eJournals Internationales Verkehrswesen 72/4

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2020-0081
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Indiens Logistikmarkt

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Dirk Ruppik
Der Logistikmarkt in Indien ist mit rund 1.000 meist sehr kleinen Unternehmen stark fragmentiert. Zudem ist die Infrastruktur ungenügend. Allerdings drängen nun zunehmend auch Logistik-Startups in den Markt, um mit Big Data Probleme zu lösen.
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Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 32 LOGISTIK Indien Indiens Logistikmarkt Fragmentierung und mangelnde Infrastruktur Verkehrsinfrastruktur, Güterverkehr, Logistikkosten, Investitionsprogramme Der Logistikmarkt in Indien ist mit rund 1.000 meist sehr kleinen Unternehmen stark fragmentiert. Zudem ist die Infrastruktur ungenügend. Allerdings drängen nun zunehmend auch Logistik-Startups in den Markt, um mit Big Data Probleme zu lösen. Dirk Ruppik I ndien ist für Deutschland ein wichtiger Handelspartner. Die BRD führt laut Gtai beispielsweise chemische Erzeugnisse, Textilien, Maschinen, Nahrungsmittel sowie Elektrotechnik und Metallwaren aus Indien ein. Umgekehrt werden in die indische Republik hauptsächlich Maschinen, chemische Erzeugnisse, Fahrzeuge und Elektrotechnik exportiert. Im Jahr 2019 belegte der Staat in Südasien Platz 27 von 239 Handelspartnern bei den deutschen Einfuhren und Platz 23 bei den deutschen Ausfuhren. Vor allem im Bereich Automobilbau spielt Indien ganz vorne mit. Laut Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft (iwd) lag das Land bei der Automobilproduktion in 2018 weltweit auf Platz 4 (5,2 Mio. Einheiten) hinter Japan (Platz 3, 9,7 Mio. Einheiten), USA (Platz 2, 11,3 Mio. Einheiten) und China (Platz 1 27,8 Mio. Einheiten). Allerdings ist das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in den letzten Jahren beständig gesunken: +7 % (2017), +6,1 % (2018) und +4,2 % (2019). Gründe dafür sind die relativ hohe Inflation, eine eher restriktive Geldpolitik, hohe Standortkosten, verzögerte Investitionsgenehmigungen und eine mangelnde Infrastruktur. Beim aktuellen Logistics Performance Index der Weltbank belegte Indien 2018 Rang 44 und verschlechterte sich damit gegenüber 2016 um neun Plätze. Analysten identifizierten die mangelhafte Verkehrsinfrastruktur und den unausgeglichenen Modal Split zwischen den Verkehrsträgern im Gütertransport als die größten Problemfelder. Mangelnde Infrastruktur Wer sich in Indien geschäftlich betätigen will, muss sich auf eine unzureichende Infrastruktur und einen stark fragmentierten Logistikmarkt mit hohen Logistikkosten gefasst machen. In der Republik wird die Mehrzahl der Waren auf der Straße (59 %) transportiert. Danach folgen die Beförderung auf dem Schienen- (34 %), Wasser- (6 %) und Luftweg (1 %). Seit Juli 2015 existiert das Straßen- und Schnellstraßen-Entwicklungsprogramm Bharatmala (Bild 1), das alle bisherigen Programme wie das National Highways Development Project (NHDP) und die speziellen Güterverkehrskorridore (Dedicated Freight Corridors) zusammenfasst und erweitert. Es wird die Entwicklung anderer Programme wie des Hafenentwicklungsprogramms Sagarmala, der Industriekorridore, des regionalen Flughafenentwicklungsprogramms UDAN-RCS sowie die Digitalisierung Indiens (Digital India) und die lokale Produktion (Make in India) begünstigen. Konkret sollen im Rahmen des Programms 83.677- km Schnellstraßen gebaut, die Anzahl der Korridore von bisher sechs auf 50 (sechs Schnellstraßenkorridore, 44 Wirtschaftskorridore) ausgeweitet und der Frachttransport auf Schnellstraßen erhöht werden. In der ersten Phase sollen Schnellstraßen mit einer Länge von 34.800 km gebaut werden. 