Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2020-0070
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Lavatory4All
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Marcel Weber
Bernhard Rüger
Wolfgang Zagler
Heidelinde Jelinek-Nigitz
Peter Mayer
Bernhard Hatzmann
Jesús Rodriguez Conde
Die Benutzung von Flugzeugtoiletten ist für Menschen mit eingeschränkter Mobilität oft nur bedingt oder gar nicht möglich. Vor allem im Kurz- und Mittelstreckenverkehr sind Flugzeugtoiletten im Regelfall nicht barrierefrei, da zugunsten einer ökonomischen Effizienz der Platz für Toiletten limitiert ist. In Großraumflugzeugen sind zwar als barrierefrei bezeichnete Toiletten vorhanden, doch die erfüllen die Anforderungen im Sinne des Universal-Designs nicht vollumfänglich. Das Projekt Lavatory4All zielte darauf ab, Lösungen für barrierefreie Flugzeugtoiletten zu entwickeln, die sowohl die Anforderungen von betroffenen Menschen erfüllen als auch für Luftverkehr betreibende Unternehmen akzeptabel sind.
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Internationales Verkehrswesen (72) 3 | 2020 98 Lavatory4All Technische Anforderungen an eine barrierefreie Flugzeugtoilette für Menschen mit eingeschränkter Mobilität Anforderungen im Luftverkehr, Öffentliche Verkehrsmittel, Flugzeugtoilette, Mobilitätseinschränkung, Universal-Design, Usability Die Benutzung von Flugzeugtoiletten ist für Menschen mit eingeschränkter Mobilität oft nur bedingt oder gar nicht möglich. Vor allem im Kurz- und Mittelstreckenverkehr sind Flugzeugtoiletten im Regelfall nicht barrierefrei, da zugunsten einer ökonomischen Effizienz der Platz für Toiletten limitiert ist. In Großraumflugzeugen sind zwar als barrierefrei bezeichnete Toiletten vorhanden, doch die erfüllen die Anforderungen im Sinne des Universal-Designs nicht vollumfänglich. Das Projekt Lavatory4All zielte darauf ab, Lösungen für barrierefreie Flugzeugtoiletten zu entwickeln, die sowohl die Anforderungen von betroffenen Menschen erfüllen als auch für Luftverkehr betreibende Unternehmen akzeptabel sind. Marcel Weber, Bernhard Rüger, Wolfgang Zagler, Heidelinde Jelinek-Nigitz, Peter Mayer, Bernhard Hatzmann, Jesús Rodríguez Conde L aut dem aktuellen globalen Bericht der Weltgesundheitsorganisation und der Weltbank in New York leben insgesamt eine Milliarde Menschen (15 Prozent der Gesamtbevölkerung) mit einer dauerhaften Beeinträchtigung und haben somit unmittelbare Mobilitätsprobleme, das ist statistisch betrachtet jeder siebte Mensch weltweit. Es ist anzunehmen, dass die Zahl der Menschen mit Beeinträchtigungen in den nächsten Jahren zunimmt, was sich unter anderem auch mit dem rasch verstärkenden demografischen Wandel begründen lässt 1 . Unter Menschen mit eingeschränkter Mobilität werden Gruppen verstanden, welche eine körperliche Einschränkung haben, eine Einschränkung der Sinne, eine Sprach- oder Sprecheinschränkung, psychische Einschränkung oder eine Lerneinschränkung aufweisen. Diese Gruppen umfassen somit nicht nur Menschen mit eindeutig motorischen Einschränkungen, wie z. B. Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer, sondern insbesondere auch ältere Menschen mit altersbedingten physischen (Gebrechlichkeit) und/ oder Sinneseinschränkungen. Mobilitätseingeschränkt sind auch kleinwüchsige oder groß gewachsene Menschen, Menschen mit Säuglingen oder Kleinkindern. Mobilitätseinschränkungen sind nicht nur von permanenter Natur, sondern können auch aufgrund eines Unfalls oder einer nicht-chronischen Erkrankung temporär in Erscheinung treten - wobei Menschen mit temporärer Einschränkung aufgrund der für sie ungewohnten Situation oftmals mit noch größeren Herausforderungen konfrontiert