Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2020-0071
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Einflüsse auf das Ladeverhalten von Elektrofahrzeug-Nutzern
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Florian Grober
Andreas Janßen
Ferit Küçükay
Das Verkehrswesen in Deutschland befindet sich derzeit in einer bedeutenden Transformation zur Elektromobilität. Im Gegensatz zu konventionellen Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor bestehen jedoch wenige Erfahrungen, wie Elektrofahrzeuge in der Praxis tatsächlich genutzt werden. Dies gilt insbesondere für das bei Verbrennerfahrzeugen nicht erforderliche Aufladen der Hochvoltbatterie. Informationen über das reale Ladeverhalten im Kundenbetrieb sind dennoch unerlässlich zur Anforderungsableitung für Fahrzeughersteller und Infrastrukturplaner. Auf Basis von Felddaten der Volkswagen AG wird untersucht, welche Einflüsse auf Ladehäufigkeiten sowie -dauern durch Antriebskonzept, Fahrzeugmodell, Reichweite und Markt bestehen.
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Internationales Verkehrswesen (72) 3 | 2020 103 Elektromobilität TECHNOLOGIE Einflüsse auf das Ladeverhalten von Elektrofahrzeug-Nutzern Elektromobilität, Ladehäufigkeit, Ladedauer, Felddatenanalyse, Kundenanforderungen Das Verkehrswesen in Deutschland befindet sich derzeit in einer bedeutenden Transformation zur Elektromobilität. Im Gegensatz zu konventionellen Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor bestehen jedoch wenige Erfahrungen, wie Elektrofahrzeuge in der Praxis tatsächlich genutzt werden. Dies gilt insbesondere für das bei Verbrennerfahrzeugen nicht erforderliche Aufladen der Hochvoltbatterie. Informationen über das reale Ladeverhalten im Kundenbetrieb sind dennoch unerlässlich zur Anforderungsableitung für Fahrzeughersteller und Infrastrukturplaner. Auf Basis von Felddaten der Volkswagen AG wird untersucht, welche Einflüsse auf Ladehäufigkeiten sowie -dauern durch Antriebskonzept, Fahrzeugmodell, Reichweite und Markt bestehen. Florian Grober, Andreas Janßen, Ferit Küçükay D ie Einhaltung der durch die Europäische Union verschärften Flottengrenzwerte für CO 2 - Emissionen stellt die deutschen Automobilhersteller vor große Herausforderungen. Ein wesentliches Instrument zur Verminderung des Treibhausgasausstoßes ist der verstärkte Absatz von Elektrofahrzeugen. Deren massentaugliche Entwicklung wird daher aktuell mit großem Einsatz verfolgt. Der fundamentale Wandel in der Antriebsart beinhaltet jedoch die Exploration eines Technologiefeldes, welches derzeit noch großen Forschungsbedarf aufweist. Neben einer Verbesserung der zur Verfügung stehenden Technik an sich muss auch das Kunden-Nutzungsverhalten im realen Betrieb näher untersucht werden (siehe beispielsweise [1, 2]). Durch die veränderte Motorcharakteristik, die Bremsenergierückgewinnung, (derzeit noch) geringere Reichweiten sowie die Abhängigkeit von der Ladepunktverfügbarkeit ist hierbei ein Wandel gegenüber der Nutzung von konventionellen Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor zu erwarten. Insbesondere das Laden der Hochvoltbatterie kann nicht mit dem Füllen des Kraftstofftanks verglichen werden, sodass in Bezug darauf keine bestehenden Erfahrungen sinnvoll übertragbar sind. Dennoch werden sowohl zur Fahrzeugauslegung bzw. -dimensionierung durch den Hersteller als auch zur Planung der öffentlichen Infrastruktur Informationen über Ladehäufigkeit