Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2020-0084
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Hygieneschutzmaßnahmen im ÖPNV
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2020
Maria Radspieler
Katherine Gürtler
Die Ausbreitung des Corona-Virus hat zu Veränderungen in jedem Bereich des öffentlichen Lebens geführt, auch im Öffentlichen Personennahverkehr. Doch welche Auswirkung hat diese Situation auf die Wahrnehmung und das Verhalten von Fahrgästen? Dieser Beitrag berichtet über eine Studie unter ÖPNV-Nutzern (N=203) zu ihren Einstellungen und ihrem Fahrverhalten seit Beginn der Corona-Pandemie. Eine differenzierte Befragung zum Einfluss diverser Hygieneschutzmaßnahmen auf die Verkehrsmittelwahl zeigt ÖPNV-Betreibern, wie diese Maßnahmen von Fahrgästen wahrgenommen werden.
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Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 44 MOBILITÄT Covid-19 Hygieneschutzmaßnahmen im ÖPNV Verhalten und Wahrnehmung von Fahrgästen in der Corona-Zeit ÖPNV, Hygiene, Covid-19, Corona-Virus, Verkehrsmittelwahl Die Ausbreitung des Corona-Virus hat zu Veränderungen in jedem Bereich des öffentlichen Lebens geführt, auch im Öffentlichen Personennahverkehr. Doch welche Auswirkung hat diese Situation auf die Wahrnehmung und das Verhalten von Fahrgästen? Dieser Beitrag berichtet über eine Studie unter ÖPNV- Nutzern (N=203) zu ihren Einstellungen und ihrem Fahrverhalten seit Beginn der Corona-Pandemie. Eine differenzierte Befragung zum Einfluss diverser Hygieneschutzmaßnahmen auf die Verkehrsmittelwahl zeigt ÖPNV-Betreibern, wie diese Maßnahmen von Fahrgästen wahrgenommen werden. Maria Radspieler, Katherine Guertler D ie Corona-Pandemie und die damit einhergehenden Hygieneschutzmaßnahmen haben das Leben stark beeinflusst, auch einen bedeutenden Alltagsbestandteil vieler Menschen, den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Hygiene spielt eine außerordentlich wichtige Rolle für die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, wo auf engem und geschlossenem Raum die Ansteckungsgefahr mit dem Corona-Virus (SARS-CoV-2/ Covid-19) sehr hoch ist [1]. Dieser Beitrag berichtet über eine Studie unter deutschen ÖPNV-Nutzern, die untersuchte, inwiefern sich Hygieneschutzmaßnahmen zu einem entscheidenden Verkehrsmittelwahlfaktor entwickelt haben. Hygieneschutzmaßnahmen im ÖPNV Insbesondere im ÖPNV müssen Hygieneschutzmaßnahmen beachtet werden, damit- das Infektionsrisiko für das Corona- Virus SARS-CoV-2 möglichst niedrig gehalten werden kann. Dafür müssen insbesondere drei Hauptbereiche beachtet werden [2, 3, 4, 5]: • Einhaltung des Mindestabstandsgebotes. Da sich die Umsetzung des Abstandes zu anderen Fahrgästen oft schwer umsetzen lässt, wurde weiter empfohlen, den ÖPNV möglichst außerhalb der Stoßzeiten zu nutzen. • Sauberkeit des Verkehrsmittels. Zu diesem Zweck werden die öffentlichen Verkehrsmittel, insbesondere stark frequentierte Kontaktflächen wie Haltestangen, mindestens alle 24 Stunden desinfiziert und gereinigt. • Individuell einzuhaltende Hygieneschutzmaßnahmen seitens der Fahrgäste. Von besonderer Bedeutung ist die Ende April 2020 in Deutschland eingeführte Mund-Nasen-Schutz-Pflicht im ÖPNV und das Einhalten von Nies- und Hustenetikette. Weiter empfiehlt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, öffentliche Verkehrsmittel nach Möglichkeit zu vermeiden