werden. Aufgrund dieser Einschränkungsarten sind Menschen kaum in der Lage, am gesellschaftlichen Leben umfassend teilzunehmen, da sie durch die Mobilitätseinschränkung kaum ihren Lebensraum optimal nutzen können. Ein Grund, weshalb auf internationaler und nationaler Ebene der barrierefreie öffentliche Verkehr immer mehr an Bedeutung gewinnt - so auch im Flugverkehr. Foto: Stela Di / pixabay TECHNOLOGIE Flugverkehr Internationales Verkehrswesen (72) 3 | 2020 99 Flugverkehr TECHNOLOGIE Barrierefreiheit im Flugverkehr bedeutet nicht nur die physische Zugänglichkeit der Flugzeugkabine und Ausstattung, sondern auch eine kontrastreiche Gestaltung verschiedener Kabinenbereiche sowie Informationsvermittlung in einer verständlichen Sprache unter der Zuhilfenahme von allgemeinen und internationalen Piktogrammen. Ein besonderes Defizit von barrierefreien Kabinenbereichen besteht unter anderem gegenwärtig bei den Toiletten. Abhängig von der Art der Mobilitätseinschränkung, gibt es unterschiedliche und oft widersprüchliche Anforderungen an die Ausführung von Toiletten, um deren Gebrauch zu ermöglichen, die jedoch oft technischen Möglichkeiten im Flugzeugbau beziehungsweise der ökonomischen Effizienz von Luftfahrt betreibenden Unternehmen entgegensteht. Aus Sichtweise der ökonomischen Effizienz muss der Platz in einer Flugzeugkabine bestmöglich genutzt werden, was einer, oftmals erforderlichen und durch terrestrische Baunormen geforderten, großzügigen Gestaltung von Toiletten widerspricht. Des weiteren werden an jegliches Flugzeuginterieur hohe Anforderungen an das Material hinsichtlich der erforderlichen Festigkeit und gleichzeitig hinsichtlich der geforderten Gewichtsminimierung gestellt. Aus einem vorhergehenden Sondierungsprojekt (Cabin4All - Barrierefreie Flugzeugkabine), in dem die generellen Anforderungen mobilitätseingeschränkter Menschen im Flugverkehr tiefgehend untersucht wurden, ist bekannt, dass die richtige Gestaltung von Flugzeugtoiletten in mehrfacher Hinsicht eine große Herausforderung darstellt, die gegenwärtig vollumfänglich nicht gelöst ist. Flugzeugtoiletten entsprechen nicht den allgemeingültigen Standards hinsichtlich Barrierefreiheit, wie diese beispielsweise im Bauwesen oder in Eisenbahnwaggons umgesetzt sind. Neben verhältnismäßig einfach umsetzbaren Maßnahmen, wie z. B. für seheingeschränkte Menschen, stellen vor allem die Anforderungen von Passagieren mit Geheinschränkungen, die auf die Nutzung eines Bordrollstuhls angewiesen sind, große und bis dato ungelöste Herausforderungen dar. Bedingt durch bereits geltende oder aktuell in Ausarbeitung befindliche nationale und internationale Gesetze und Regulierungen zur Diskriminierungsfreiheit ist jedoch zu erwarten, dass in wenigen Jahren auch im Flugverkehr verschärfte Anforderungen an die Barrierefreiheit gestellt werden. Barrierefreie Flugzeugtoiletten müssen aus einer ganzheitlichen Sicht heraus gestaltet werden, damit sie den unterschiedlichsten Anforderungen von allen Menschen, ungeachtet einer möglichen Einschränkung, tatsächlich entsprechen (Forschung nach den Prinzipien des Universal Designs, des Design-for-All und des Partizipatorischen Designs). Gleichzeitig müssen die barrierefreien Flugzeugtoiletten aber auch den hohen Anforderungen der Luftfahrt hinsichtlich der bestmöglichen Platznutzung, der Sicherheit der geforderten Materialien und des geringstmöglichen Gewichtes entsprechen. Zentrales Ziel des Projektes war es, vor diesem Hintergrund zu erforschen, ob und wie Toiletten für Flugzeuge, unter Berücksichtigung aller genannten Einschränkungen, barrierefrei gestaltet werden können (Bild 1). Im Sinne einer wahren Innovation, die zukünftig einen