9.000 km davon werden sich in Wirtschaftskorridoren befinden. Die Fertigstellung von Phase 1 verzögert sich laut Regierung durch die Corona-Pandmie voraussichtlich um vier Jahre bis 2025/ 26. Der Anteil der Güter, die auf dem Schienenweg transportiert werden, soll in den nächsten Jahren gemäß indischem Eisenbahnministerium von 34 % auf 50 % steigen. Den entscheidenden Beitrag dazu werden sechs spezielle Schienenfrachtkorridore leisten. Zwei Korridore befinden sich bereits im Bau und sollen trotz der Pandemie bis Ende Dezember 2021 fertiggestellt werden. Der „Westliche Spezielle Schienenfrachtkorridor“ verläuft von Dadri in Uttar Pradesh zum Jawaharlal Nehru Port in Mumbai (1.468 km). Der „Östliche Spezielle Schienenfrachtkorridor“ erstreckt sich von Punjab nach Dankuni in Westbengalen (1.760 km). Im Januar 2018 wurden vier weitere Korridore genehmigt: der „Ost-West Spezielle Schienenfrachtkorridor“ von Kalkutta nach Mumbai (2.000 km), der „Nord- Süd Spezielle Schienenfrachtkorridor“ von Delhi nach Chennai (2.173 km), der „Ostküsten Spezielle Schienenfrachtkorridor“ von Kharagpur nach Vijayawada (1.100 km) und der „Süd-West Schienenfrachtkorridor“ von Bild 1: Straßen-Entwicklungsprogramm Bharatmala Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 33 Indien LOGISTIK Chennai nach Goa (890 km). Laut Betreiber Dedicated Freight Corridor Corporation of India sollen die Frachtraten auf den neuen Güterzugstrecken um bis zu 45 % unter den momentanen liegen und damit mit den LKW-Frachtraten konkurrieren können. Das schon genannte Sagarmala-Hafenentwicklungsprogramm soll die Entwicklung der Wasserwege und Häfen, Wirtschaftszonen an Küsten (Bild 2) und die multimodalen Verbindungen auch mit Logistikparks vorantreiben. Im Rahmen von Sagarmala sollen auch sechs Mega-Häfen gebaut werden: Vizhinjam International Seaport (Kerala), Colachel Seaport (Tamil Nadu), Vadhavan Port (Maharashtra), Tadadi Port (Karnataka), Machilipatnam Port (Andhra Pradesh) und Sagar Island Port (Westbengalen). Insgesamt sind 577 Projekte mit einem Investment von 120 Mrd. USD (105 Mrd. EUR) von 2015 bis 2035 vorgesehen. Die Logistikkosten in Indien liegen mit 14 % Anteil am Bruttoinlandsprodukt sehr hoch (USA 9 bis 10 %, Deutschland 8,6 %). Verschiedene Studien der indischen Regierung zeigen, dass die Nutzung von Küstenschifffahrt und Inlands-Wasserwegen um 60 bis 80 % billiger ist als Straßen- und Schienentransport. Stark fragmentierter Logistikmarkt Laut der indischen The Economic Times liegt der Wert der Transportbranche im Lande bei 160 Mio. USD (137 Mio. EUR) und soll in den nächsten Jahren auf 215 Mio. USD (185 Mio. EUR) ansteigen. Rund 20 Millionen Menschen finden in diesem Bereich Arbeit. Allerdings ist die Branche noch sehr unorganisiert und stark fragmentiert. Nur jedes zehnte Fuhrunternehmen besitzt mehr als 25 LKW. Die meisten Firmen sind sehr klein und benötigen zur Abwicklung größerer Aufträge die Hilfe von Drittparteien. Der Grund für die hohen Logistikkosten in Indien liegen vor allem in den fehlenden Größeneffekten, der schlechten Transport-, Lagerhaus- und IT-Infrastruktur, fehlender Fachkräfte und kraftstoffineffizienten Fahrzeugen. Sie sollen bis von bisher 14 % des BIP auf 10 % sinken. Einige Verbesserungen sind überwiegend auf den Eintritt internationaler Logistiker in den Verbrauchsgütermarkt und auf neue E-Commerce-Unternehmen zurückzuführen. Zudem hat die Regierung unter Premier Narendra Modri im Jahr 2017 ein neues System für die Besteuerung von Waren und Dienstleistungen erlassen, durch die Warenbewegungen zwischen den 28 Bundesstaaten durch die Beseitigung von Grenzsteuern günstiger wurden. Der Logistikmarkt besteht aus rund 1.000 Firmen von kleinen bis mittleren lokalen Playern über große internationale Unternehmen wie DHL (Joint Venture mit dem indischen Expressdienstleister Blue Dart, Bild 3), die Staatsbetriebe Indian Railways und Shipping Corporation of India, der Expressdienst der indischen Post und Startups für E-Commerce-Lieferungen. Deutsche Firmen mit indischer Präsenz sind unter anderem DB Schenker und Dachser. Unternehmen wie DHL und das indische Startup Rivigo werden zunehmend Kapazität, Technologie und Big Data-Anwendungen in den Markt bringen und damit die Qualität des Logistik-Serviceangebots in den Fokus der Branche rücken. Diese Entwicklung und die zunehmende Entstehung von Fracht-Plattformen wie FreightBazaar wird auch zu verbessertem Tracking & Tracing sowie einer besseren Auffindbarkeit von Frachtkapazitäten führen. Allerdings wird der gewaltige wirtschaftliche Schaden durch die Corona-Pandemie die Entwicklung und das Wachstum der indischen Logistikbranche sicherlich verzögern. ■ Bild 2: Tiefwasserhafen und Sonderwirtschaftszone Pipavav Foto: APM Terminals Bild 3: Joint Venture von DHL mit dem indischen Expressdienstleister Blue Dart. Foto: Blue Dart Dirk Ruppik Asien-Korrespondent und freier Fachjournalist, Thailand dirk.ruppik@gmx.de