und stattdessen die Strecke mit dem Fahrrad, zu Fuß oder mit dem eigenen Auto zurückzulegen [4]. Das Verhalten vieler Menschen in Deutschland ist multimodal. Je nach individuellen Bedürfnissen und Situationen wird rational entschieden, welches Verkehrsmittel für den aktuellen Zweck der Fahrt am besten geeignet ist [6]. Unter normalen Bedingungen werden 10 % aller Wege und 19 % der gesamten Personenkilometer in Deutschland im ÖPNV zurückgelegt [7]. Zur Zeit der Corona-Pandemie fühlt sich über die Hälfte der Deutschen bei der Nutzung des ÖPNV (deutlich) weniger wohl als zuvor [8]. Hinzu kommen veränderte Verhaltensmuster, die das allgemeine Verkehrsverhalten beeinflussen. Daraus kann geschlossen werden, dass eine geringere Nutzung des ÖPNV zu erwarten war. Das Statistische Bundesamt prognostizierte, dass sich die Fahrgastzahlen im öffentlichen Nahverkehr im Vergleich zwischen den beiden ersten Jahresquartalen 2019 und 2020 um mindestens 11 % verringern werden. Besonders stark betroffen war dabei der Eisenbahnverkehr, bei dem die Zahlen schon im März 2020 um mehr als 40 % im Vergleich zum Februar 2020 zurückgingen [9]. Angesichts dessen soll die Finanzierung des ÖPNV, der unter den Auswirkungen der Corona-Pandemie stark gelitten hat, vom Bund einmalig mit 2,5-Mrd.-EUR unterstützt werden [10]. Dennoch geben die Nutzer an, nach dem Ende der Krise zu ihrem gewohnten Verhalten zurückkehren zu wollen [11]. Hygiene im ÖPNV als Faktor in der Verkehrsmittelwahl Eine wesentliche Veränderung der Verkehrsmittelwahl ist in erster Linie auf eine geänderte persönliche Lebenssituation zurückzuführen [12]. Dies war durch die Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie eindeutig gegeben, beispielsweise durch ein Überwechseln ins Homeoffice oder zu Online-Vorlesungen im Studium. Daher konnte davon ausgegangen werden, dass viele Personen ihre Verkehrsmittelwahl ändern würden. Die Entscheidung für oder gegen den ÖPNV wird anhand einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst (Tabelle 1). Je nach Situation können diese Faktoren als sogenannte Pull-in-Faktoren dienen, die dazu führen, dass ein Verkehrsmittel an Attraktivität gewinnt und öfter genutzt wird, während Push-Out-Faktoren zu weniger oder gar keiner Nutzung eines Verkehrsmittels beitragen [12]. Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 45 Covid-19 MOBILITÄT Die gesundheitlichen Bedenken infolge der Corona-Pandemie zeigen auf, dass Hygiene im ÖPNV auch als Faktor in diese Typologie aufgenommen werden kann. Um die Auswirkungen der coronabedingten Einschränkungen sowie die Rolle von Hygiene für die Verkehrsmittwahl genauer zu definieren, wurde eine Studie unter ÖPNV-Nutzern durchgeführt. In einer sequenziellen Mixed-Methods-Untersuchung wurden erfasst: • die alltägliche Nutzung des ÖPNV vor und während der Corona-Pandemie • die Einstellungen der Befragten zu unterschiedlichen Hygieneschutzmaßnahmen • die erwartete Nutzung des ÖPNV nach dem Ende der Corona-Pandemie Im ersten Teil (Mai 2020) wurde eine explorative qualitative Studie in Form von Interviews (N=12) durchgeführt. Im zweiten Teil (Juni 2020) wurden die Erkenntnisse durch eine quantitative Untersuchung (N = 203) in Form einer Online-Befragung mit einem standardisierten Fragebogen trianguliert. Die Befragten waren jeweils junge Menschen (18 bis 27 Jahre) in Deutschland, die vor Beginn der Corona-Pandemie in ihrem