Internationales Verkehrswesen
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expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2020-0079
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DIANA - digitalisierte prädiktive Instandhaltung
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Isidoros Sapounas
Im Schienenverkehr verursachen Verspätungen einen enormen volkswirtschaftlichen Schaden. Eisenbahnunternehmen leiden unter den negativen Folgen für ihr Image sowie unter den Kosten der Verspätungen und dem Mehraufwand durch Entstörung der Anlagen. Andererseits steigen die Erwartungen an eine jederzeit verfügbare und klimaschonende Mobilität. Gefordert sind Maßnahmen zur Erhaltung und Verbesserung des Zustands des Schienennetzes. Dafür sind neue und innovative digitale Instandhaltungsstrategien gefragt, die eine höhere Anlagenverfügbarkeit bei gleichzeitiger Kostenreduzierung sicherstellen.
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Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 21 DIANA - digitalisierte prädiktive Instandhaltung Diagnose und Analyse von Produktionsmitteln der Infrastruktur Prädiktive Instandhaltung, Weichenantriebsdiagnose, Digitale Sensoren, Künstliche Intelligenz, Anlagenverfügbarkeit Im Schienenverkehr verursachen Verspätungen einen enormen volkswirtschaftlichen Schaden. Eisenbahnunternehmen leiden unter den negativen Folgen für ihr Image sowie unter den Kosten der Verspätungen und dem Mehraufwand durch Entstörung der Anlagen. Andererseits steigen die Erwartungen an eine jederzeit verfügbare und klimaschonende Mobilität. Gefordert sind Maßnahmen zur Erhaltung und Verbesserung des Zustands des Schienennetzes. Dafür sind neue und innovative digitale Instandhaltungsstrategien gefragt, die eine höhere Anlagenverfügbarkeit bei gleichzeitiger Kostenreduzierung sicherstellen. Isidoros Sapounas B ei der Analyse bisher eingesetzter Instandhaltungsstrategien im gesamten Bahnbetrieb fällt auf, dass sich die Vorgehensweisen größtenteils nach den Prinzipien der korrektiven und präventiven Instandhaltung orientieren. Die korrektive Instandhaltung ist eine einfache Instandhaltungsstrategie, die darin besteht, aus Konsequenzen von erfolgten Fehlern Maßnahmen zu ergreifen (zum Beispiel der Austausch defekter Bauteile). Hingegen verfolgt die präventive Instandhaltung durch manuelle und regelmäßige Inspektionen und Wartung das Ziel, Störungen möglichst zu vermeiden. Die Instandhaltungsintervalle richten sich dabei nach bestimmten Belastungskenngrößen oder Erfahrungswerten. Der derzeitige Zustand der individuellen Anlage bleibt aber immer noch unbekannt. Der Übergang von der korrektiven zur prädiktiven Instandhaltung Anstatt korrektiver oder präventiver Instandhaltung erleichtern digitale Innovationen den Übergang zur vorausschauenden Wartung, indem Diagnose- und Analyse- Tools verwendet werden, um den am besten geeigneten Zeitpunkt für die vorbeugenden Maßnahmen zu definieren. Dies wird auch als zustandsbasierte - prädiktive - Instandhaltung bezeichnet. Die prädiktive Instandhaltung beinhaltet die Weiterentwicklung der zustandsbasierten Instandhaltung. Durch Nutzung von Sensoren werden die gesammelten Informationen verknüpft und durch IoT-Techniken (Internet of Things) weiter ausgewertet und visualisiert. So werden Diagnosen hergestellt, die mittels KI-Modellen (Künstliche Intelligenz) und analytischen Methoden (wie Maschinelles Lernen) in Prognosen verwandelt werden. Dadurch können die zu erwartenden wahrscheinlichen Ausfallzeitpunkte präzise identifiziert werden. Solche Prognosen existieren bisher nicht valide und sind daher ein Forschungsschwerpunkt der DB Engineering & Consulting (DB E&C). Ziel ist es, den Übergang von zustandsbasierter Instandhaltung zu langfristigen Prognosen aufzuzeigen. Dabei stehen vier wesentliche Kriterien im Vordergrund: • Reduzierung von Ad-hoc-Inspektionen zur Fehleridentifikation auf dem Feld Gleisvorfeld Frankfurt (Main) Hauptbahnhof Deutsche Bahn AG / Volker Emersleben Digitalisierung INFRASTRUKTUR Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 22 INFRASTRUKTUR Digitalisierung • Reduzierung der gesamten Wartungskosten • Bessere Servicequalität bei höherer Anlagenverfügbarkeit • Bessere Planbarkeit der Instandhaltungsprozesse Seit mehreren Jahren implementiert die Deutsche Bahn stetig neue Technologien, die Daten sammeln und analysieren, um mögliche Fehlfunktionen frühzeitig zu erkennen und diese innerhalb der Organisation