eJournals Internationales Verkehrswesen 73/2

Internationales Verkehrswesen
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expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2021-0023
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Internationales Verkehrswesen (73) 2 | 2021 6 IM FOKUS Rangier-Robots beschleunigen Umschlag bei ADM do Brasil D er Agrarkonzern Archer Daniels Midland (ADM) setzt beim Umschlag von Soja und Mais in seinem modernisierten Schiffsterminal im brasilianischen Santos auf zwei kabelgebundene und zwei dieselelektrische Rangier-Robots vom süddeutschen Rangierspezialisten Vollert. Im Wechselspiel übernehmen die Rangiermaschinen im 24-h-Betrieb den Verschub von Güterzügen bis 3.900 t. Die beiden Rangier-Robot Pro DER240 mit über 100 t Dienstgewicht sind mit je zwei Drehgestellen und vier gefederten Antriebsachsen ausgestattet, ihr frequenzgeregelter diesel-elektrischer Antrieb mit 240- kN Zugkraft bringt ausreichend Leistung zum Verschub von bis zu 3.900 t. Die Steuerung erfolgt wahlweise aus den zwei beidseitig liegenden Bedienständen oder per Funk. Auch die Kupplung kann automatisch geöffnet werden - wegen der zahlreichen Kupplungsvorgänge beim Wiegen, Entladen und Rückführen der Wagen im Hafenterminal von ADM bringt das einen erheblichen Zeitvorteil. Im Terminal von ADM gliedert sich die Entladung in zwei Bereiche. Den getakteten Verschub der vollen Güterwaggons übernehmen die diesel-elektrischen Rangiermaschinen, die Rückführung und Zusammenstellung der Leerzüge zwei kabelgebundene Rangier-Robot. Die Rangier-Robot DER240 verschieben Züge mit bis zu 30 Wagen je 130-t Gewicht; sie positionieren jeden Wagen einzeln auf einer Waage, führen sie dann weiter zur Entladung und Entkoppelung. Nach der Entladung führen zwei elektrische Rangier-Robot KR70 die leeren Güterwagen zu einer weiteren Waage und stellen anschließend Leerzüge mit einem Gesamtgewicht von bis zu 900 t zusammen. Vier elektronisch geregelte elektrische Fahrantriebe mit einer Gesamtleistung von 60 kW sorgen für emissionsfreien Allradantrieb, eine motorgesteuerte Kabeltrommel zur Energieführung ermöglicht einen Fahrweg von rund 320 m. Gesteuert werden die Rangier-Robot KR70 überwiegend per Funkfernsteuerung, alternativ aus ihrer Fahrerkabine. Zukünftig ist auch die komplette Automatisierung der Abläufe möglich, da die Bereiche parallel doppelt angeordnet sind und zeitversetzt arbeiten. Mit dem Neubau des Hafenterminals rund 80 km von Sao Paolo entfernt investierte ADM insgesamt rund 60 Mio. EUR in einen nachhaltigen Hafenbetrieb. Durch die Modernisierung werden bis zu 80 Prozent der Emissionen an Staub- und Getreidepartikeln vermieden, die bei der Verladung entstehen. www.vollert.de Erstes „faires“ Mautsystem auf der A8 Athen-Patras G riechenland hat als erstes Land der Europäischen Union ein elektronisches Mautsystem in Betrieb genommen, bei dem PKW-Fahrer auf der Autobahn nur noch für tatsächlich gefahrene Kilometer zur Kasse gebeten werden. Das so genannte „Hybrid Multi-Lane-Maut-System“ von Kapsch TrafficCom ergänzt das traditionelle Bezahlsystem, das in der griechischen Bevölkerung über Jahre für Unmut gesorgt hatte: Bisher mussten Autofahrer immer für einen ganzen Streckenabschnitt bezahlen, selbst wenn sie die Autobahn schon bei der ersten Ausfahrt nach einer Mautschranke verlassen hatten. Technisch werden die PKW mit On- Board-Units ausgestattet, die vergleichbar mit einer Vignette an der Windschutzscheibe des Fahrzeugs befestigt werden. Wenn der PKW damit in