eJournals Internationales Verkehrswesen 72/4

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2020-0085
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2020
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Das Elektrofahrrad im Spiegel der Medien

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2020
Katharina Seuser
Aysegül Yasari
Andreas Viehof
Medien spielen eine Schlüsselrolle für die öffentliche Meinung und Akzeptanz neuer Technologien. Mit einer qualitativen Inhaltsanalyse journalistischer Artikel zum Elektrofahrrad wurden Akteure und ihre Einstellungen und Handlungen in Bezug auf das Elektrofahrrad untersucht. In die Analyse flossen 444 Artikel ausgewählter deutscher Qualitätsmedien aus dem Jahr 2018 ein. Die Untersuchung zeigt den gesellschaftlich relevanten Diskurs über Elektrofahrräder auf und bietet Anknüpfungspunkte für die Förderung von Individualmobilität und der Entwicklung zukunftsfähiger Mobilitätskonzepte.
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Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 48 MOBILITÄT Technikakzeptanz Das Elektrofahrrad im Spiegel der Medien Eine Inhaltsanalyse von Publikums- und Fachmedien zur-Ableitung öffentlicher Akzeptanz Elektromobilität; Elektrofahrrad; Technikakzeptanz, Journalismus, Mobilitätsforschung; Effiziente Transportalternativen Medien spielen eine Schlüsselrolle für die öffentliche Meinung und Akzeptanz neuer Technologien. Mit einer qualitativen Inhaltsanalyse journalistischer Artikel zum Elektrofahrrad wurden Akteure und ihre Einstellungen und Handlungen in Bezug auf das Elektrofahrrad untersucht. In die Analyse flossen 444 Artikel ausgewählter deutscher Qualitätsmedien aus dem Jahr 2018 ein. Die Untersuchung zeigt den gesellschaftlich relevanten Diskurs über Elektrofahrräder auf und bietet Anknüpfungspunkte für die Förderung von Individualmobilität und der Entwicklung zukunftsfähiger Mobilitätskonzepte. Katharina Seuser, Aysegül Yasari, Andreas Viehof D ie Zahl der Elektrofahrräder in Deutschland hat sich innerhalb von nur vier Jahren verdoppelt. Laut Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur gab es im Jahr 2014 in 100 deutschen Haushalten 4,3 E-Bikes. 2018 waren es bereits 9,3 [1]. Die Zahlen sprechen für die zunehmende gesellschaftliche Bedeutung der Elektromobilität auf unseren Straßen und geben Anlass, sich intensiver mit dem elektrisch unterstützten Zweirad und seiner öffentlichen Wahrnehmung zu befassen. Längst sind Pedelecs, die gemeinhin oft auch als E-Bikes oder Elektrofahrräder bezeichnet werden, kein Trend mehr, sondern ein fester Bestandteil unseres Straßenbildes. Technisch sind sie ausgereift, in verschiedensten Formen verfügbar und werden in vielfältigen Anwendungsfeldern eingesetzt. Die Zustimmung der Öffentlichkeit ist für die Durchsetzung von Innovationen entscheidend. Medien spielen dabei eine Schlüsselrolle für die Akzeptanz von Technologien, Verfahren und Werkstoffen. Sie geben Informationen und Meinungen ausgewählter Quellen wieder. Für die Studie wurde eine Methode entwickelt, die Einblicke in die Diskussion und Anwendungsfelder um neue technologische Entwicklungen erlaubt. Auf Basis einer qualitativen Medieninhaltsanalyse nach Mayring [2] sowie eines Theoriemodells [3] zur Beschreibung von Technikakzeptanz wurden Akzeptanzkonstellationen zum Thema Elektrofahrrad aus journalistischen Medien abgeleitet. Technikakzeptanz in der Medienberichterstattung Akzeptanzkonstellationen in der Technikakzeptanzforschung werden in der Literatur beschrieben durch das Akzeptanz-Subjekt und -Objekt und den Akzeptanz-Kontext [4]. Das Akzeptanz-Subjekt, einzelne Personen oder