und -dauer benötigt. Beide Werte können je nach Nutzungsart und Gewohnheiten der Kunden stark variieren. Inwiefern dabei auch die Eigenschaften des verwendeten Elektrofahrzeugs bzw. des Einsatzlandes eine Rolle spielen, soll im Nachfolgenden näher beleuchtet werden. Dazu erfolgt eine Analyse von Felddaten aus dem realen Kundenbetrieb. Vorgehen Im Fokus der Betrachtung stehen mehrere schon über einen längeren Zeitraum auf dem Markt befindliche Elektrofahrzeuge der Volkswagen AG. Als Plug-In Hybrid Electric Vehicle (PHEV) werden der Passat GTE sowie der Golf GTE herangezogen und als Battery Electric Vehicle (BEV) dienen zwei Generationen des e-Golf, welche unterschiedliche Nennreichweiten von 190 bzw. 300 km (nach NEFZ-Verbrauchszyklus) aufweisen (zur Unterscheidung sind die Nennreichweiten im Folgenden jeweils in die Bezeichnung aufgenommen). Tabelle 1 vergleicht die Eigenschaften der untersuchten Fahrzeuge, wobei die elektrische Nennreichweite nach dem inzwischen nicht mehr gebräuchlichen „Neuen Europäischen Fahrzyklus“ (NEFZ) angegeben ist, um konsistent zu bleiben. Als Datenquelle für die Untersuchung wird eine Zählfunktion im Lademanager- Steuergerät der genannten Fahrzeuge verwendet, welche kontinuierlich die Anzahl und Zeit der durchgeführten Ladevorgänge aufsummiert. Im Rahmen einer Kampagne wurden die Daten bei einer jeweils dreibis vierstelligen Zahl von Fahrzeugen datenschutzkonform in Volkswagen-Partnerwerkstätten in ganz Deutschland ausgelesen. Zum Vergleich wurde selbiges für e-Golf 190 in Norwegen durchgeführt, da dieses Land durch seinen engagierten Wane-Golf 190 e-Golf 300 Golf GTE Passat GTE Typ BEV-Kompaktwagen PHEV-Kompaktwagen PHEV-Kombi/ Limousine Markteinführung Juli 2014 Mai 2017 Okt. 2014 Sept. 2015 Batterie Brutto Energieinhalt 24,2 kWh 35,8 kWh 8,8 kWh 9,9 kWh Elektrische Nennreichweite NEFZ ~190 km ~300 km ~49 km ~50 km Maximale Ladeleistung AC: 3,6 kW DC: 40 kW AC: 7,2 kW DC: 40 kW AC: 3,6 kW AC: 3,6 kW Motorleistung 85 kW 100 kW 150 kW Syst., 75 kW Elektr. 160 kW Syst., 85 kW Elektr. Tabelle 1: Eigenschaften der untersuchten Fahrzeuge Internationales Verkehrswesen (72) 3 | 2020 104 TECHNOLOGIE Elektromobilität del zur Elektromobilität einen hohen Anteil an Elektrofahrzeugen aufweist und daher für nähere Untersuchungen von Interesse ist. Dieses Vorgehen zur Erhebung von Felddaten hat sich in jüngerer Vergangenheit in der deutschen Automobilindustrie etabliert, wie diverse Veröffentlichungen zeigen [3 ,4, 5, 6, 7]. Aufgrund des großen Stichprobenumfangs ist eine gute Repräsentativität gegeben. Die Schichtung der Stichprobe nach demografischen Gesichtspunkten kann aufgrund von Datenschutzanforderungen nicht aufgelöst werden. Sie entspricht der Schichtung der Kunden der Partnerwerkstätten und somit unter Annahme eines regelmäßigen Werkstattbesuchs näherungsweise den Volkswagen-Elektrofahrzeugkunden in Deutschland bzw. Norwegen. Die inhaltliche Datenqualität ist hoch, da eine objektive Zählung über die vollständige Fahrzeuglebensdauer erfolgt. Damit die Daten ein repräsentatives Nutzungsverhalten beschreiben, werden nur Fahrzeuge betrachtet, die bereits mindestens 1.000 km zurückgelegt und eine Nutzungsdauer von einem halben Jahr überschritten haben. Die für die Filterung benötigten Werte sind aus dem Stand des Kilometerzählers bei der Erfassung sowie der Zeitdifferenz zwischen Erstzulassung und Datenerhebung bekannt. Um die unterschiedlich großen Stichprobenumfänge