einen Maut-Checkpoint einfährt, bucht das System die Mautkosten vom Kundenkonto des Halters automatisch ab und die Schranke gibt den Weg auf die Autobahn frei. Sobald das Fahrzeug die Strecke an einer Abfahrt verlässt, findet eine kilometergenaue Abrechnung statt - zu viel gezahlte Kosten für den Gesamtabschnitt werden auf dem Konto des Fahrers wieder gutgeschrieben. Für die Einführung des Systems haben sich die Bürgermeister von an der Autobahnstrecke Athen-Patras gelegenen Städten und Gemeinden stark gemacht. Bisher wollten viele Autofahrer die Kosten für einen gesamten Streckenabschnitt der A8 vermeiden, blieben deshalb auf den Landstraßen und verstopften die Ortsdurchfahrten. Das führte zu einer erheblichen Belastung mit Lärm und Emissionen. Die kilometergenaue Abrechnung der Straßennutzung mit dem neuen System wird jetzt als Rabatt- Lösung verstanden, bei der zu viel gezahlte Streckennutzung nach der tatsächlich gewählten Abfahrt gutgeschrieben wird. Zusammen mit der Zeitersparnis haben Autofahrer nun Anreiz, die Autobahn zu nutzen. www.kapsch.net Kabelgebundener Rangier-Robot Standard KR70 Foto: Vollert Anlagenbau Mautsystem auf der A8 Athen-Patras. Foto: Kapsch TrafficCom< Internationales Verkehrswesen (73) 2 | 2021 7 IM FOKUS Mobileye, Transdev und Lohr bringen autonome Shuttles D as Intel-Unternehmen Mobileye, die auf autonome Mobilitätslösungen fokussierte Transdev Autonomous Transport System (ATS) als Teil der Transdev Group und die elsässische Lohr Group haben die strategische Zusammenarbeit zur Entwicklung und Bereitstellung autonom fahrender Shuttles angekündigt. Die Unternehmen integrieren dazu das Mobileye-System für selbstfahrende Fahrzeuge (SDS) in das elektrische Shuttle-Fahrzeug i-Cristal der Lohr Gruppe. Ziel ist die Einführung des i-Cristal Shuttles für den öffentlichen Nahverkehr auf Basis selbstfahrender Flotten weltweit, beginnend 2023 in Europa. Durch die Integration der Lohr-Shuttles in das bestehende Mobilitätsservice-Netzwerk von Transdev wollen die Unternehmen die Effizienz und den Komfort des öffentlichen Nahverkehrs verbessern. Mobilität auf Basis selbstfahrender Fahrzeuge kann in den bestehenden ÖPNV integriert werden, um bei Bedarf Fahrzeuge flexibel bereitzustellen, gleichzeitig Kosten zu senken und das Nutzererlebnis zu verbessern. Um bis 2022 die Produktionsreife zu erlangen, werden die Fahrzeuge zunächst in Frankreich und Israel getestet. Die Unternehmen gehen davon aus, dass sie bis 2023 den kommerziellen Betrieb der selbstfahrenden i-Cristal Shuttles in öffentlichen Verkehrsnetzen aufnehmen können. Jedes Shuttle bietet Platz für bis zu 16 Passagiere und ist mit einer Rampe ausgestattet. Es kann mit einer Geschwindigkeit von bis zu 50 km/ h fahren und ist so konzipiert, dass es sich sicher und effizient in öffentliche Verkehrsnetze einfügt. Das Self-Driving System (SDS) von Mobileye ist eine schlüsselfertige Lösung für höchster Sicherheit durch zwei Kernkomponenten: das vom Unternehmen selbst entwickelte formale Modell für „verantwortungsbewusste Sicherheit“ (Responsibility- Sensitive-Safety, RSS) in der Entscheidungslogik sowie ein Umgebungserfassungssystem, das auf True RedundancyTM aufbaut und damit zwei unabhängige Subsysteme (Kameras sowie Radar und Lidar) kombiniert, um die Fahrzeugumgebung sicher wahrzunehmen. Eine eigens entwickelte Road Experience Management Technologie (REMTM) ermöglicht die Erstellung einer proprietären und nutzergenerierten globalen Straßennetzkarte (AV Map), die anhand der durch die weitverbreiteten