Personengruppen, äußert seine Einstellung zum Akzeptanz-Objekt oder legt ein bestimmtes Verhalten an den Tag ([5], S. 17). Laut [6] können technische Geräte und Dinge des alltäglichen Gebrauchs Gegenstände von Akzeptanz sein, aber auch Meinungen und Einstellungen sowie Themen, Probleme und Argumente. Zudem stehen laut Lucke [6] Subjekte und Objekte gesellschaftlicher Akzeptanz in wechselnden subkulturellen und sozialen Kontexten zueinander. Mit der Einstellung des Subjekts kann grundsätzlich immer eine Bereitschaft zum Handeln einhergehen. Die Handlung selbst wird jedoch in der Akzeptanzforschung als eigene Dimension berücksichtigt. Eine Handlung kann sich beispielsweise darin zeigen, dass ein Produkt gekauft wird, sich Politik und Gesellschaft dafür einsetzen oder aber auch diese weniger nutzen oder im Falle von Nichtakzeptanz dagegen aktiv vorgehen, zum Beispiel mit Protestaktionen ([5], S. 13). Bild 1 zeigt das Theoriemodell, das für die Ermittlung von Akzeptanzkonstellationen in der Medienberichterstattung zugrunde liegt. Im Vordergrund stehen das Akzeptanz-Subjekt (hier Akteur genannt), das Akzeptanz-Objekt (im Rahmen der vorliegenden Untersuchung das Elektrofahrrad) sowie Einstellungen und Handlungen der Akteure in Bezug auf Elektrofahrräder. Der Akzeptanz-Kontext rahmt die gesamte Akzeptanzsituation und verdeutlicht, dass das Akzeptanzgeschehen situativ bedingt ist und sich in unterschiedlichen Kontexten jeweils neu konstituiert. Kontext und Akzeptanz-Objekt wirken darüber hinaus auf die Einstellung und Handlung des Subjekts zurück. Das Ziel der Studie war, einen Überblick über die Akzeptanzlage zur Elektromobilität am Beispiel des Elektrofahrrads zu gewinnen, um Anknüpfungspunkte für die Förderung von Individualmobilität und die Entwicklung zukunftsfähiger Mobilitätskonzepte zu finden. Dabei wurde eine Methode eingesetzt, die über einzelne Zielgruppenbefragungen und traditionelle Rezipientenforschung hinausgeht. Mit der Bild 1: Modell zur Beschreibung von Akzeptanzkonstellationen bei der qualitativen Medienanalyse [3] Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 49 Technikakzeptanz MOBILITÄT Untersuchung von journalistischen Leitmedien sollte der gesellschaftliche Diskurs erfasst und daraus die wichtigsten Akzeptanzkonstellationen abgeleitet werden. Die Wahl dieser Methode stützt sich auf Kepplinger [7]. Der Autor sieht die Aufgabe von Journalisten und Journalistinnen darin, sowohl positive als auch negative Meinungen wiederzugeben. Seiner Meinung nach sind journalistische Medien auch deshalb relevant, weil sie Ansichten nicht nur verstärken, sondern auch verändern können [7]. Die Beziehung zwischen Medienkonsum und alltäglicher Handlungspraxis beschreibt auch Mikos [8]. Methodisches Vorgehen und Auswahl der Medien Über den Zeitraum des Jahres 2018 wurden alle Presseartikel der beiden meistzitierten deutschen Qualitätsmedien („Der Spiegel“ und „Süddeutsche Zeitung“) sowie der ihrer Nachrichten-Websites untersucht. Alle Aussagen zum Thema Elektrofahrrad wurden berücksichtigt. Zusätzlich wurden eine lokale Tageszeitung („General-Anzeiger Bonn“) sowie die Mitgliederzeitschrift des Allgemeinen Deutschen Automobil-Clubs („ADAC Motorwelt“), die auflagenreichste Zeitschrift Deutschlands, in die Untersuchung aufgenommen. Dies erlaubte einen intermedialen Vergleich der Berichterstattung. Um alle Aussagen zum Thema in den genutzten Presse-Archiven zu finden, wurden in der Suchstrategie alle Elektrofahrradmodelle und Begriffe berücksichtigt. So zeigte sich in der Berichterstattung, dass beispielsweise Elektro-Mountainbikes, Elektro-Tourenräder und Tandems, Cruiser, Falträder sowie elektrisch