Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2021-0004
21
2021
731
Corona und Luftfahrt - Anlass oder Ursache der Konsolidierungsphase
21
2021
Volker Gollnick
Christian Weder
Die Corona-Pandemie hat insbesondere auf die Luftfahrt gravierende Auswirkungen auf die Luftfahrtindustrie. Während die massiven aktuellen Rückgänge offensichtlich sind, versucht diese Arbeit, durch eine kausale Analyse vergangener Ereignisse und der aktuellen Situation mögliche Ursachen und mittelfristige Entwicklungen begründet aufzuzeigen. Hierzu werden beispielhafte Flottenentwicklungen aufgezeit und ihre Rückwirkungen auf notwendige Produktionszahlen sowie Luftverkehrsentwicklungen beschrieben. Im Ergebnis zeigt sich, dass die Ursachen für die Konsolidierung eher in vorangegangenen Überhitzungen des Herstellermarktes zu suchen sind als in den Auswirkungen der Pandemie.
iv7310014
Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 16 POLITIK Wissenschaft Airbus und Boeing hatten sogar weitere Steigerungen auf monatlich 70 Kurz-/ Mittelstreckenflugzeuge für die nächsten Jahre angekündigt. Durch die Covid-19-Pandemie ausgelöst, aber auch begründet durch die erkennbare Überhitzung, kündigte Airbus im Juni 2020 eine Kürzung der A320-Produktionsrate auf 40 Exemplare und für die A350-Familie ein Rückgang von sechs auf fünf Exemplare monatlich an. Die hohen Produktionsraten bei Airbus und Boeing in den letzten Jahren resultierten aus der Notwendigkeit, in beiden Unternehmen einen ausreichenden Cashflow zu generieren, um die milliardenschweren Verbindlichkeiten aus den großen Entwicklungsprogrammen A380, A350, A400M bzw. B787, B737MAX usw. sowie den damit verbundenen Personalbestand zu finanzieren, der in diesem Ausmaß schon länger nicht mehr benötigt wurde. Insofern sind deutliche Hinweise auf eine signifikante Überhitzung im Herstellermarkt, verbunden mit psychologisch getriebenen, immer neuen Lieferrekorden bereits vor der Corona-Pandemie gegeben. Einsparprogramme der Luftfahrtindustrie Seit Beginn der 90er Jahre haben umfangreiche Einsparungsprogramme immer wieder die europäische Luftfahrt belastet. Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks und der deutschen Wiedervereinigung 1988 bis 1990 veränderte sich grundlegend die sicherheitspolitische Lage in der Welt. Während zu diesem Zeitpunkt die zivile Luftfahrtindustrie mit nur geringen Produktionsstückzahlen operierte, dominierte die Militärluftfahrtindustrie mit den Großprogrammen Tornado, Eurofighter, Tiger und NH90. Als Konsequenz wurden die Stückzahlen für alle Muster reduziert. Auswirkungen dieser Entwicklung sowie Wechselkursungleichgewichte zwischen D-Mark und Dollar führten 1995 zu dem Einsparprogramm „Dolores“ (Dollar Low Rescue) der damaligen Dasa. In diesem Zuge wurden rund 40 % der 95.000 Arbeitsplätze in der Luftfahrtindustrie in Deutschland abgebaut (Bild-5)-[8]. Diese Entwicklung ist vergleichbar mit der aktuellen Situation. Abhängig von dem Verlauf der Erholung im zivilen Luftfahrtmarkt ist eine mäßige Erholung nach der Covid-19-Pandemie in den nächsten fünf Jahren möglich. Teile des Einbruchs im Herstellermarkt können durch das erstarkende Militärprogramm FCAS (Future Combat Air System) kompensiert werden. Jüngere Einsparprogramme wie POWER8 bei Airbus hingegen resultierten aus internen Cashflow-Problemen und liefern dagegen wenig vergleichbare Wirkmechanismen. Auswirkungsanalyse auf eine Flottenentwicklung Mit Blick auf mögliche den Flugzeugabsatz stimulierende Maßnahmen wird im Weiteren untersucht, wie sich die Produktivität der Airlines in den nächsten Jahren entwickeln kann. Dazu wurden öffentlich kommunizierte Aussagen hinsichtlich möglicher künftiger Flottenzusammensetzungen analysiert. Die Flotte der untersuchten Airline bestand Ende 2019 aus rund 700 Passagierflugzeugen mit einem Durchschnittsalter von knapp zwölf Jahren. Davon sind rund 540 dem Kurzstreckenbetriebssegment und ca. 160 dem Langstreckensegment zuzuordnen, mit insgesamt rund 135.000 Sitzplätzen (Kurzstrecke 83.000, Langstrecke 52.000). Zu Beginn der Krise wurde von diesen Flugzeugen die Ausmusterung von 6mal A380-800, 7mal A340-600, 3mal A340- 300, 5mal B747-400 sowie 21mal A320-200 verkündet [9, 10, 11]. Nach Aussage der Airline vom Juli 2020 sollen Ende 2021 noch rund 300 der rund 700 Passagierflugzeuge am Boden stehen. In 2022 werden noch 200 Flugzeuge nicht im Betrieb sein, und ab 2023 wird die Flotte mit rund 150 Flugzeugen weniger als 2019 ihre neue Zielgröße erreichen [11]. Im Zuge dieser Reduzierung werden bis Mitte des Jahrzehnts alle älteren und insbesondere 4-strahligen Jets ausgemustert. Gleichzeitig werden neue, modernere Maschinen neu eingeflottet (Tabelle 1) [11]. Für eine Einschätzung der weiteren Entwicklung ist wichtig zu berücksichtigen, dass das Produkt „Flugreise“ anders als ein Flugzeug erst bei seiner Nutzung entsteht. Daraus folgt, dass Sitzplatzkapazitätsreserven, durch nicht genutzte, am Boden stehende Flugzeuge erhebliche Kosten produzieren. Daher ist es vital, die verfügbaren Sitzplatzkapazitäten eng an den aktuellen und absehbaren Bedarf zu koppeln. Aufgrund der unklaren Luftverkehrsentwicklung wurden drei unterschiedliche Flottenszenarien bis 2025 entwickelt: Bild 4: Entwicklung und Perspektive der Produktionsraten der Kurzstreckenflugzeuge seit 2018 Bild 5: Beschäftigungsentwicklung in der deutschen Luftfahrtindustrie 1979 bis 2014 nach [8]