Alltag öffentliche Nahverkehrsmittel genutzt haben. Neben der Wichtigkeit von Hygieneschutzmaßnahmen sollte nach Möglichkeit die Bewertung bestimmter Maßnahmen als Pull-In- oder Push-Out- Faktoren evaluiert werden. Veränderte Verhaltensmuster und Einstellungen zum ÖPNV Zunächst wurde festgestellt, inwiefern die Auswirkungen des Corona-Virus die Abhängigkeit der Teilnehmenden vom ÖPNV beeinflusst hat (Bild 1). Im Durchschnitt war knapp die Hälfte aller befragten Personen vor Beginn der Corona-Pandemie in ihrem Alltag auf den ÖPNV angewiesen. Seit dem Ausbruch gaben fast 85 % an, überhaupt oder eher nicht mehr auf den ÖPNV angewiesen zu sein. Die neuen Verhaltensmuster lassen sich nicht nur auf die geänderte Lebenssituation zurückführen. In Bezug auf ihre Einstellung zum ÖPNV stimmten 72 % der Teilnehmenden der Aussage eher oder voll zu, dass sie den ÖPNV vor Beginn der Corona-Pandemie gern nutzten. Durch die Auswirkungen des Corona-Virus hat sich dieses Stimmungsbild allerdings verändert, und nur noch 15 % berichten, den ÖPNV gern zu nutzen. Zusätzlich gaben 74 % der Befragten an, den ÖPNV seit dem Ausbruch des Corona-Virus (eher) zu meiden. Bezüglich einer Infizierung mit dem Virus im ÖPNV hatten 58 % der Befragten Bedenken, somit ist die Angst vor Ansteckung unter jungen Menschen eher geteilt. Laut der Untersuchung spielte Hygiene schon vor der Corona-Pandemie eine nicht unerhebliche Rolle bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Der Großteil der Teilnehmenden (68 %) gaben an, dass Hygiene vor Beginn der Corona-Pandemie wichtig war. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass diese Meinung rückwirkend (nach der Ausbreitung des Corona-Virus) geäußert wurde und somit womöglich verzerrt ist. Allerdings bewerteten ganze 94 % der Befragten die Aussage, dass Hygiene bei der Nutzung des ÖPNV seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie wichtig ist, als zutreffend. Einfluss von Hygieneschutzmaßnahmen auf die Nutzung des ÖPNV Die Verstärkung der Hygiene im ÖPNV lässt sich durch diverse Schutzmaßnahmen erzielen. Die empfundene Wichtigkeit einzelner Hygieneschutzmaßnahmen für ÖPNV-Nutzer wurde von den Befragten beurteilt (Bild 2). Weitere Maßnahmen, die im Freitext von Befragten ergänzt wurden, waren: automatische Türöffnung, das Tragen einer Brille, die Vermeidung von Kontaktflächen, sich nicht ins Gesicht zu fassen, digitaler Fahrkartenkauf und die Kontrolle der Einhaltung der Hygieneschutzmaßnahmen. Die Hygieneschutzmaßnahmen wurden ebenfalls angelehnt an das Konzept der Harte Faktoren Weiche Faktoren Erreichbarkeit von Haltestellen Flexibilität der Nutzung Kosten Einfachheit der Planung Fahrtdauer Verfügbarkeit von Informationen Fahrtablauf Umweltfreundlichkeit Häufigkeit der Verbindungen Fahrkomfort Atmosphäre Personal Neu: Hygiene Tabelle 1: Beispiele harter und weicher Faktoren der Verkehrsmittelwahl (vgl. [12]) 33,0% 48,8% 23,6% 35,5% 26,6% 9,9% 16,7% 5,9% 0% 100% Vor der Corona-Pandemie war ich auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen. Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie bin ich auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen. Angewiesenheit auf den ÖPNV vor und während der Corona-Pandemie trifft überhaupt nicht zu trifft eher nicht zu trifft eher zu Trifft voll zu Bild 1: Angewiesenheit auf den ÖPNV vor und während der Corona-Pandemie 2,0% 1,5% 1,5% 4,9% 5,9% 5,4% 4,4% 6,4% 7,9% 11,3% 19,2% 28,1% 38,9% 36,9% 27,1% 40,4% 40,4% 43,3% 54,7% 55,2% 63,5% 43,3% 34,4% 23,2% 0% 100% Wenig gefüllte Verkehrsmittel Einhaltung des Mindestabstands Tragen von Mund-Nasen-Schutz Sauberkeit des Verkehrsmittels Verfügbarkeit von Desinfektionsmittelspendern Transparenz bezüglich der Reinigung des Verkehrsmittels Bewertung der vorgegebenen Hygieneschutzmaßnahmen sehr unwichtig eher unwichtig eher wichtig sehr wichtig Bild 2: Bewertung der Wichtigkeit einzelner Hygieneschutzmaßnahmen (N = 203) Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 46 MOBILITÄT Covid-19 Pull-In- und Push-Out-Faktoren bewertet (Bild 3). Die Bewertungen „(eher) verringert“ können dabei im Sinne einer Push-Out-Wirkung interpretiert werden, da sie nach eigener Aussage die Bereitschaft dieser Personen, den ÖPNV zu nutzen, reduziert. Dagegen weisen die Bewertungen „(eher) erhöht“ auf eine Pull-In-Wirkung hin, da sie zur Steigerung der Attraktivität des ÖPNV beitragen. Eine neutrale Angabe kann insofern gedeutet werden, dass diese Hygieneschutzmaßnahme weder Pull-Innoch Push-Out-Wirkung aufweist und somit für die Verkehrsmittelwahl der Teilnehmenden nicht entscheidend ist. Die stärksten Pull-In-Wirkungen, die zu einer wieder erhöhten Nutzung des ÖPNV führen, zeigen die Merkmale „Wenig gefüllte Verkehrsmittel“ (84,2 % der Befragten), „Einhaltung des Mindestabstandes“ (76,4 %) und „Höhere Sauberkeit“ (73,9 %). Als einziges Merkmal mit einer entscheidenden Push-Out-Wirkung für die befragten ÖPNV- Nutzer wurde die „Mund-Nasen-Schutz- Pflicht“ (27,1 %) ermittelt. Darüber hinaus gab auch fast die Hälfte der Befragten einen neutralen Standpunkt gegenüber dem Merkmal „Transparenz bezüglich Reinigung“ an. Daraus lässt sich schließen, dass bei der Verkehrsmittelwahl Hygieneschutzmaßnahmen insgesamt eine Pull-In-Wirkung zeigen und diese wieder zu mehr Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel beitragen. Einzig das Tragen eines Mund-Nasen- Schutzes polarisiert die Befragten und hat eine deutliche Wirkung sowohl als Pull-Inals auch als Push-Out-Faktor. Letztlich wurden die Hygieneschutzmaßnahmen mit drei anderen Verkehrsmittelwahlfaktoren kombiniert, um ein besseres Verständnis der Prioritäten der jungen ÖPNV-Nutzer zu erlangen (Bild 4). Die Tendenz zur Vermeidung des ÖPNV zu Corona-Zeiten ist eindeutig erkennbar, da eine große Mehrheit der Befragten ihre Bereitschaft bekundet, längere Strecken mit dem Fahrrad oder zu Fuß zurücklegen zu wollen. Zwei Drittel aller Teilnehmenden gab an, dass sie (eher) dazu bereit wären, länger zu warten, wenn dafür die öffentlichen Verkehrsmittel weniger gefüllt sind, aber etwas weniger als die Hälfte würde für eine höhere Reinigungsfrequenz länger warten. Die Bereitschaft, mehr für ein Ticket zu bezahlen, war wesentlich geringer. Dafür könnte möglicherweise ausschlaggebend sein, dass für die untersuchte Zielgruppe (18 bis 27 Jahre) finanzielle Ressourcen deutlich knapper bemessen sind als zeitliche. Langfristige Auswirkungen von Covid-19 auf die Nutzung des ÖPNV Aufgrund der Dauer und Ernsthaftigkeit der Corona-Pandemie können sich durch diese Entwicklungen durchaus langfristige Auswirkungen auf Verhaltensmuster ergeben haben. Die Befragten haben über ihr eingeschätztes Verhalten nach dem Ende der coronabedingten Einschränkungen im öffentlichen Leben berichtet. Knapp drei Viertel (74 %) aller Teilnehmenden