als gängige Praxis zu etablieren. Diana Weichenantriebsdiagnose Eine der Hauptursachen für infrastrukturbedingte Verspätungen sind Weichenstörungen. Bei der Deutschen Bahn gibt es über 69.000 Weichen und Kreuzungen im gesamten Streckennetz. Störungen an diesen technischen Anlagen bedeuten erhebliche Verluste im Bahnbetrieb. Die negativen Auswirkungen einer infrastrukturbedingten Störung ließen sich nur verhindern, wenn diese rechtzeitig erkannt werden, um effektive und effiziente Gegenmaßnahmen zu planen und auszuführen. Daher besteht die Notwendigkeit darin, präzise und verlässliche Vorhersagen von Weichenstörungen zu generieren, die die Instandhaltungskosten senken und die Verfügbarkeit der Anlagen erhöhen. Die Deutsche Bahn stand vor der großen Herausforderung, dass viele unterschiedliche Diagnosesysteme in der Instandhaltung bisher eine unüberschaubare Masse an nicht komplett auszuwertenden Daten lieferten und entwickelte daher Diana, die Diagnose- und Analyselösung für Zustandsüberwachung und vorausschauende Instandhaltung von Infrastrukturanlagen und Fahrzeugen. Diana ermöglicht es, Daten aus verschiedenen Quellen auf nur einer einzigen webbasierten IoT-Plattform mit herstellerunabhängigen Schnittstellenstandards zu sammeln, zu bündeln, zu analysieren und zu visualisieren, sodass eine vorausschauende Instandhaltung ermöglicht wird. Diana wurde durch eine evolutionäre Implementierung innerhalb der DB in die Prozesse eingegliedert und unterstützt die Bewahrung des Dateneigentums des Eisenbahninfrastrukturunternehmens sowie den Aufbau von neuem Wissen und die Sicherung des bestehenden Knowhows im eigenen Unternehmen. Um Zustandsänderungen des Weichenantriebs frühzeitig zu erkennen, wurde zusammen mit der Diana-Plattform die Weichenantriebsdiagnose mit eigener Sensorik entwickelt. Das Prinzip ist dabei recht simpel: Ein Sensor auf dem Stromkabel misst bei jedem Weichenumlauf den benötigten Strom. Auf Grundlage festgelegter Referenzkurven können Abweichungen des Stromverbrauchs über den gesamten Weichenumlauf detektiert werden (Bild 1). Tritt eine Abweichung auf, wird der Anlagenverantwortliche oder Instandhalter hierüber in Echtzeit per App informiert und bewertet mit seinem Wissen und seinen Erfahrungen die Auffälligkeit und entscheidet, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um einen Defekt zu vermeiden. Um einen langfristigen Überblick über die Leistung der Anlage zu erhalten, wurde das Prinzip des Grünen Plots (Diana-Patent) eingeführt. Der Grüne Plot ist eine historische Darstellung aller Weichenumläufe innerhalb einer bestimmten Periode. Diana misst die Stromkurve, dreht diese um 90 Grad und kodiert die Abweichungen zur jeweiligen Referenzkurve. Existiert beispielsweise keine Abweichung, ist die Code-Farbe Grün, ist die Abweichung signifikant, ist die Code-Farbe Rot. So kann man die verschiedenen Weichenumläufe zeitlich betrachten und Entwicklungen besser erkennen, um den „geeigneten“ Zeitpunkt für eine Instandhaltungsmaßnahme besser identifizieren zu können (Bild 2). Durch die Dokumentation der Fehlerursache durch den Instandhalter im System und die Problem- Kategorisierung kann ein Fehlerbildkatalog erstellt werden, der als Orientierungswerkzeug innerhalb der Diagnose dient und eng mit dem Aktionskatalog verknüpft ist. Die Diana-Weichenantriebsdiagnose der ersten Generation ist bereits erfolgreich bei der DB Netz AG und Société Nationale des Chemins de Fer Luxembourgeois (CFL) in Luxemburg im Einsatz. Damit war der erste Schritt in Richtung zustandsbasierter Instandhaltung absolviert. Die DB Netz AG hat insgesamt 28.000 betriebswichtige Weichen mit dem Weichenantriebsdiagnosesystem Diana ausgerüstet. Damit konnten im letzten Jahr 3.600 Störungen vermieden werden. Weichenantriebsdiagnose 2.0 mittels neuer Sensorik Basierend auf der bisher eingesetzten analogen Sensorik und den gemachten Erfah- Bild 1: Exemplarische Darstellung der Stromumlaufkurve und der Referenzkurve (grün) für einen Weichenumlauf Quelle: Diana-Plattform DB E&C Bild 2: Anzeige „Grüner Plot“ - Visualisierung der Langzeitüberwachung einer Weiche Quelle: Diana-Plattform DB E&C Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 23 Digitalisierung INFRASTRUKTUR rungen wurde der Sensor zweiter Generation entwickelt, der mehr Daten misst, da für eine umfassendere Analyse des Weichenumlaufs Parameter wie Spannung, Offset, Schein- und Blindstrom relevant sind. Die neue Sensorik soll dabei helfen, bisher unbekannte