unterstützte Lastenräder (Bild 2) aufgegriffen werden, wenn auch nicht so oft wie das klassische Pedelec. Allein das Mountainbike wurde 49 Mal als Akzeptanz-Objekt gezählt. Das Velomobil hingegen, das eine hocheffiziente Form des Elektrofahrrads repräsentiert (Bild 3), wird nur einmal in der gesamten Untersuchung als Akzeptanz-Objekt erfasst. In einem Spiegel-Online Interview vom 28. Juli 2018 äußert sich eine Sportlerin positiv zur Alltagstauglichkeit und Zukunft von Elektro-Velomobilen: „SPIEGEL ONLINE: Ist das Velomobil im Alltag eine echte Alternative zum Auto? Walde: Definitiv. Ich wohne auf dem Land, hier kann man auch nicht zu Fuß zur S-Bahn gehen. Ich habe zwar ein Auto, damit ich mein Fagott im Winter transportieren kann, aber eigentlich steht das nur rum. Viele Velomobilfahrer verzichten sogar ganz aufs Auto und erledigen alles damit, auch im Winter. Und es gibt ja auch Velomobile mit Pedelec-Antrieb, das ist im Alltag für viele vielleicht eine noch bessere Lösung. Tolle Serienexemplare kriegt man für rund 8000 Euro. Wer sich dafür interessiert, sollte es einfach einmal ausprobieren.“ Basierend auf dem in Bild 1 vorgestellten Modell wurden zu erfassende Kategorien für die inhaltsanalytische Untersuchung abgeleitet. In der eigentlichen Analyse (bestehend aus Planungs-, Entwicklungs-, Test- und Auswertungsphase) ging es darum, in den ermittelten Pressetexten nach Ausprägungen der Untersuchungskategorien zu suchen, diese gemäß der induktiven Kategorienbildung [2] zu einem Kategoriensystem zusammenzuführen und nach dessen Fertigstellung das gesamte Untersuchungsmaterial zu codieren. Ergebnisse Insgesamt 444 für die Inhaltsanalyse relevante Artikel sind im Zeitraum 2018 in den oben genannten Medien veröffentlicht worden. Aus den 444 Artikeln wurden 1183 Textstellen ermittelt und nach quantitativen und qualitativen Gesichtspunkten analysiert. Bild 4 zeigt die Anzahl der relevanten Artikel zum Thema aufgeschlüsselt nach Zeit und Medium. Bild 4 verdeutlicht, dass das Thema „Elektrofahrrad“ überwiegend in der loka- Bild 2: In der Berichterstattung finden sich neben der klassischen Pedelec-Form zunehmend auch Sondermodelle wie Elektrolastenräder und Mountainbikes. (Quelle: Aysegül Yasari) Bild 3: Elektro-Velomobile, stromlinienförmig verkleidete Liegeräder mit elektrischer Unterstützung, werden nur einmal in der Berichterstattung des Jahres 2018 erfasst. (Quelle: Aysegül Yasari) Bild 4: Anzahl der Artikel zum Thema „Elektrofahrrad“, aufgeschlüsselt nach Medium und Monat (Quelle: Eigene Darstellung) Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 50 MOBILITÄT Technikakzeptanz len Berichterstattung aufgegriffen wurde und eine geringere Bedeutung für die überregionale Presse hatte. So konnten in 52 Ausgaben des Spiegel-Magazins nur neun für die Untersuchung relevante Texte erfasst werden, was einen Durchschnittswert von 0,17 Artikeln pro Ausgabe ausmacht. Ähnlich selten greift die „Süddeutsche Zeitung“ mit 312 Ausgaben im Jahr 2018 das Thema auf. Hier konnten im Schnitt 0,3 Artikel pro Ausgabe ermittelt werden. Die lokale Tageszeitung „General-Anzeiger Bonn“ hingegen liegt mit einem Wert von 0,82 Artikeln pro Ausgabe deutlich über den zuvor genannten überregionalen Medien. Während die Berichterstattung in den lokalen Medien ihre Höchstwerte in den Monaten März bis August verzeichnen konnte, liegen sie bei den überregionalen eher in der zweiten Jahreshälfte. Zu betonen ist die hohe Abweichung beim Artikelumfang von nur sehr kurzen Nachrichten bis zu sehr langen Reportagen mit maximal 73.121 Zeichen. Da nicht immer das Elektrofahrrad Hauptthema des Artikels war, variierte die Zahl der