gaben an, dass sich ihre Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel nach dem Ende der Corona-Pandemie wahrscheinlich nicht verringern wird. (Dieses Ergebnis stimmt mit einer weiteren Studie überein, in der die Mehrheit aller Befragten berichteten, nach dem Ende der Krise zu ihrer gewohnten Nutzung von ÖPNV zurückkehren zu wollen [11].) Des Weiteren gaben 77 % der Teilnehmenden an, die Hygiene im ÖPNV auch nach der Corona- Pandemie als (eher) wichtig einzustufen, obwohl nur 48 % berichteten, dass Hygieneschutzmaßnahmen wahrscheinlich auch in Zukunft ihre Verkehrsmittelwahl beeinflussen werden. Allerdings sind diese Prognosen mit Vorsicht zu genießen, da sie erstens eine Einschätzung über künftiges Verhalten darstellen, und zweitens zu einem relativ frühen Zeitpunkt in der Corona-Pandemie (Juni 2020) erfasst wurden. Diskussion Diese Studie ergab insgesamt, dass die Verkehrsmittelwahl junger Menschen von der Corona-Pandemie erheblich beeinflusst wird. Seit deren Beginn sind weitaus weniger Personen auf den ÖPNV angewiesen, vor allem aufgrund einer veränderten persönlichen Lebenssituation (vgl. Bild 1). Die Befragten bekundeten grundsätzlich eine positive Einstellung zum ÖPNV, da sie ihn unter anderem als praktisch und umweltfreundlich betrachten. Dennoch gaben viele an, während der Corona-Pandemie öffentliche Verkehrsmittel überhaupt nicht mehr gern zu nutzen und ihn sogar aktiv zu meiden. Zusammen ergibt sich eine stark 2,0% 1,0% 1,4% 8,4% 1,0% 3,4% 4,9% 1,0% 4,4% 18,7% 3,4% 10,3% 17,7% 24,6% 32,0% 16,2% 45,8% 45,8% 50,2% 51,7% 45,8% 31,5% 36,9% 38,4% 26,1% 22,2% 16,3% 25,1% 12,8% 0% 100% Wenig gefüllte Verkehrsmittel Einhaltung des Mindestabstandes Höhere Sauberkeit Verfügbarkeit von Desinfektionsmittelspendern Mund-Nasen-Schutz-Pflicht Transparenz bzgl. Reinigung Die Bereitschaft, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen, wird durch ... verringert eher verringert neutral eher erhöht erhöht 3,4% 6,4% 10,8% 18,2% 40,9% 40,9% 6,9% 13,3% 22,2% 37,4% 33,5% 36,9% 25,1% 37,9% 52,7% 40,9% 21,2% 20,2% 64,5% 42,4% 14,3% 3,4% 4,4% 2,0% 0% 100% … weitere Strecken mit dem Fahrrad zu fahren, um den ÖPNV zu meiden. … weitere Strecken zu Fuß zu gehen, um den ÖPNV zu meiden. … eine längere Zeit auf den ÖPNV zu warten, wenn er dafür weniger gefüllt ist. … eine längere Zeit auf den ÖPNV zu warten, wenn er dafür öfter gereinigt wird. … mehr für ein ÖPNV-Ticket zu bezahlen, wenn er dafür weniger gefüllt ist. … mehr für ein ÖPNV-Ticket zu bezahlen, wenn er dafür öfter gereinigt wird. Bereitschaft der Fahrgäste ... trifft überhaupt nicht zu trifft eher nicht zu trifft eher zu trifft voll zu Bild 3: Auswirkung einzelner Hygieneschutzmaßnahmen auf die Verkehrsmittelwahl für den ÖPNV (N = 203) Bild 4: Einstellungen zu Hygieneschutzmaßnahmen kombiniert mit weiteren Verkehrsmittelwahlfaktoren (N = 203) Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 47 Covid-19 MOBILITÄT verringerte Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Bezüglich der getesteten einzelnen Hygieneschutzmaßnahmen stellte sich heraus, dass die Mehrheit der jungen Menschen jeden Faktor als überwiegend wichtig einstuft (vgl. Bild 2). Dazu weist jede einzelne Hygieneschutzmaßnahme eine stärkere Pull-Inals Push-Out-Wirkung auf (Bild 3). Das heißt, dass durch die Einhaltung dieser Maßnahmen die Attraktivität des ÖPNV wieder ansteigen kann. Die einzige