wesentlichen Beitrag zur gleichzeitigen Effizienz- und Nutzensteigerung liefern soll, lag das Forschungsinteresse hauptsächlich an einer Forcierung eines komplett überdachten Flugzeugtoilettensystems. Grund ist auch, dass die üblichen Designvorschläge auf bereits bekannten Systemen basieren, deren Fortführung nicht zwingend die beste Lösung darstellt. Regelerstellung für barrierefreie Flugzeugtoiletten als notwendige Grundlage Im Flugverkehr existieren eine Reihe kostenloser Serviceleistungen für Menschen mit eingeschränkter Mobilität, welche von der Abholung vom Eingangsbereich, Unterstützung beim Check-in und beim Zollverfahren bis hin zum Bording in das Flugzeug reichen können. Auch bei der Gestaltung von Flughafengebäuden (z. B. Rampen, Aufzüge, etc.) werden die Bedürfnisse von mobilitätseingeschränkten Menschen berücksichtigt. Das großzügige Angebot für mobilitätseingeschränkte Menschen endet jedoch nach dem Bording im Flugzeug und dem Betreten der Flugzeugkabine selbst. Die Auslegung der Fluggastkabinen von in der EU zugelassenen Luftfahrtzeugen unterliegt der europäischen Zertifizierung durch die European Aviation Safety Agency (EASA). Nicht aus der EU stammende Luftfahrzeuge werden von der jeweiligen nationalen Behörde zertifiziert. An Bord europäischer Fluglinien werden selten Rollstühle zur Verfügung gestellt, welche für viele mobilitätseingeschränkte Menschen eine Grundvoraussetzung zur Erreichung der Toiletten darstellen, wohingegen dies nach US-Recht für Luftfahrzeuge mit mehr als 60 Sitzplätzen bereits vorgeschrieben ist. Im Bereich Eisenbahn ist die Einbeziehung von Aspekten der Barrierefreiheit in die Gestaltung von Infrastruktur und Fahrzeugen seit längerer Zeit Realität und in vielen Bereichen gesetzlich vorgeschrieben. Die VO (EU) 1300/ 2014 über die technischen Spezifikationen für die Interoperabilität bezüglich der Zugänglichkeiten des Eisenbahnsystems der Union für Menschen mit physischen und kognitiven Einschränkungen (abgekürzt TSI PRM) sorgt dafür, dass Bild 1: Evaluierungsschritte Internationales Verkehrswesen (72) 3 | 2020 100 TECHNOLOGIE Flugverkehr europaweite einheitliche Qualitätsstandards für barrierefreies Reisen gelten. Neue Fahrzeuge müssen somit der geltenden Fassung der TSI PRM entsprechen, welche unter anderem auch das Vorhandensein und die Ausstattung einer barrierefreien Toilette klar regelt. In der Luftfahrt gibt es gegenwärtig keine einheitliche Regelung in Form von Normen oder Vorschriften, welche die Gestaltung und Ausstattung von barrierefreien Toiletten festlegt. Es fehlt in Gänze der Universal Design-Denkansatz und führt oft zu Konflikten, mobilitätseingeschränkte Menschen eine Flugreise nicht nur zu ermöglichen, sondern auch angenehm zu gestalten. Keine erwägenswerten Lösungen von Toiletten-Systemen aus anderen Bereichen Parallel zu der Recherche über bereits im Einsatz befindliche barrierefreie Flugzeugtoiletten, wurden auch Toiletten-Systeme außerhalb von Flugzeugkabinen - wie im Eisenbahnverkehr, in der Schifffahrt, im Busverkehr sowie im Bauwesen - analysiert, um von gegebenenfalls ähnlichen Herausforderungen beziehungsweise von bereits umgesetzten Lösungen lernen zu können. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es nur sehr wenige Systeme in Flugzeugen, die zum einen barrierefrei sind und zum anderen gleichzeitig die Privatsphäre und den Komfort von mobilitätseingeschränkten Menschen wahren. Es existieren zwar Teilansätze zu Toiletten-Systemen aus anderen Bereichen, wie bereits angeführt, welche auch in kleineren Flugzeugen eingesetzt werden, allerdings fehlt auch da in Gänze ein vollumfänglich barrierefreies Angebot. Aufgrund der komplexen Bauvorschriften von Flugzeugen und vielseitiger Anforderungen von mobilitätseingeschränkten Menschen an barrierefreie Toiletten müssen technische Rahmenbedingungen schon von Anfang an eingehalten werden, da im Nachtrag nur sehr schwer nachadjustiert werden kann. Die Grundlage für die Baunormen von Linienflugzeugen bildet die EASA Zulassungsvorschrift Certification Spezification and Acceptable Means of Compliance for Large Aeroplanes, auch CS 25 genannt. Der darin enthaltene Auszug Subpart D - Design and Construction gibt ebenso, wie die teilweise zur Verfügung stehenden ETSO, Auskunft über die Ausführungsregularien der Kabinenausstattung. Da darin nicht viele Bauvorschriften bezüglich der Flugzeugtoilette niedergeschrieben sind, bietet sich hier die Möglichkeit, die behindertengerechte WC-Anlage sehr innovativ zu gestalten. Dies muss auch der Fall sein, um vollständige Barrierefreiheit zu gewährleisten, da die bisherigen Konzepte nicht ansatzweise den Anforderungen eines mobilitätseingeschränkten Fluggastes entsprechen und großer Nachholbedarf besteht. Dabei sind wesentliche Rahmenbedingungen in der Flugzeugkabine zu beachten, wie • Platzbedarf (bedingt durch den intensiven Wettbewerb, dem Luftfahrt betreibende Unternehmen ausgesetzt sind, zählt für eine ökonomische Effizienz ein Maximum an anzubietenden Sitzplätzen - zu Lasten verfügbarer Flächen z. B. für barrierefreie Toiletten), • Gewicht (unter Berücksichtigung des Flugzeuggesamtgewichtes fallen ca. zwei Liter Kerosin pro 10.000 km für jedes zusätzliche Kilogramm für Ladung an, Mehrgewicht wirkt sich somit ökonomisch sowie auch ökologisch nachteilig aus) und die • Sicherheitsanforderungen (Regularien für die Materialsicherheit, Anforderungen der Brandbeständigkeit etc.). Design for All durch benutzungszentrierte Evaluierung Für das Erstellen technischer Lösungsvorschläge für eine barrierefreie Flugzeugtoilette wurden im Rahmen des Forschungsprojektes vordergründig die sozialen Verhaltensweisen und Interaktionen kognitiv und physisch eingeschränkter Menschen als empirische Untersuchung an einem Demonstrationsmodell herangezogen. Vor allem durch die Erkenntnisse, wie die Testpersonen den Transfer und die Nutzung des innovativen Toilettensystems durchführten, konnte ein technischer und wirtschaftlicher Mehrwert in Machbarkeit und Umsetzbarkeit gewonnen werden. Dafür kamen im Laufe der empirischen Untersuchungen drei unterschiedliche Evaluierungsvarianten zum Einsatz, welche in Gänze alle funktionalen Anforderungen berücksichtigen sollten. Als Evaluierungsvarianten wurden hierbei die Feedback-Methode, der Usability-Test sowie die Fragebogen-Methode herangezogen. Bei der Feedback-Methode stand hauptsächlich das mündlich kommunikative Vorgehen im Mittelpunkt, wobei im Evaluierungszeitraum die Testpersonen aufgefordert waren, jeglichen Gedanken oder das Erlebte vokal oder durch Gebärdensprache zu kommunizieren. Der Vorteil lag darin, situationsabhängige kritische und auch bewertende Aussagen der Testpersonen parallel zum Usability-Test zu gewinnen. Wobei der Usability-Test darauf abzielte, anhand einer annähernd realen Nutzung des innovativen Toilettensystems pro und contra der Funktionalitäten zu ermitteln. Begleitet wurde der Usability-Test von einem strukturierten Ablaufplan, welcher die Vergleichbarkeit der Ergebnisinterpretation erhöht. Im Anschluss des Usability-Tests wurden noch mittels der Fragebogen-Methode die subjektiven Einstellungen und persönlichen Erfahrungen seitens der Testperson erhoben. Durch den zusätzlichen Einsatz der quantitativen Erhebungsmethode konnten Informationen gewonnen werden, welche mittels der qualitativen Erhebungsmethode nicht erhoben werden konnten. Der Fragebogen