eJournals Internationales Verkehrswesen 73/1

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2021-0008
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Anteil der KEP-Dienstleister am Stadtverkehr

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Andreas Gilbert
Petra K.  Schäfer
Durch das steigende Sendungsvolumen im Bereich E-Commerce rückt der Lieferverkehr, speziell die Kurier-, Express- und Paket (KEP)-Branche, oft in den Fokus der kommunalen Verkehrsplanung. Die auffälligen Lieferfahrzeuge werden mit dem Wirtschaftsverkehr und den damit einhergehenden Problemen im Stadtverkehr assoziiert. Eine wichtige Fragestellung für Entscheidungsträger ist der tatsächliche Anteil der KEP-Dienstleister am Wirtschafts- und Gesamtverkehr. Hierzu wurden bestehende Studien und Kennzahlen analysiert und mit eigenen Erhebungen der Frankfurt University of Applied Sciences validiert.
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Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 32 LOGISTIK Wissenschaft Anteil der KEP-Dienstleister am Stadtverkehr Empirische Forschung zum Wirtschaftsverkehr und Erkenntnisse aus dem Projekt „Zukunft.de“ Wirtschaftsverkehr, KEP-Dienstleister, Verkehrszählung Durch das steigende Sendungsvolumen im Bereich E-Commerce rückt der Lieferverkehr, speziell die Kurier-, Express- und Paket (KEP)-Branche, oft in den Fokus der kommunalen Verkehrsplanung. Die auffälligen Lieferfahrzeuge werden mit dem Wirtschaftsverkehr und den damit einhergehenden Problemen im Stadtverkehr assoziiert. Eine wichtige Fragestellung für Entscheidungsträger ist der tatsächliche Anteil der KEP-Dienstleister am Wirtschafts- und Gesamtverkehr. Hierzu wurden bestehende Studien und Kennzahlen analysiert und mit eigenen Erhebungen der Frankfurt University of Applied Sciences validiert. Andreas Gilbert, Petra K. Schäfer I m Hinblick auf den Klimawandel, die Einhaltung der Luftemissionswerte, den zunehmenden Kampf um Flächenressourcen und den Anspruch an höhere Lebensqualität im urbanen Raum rückt bei der kommunalen Verkehrsplanung das Thema Wirtschaftsverkehr immer öfter in den Fokus. „Globalisierung, europäische Integration und neue Wertschöpfungsketten haben in den letzten Dekaden zu einem rasanten Anstieg des Wirtschaftsverkehrs geführt“ [1]. Angetrieben durch den zunehmenden E-Commerce, nimmt vor allem das Sendevolumen der Kurier-, Express- und Paketdienstleister (KEP-Dienstleister) zu [2]. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastrukur (BMVI) gibt zudem an, dass ein Drittel aller Fahrzeugfahrten auf den Wirtschaftsverkehr entfallen und beruft sich dabei auf die Mobilitätsstudie „Kraftfahrzeugverkehr in Deutschland 2010 (KiD 2010)“ [3]. Als Wirtschaftsverkehr werden Verkehre mit geschäftlichen, gemeinwirtschaftlichen oder dienstlichen Zwecken definiert [4]. Bild 1 verdeutlicht, wie sich der Wirtschaftsverkehr vom öffentlichen und privaten Verkehr abgrenzt. Durch die mit Markennamen versehenen, oft auffälligen Transporter der KEP-Dienstleister werden diese meist mit Parken in der zweiten Reihe und anderen Verkehrsbehinderungen in Assoziation mit dem Wirtschaftsverkehr in Verbindung gebracht. Dabei stellt sich die zentrale Frage, welchen Anteil die KEP-Dienstleister tatsächlich am Wirtschaftsverkehr ausmachen. Um verkehrsplanerische Maßnahmen zur Verbesserung des Verkehrsflusses, der Verkehrssicherheit und zur Verringerung von Umweltbelastungen ergreifen zu können, muss auch insgesamt die Zusammensetzung des