der verschiedenen Fahrzeugmodelle sinnvoll vergleichen zu können, wird im Folgenden die kumulierte empirische Wahrscheinlichkeitsverteilung als Darstellungsform verwendet [8]. Sie zeigt auf der Abszisse die aufsteigend sortierten Beobachtungsmerkmale und auf der Ordinate den kumulierten Wahrscheinlichkeitsbereich von 0 bis 1. Zur Berechnung der kumulierten Wahrscheinlichkeit p jedes Fahrzeugs werden dessen Sortierindex i sowie der Stichprobenumfang n in die Rossow-Formel (1) eingesetzt [9]: p i i n ( ) = ⋅ − ⋅ + 3 1 3 1 (1) Aus dem entstehendem Diagramm lassen sich einfach die Perzentile ermitteln, beispielsweise der Median bei 50 %. Die betrachteten Fahrzeugarten sind so gewählt, dass sich durch paarweisen Vergleich Untersuchungsmöglichkeiten für vier potentielle Einflussgrößen bei ansonsten weitestgehend ähnlichen Eigenschaften ergeben: • Antriebskonzept (BEV oder PHEV): e-Golf versus Golf GTE • Fahrzeugmodell: Golf GTE versus Passat GTE • Reichweite: e-Golf 190 versus e-Golf 300 • Markt bzw. Infrastruktur: e-Golf 190 in Deutschland versus Norwegen Aus Gründen der Geheimhaltung ist die Abszisse jeweils ohne Angabe der absoluten Werte dargestellt. Jahreslaufleistung Als Vorbetrachtung zeigt Bild 1 die Verteilungen der durchschnittlichen Jahreslaufleistung als Quotient aus Kilometerzähler und Einsatzdauer. Bereits hier sind deutliche Unterschiede erkennbar, die mit der jeweiligen Tauglichkeit als Langstreckenfahrzeug begründet werden können: So eignen sich aufgrund der schnelleren Tankbarkeit sowie der größeren Systemleistung PHEV besser als BEV, aufgrund des Komforts Kombis (Passat GTE) besser als Kompaktwagen (Golf GTE) und aufgrund der Vermeidung von Ladepausen BEV mit hoher Reichweite besser als solche mit niedriger. Zudem zeigt sich eine Marktabhängigkeit dadurch, dass der e-Golf 190 in Norwegen deutlich intensiver genutzt wird als beide e-Golf-Generationen in Deutschland. Dies ist auf die norwegische Politik und Infrastruktur zurückzuführen, welche Elektrofahrzeuge besonders begünstigt. Beispielsweise gab es laut Angaben des European Alternative Fuels Observatory (EAFO), welches im Auftrag der EU-Kommission Daten über Elektromobilität in Europa sammelt, gegen Ende des Jahres 2019 in Norwegen pro 100 km Autobahn 655 Schnellladestationen über 22 kW. In Deutschland waren es hingegen nur 47, sodass sich ein BEV hier schlechter für Langstrecken verwenden lässt [10]. Dabei ist anzumerken, dass das deutsche Autobahnnetz mit 13.009 km Gesamtlänge eine wesentlich größere Ausdehnung als das norwegische (523 km) aufweist. Ladehäufigkeit pro Kilometer In Bild 2 sind die kumulierten empirischen Wahrscheinlichkeitsverteilungen der Anzahl an externen Ladezyklen pro Kilometer je Fahrzeug dargestellt. Extern meint in diesem Fall, dass die Energie von einem Ladepunkt und nicht durch Rekuperation zugeführt wird. Ein Ladezyklus bedeutet dabei nicht zwangsläufig die volle Aufladung der Batterie, sondern die Abfolge des Einsteckens und Entfernens des Ladekabels, wobei zwischenzeitig ein Strom fließen muss. Gleich- und Wechselstromladungen wurden zusammengefasst, wobei die beiden PHEV- Modelle nur für letztere eingerichtet sind. Im Vergleich von PHEV (Golf GTE) und BEV (e-Golf ) zeigen die Verteilungen qualitativ unterschiedliche Verläufe. Diese lassen sich durch das nutzerindividuelle Verhältnis zwischen verbrennerischem und elektrischem Fahren bei den PHEV erklären. Im Bereich niedriger kumulierter