wurde in einer strukturierten Form, mit teilweise geschlossenen Antwortmöglichkeiten (durch Bewertung auf einer Skala im Schulnotensystem) und teilweise mit offenen Antwortmöglichkeiten (durch zusätzlich angebrachte freie Anmerkungsfelder) den Testpersonen vorgelegt. Trotz der sich aus den Evaluierungen ergebenden Lösun- Bild 2: Computersimuliertes Demonstrationsmodell Grafiken: FACC Operations GmbH Internationales Verkehrswesen (72) 3 | 2020 101 Flugverkehr TECHNOLOGIE gen für Lang-, Mittel- und Kurzstreckenflugzeuge, konzentrierte sich das weitere Vorgehen auf die Mittel- und Kurzstreckenflugzeuge. Diese Entscheidung wurde im Laufe der Projektbearbeitung getroffen, um eine möglichst hohe Detaillierungstiefe in der Systemkonzeption zu erreichen. Des weiteren besteht durch diese Herangehensweise die Gewissheit, dass, wenn alle ausgewählten, priorisierten und wirtschaftlich umsetzbaren Komponenten in eine von mobilitätseingeschränkten Menschen nutzbare Toilette für Kurzstreckenflugzeuge integriert werden können, eine Umsetzung für Langstreckenflugzeuge ohne weitere Probleme übernommen werden kann. Integration individueller Anforderungen der Barrierefreiheit in den Entwicklungsprozess Die benutzungszentrierte Evaluierung an einem Demonstrationsmodell (Bild 2) hat in vielerlei Hinsicht gezeigt, wie wichtig auf der einen Seite eine Verbesserung der Servicekomponenten sowie der technischen Ausstattungselemente ist, welchen großen Mehrwert auf der anderen Seite eine Implementierung einer einheitlichen Regelung in Form von Normen oder Vorschriften für die Gestaltung und Ausstattung von barrierefreien Flugzeugtoiletten haben kann. Anhand der Evaluierungserkenntnisse lassen sich somit folgende Anwendungsbereiche festlegen. Auffinden der Flugzeugtoilette Der Weg zur Toilette sollte unter Zuhilfenahme von Orientierungshilfen allgemeinverständlich markiert werden. Alle im Flugzeug installierten Toilettensysteme sind an der Außenseite der Tür mit einer deutlichen Beschriftung zu versehen, welche auf eine barrierefreie Toilette hinweist. Dabei ist die Beschriftung in einem hohen Kontrast sowie in einer taktilen Ausführung auszuführen, wobei die Beschriftung eine Höhe von 30 mm nicht unterschreiten sollte. Türsystem Die Tür sollte nicht nach innen aufgehen, leicht zu öffnen sein und eine lichte Durchgangsbreite von mindestens 450 mm aufweisen. Dabei ist die Tür in einer gewinkelten Form auszuführen, welche sich in Richtung Gang öffnen lässt und als Sichtschutz den Gang vollständig schließt (Bild 3). Zusätzlich soll es ermöglicht werden, die gegenüberliegende Türzarge als schwenkbare Seitenwand auszuführen, um mehr Platz für assistierende Menschen zu erhalten. Bei einer geöffneten Winkeltür sollte eine Schließeinrichtung vorgesehen werden, die ein Durchpendeln oder durch Turbulenzen hervorgerufenes Schließen verhindert. Beschläge an der Tür (Türschnallen außen und innen, Verriegelungsschieber, etc.) sollten in einer angemessenen Formgebung mit ausreichendem Formschluss und Leichtigkeit in der Bedienung ausgeführt werden. Dabei sollte ein sternförmiger Griff nicht unter 50 mm im Durchmesser und eine Türschnalle nicht unter 100 mm in der Länge ausgeführt werden. Drehkopfbeschläge mit glatter Struktur sind zu vermeiden. Beschläge an der Tür sollten mindestens bei einer Höhe von 850 mm ausgeführt werden und eine Höhe von 1.000 mm nicht übersteigen. Bei den Türen ist sicherzustellen, dass diese durch einen Griff auch zugezogen werden kann. Die Länge des Griffes sollte mindestens 150 mm betragen. Die Beschläge sollten in Bezug auf das Türblatt in einem entsprechenden Kontrast ausgeführt werden. Halte- und Stützgriffe Die Halte- und Stützgriffe