Wirtschaftsverkehrs genauer betrachtet werden. Dabei ist auch der Anteil am Gesamtverkehr eine entscheidende Kenngröße, um Wirkungen von möglichen Maßnahmen zur Reduzierung von Emissionen zu quantifizieren. Es gibt bereits verschiedene Studien, welche sich mit dieser Thematik auseinandergesetzt haben und Anteile benennen können, die hier einfließen. Aufgrund unterschiedlicher Erhebungsmethoden und Untersuchungsräume unterscheiden sich die Ergebnisse. Um vorhandene Erkenntnisse zum KEP-Verkehr zu validieren, wurden eigene Erhebungen im Rahmen des Forschungsprojekts „Zustellverkehre kundenfreundlich, nachhaltig, flexibel und transparent. Durch Emissionsfreiheit (Zukunft.de)“ von der Frankfurt University of Applied Sciences durchgeführt. Es handelt sich dabei um ein vom BMVI gefördertes Modellprojekt, bei dem mehrere hundert E-Fahrzeuge im Realbetrieb von KEP-Unternehmen getestet wurden. Im folgenden Text werden die Ergebnisse aus der Verkehrszählung beschrieben. Wirtschaftsverkehr Öffentlicher Verkehr Privatverkehr Nutz- oder Geschäftsverkehr Güterwirtschaftsverkehr Dienstleistungsverkehr mit Waren Reiner Gütertransport mit: - Lieferwagen - Lastwagen - Sattelschlepper - Bahn - Kombiverkehr Mischform aus Personen- und Güterwirtschaftsverkehr (z.B. Handwerker) meist in: - PKW - Lieferwagen Reiner Personentransport zur Ausübung des Berufs (ohne Pendler) meist in: - PKW, Velo - Bahn, Bus Gesamtverkehr Bild 1: Einordnung des Wirtschaftsverkehrs gegenüber dem öffentlichen und dem privaten Verkehr [4] Internationales Verkehrswesen (73) 1 | 2021 33 Wissenschaft LOGISTIK Analyse bestehender Studien zum Wirtschaftsverkehr In der Vergangenheit wurden bereits verschiedene Datengrundlagen durch empirische Erhebungen geschaffen. Bei der Betrachtung bestehender Literatur zum KEP-Anteil lassen sich Unterschiede in den Ergebnissen feststellen. Tabelle 1 stellt die verschiedenen Ergebnisse gegenüber. Der Anteil am Wirtschaftsverkehr wird von 5,9 % bis 19,7 % angegeben, der Anteil am Gesamtverkehr zwischen 0,8 % bis 6,0 %. Nachfolgend werden die unterschiedlichen Studien genauer beleuchtet. Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) geht in einem Faktenpapier aus 2006 auf den Güterverkehr in der Stadt ein. Demnach „[…] erreicht der Wirtschaftsverkehr in großen Städten einen Anteil von 25 bis 30 Prozent am werktäglichen KFZ-Verkehrsaufkommen, wobei der Güterverkehr daran mit rund einem Drittel beteiligt ist.“ Der Anteil des KEP-Verkehrs am Güterverkehr wird mit 35 % benannt. Somit ergibt sich ein Anteil der KEP-Dienstleister am Gesamtverkehr von 3,0 bis 3,5 % und ein Anteil am Wirtschaftsverkehr von 11,7 %. [5] Auf welche Datengrundlage oder Erhebungen sich die Zahlen stützen, ist aus dem Faktenpapier nicht zu entnehmen. Der Bundesverband Paket & Express Logistik (BIEK) weist den Anteil der KEP-Verkehre in Städten mit 6 % aus und bezieht sich dabei auf Studien der PriceWaterhouseCooper GmbH und der Hamburg School of Business Administration von 2017 [2]. Eine genaue Datenquelle bzw. wie dieser Wert ermittelt wurde, ist aus der Literatur nicht nachvollziehbar. Das Lehr- und Forschungsgebiet für Güterverkehr und Transportlogistik der Bergischen Universität Wuppertal gibt, auf Grundlage eigener Erhebungen von Ein- und Ausfahrten von Nutzfahrzeugen in die Düsseldorf Innenstadt (2018), einen Anteil von ca. 7 % am Wirtschaftsverkehr an. [6] Die Wirtschaftsuniversität Wien (WU Wien) veröffentlichte 2019 eine Studie zur Citylogistik in Wien und