Wahrscheinlichkeiten gibt es offenbar Kunden, die nur sehr selten die Batterie aufladen und überwiegend im Hybridmodus fahren. Im Gegensatz dazu benötigt ein BEV im Betrieb eine gewisse Zahl an Ladungen, ansonsten könnte das Fahrzeug nicht bewegt werden. Bei den hohen Perzentilen ist der gegenteilige Fall ersichtlich: Hierbei handelt es sich um Kunden, die ihr PHEV nahezu ausschließlich elektrisch nutzen und es aufgrund der kleineren Batteriereichweite (50-km statt 190 bzw. 300 km) deutlich häufiger laden müssen als ein BEV. Obwohl sie die gleiche elektrische Nennreichweite von 50 km aufweisen, weichen die Verteilungen der beiden PHEV-Modelle erheblich voneinander ab. Die in Bild 1 festgestellte bevorzugte Nutzung des Passat GTE als Langstreckenfahrzeug schlägt sich in deutlich geringeren Ladeanzahlen nieder. Indem häufiger Strecken oberhalb der elektrischen Reichweite zurückgelegt werden, erhöht sich der Anteil des verbrennerischen Fahrens. Zudem gibt es seltener Bild 1: Vergleich Jahreslaufleistung Internationales Verkehrswesen (72) 3 | 2020 105 Elektromobilität TECHNOLOGIE Standphasen, in denen die Batterie sicherheitshalber aufgeladen werden kann, selbst wenn sie noch nicht vollständig entleert ist. Gemessen am Median liegt die Verteilungskurve des e-Golf 300 um etwa 30 % unterhalb der des e-Golf 190. Somit führt die vergrößerte Reichweite dazu, dass seltener geladen wird, wobei sich das rechnerische Potential von 58 % (300 zu 190 km) nicht proportional überträgt. Bei den hohen Perzentilen verlaufen die beiden Verteilungen wieder immer dichter beieinander. Dabei handelt es sich um Kunden, die ungeachtet der Notwendigkeit jede Chance zum Laden wahrnehmen, sodass die Nennreichweite unerheblich wird. Motive dafür könnten Angst vor dem Liegenbleiben, bevorzugte Parkmöglichkeiten für ladende Elektrofahrzeuge oder eine Ladepflicht bei Rückgabe in einen Carsharing-Pool sein. Sofern es keine wesentlichen regulatorischen oder infrastrukturellen Veränderungen gibt, ist davon auszugehen, dass sich diese extreme Ladehäufigkeit auch bei künftigen Fahrzeugen mit vergrößerter Reichweite einstellen wird. Eine Marktabhängigkeit zeigt sich beim Vergleich des e-Golf 190 in Norwegen und Deutschland. Während die Verteilungen in den unteren Perzentilen noch recht nah beieinander verlaufen, wird die Ladehäufigkeit bei den norwegischen Fahrzeugen zunehmend geringer. Bei ersteren handelt es sich um Kunden, welche die Batterie vor einer Ladung generell möglichst weit entleeren. Eine Marktabhängigkeit wäre für diese Gruppe nur in Ländern zu erwarten, deren Infrastruktur nicht genug ausgebaut ist, ein solches Verhalten zu ermöglichen. Bei den darüber liegenden Perzentilen ist ersichtlich, dass die norwegischen Kunden entweder einen sparsameren Fahrstil aufweisen oder größere Ladehübe haben, da sie mit weniger Ladungen die gleiche Kilometerzahl zurücklegen. Für ersteres spricht das in Norwegen geltende Tempolimit von 80- km/ h. Allerdings steht dem entgegen, dass aufgrund des kälteren Klimas auch eine häufigere Nutzung der Heizung als Nebenverbraucher zu erwarten ist. Bezüglich größerer Ladehübe lässt sich annehmen, dass die Norweger erfahrener in Bezug auf Elektromobilität sind und daher keine so ausgeprägte Reichweitenangst haben wie die Deutschen. Zudem war das Laden in Norwegen aufgrund der dortigen niedrigen Strompreise noch bis 2019 an vielen öffentlichen Ladepunkten kostenlos [11, 12]. Dementsprechend kann es