relevanten Textstellen stark und unabhängig von der Länge. Nur 20 % der Artikel befassten sich ausschließlich mit dem Untersuchungsobjekt. Betrachtet man alle Aussagen im Untersuchungsmaterial hinsichtlich ihrer Akzeptanz-Bewertung, so lässt sich feststellen, dass das Thema grundsätzlich positiv belegt ist. 45 % der Aussagen, Einstellungen und gezeigten Handlungen aller Akteure und Akteursgruppen lassen sich als positiv, nur 10 % als negativ bewerten (Bild 5). Grundvoraussetzung für die Kategorisierung in positiv, neutral, negativ oder ambivalent ist die klare Zuordnung eines Subjekts als Urheber der Einstellung oder Handlung. Nicht anwendbar in der Kategorie Akzeptanz-Bewertung waren Informationen und Zahlen zu Unfallgeschehen, die kein Subjekt enthielten. Gegenstand negativer Bewertungen sind beispielsweise das illegale Tuning, also die Manipulation von Pedelecs, die entgegen der Zulassungsverordnung schneller als 25 Stundenkilometer fahren können, die hohen Preise für die Fahrzeuge oder auch E-Mountainbikes, deren Fahrer in Konflikt mit Wanderern und Umweltschützern kommen. Als ambivalent gelten die Aussagen von Akteuren, die positive und negative Aspekte abwägen. So heißt es beispielsweise in der Ausgabe des General-Anzeigers vom 20. Dezember 2018: „In der Automatisierung sehen die Experten ein großes Sparpotenzial. Allerdings müssten die höheren Anschaffungskosten der Räder gegengerechnet werden. Dafür wären weitere Anwendungsmöglichkeiten denkbar: `Zum Beispiel, dass das Rad für einen autonomen Pizzaservice genutzt wird´, sagt Schmidt.“ Zitiert wird hier ein Experte aus dem Bereich der Hochschulforschung, der im Kontext der Finanzierung eine ambivalente Einstellung wiedergibt. Insgesamt wurden sechs Hauptgruppen als Akteure im Zusammenhang mit dem Untersuchungsobjekt erfasst (Bild 6). Die Akzeptanzkonstellationen der Akteursgruppen Politik und Wirtschaft sind in jeweils mehr als drei Viertel aller Fälle positiv. Insgesamt werden die häufigsten Aussagen und Akzeptanzbewertungen bei den Wirtschaftsvertretern gezählt, die vom Aufwärtstrend der E-Bikes profitieren (Bild 7). Mit 79 % äußernd sich diese, bestehend aus Vertretern der Händler, Hersteller, Produzenten sowie Verkehrsbetriebe, überwiegend positiv. So werden die Antriebe namhafter Hersteller gelobt oder auch neue Entwicklungen wie ABS für Elektrofahrräder. Unternehmen, die ihren Mitarbeitern E-Bikes zur Verfügung stellen, werden in der Berichterstattung aufgegriffen, u. a. auch ein großer deutscher Autohersteller. Nur 6 % der Akzeptanzbewertungen innerhalb der Wirtschaftsgruppe sind negativ. Kritisiert werden u. a. das hohe Gewicht von Elektro-Antrieben oder auch erschwerte und lange Lieferzeiten für Akkus bei gefüllten Auftragsbüchern. Eine emotionale Negativ-Bewertung kritisiert sogar die Ästhetik konventioneller E-Bikes. Vertreter der Abfallwirtschaft beklagen die Kosten der Entsorgung von Akkus. Die Gruppe der Anwender ist fast ebenso stark in der Berichterstattung vertreten wie die Wirtschaft. Lagen die Negativ-Bewertungen der Wirtschaft nur bei sechs Prozent, konnten bei den Anwendern zwölf Prozent ausgemacht werden. Die Anwendergruppe besteht aus Pedelec-Nutzern, Kaufinteressenten sowie Sportlern. 