innerhalb der Flugzeugtoilette sollten mindestens in vierfacher Ausführung zur Verfügung stehen, wobei sich diese in zwei senkrechte und in zwei waagerechte Halte- und Stützgriffe einteilen sollten. Ein Halte- und Stützgriff sollte eine verstellbare Eigenschaft aufweisen, um den Transfer sowie die Nutzung des Waschtisches zu erleichtern. Dabei ist eine leichte Griffigkeit aller Halte- und Stützgriffe durch eine Auflagefläche aller Finger sicherzustellen und sollten einen runden Querschnitt aufweisen. Die optimale Höhe der Halte- und Stützgriffe liegt für den Transfer bei 600 mm bis 1.500 mm und sollte einen Durchmesser von mindestens 40 mm nicht unterschreiten. Die Halte- und Stützgriffe sollten in Bezug auf das Türblatt in einem entsprechenden Kontrast ausgeführt werden. WC-Raum Die WC-Räume müssen eine lichte Breite von mindestens 928 mm, eine lichte Höhe von mindestens 2.017 mm und eine lichte Tiefe von mindestens 1.162 mm aufweisen. Scharfe Kanten an den Deckelrändern der Toilette sollten vermieden werden, damit ein notwendiges Anlehnen bei der Nutzung möglich ist. Die Toilette selbst sollte symmetrisch zwischen linker und rechter Wand positioniert werden, um Bewegungsfläche, wie z. B. Pendelbewegungen beim Be- und Entkleiden, sicherzustellen. Die Höhe des Toilettensitzes sollte mit mindestens 460 mm gestaltet werden und für Kinder sowie kleinwüchsige Menschen eine Fußstütze aufweisen. Es wird empfohlen, eine zweite WC-Brille vorzusehen, um eine unterschiedliche Sitzhöhe zu ermöglichen. Beide WC-Brillen sollten dabei vom gesamten Umfang die gleiche Breite her aufweisen. Um den Transfer und die Ausrichtung der Person zu erleichtern, wird zum einen eine kreisrunde und drehbare WC-Brille und zum anderen ein motorisches Öffnen und Schließen empfohlen. Sitz und Brille sollten eine kontrastreiche Farbgebung aufweisen. Empfohlen wird auch eine Desinfektionsmöglichkeit für WC-Brille und Hände unmittelbar in der Nähe, um die Hygiene vor allem beim Transfer zu gewährleisten. Empfohlen wird ein automatisches Spülen beim Schließen des Deckels oder beim Verlassen der Toilette. Waschtisch Für eine barrierefreie Nutzung des Waschtisches sind eine Unterfahrbarkeit des Apparates mit den Fußteilen des Rollstuhles von mindestens 200 mm und eine Höhe von mindestens 300 mm sicherzustellen. Dazu Bild 3: Computersimulierte Anfahrt Grafiken: FACC Operations GmbH Internationales Verkehrswesen (72) 3 | 2020 102 TECHNOLOGIE Flugverkehr sollte bei der technischen Umsetzung darauf geachtet werden, dass die Wasserarmaturen näher zur Toilette und auch schwenkbar gestaltet werden. Vor allem für sehbeeinträchtigte Menschen ist kontrastreiche Farbgebung der Armaturen notwendig, verchromte Armaturen sollten vermieden werden. Die Armaturen sollten mit Sensoren ausgestattet werden, um bei motorischer Einschränkung die Bedienung zu gewährleisten. Zusätzlich wird eine ausziehbare Waschtisch-Handbrause empfohlen, um den Reinigungsprozess zu vereinfachen. Die Bedienungselemente beim Waschtisch sollten höher als 1000 mm liegen (Bild 4). Spiegel Der Spiegel sollte eine lichte Breite von mindestens 600 mm sowie eine lichte Höhe von mindestens 540 mm aufweisen. Von einem verstellbaren Kippspiegel ist abzusehen, stattdessen ist ein Spiegel in hoch und tief gesetzter Position auszuführen. Der Spiegel in tief gesetzter Position kann, je nach technischer Ausführung und Design, an der Türinnenseite ausgeführt werden. Wickeltisch Der Wickeltisch sollte eine Nutzungsmöglichkeit für Säuglinge sowie für Kleinkinder mit variabler Vergrößerung der Liegefläche aufweisen und in einer Höhe von mindestens 850 mm angebracht sein. Um Verletzungen beim Betreten der Toilette