günstiger gewesen sein, statt regelmäßig zu Hause aufzuladen, bei entsprechend weit entleerter Batterie eine öffentliche Ladesäule aufzusuchen. Das kostenlose Laden wurde beispielsweise in Oslo abgeschafft, da es aufgrund der immensen Förderung inzwischen zu viele Elektrofahrzeuge und zu wenig Parkplätze mit Lademöglichkeit gibt [12] (zum Vergleich: gegen Ende des Jahres 2019 gab es in Deutschland sieben Elektrofahrzeuge pro öffentlichem Ladepunkt, während dies in Norwegen 24 waren [10]). Diese Entwicklung, welche zu einer größeren Konkurrenz und teilweise zu Wartezeiten an den Ladepunkten führt [13], hat wahrscheinlich zur Folge, dass nur geladen wird, wenn wirklich der Bedarf dazu besteht. Ladehäufigkeit im Fahrzeugleben Für die Fahrzeugauslegung ist vor allem relevant, die Ladehäufigkeit bezogen auf das komplette Produktleben zu betrachten, beispielweise um die Lastwechsel-Anforderungen für die Dauerhaltbarkeit der beteiligten mechanischen oder elektronischen Komponenten festzulegen. Der Lebenszyklus wird sowohl durch die zurückgelegten Kilometer als auch durch das erreichte Alter begrenzt. Für die Extrapolation findet daher das Überschreiten einer definierten Ziellaufleistung oder -nutzungsdauer Berücksichtigung − je nachdem welches Ereignis zuerst eintritt. Bild 3 zeigt die kumulierten empirischen Wahrscheinlichkeitsverteilungen der Gesamt-Ladeanzahl innerhalb des erwarteten Fahrzeuglebens. Das PHEV Golf GTE wird auf Lebensdauer betrachtet oberhalb des 15 %-Perzentils deutlich häufiger aufgeladen als das BEV e-Golf. Dieser Unterschied zu Bild 2 legt den Schluss nahe, dass PHEV-Kunden mit geringer Ladehäufigkeit pro Kilometer aufgrund von primärer verbrennerischer Nutzung im Gegenzug eine größere Jahresfahrleistung aufweisen und ihre Gesamt- Ladeanzahl dadurch erhöhen. Dies ist plausibel, da bei Langstreckenfahrten mit der verhältnismäßig kleinen Batterie häufige Ladepausen unkomfortabel sind, sodass bevorzugt der Verbrennungsmotor eingesetzt wird. Selbiges zeigt sich auch im Vergleich der Fahrzeugmodelle Golf GTE und Passat GTE: Letzterer legt zwar mehr Jahreskilometer zurück, wird dabei aber offenbar öfter verbrennerisch betrieben, sodass die Ladehäufigkeit im Fahrzeugleben geringer bleibt. Die Verteilungen von e-Golf 190 und e-Golf 300 liegen sehr dicht beieinander. Aufgrund der vergrößerten Reichweite wäre zu erwarten gewesen, dass die neue Generation weniger Ladungen benötigt. Dieser Effekt wird aber bei Betrachtung des Fahrzeuglebens durch die größere Jahreslaufleistung des e-Golf 300, welche einen gesteigerten Ladebedarf verursacht, kompensiert. Diese intensivere Nutzung dient auch zur Erklärung der größeren Ladehäufigkeiten in Norwegen, die zwar pro Kilometer betrachtet unterhalb von denen in Deutschland liegen, sie bei Bezug auf das Fahrzeugleben jedoch deutlich übersteigen. Ladedauer pro Ladung Die vorhandenen Felddaten erlauben durch Bilden des Quotienten aus Gesamtladedauer und -häufigkeit die Ermittlung der durchschnittlichen Zeit pro Ladevorgang je Fahrzeug. Die Ergebnisse sind Bild 4 zu entnehmen. Die Ladedauer beschreibt dabei den Zeitraum, in dem tatsächlich ein extern zugeführter Stromfluss besteht. Gleich- und Wechselstromladen sind wieder zusammengefasst. Zunächst ist festzustellen, dass die PHEV kürzere Dauern pro Ladung aufweisen als die BEV. Zwar ist für erstere kein schnelles Gleichstromladen möglich, aber die kleinere Batterie lässt sich wesentlich zügiger