70 % zeigen positive Handlungen und Einstellungen, insbesondere in den Kontexten der Alltagspraxis, des Sportes und des Tourismus. Im Rahmen der Alltagspraxis wird das E- Bike als Alternative zum Auto für den Weg zur Arbeit erwähnt sowie seine guten Eigenschaften für die Gesundheit und Umwelt. Immer wieder werden auch neue Einsatzmöglichkeiten und Zielgruppen benannt wie beispielsweise „moderne japanische Mütter“, die mit dem E-Bike ihre Kinder transportieren (Süddeutsche Zeitung vom 01. September 2018). Negative Aussagen der Anwender finden sich beispielsweise im Kontext einer schlechten Fahrradinfrastruktur oder der Finanzierung von E-Bikes, die in der Regel mit höheren Anschaffungskosten einhergehen: 1. „Allerdings kann der Nutzen eines Elektrofahrrads durch die vorhandene Infrastruktur geschmälert werden. Pedelec-Fahrer wollen im Alltag zügig von A nach B kommen, etwa auf Bild 5: Prozentuale Verteilung aller ermittelten Aussagen hinsichtlich ihrer Akzeptanzbewertungen (Quelle: Eigene Darstellung) Bild 6: Unterteilung der ermittelten Subjekte in sechs Hauptgruppen. (Quelle: Eigene Darstellung; Symbole: icons8.com) Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 51 Technikakzeptanz MOBILITÄT dem Weg zur Arbeit. Wo das Radwegenetz in schlechtem Zustand ist, wo man ausgebremst wird oder erst über Umwege ans Ziel gelangt, stellt sich schnell Frust ein.“ (Anwender zitiert im General-Anzeiger vom 12. März 2018) 2. „Trotz des positiven Fazits denkt er zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht an eine Anschaffung, denn momentan ist ihm ein E-Bike noch zu teuer.“ (Anwender in der Ausgabe des General- Anzeigers vom 02. Juni 2018) Thema ist auch immer wieder die Technik oder die Eignung für ältere Fahrer. Häufig werden auch emotionale Bewertungen von Anwendern gefunden. So wird zum Beispiel an einer Stelle den E-Mountainbike- Fahrern ihre Sportlichkeit aufgrund der Unterstützung durch den Motor abgesprochen. Ein Profisportler hingegen sieht den Zulauf bei E-Bikes als Chance dafür, dass bald dringend benötigte Radschnellwege gebaut würden. Interessanterweise lässt sich die geringste Zahl der analysierten Textstellen den Vertretern von Forschung und Wissenschaft zuordnen (Bild 7). Hier ist das Verhältnis zwischen positiven, negativen und neutralen Aussagen relativ ausgeglichen. In dieser Gruppe kamen Unfallforscher, Experten von Hochschulen und Forschungsinstituten zu Wort. Das differenzierte Bild dieser Akteurs-Gruppe lässt sich vorrangig auf die Kontexte zurückführen, in denen sie sich äußeren. Während mit dem Elektrofahrrad verbundene Entwicklungen und Forschungsfragen noch überwiegend positiv beurteilt werden, teilweise als eigenständige Akteurshandlungen, treten in den Kontexten zur Anwendung, zur Technik und zu Unfällen verhältnismäßig viele negative Bewertungen auf. Hier wird erkennbar, welches kritische Potenzial auch mit Elektrofahrrädern verbunden sein kann und wie diese Akteure das E-Bike diesbezüglich einschätzen, z. B. bezogen auf potenzielle negative Folgen (E-Bike-Tuning, Akku-Produktion, Unfallursachen). So äußert sich ein Unfallforscher in der Ausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 19. April 2018 wie folgt: „Sie [Senioren] haben durch Pedelecs plötzlich die Möglichkeit, wieder mobil zu sein, obwohl sie auf einem normalen Fahrrad möglicherweise gar nicht hätten fahren können, weil sie dafür nicht fit genug sind. Viele Senioren sind der Geschwindigkeit aber nicht mehr gewachsen.“ Ein Forscher hingegen betont in einem Spiegel Online Artikel vom 15. Oktober 2018 die Chancen und Möglichkeiten des E-Bikes für die Entwicklung städtischer Mobilität: „Die Vision des Projekts ist klar: Mobilität in der Stadt soll nicht nur praktischer, umweltfreundlicher, sondern auch effizienter werden. Dabei geht es vor allem um Stadtrandlagen. Während man innerstädtisch mit Bussen und Bahnen meist gut unterwegs sein könne, sei der Weg ab der Endhaltestelle bis nach Hause oft das Problem. Ist er zu lang oder umständlich, setzt man sich doch wieder ins Auto. Mit dem autonomen E-Bike als Bindeglied ist der eigene Wagen womöglich gar nicht mehr nötig.