminal ablaufen. Durch die Verknüpfung dieser Aufgaben wurde ein Aktivitätsdiagram abgeleitet, welches eine technologieunabhängige Spezifikation des Terminals darstellt. Ausgehend von dieser Beschreibung sollen in weiteren Untersuchungen physikalische Elemente identifiziert werden, die die entsprechenden Aktivitäten realisieren. Dabei werden die funktionalen Anforderungen in eine physische Architektur des Terminals umgesetzt. Neben Lösungen für den Güterumschlag stellt die (Zwischen)Lagerung der unterschiedlichen Güter (insbesondere unter Berücksichtigung der Temperaturführung) einen weiteren Forschungsschwerpunkt dar. Zur Verifizierung des physikalischen Entwurfs auf der Grundlage der identifizierten Leistungsanforderungen sollen Simulationsmodelle entwickelt werden, wodurch das Systemverhalten hinsichtlich des Materialflusses und/ oder technischen Abläufe berechnet werden können. ■ LITERATUR [1] European Commission (2012 ): Energy Roadmap 2050. Luxembourg. [2] United Nations Framework Convention on Climate Change (2015): Adoption of the Paris Agreement. 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Wissenschaftlicher Mitarbeiter, DLR-Institut für Fahrzeugkonzepte, Forschungsfeld Fahrzeugarchitekturen und Leichtbaukonzepte, Stuttgart gregor.malzacher@dlr.de Andrei Popa, Dipl.-Wirtsch.-Ing (FH), M.A. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, DLR-Institut für Flughafenwesen und Luftverkehr, Abteilung Flughafenforschung, Braunschweig andrei.popa@dlr.de