zu dem Einfluss von Paketdienstleistern auf den Gesamtverkehr. Bei den hier durchgeführten Betrachtungen von Lieferwagen wurden bestehende Zähldaten mit eigenen Erhebungen zum fließenden und ruhenden Verkehr kombiniert. Als Ergebnis machen hier die KEP- Dienstleister lediglich einen Anteil von 0,8 % am Gesamtverkehr aus. Insgesamt konnte bei der Studie ein Lieferwagen-Anteil am gesamten Verkehrsaufkommen von 13,5 % festgestellt werden. Der KEP-Anteil macht somit am Wirtschaftsverkehr 5,9 % aus. [7] Ein deutlich höherer Anteil am Wirtschaftsverkehr konnte von der Hochschule Darmstadt University of Applied Sciences (Darmstadt UAS) im Rahmen einer Studienarbeit festgestellt werden. Bei den Erhebungen des ruhenden Verkehrs wurde die Methodik der Frankfurt UAS aus dem Projekt „Frankfurter Wirtschaftsverkehr - Optimierung des Wirtschaftsverkehrs in der Frankfurter Innenstadt“ (2015) übernommen. In zwei innenstadtnahen Straßenzügen wurde ein KEP-Anteil am Wirtschaftsverkehr von 13,2 % und 18,9 % ermittelt. [8] Empirische Forschung der Frankfurt UAS Bereits seit 2015 wird an der Frankfurt UAS zum Thema Wirtschaftsverkehr geforscht. Durch die Gründung des ReLUT - Research Lab for Urban Transport wird diese Thematik noch mehr fokussiert. Es kann auf die Datengrundlage von mittlerweile vier Forschungsprojekten zurückgegriffen werden, bei denen eigene Erhebungen zum Wirtschaftsverkehr, mit Fokus auf dem KEP-Verkehr, durchgeführt wurden. Tabelle 2 stellt die gesammelten Ergebnisse der Frankfurt UAS dar. Im Rahmen des Forschungsprojekts „Frankfurter Wirtschaftsverkehr - Optimierung des Wirtschaftsverkehrs in der Frankfurter Innenstadt (WV1)“ wurden im Jahr 2015 insgesamt 877 Halte- und Parkvorgänge, in einem definierten Bereich, erfasst und nach der Art des Wirtschaftsverkehr geclustert. Dabei konnte festgestellt werden, dass 10 % dieser Vorgänge auf die KEP-Dienstleister zurückfallen. [9] Bei der Erhebung des ruhenden Verkehrs wurde ausschließlich der Wirtschaftsverkehr aufgenommen, sodass hier keine Aussage über den Anteil am Gesamtverkehr getroffen werden konnte. Mit der gleichen Erhebungsmethodik fand im Mai 2019 eine Zählung der Halte- und Parkvorgänge in Seligenstadt, einem hessischen Mittelzentrum, statt. Dabei wurden insgesamt 153 Vorgänge des Wirtschaftsverkehrs dokumentiert. KEP-Dienstleister machten hier 25-% des Wirtschaftsverkehrs aus. [10] Im Projekt „Analyse des Wirtschaftsverkehrs in der Innenstadt der Landeshauptstadt Wiesbaden (WVW) wurden 2019 insgesamt 2.780 Halte- und Parkvorgänge erfasst. Dabei wurde auch der Privatverkehr mit erhoben. Der Anteil von KEP-Dienstleistern am Gesamtverkehr machte hier 5 % aus. Der Wirtschaftsverkehr machte insgesamt 37 % der erfassten Vorgänge aus, wodurch sich ein Anteil der KEP-Dienstleister am Wirtschaftsverkehr von 13,5 % ergibt. [11] Es ist zu erwähnen, dass bei der Erfassung des ruhenden Verkehrs kein ÖPNV und kein Radverkehr miterfasst wurden, welche aus ver- VCD BIEK Universität Wuppertal WU Wien Darmstadt UAS KEP-Anteil am Wirtschaftsverkehr (%) 11,7 % - 7,0 % 5,9 % 13,2 - 19,7 % KEP-Anteil am Gesamtverkehr (%) 3,0 - 3,5 % 6,0 % - 0,8 % Tabelle 1: Gegenüberstellung bestehender Literatur und Studien zum Wirtschaftsverkehr WV1 WVMZ WVW „Zukunft.de“ Darmstadt UAS KEP-Anteil am Wirtschaftsverkehr (%) 10,0 % 25,0 % 13,5 % 5,0 - 7,0-% 13,2 - 19,7 % KEP-Anteil am Gesamtverkehr (%) - - 5,0 % 1,0-% Tabelle 2: Vergleich der Ergebnisse von Erhebungen des Wirtschaftsverkehrs der Frankfurt UAS