Verschleiße zu identifizieren und die Analyse und Diagnose so noch besser zu machen. Grundsätzlich sind für die Weichenantriebsdiagnose 2.0 drei wesentliche Bereiche abzudecken: verbesserte Diagnosemeldungen, Erstellung von Prognosen und Entwicklung von KI-Modellen. Ziel ist es, aussagekräftigere Diagnosemeldungen durch verbesserte Analytik der erfassten Daten zu erstellen als bisherige Diagnosesysteme dies können, um eindeutiger zu erkennen, welche Auffälligkeit in welcher Phase des Betriebs einer Anlage vorliegt. Darüber hinaus sollen künftige Diagnosesysteme befähigt sein, zuverlässige Prognosen darüber zu erstellen, wann eine Anlage ohne weitere Instandhaltungsmaßnahmen ausfallen würde. Durch bessere Prognosen wird zum einen der vollständige Abnutzungsvorrat einer Betrachtungseinheit dargestellt und zum anderen ihre Funktionserfüllung anhand festgelegter Hersteller- und Instandsetzungsdaten definiert. Schließlich werden durch Maschinelles Lernen, insbesondere durch Verfahren, die auf Datenanalysen und- neuen Algorithmen basieren, Erkenntnisse für eine neue Art von Weichen antriebsdiagnose erzielt. Künstliche Intelligenz ist auf dem Vormarsch und ist mehr als die Automatisierung von Prozessen. „Echte“ künstliche Intelligenz umfasst Diagnosesysteme, die selbstständig lernen, sich weiterentwickeln und eigene Lösungen hervorbringen. Zum Beispiel die Entwicklung künstlicher neuronaler Maschinen, die selber die Referenzkurven und Parameter für jede Weiche automatisch setzen, regelmäßig überprüfen und gegebenenfalls anpassen. Der neue digitale Sensor ermöglicht durch mehr Daten einen entscheidenden Schritt hin zur prädiktiven Instandhaltung. Er ist sowohl für Wechselstrom (AC) als auch für Gleichstrom (DC) geeignet. Er ist leichter, erfordert kein Rangieren bei der Installation und kann drei Phasen an einem AC- und DC-Motor kontaktlos und rückwirkungsfrei überwachen. Der digitale Sensor wird direkt an dem Kabelabschlussgestell im Stellwerk angeschlossen und misst dort den benötigten Strom, der von der Stromversorgung zum Weichenantrieb fließt (Bild-3). Die digitalen Signale werden unverändert an die Kommunikationsbox transferiert. Ein separater Logger oder Analog-Digital-Wandler wird nicht benötigt. Die Kommunikationsbox wertet die signifikanten Messdaten mit Edge Computing aus und überträgt diese Daten über eine IP-Verbindung an die Diagnoseplattform. Dort wird eine digitale Darstellung generiert, die Diagnose erstellt und der Instandhalter über die mögliche Ursache informiert. Der Sensor kann überall da zum Einsatz kommen, wo Wechselstrom- und Gleichstromantriebe mit wiederkehrenden Turns vorhanden sind. Erste Überlegungen und Anfragen belegen das Interesse an einer solchen Lösung aus der Windkraft- und Kraftwerksindustrie. Ebenso erscheint ein Einsatz zur permanenten Überwachung von Rolltreppen und Fahrstühlen als geeignet. Im Bereich der Eisenbahninfrastruktur kommen als weitere mögliche Anlagen, die mit dem neuen Sensor überwacht werden können, die Schrankenantriebe der Bahnübergangssicherungsanlagen in Betracht. Zusammenfassung Zustandsbasierte und vorausschauende Wartung können nicht so einfach wie eine Software gekauft und installiert werden. Sie erfordern eine Systemintegration, die die Zustandsüberwachung in das Asset Management, die Wartungsplanung, Betriebsmanagementsysteme und Daten von Drittanbietern integriert (Bild 4). Der Zugriff auf alle relevanten Datenquellen über standardisierte Verbindungen und Applikationen schafft eine Gesamtübersicht der jeweiligen Anlagen. Bezüglich der Weichenantriebsdiagnose erscheint es zum Beispiel notwendig, zusätzliche Parameter, wie Temperatur und Luftfeuchtigkeit, Erd- und Gestellschlussmelder sowie die Weichenheizungsüberwachung in die Betrachtung einzubeziehen, um hieraus die notwendigen Korrelationen abbilden zu können. Diese Gesamtübersicht dient als Unterstützung zur Verbesserung der Datenanalyse und Diagnoseergebnisse auf der IoT-Plattform. Ferner werden Best-Practice-Techniken entwickelt und intern Knowhow zur Instandhaltung aufgebaut, um das Schienennetz in eine bessere Qualität zu bringen und dabei Wartungs- und Instandhaltungskosten zu vermindern. ■ Isidoros Sapounas Data Analytics and Digital Solutions, DB Engineering & Consulting GmbH, Berlin isidoros.sapounas@deutschebahn.com Bild 3: Digitaler Sensor der 2. Generation Quelle: Isidoros Sapounas Bild 4: Integration von Diana mit anderen relevanten Systemen Quelle: Isidoros Sapounas