vorzubeugen, ist bei der technischen Ausführung des Wickeltisches eine automatische Aufrichtvorrichtung vorzusehen. Bedienelemente Für die Bedienelemente wie Spülung, Schalter, Taster etc. ist eine taktil wahrnehmbare und kontrastreiche Form auszuführen. Die Bedienelemente sollten dabei in einer Höhe zwischen 850 mm bis 1.300 mm angebracht-werden, wobei die optimale Höhe bei 1.000- mm beträgt. Empfohlen werden beleuchtete Bedienelemente mit zusätzlicher Anbringung von Blindenschrift. Es sind Bedienelemente, welche als Notruf oder Service vorgesehen sind, zusätzlich auch in der Nähe des Bodens vorzusehen. Experimentelle Entwicklung unumgänglich Für eine detaillierte Darstellung aller Evaluierungsergebnisse kann auf einen ausführlichen Evaluationsbericht mit einer umfangreichen Bewertung von insgesamt 103 erarbeiteten Verbesserungsvorschlägen für barrierefreie Flugzeugtoiletten hingewiesen werden. Die vorangestellten Erkenntnisse sind aus einem ausführlichen Evaluationsbericht im Wesentlichen zusammengefasst und repräsentieren die Mindestanforderungen einer barrierefreien Flugzeugtoilette. Es ist anzumerken, dass durch die Evaluierungsergebnisse im erstellten Systementwurf zwar bereits die konkreten Anforderungen der mobilitätseingeschränkten Menschen berücksichtigt werden konnten, aber noch nicht alle Bedürfnisse vollumfänglich abdecken. Das liegt daran, dass im Projekt selber keine experimentelle Entwicklung durchgeführt werden konnte, um schlussendlich an einer technischen Entwicklung alle tatsächlichen Bedürfnisse zu komplettieren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich beim Großteil der angeführten Themeninhalte lediglich um Empfehlungen oder Regularien ohne rechtswirksamen juristischen und gesetzlichen Hintergrund sowie undeutlich formulierte Vorschriften mit sehr großem Interpretationsspielraum handelt, diese aber durchaus als Grundlagen an barrierefreie Flugzeugtoiletten in die Regelerstellung mit aufgenommen werden können. Forschungskonsortium widmete sich über drei Jahre diesem Thema Die hier dargestellten inhaltlich interpretierten empirischen Datenerhebungsergebnisse stammen aus Forschungstätigkeiten der Institutionen netwiss OG, Technische Universität Wien, FH Joanneum, Rodlauer Consulting GmbH, FACC AG sowie RAL- TEC - Research Group for Assisted Living Technologie und wurden im Förderprogramm „Take Off“ durch das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität, Innovation und Technologie sowie der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) gefördert. ■ 1 World Health Organization (Hrsg.): World report on disability 2011, Page 261-262, Geneva Bernhard Rüger, Dipl.-Ing. Dr. techn. Projektassistent, Technische Universität Wien; Geschäftsführer netwiss OG, Wien (AT) bernhard.rueger@netwiss.at Wolfgang Zagler, Dipl.-Ing. Dr. techn. em. Ao. Univ. Prof. TU Wien (AT) zw.fortec@zaglers.at Marcel Weber, Dipl.-Ing., B.Sc. Projektassistent, Institut für Verkehrswissenschaften, Technische Universität Wien (AT) marcel.weber@tuwien.ac.at Peter Mayer, Dipl.-Ing. Senior Scientist, Institute of Visual Computing and Human-Centered Technology, Technische Universität Wien (AT) peter.mayer@tuwien.ac.at Bernhard Hatzmann Director Qualificiation Engineering, FACC Operations GmbH, Ried im Innkreis (AT) B.Hatzmann@facc.com Heidelinde Jelinek-Nigitz Mag.rer.soc.oec Aviation Management, Institut Luftfahrt/ Aviation, Department of Engineering, FH Joanneum, Graz (AT) heidelinde.jelinek-nigitz@ fh-joanneum.at Jesús Rodríguez Conde, M.Sc., Dipl.-Ing. (FH) Digitalization Specialist, FACC Operations GmbH, Ried im Innkreis (AT) J.RodriguezConde@facc.com Bild 4: Demonstrationsmodell Grafiken: FACC Operations GmbH