“ Zudem treten in dieser Gruppe mit knapp einem Drittel vergleichsweise viele neutrale Akzeptanz-Bewertungen auf, was sich u. a. durch das Rollenverständnis der Akteure erklärt. So finden sich bei ihnen relativ viele informierende Aussagen, die zum Thema Elektrofahrrad getroffen werden. Die Gruppe der Journalisten und Medienvertreter wurde nur dann eine Akzeptanzbewertung zugeordnet, wenn sie tatsächlich selber als handelnde oder meinungsäußernde Personen in Erscheinung traten. Dies geschah überwiegend im Kontext von Test- und Anwendungsberichterstattung, in der sie selber ein Fahrrad und dessen Eignung beurteilen. Auch hier gab es mit 55 % überwiegend positive Bewertungen. Politiker äußern sich neben den erwartungsgemäßen politischen Themenfeldern vornehmlich zur Infrastruktur und zur Finanzierung. Besonders auffällig ist, dass die Akzeptanz-Bewertungen im Kontext Umwelt-/ Klimaschutz ausschließlich positiv ausfallen. Hier wird erkennbar, dass die Politik dem Fortbewegungsmittel durch verschiedene Fördermaßnahmen und durch das Schaffen von Mobilitätsangeboten eine wesentliche Rolle beimisst. Während in Bezug zur allgemeinen Anwendung des E-Bikes und zur Infrastruktur noch vorherrschend positive Bewertungen auftauchen, ergeben sich im Kontext „Freizeit/ Sport/ Tourismus/ Urlaub“ mehrheitlich negative Bewertungen durch Verbände. Vor dem Hintergrund des Freizeit- und Tourismusangebots sorgen Elektro- Bild 7: Prozentuale Verteilung der ermittelten Aussagen nach Subjekten und jeweiliger Akzeptanz-Bewertung (Quelle: Eigene Darstellung; Symbole: icons8.com) Internationales Verkehrswesen (72) 4 | 2020 52 MOBILITÄT Technikakzeptanz fahrräder für durchaus tiefgreifende Veränderungen, die zu Interessenkonflikten führen. Fazit Aufgrund der mehrheitlich positiven Akzeptanz-Bewertungen insbesondere in den Gruppen Anwendung, Politik und Wirtschaft scheint das Thema Elektrofahrrad in der journalistischen Berichterstattung zunächst wenig Konfliktpotenzial zu bieten. Demgegenüber stehen, zumindest teilweise, Experten und Verbandsvertreter. Ihrerseits werden in bestimmten Kontexten verhältnismäßig oft negative Folgen abgeschätzt, die sich z. B. in der alltäglichen Anwendung, in technischen Fragestellungen und in Unfallursachen äußern. Dies bietet bei genauerer Betrachtung ein differenzierteres Bild und macht den Blick auf die kritischen Aussagen lohnend. Daraus lassen sich Hindernisse für die Durchsetzung und Nutzung von E-Bikes identifizieren. In der lokalen Tagespresse wird das Thema signifikant öfter aufgegriffen als in überregionalen Medien. Die Ursachen dafür lassen sich mit den Mitteln dieser Untersuchung nicht eindeutig identifizieren, zeigen aber, dass Kommunikationsmaßnahmen verstärkt werden müssen, möchte man das Elektrofahrrad als gute, zukunftsfähige und nachhaltige Alternative für die Individualmobilität fördern. Die mehrheitlich positiven Aussagen von Seiten der Politik zeigen, dass die Potenziale des E-Bikes für die Verkehrssituation erkannt und gefördert werden. Die Methode der Medienanalyse und das Theoriemodell zur Erfassung von Akzeptanzkonstellationen haben sich bewährt und lassen sich reproduzierbar anwenden. Sie können zukünftig auf andere Technologien, Verfahren und Werkstoffe übertragen werden. Die Kategorien müssen auf die spezifischen Eigenschaften der Objekte angepasst werden, denn jeder Technologiebereich verfügt über andere Akteure, eine eigene Terminologie und Akzeptanzkontexte. ■ LITERATUR [1] BMVI (2019): Verkehr in Zahlen 2019/ 2020. Unter Mitarbeit von Sabine Radke. Hrsg. v. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. Flensburg [2] Mayring, P. (2015): Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. 12., überarb. Aufl. Weinheim, u. a.: Beltz. Online verfügbar unter http: / / digita l e-o bj e kte. hb z-nrw.d e/ stora g e 2/ 2 0 1 5/ 03/ 1 4/ file_42/ 6054981.pdf [3] Seuser, K.; Müller, R.; Koch, W. (2016): Pilotstudie: Biokunststoffe im Spiegel der Medien. Medienanalyse zur Akzeptanz von Kunststoffen aus nachwachsenden Rohstoffen. Hochschule Bonn-Rhein-Sieg; Insutitut für Technik, Ressourcenschonung und Energieeffizienz (TREE), Sankt Augustin [4] Schweizer-Ries, P. (Hrsg.) (2013): Klimaschutz & Energienachhaltigkeit. Die Energiewende als sozialwissenschaftliche Herausforderung. Saarbrücken: Universaar [5] Schäfer, M.; Keppler, D. (2013): Modelle der technikorientierten Akzeptanzforschung. Überblick und Reflexion am Beispiel eines Forschungsprojekts zur Implementierung innovativer technischer Energieeffizienz-Maßnahmen. Zentrum Technik und Gesellschaft. Berlin. Online verfügbar unter https: / / www.tu-berlin.de/ fileadmin/ f27/ PDFs/ Discussion_Papers/ Akzeptanzpaper__end.pdf (zuletzt geprüft am 05.12.2019) [6] Lucke, D. (1995): Akzeptanz. Legitimität in der „Abstimmungsgesellschaft“. Opladen: Leske + Budrich [7] Kepplinger, H. M. (2009): Wirkung der Massenmedien. In: Elisabeth Noelle-Neumann (Hg.): Fischer-Lexikon Publizistik Massenkommunikation. Aktualisierte, vollst. überarb. und erg. Aufl. Frankfurt am Main: Fischer, S. 651-702 [8] Mikos, L. (2005): Alltag und Mediatisierung. In: Lothar Mikos und Claudia Wegener (Hg.): Qualitative Medienforschung. Ein Handbuch. 1. Aufl. Konstanz: UVK Verl.-Ges (UTB Medien- und Kommunikationswissenschaft, Pädagogik, Psychologie, Soziologie, 8314), S. 80-94 Aysegül Yasari, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Fachbereich Elektrotechnik, Maschinenbau und Technikjournalismus (EMT), Hochschule Bonn-Rhein- Sieg, Sankt Augustin ayseguel.yasari@h-brs.de Andreas Viehof, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fachbereich Elektrotechnik, Maschinenbau und Technikjournalismus (EMT), Hochschule Bonn-Rhein- Sieg, Sankt Augustin andreas.viehof@h-brs.de Katharina Seuser, Prof. Dr. Professorin für Journalistik und Medienproduktion, Forschungsgebiet Akzeptanzforschung und Medienanalyse, Fachbereich Elektrotechnik, Maschinenbau und Technikjournalismus (EMT), Hochschule Bonn-Rhein- Sieg, Sankt Augustin katharina.seuser@h-brs.de WISSEN WAS MORGEN BEWEGT Schiene, Straße, Luft und Wasser, globale Verbindungen und urbane Mobilität: Viermal im Jahr bringt Internationales Verkehrswesen fundierte Experten- Beiträge zu Hintergründen, Entwicklungen und Perspektiven der gesamten Verkehrsbranche - verkehrsträgerübergreifend und zukunftsorientiert. Ergänzt werden die deutschen Ausgaben durch die englischsprachige Themen-Ausgabe International Transportation. Mehr dazu unter www.internationales-verkehrswesen.de Internationales Verkehrswesen gehört seit 1949 zu den führenden europäischen Verkehrsfachzeitschriften. Der wissenschaftliche Herausgeberkreis und ein Beirat aus Professoren, Vorständen, Geschäftsführern und Managern der ganzen Verkehrsbranche verankern das Magazin gleichermaßen in Wissenschaft und Praxis. Das technisch-wissenschaftliche Fachmagazin ist zudem Wissens-Partner des VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld. INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN - DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN »Internationales Verkehrswesen« und »International Transportation« erscheinen bei der Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, www.trialog-publishers.de IV_Image_halb_quer.indd 1 04.04.2018 12: 03: 35