füllen. Auffällig ist weiterhin, dass der Golf Bild 2: Vergleich Ladehäufigkeit pro Kilometer Internationales Verkehrswesen (72) 3 | 2020 106 TECHNOLOGIE Elektromobilität GTE trotz ähnlicher Batteriekapazität geringere Dauern pro Ladung aufweist als der Passat GTE. Folglich wird für ihn auch jeweils weniger Ladehub erzielt. Dies entspricht den bereits beschriebenen Erklärungsansätzen, dass beim Passat GTE als Langstreckenfahrzeug häufig die Batterie komplett leer gefahren und erst später wieder voll aufgeladen wird, während der Golf GTE als Stadtfahrzeug öfter die Möglichkeit für kurze Nachladungen hat. Bis zum 70-%-Perzentil ähneln sich die Verläufe der beiden e-Golf-Generationen weitgehend, sodass hier kein wesentlicher Einfluss der BEV-Reichweite ersichtlich wird. Aufgrund der größeren Batterie wäre zu erwarten gewesen, dass der e-Golf 300 generell längere Ladezeiten aufweist. Dies wird jedoch dadurch kompensiert, dass er die doppelte maximale AC-Ladeleistung aufweist und dadurch mit größerer Geschwindigkeit wieder aufgefüllt werden kann. Weiterhin geht bei differenzierterer Auswertung aus den Nutzungsdaten hervor (hier aus Platzgründen nicht dargestellt), dass der neue e-Golf häufiger die Möglichkeit des schnelleren Gleichstromladens nutzt. Darüber hinaus ist zudem denkbar, dass die Kunden ihr Ladeverhalten primär anhand ihrer Gewohnheiten (z. B. tägliche Ladung nach der Rückkehr von der Arbeit) ausrichten und daher die höhere Reichweite nicht ausschöpfen. Oberhalb des 70-%-Perzentils nimmt die Dauer pro Ladung für den e-Golf 300 deutlich zu. Hierbei handelt es sich höchstwahrscheinlich um diejenigen Kunden, die ihre Batterie stets weitestgehend komplett entleeren und dann mit geringer Ladeleistung (z. B. an einer haushaltsüblichen Steckdose) wieder befüllen, sodass sich die größere Batteriekapazität auswirkt. Im Vergleich zu den BEV in Deutschland sind die Zeiten pro Ladung des e-Golf 190 in Norwegen deutlich größer. Bis zum 85-%-Perzentil übertreffen sie sogar die des e-Golf 300 mit der höheren Reichweite. Als Ursache sind einerseits die bereits begründeten größeren Ladehübe anzuführen. Weitere potentielle Einflussgröße kann die Ladegeschwindigkeit sein, da es in Norwegen nur etwa halb so viele Schnellladestationen wie in Deutschland gibt [10]. Aus den erhobenen Nutzungsdaten ist ersichtlich, dass in beiden Ländern etwa drei Viertel der Kunden die Möglichkeit des Gleichstromladens nur sehr selten benutzen. Bei den übrigen Kunden sind sowohl die Häufigkeit als auch die Dauer in Deutschland größer. Dies verringert somit bei einem Teil der Fahrzeuge die mittlere Ladedauer. Fazit Die Untersuchungen zeigen den bedeutsamen Wert von Felddaten für den Erkenntnisgewinn bezüglich des Nutzerverhaltens. Durch die erzielbaren großen Stichprobenumfänge wird eine sehr gute Repräsentativität erzielt, welche es erlaubt, die kumulierten empirischen Wahrscheinlichkeitsverteilungen aufzutragen. Anhand derer können speziell in den Randbereichen bestimmte Kundengruppen identifiziert werden, die infolge ihres extremen Verhaltens für die Auslegung besonders relevant sind. Die Unterschiede im Ladeverhalten aufgrund der mittels paarweiser Vergleiche untersuchten Einflussgrößen lassen sich plausibel erklären. Anhand der Felddaten sind diese Vermutungen im Ergebnis nachweis- und quantifizierbar. Sie eröffnen Möglichkeiten für Erkenntnisse bezüglich der Ladeinfrastrukturplanung: Beispielsweise ist ersichtlich, dass