Hygieneschutzmaßnahme, die bei vergleichsweise vielen Personen die Bereitschaft zur ÖPNV-Nutzung verringert, ist die Mund- Nasen-Schutz-Pflicht. Da diese Maßnahme allerdings gesetzlich reguliert ist, ist sie für ÖPNV-Betreiber hinfällig. Die Kombination von Hygieneschutzmaßnahmen mit weiteren Verkehrsmittelwahlfaktoren (vgl. Bild 4) zeigt auf, dass die Befragten in der aktuellen Situation eine sehr hohe Bereitschaft zur vermehrten Nutzung individueller Fortbewegungsarten wie zu Fuß gehen oder Fahrradfahren aufzeigen. Für bessere Hygienestandards sind junge Menschen eher nicht bereit, einen höheren Ticketpreis zu bezahlen, wobei hingegen ihre Bereitschaft länger zu warten höher ist. Diese Angaben stehen allerdings im Widerspruch zu der bekundeten Wichtigkeit, laut der die Hygieneschutzmaßnahmen „wenig gefüllte Verkehrsmittel“ und „höhere Sauberkeit“ zu den am wichtigsten beurteilten Maßnahmen im ÖPNV zählten (vgl. Bild 2). Das bedeutet also im Umkehrschluss, dass Hygieneschutzmaßnahmen im Vergleich zum Verkehrsmittelwahlfaktor „Kosten“ bei jungen Menschen eine untergeordnete Rolle spielen. Während der Corona-Pandemie haben sich Hygieneschutzmaßnahmen eindeutig zu einem entscheidenden Verkehrsmittelwahlfaktor entwickelt. Langfristig wird sich nach dem Ende der Corona-Pandemie voraussichtlich wieder vieles ändern. Die Mehrheit der Befragten beabsichtigt zwar, zu ihrer gewohnten ÖPNV-Nutzung wie vor der Pandemie zurückzukehren, allerdings wird sich nichtsdestotrotz laut den Erkenntnissen der Umfrage die ÖPNV-Nutzung circa eines Viertels der jungen Menschen langfristig verringern. Obwohl Hygienevorschriften im öffentlichen Leben erwartungsgemäß wieder reduziert werden, erwarten die Befragten dennoch, dass ihnen Hygiene im ÖPNV weiterhin wichtig bleiben wird. Zusammenfassend wird die Corona-Pandemie also voraussichtlich bei einem großen Anteil der Personen eine längerfristige Änderung des Nutzerverhaltens und der Einstellung zu Hygiene im ÖPNV bedingen. Das Vertrauen vieler Menschen in den ÖPNV wurde durch die Ausbreitung der Corona-Pandemie stark beschädigt, da öffentliche Verkehrsmittel als ein Ort der Virusverbreitung stigmatisiert wurden. Viele Deutsche nutzen daher nun bevorzugt individuelle Verkehrsmittel, in vielen Fällen oftmals das Auto [13]. Dies wäre aber auf lange Sicht gegenläufig zu einem positiven Trend der letzten Jahre: mit wachsendem Umweltbewusstsein in Deutschland [14] stieg die ÖPNV-Nutzung als umweltfreundliche Mobilitätsvariante jährlich weiter an [15]. Damit sich diese positive Entwicklung nun nicht wieder umkehrt, müssen die Verkehrsunternehmen aktiv werden und versuchen, das Vertrauen der Fahrgäste wieder zurückzugewinnen. Dies könnte in einem ersten Schritt beispielsweise durch eine konsequente Umsetzung der Hygieneschutzmaßnahmen im ÖPNV erreicht werden. ■ QUELLEN [1] Bundesministerium für Gesundheit (2020): Fragen und Antworten zum neuartigen Coronavirus. Alltag gestalten. www.zusammengegencorona.de/ informieren/ alltag-gestalten/ #faqitem=fbd0399f- 7c0c-531c-8a5e-27db887e3bd8 (Zugriff vom 21.05.2020) [2] Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV); Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) (2020): Maßnahmen zum Gesundheitsschutz für Beschäftigte und Fahrgäste im ÖPNV. https: / / verkehr.verdi. de/ themen/ na chrichten/ + + co+ + 26a 1 894e-7d6f-1 1 ea-bc 6e- 525400f67940 (Zugriff vom 