der Median der mittleren Dauer pro Ladung für das BEV e-Golf ungefähr doppelt so hoch ausfällt wie für das PHEV Golf GTE. Entsprechend wird der Ladepunkt länger blockiert. Bei der Pla- Bild 3: Vergleich Ladehäufigkeit im Fahrzeugleben Bild 4: Vergleich mittlere Zeit pro Ladung AT A GLANCE For the emerging trend of electric mobility, there is still little experience concerning the vehicle usage during practical customer operation. To improve the definition of requirements, Volkswagen AG carried out an extensive campaign to collect field data regarding the charging behavior of real customers in Germany and Norway. The Passat GTE and the Golf GTE as plug-in hybrid electric vehicles (PHEV) and two generations of the e-Golf with different nominal ranges as battery electric vehicles (BEV) are examined. By contrasting the cumulative empirical probability distributions of the charging frequencies and durations, the influences from drive concept (BEV/ PHEV), range, vehicle model and market become evident. The comparison shows that the charging behavior varies depending on the vehicle as well as the market characteristics. Plausible potential reasons can be found to explain the differences. Internationales Verkehrswesen (72) 3 | 2020 107 Elektromobilität TECHNOLOGIE nung des Bedarfs für den weiteren Ausbau von öffentlicher Ladeinfrastruktur ist somit von großer Relevanz, zu welchen Anteilen sich der erwartete Nutzerkreis aus BEV und PHEV zusammensetzt. Bei erkennbarer Unabhängigkeit von einer Einflussgröße lassen sich gegebenenfalls Prognosen für zukünftige Fahrzeuge entwickeln. Diese Information bietet der kundengerechten Auslegung in der Automobilindustrie einen erheblichen Mehrwert. Beispielsweise seien die nahezu ähnlichen Verteilungen der Ladehäufigkeit innerhalb des Lebenszyklus von BEV unterschiedlicher Reichweite genannt, anhand derer Rückschlüsse auf neuartige Fahrzeuge mit noch größerer Batteriekapazität gezogen werden können. ■ LITERATUR [1] Held, M. et al. (2016): Abschlussbericht: Bewertung der Praxistauglichkeit und Umweltwirkungen von Elektrofahrzeugen. Nationale Organisation Wasserstoff-und Brennstoffzellentechnologie (NOW), Berlin [2] Krug, S. et al. (2018): Elektromobilität vor Ort − Ergebnisbericht des Zentralen Datenmonitorings des Förderprogramms Elektromobilität vor Ort des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infra- Ferit Küçükay, Prof. Dr.-Ing. Direktor des Instituts für Fahrzeugtechnik, TU Braunschweig Florian Grober, M.Sc. Doktorand auf dem Gebiet Auslegung und Lastannahme, Technische Entwicklung der Volkswagen AG, Wolfsburg florian.grober@volkswagen.de Andreas Janßen, Dr.-Ing. Fachreferent, Technische Sonderanalyse der Qualitätssicherung, Volkswagen AG, Wolfsburg struktur. Nationale Organisation Wasserstoff-und Brennstoffzellentechnologie (NOW), Berlin [3] Pötter, K.; Till, R.; Horst, M. (2010): Kundenrelevante Betriebslasten - Neue Werkzeuge zur Ermittlung von Fahrzeuglasten im Kundenbetrieb. In: DVM-Bericht Nr. 137, München [4] Karspeck, T. (2011): Eine gesamthafte Methodik zur flächendeckenden Erfassung und Auswertung von Fahrzeugbetriebsdaten realer Kunden für die Automobilentwicklung. Dissertation, Dresden [5] Grober, F.; Janßen, A.; Küçükay, F. (2019): Bedarfsgerechte Lastannahme für Fahrzeugbauteile auf Basis von Kunden-Felddaten. In: DVM-Bericht Nr. 146, Wolfsburg [6] Grupp, B.; Salber, S.; Haug, A. 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