30.06.2020) [3] Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) (2020): Hygieneregeln. Merkblatt für Mitarbeiter und Fahrgäste im ÖPNV. www.vdv. de/ coronavirus-informationen-ueber-die-auswirkungen-auf-denoepnv.aspx (Zugriff vom 30.06.2020) [4] Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (2020): Verhaltensregeln und -empfehlungen zum Schutz vor dem Coronavirus SARS- CoV-2 im Alltag und im Miteinander. Schützen Sie sich und andere! www.infektionsschutz.de/ fileadmin/ infektionsschutz.de/ Downloads/ Merkblatt-Verhaltensregeln-empfehlungen-Coronavirus.pdf (Zugriff vom 30.06.2020) [5] Bundesregierung (2020): Maskenpflicht in ganz Deutschland. Ab dieser Woche. www.bundesregierung.de/ breg-de/ themen/ coronavirus/ maskenpflicht-in-deutschland-1747318 (Zugriff vom 14.07.2020) [6] Dziekan, K.; Zistel, M. (2018): „Öffentlicher Verkehr“. In: Schwedes, O. Hrsg.): Verkehrspolitik. Eine interdisziplinäre Einführung. S. 347- 372. 2. Aufl. Wiesbaden: Springer Verlag Fachmedien [7] Nobis, C.; Kuhnimhof, T. (2018): Mobilität in Deutschland. MiD Ergebnisbericht. www.mobilitaet-in-deutschland.de/ pdf/ MiD2017_Ergebnisbericht.pdf (Zugriff vom 25.06.2020) [8] Lenz, B. (2020). DLR-Befragung: Wie verändert Corona unsere Mobilität? Verkehrsmittelnutzung, Einkaufs-, Arbeits- und Reiseverhalten. https: / / verkehrsforschung.dlr.de/ de/ news/ dlr-befragung-wieveraendert-corona-unsere-mobilitaet (Zugriff vom 19.05.2020) [9] Statistisches Bundesamt (2020): Fahrten mit Bus und Bahn: 11 % weniger Fahrgäste im 1. Quartal 2020 erwartet. Pressemitteilung Nr. N 025 vom 13. Mai 2020. www.destatis.de/ DE/ Presse/ Pressemitteilungen/ 2020/ 05/ PD20_N025_461.html (Zugriff vom 19.05.2020) [10] Bundesministerium der Finanzen (2020): Eckpunkte des Konjunkturpakets. Corona-Folgen bekämpfen, Wohlstand sichern, Zukunftsfähigkeit stärken. Ergebnis Koalitionsausschuss 3. Juni 2020. www.bundesfinanzministerium.de/ Content/ DE/ Standardartikel/ Themen/ Schlaglichter/ Konjunkturpaket/ 2020-06-03-eckpunktepapier.pdf? __blob=publicationFile (Zugriff vom 19.09.2020) [11] Anke, J.; Schaefer, L.-M.; Francke, A. (2020): Befragung: Wie verändert Corona unsere Mobilität langfristig? https: / / tu-dresden.de/ bu/ verkehr/ ivs/ vpsy/ forschung/ corona-mobilitaet (Zugriff vom 20.05.2020) [12] Knuth, K.-R. (2012): Factors influencing behavioural change towards eco-friendly multimodal mobility. Deliverable D3.6. www.levego. hu/ site/ assets/ files/ 5825/ usemobility_wp3_d3_6_v2b.pdf (Zugriff vom 14.04.2020) [13] ADAC (2020): Corona und Mobilität. Mehr Homeoffice, weniger Berufsverkehr. https: / / www.adac.de/ verkehr/ standpunkte-studien/ mobilitaets-trends/ corona-mobilitaet/ (Zugriff vom 17.07.2020) [14] Umweltbundesamt (2020): Umweltbewusstsein in Deutschland. www.umweltbundesamt.de/ themen/ nachhaltigkeit-strategien-internationales/ gesellschaft-erfolgreich-veraendern/ umweltbewusstsein-in-deutschland (Zugriff vom 11.07.2020) [15] Statista (2020): Nahverkehr so gefragt wie nie. Öffentlicher Nahverkehr. https: / / de.statista.com/ infografik/ 13476/ nahverkehr-so-gefragt-wie-nie/ (Zugriff vom 17.07.2020) Maria Radspieler, Fakultät Angewandte Natur- und Kulturwissenschaften, Ostbayerische Technische Hochschule Regensburg Maria.R98@gmx.de Katherine Gürtler, Prof.-Dr. Fakultät Angewandte Natur- und Kulturwissenschaften, Ostbayerische Technische Hochschule Regensburg katherine.guertler@oth-regensburg. de