Fahrerassistenzsysteme von Mobileye gesammelten Daten kontinuierlich und automatisch aktualisiert wird. www. lohr.fr/ de/ Einzelne i-Cristal Shuttles lassen sich modular zu Zügen koppeln. Foto: Lohr Sharing Economy: Kollaboratives Fahrzeugrouting im-Blick N och immer fahren zu viele leere LKW und Güterzüge durch das Land. Ein Grund dafür sind unter anderem Unternehmen, die einander nicht in die Karten schauen lassen möchten, wenn es um Auftragsvolumen, Kosten und Stammkunden geht. An der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt untersuchen Forscher*innen nun, wie die Sharing Economy, konkret das kollaborative Fahrzeugrouting, trotzdem die Zukunft in der Logistikbranche verändern könnte. Das Projekt mit dem Titel „EMIL - Exchange Mechanisms in Logistics“ wird vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF finanziert und an der Universität Klagenfurt und der Universität Wien durchgeführt. Das Projekt konzentriert sich auf horizontale Kollaborationen, bei denen Unternehmen auf der gleichen Ebene einer Lieferkette durch den Austausch ausgewählter Transportaufträge Ressourcen mit ihren Mitbewerbern teilen. Dies kann über digitale Plattformen organisiert werden, auf denen Transportdienstleister ihre Aufträge so austauschen, dass ihre Touren möglichst wenige Leerfahrten beinhalten. Solche Plattformen sind zwar bereits im Praxiseinsatz, die bestehenden Mechanismen schöpfen aber das Potenzial solcher Kollaborationen längst nicht aus. Denn miteinander im Wettbewerb stehende Unternehmen wollen meist wesentliche Informationen nicht teilen. Herausfordernd ist darüber hinaus, Kosten und auch den Gewinn fair aufzuteilen. Alles Gründe, warum sich zahlreiche ähnliche Ansätze - etwa in der Citylogistik schon seit den 1980er Jahren - immer wieder aufgegeben wurden. Das Projektteam arbeitet daran, diese Hürden mit Mechanismen abzubauen, die es schaffen, mit möglichst geringem Informationsaustausch auszukommen und dennoch eine faire und kostengünstige Aufteilung der Transportaufträge zu erstellen. Hier setzt man unter anderem auf Auktionssysteme, die über ein Bieterverfahren gute Aufteilungen vorhandener Kapazitäten finden, ohne dass teilnehmende Transporteure sensible Daten, wie Kosten oder Stammkunden, offenlegen müssen. Auch sollte der Vergabeprozess so gestaltet sein, dass möglichst viele Transportdienstleister Anreize sehen, nutzbringend teilzunehmen. Dazu gehört, dass gemeinsam erzielte Gewinne fair aufgeteilt werden. Wie eine solche Gewinnaufteilung gestaltet sein könnte, ist eine der wesentlichen Problemstellungen des Projekts. www.aau.at Symbolfoto: Planet Fox / pixabay Internationales Verkehrswesen (73) 2 | 2021 8 IM FOKUS LogIKTram-Verbundprojekt: Wenn die Tram Pakete bringt K ombinierter Verkehr auf der Schiene bewegt sich derzeit überwiegend zwischen den großen Güterterminals oder von und zu den Seehäfen. In den Städten und urbanen Agglomerationen spielt Schienengüterverkehr bisher kaum eine Rolle. Dort sind zunehmend kleinteilige Verkehre auf der Straße unterwegs, für die es neuer Konzepte bedarf. Das Verbundvorhaben LogIK- Tram soll deshalb ein Logistikkonzept sowie eine Informations- und Kommunikationstechnik (IKT)-Plattform für künftigen Gütertransport in Straßenbahn- und Stadtbahnwagen entwickeln. Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT), die Albtal-Verkehrs-Gesellschaft (AVG), das FZI Forschungszentrum Informatik als Innovationspartner des KIT sowie weitere Partner entwickeln ein fahrzeugtechnisches und logistisches Konzept für eine „Gütertram“ auf Basis einer Karlsruher Zweisystem-Stadtbahn und untersuchen die Auswirkungen auf den Straßen- und Schienenverkehr. Das am 1. März 2021 gestartete Projekt ist auf drei Jahre angelegt und wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) gefördert. LogIKTram ist ein grundlegendes Teilprojekt der Gesamtinitiative regioKArgo, die es sich zum Ziel gesetzt hat, in Karlsruhe und der umliegenden Region neue Formen des Warenladungs- und Lieferverkehrs zu untersuchen und umzusetzen. Im Rahmen von regio- KArgo sollen zum einen Verkehre künftig stärker von der Straße auf die Schiene verlagert und zum anderen die letzte Meile der Belieferung emissionsfrei gestaltet werden. Das Projekt LogIKTram verfolgt mehrere Teilziele. So entwickeln die Forscherinnen und Forscher am FAST des KIT das technische Konzept für eine Zweisystem- Gütertram auf der Basis einer Stadtbahn nach dem „Karlsruher Modell“, das schon seit fast 30 Jahren Straßenbahnstrecken in der Stadt und Eisenbahnstrecken im Umland kombiniert. Die AVG stellt hierfür ein Fahrzeug zur Verfügung, das speziell für die Anforderungen des Transports von Gütern angepasst und als erstes Demonstrationsobjekt getestet werden soll. Vor einem Realbetrieb sind weitere Aufgabenstellungen in den Themenfeldern verkehrliches Konzept, Bahnbetrieb, Gestaltung der Umschlagvorgänge und rechtliche Grundlagen zu bearbeiten. Durch variable Innenraumgestaltung soll die Gütertram sowohl Personen als auch Waren transportieren können. Die Transportbehälter sollen automatisiert ein- und entladen sowie über Vorrichtungen wie Haken und Riegel gesichert werden. Eine präzise Positionierung der Bahnen an den Stationen ist essentiell, um die Transportbehälter zentimetergenau bewegen und die normalen Fahrgastwechselzeiten im Personenverkehr einhalten zu können. Bestehende ÖV-Fahrpläne sollen nicht verändert werden. Die LogIKTram ist nicht der erste Versuch, die City-Logistik wenigstens teilweise auf die Schiene zu verlagern. Das im Vorjahr durchgeführte Forschungsprojekt „Logistiktram“ der Frankfurt UAS beschränkte sich jedoch auf die Innenstadt, in Dresden bediente die sogenannte Cargo-Tram bis Dezember 2020 nur eine feste Strecke zwischen Logistikzentrum und Werk für den Autohersteller Volkswagen. www.kit.edu Die LogIKTram soll zu einer besseren Verkehrsklimabilanz beitragen. Foto: Paul Gärtner, KVV Mehr Radwege führen zu deutlich mehr Radverkehr R echnen sich Investitionen in eine klimafreundliche Verkehrsinfrastruktur wirklich oder ist das nur teure Symbolpolitik? Eine Studie des Berliner Klimaforschungsinstituts MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change) geht dem wissenschaftlich auf den Grund. Als Beispiel dienen in der Corona- Pandemie angelegte „Pop-up-Radwege“, bei denen eine Fahrspur der Straße oder ein Parkstreifen provisorisch umgewidmet werden, etwa mit gelben Linien oder Baustellenbaken. Die Studie vergleicht Städte, die solche provisorischen Trassen ausgewiesen haben, mit jenen, die das nicht tun, und berücksichtigt „Störfaktoren“ wie ÖV-Dichte, Topografie und Wetter. Ausgangspunkt sind die Erhebungen von 736 amtlichen Fahrradzählstationen in 106 europäischen Städten sowie das Monitoring des Europäischen Radfahrerverbands zu den Pop-up-Radwegen. Zwar nutzen derzeit ohnehin mehr Menschen das Rad, um nicht in vollen Bussen und Bahnen zu sitzen. Die Studie zeigt aber, dass die neuen Radwege darüber hinaus in beträchtlichem Umfang zusätzlichen Radverkehr bewirkt haben. Am Ende steht das vorsichtige Fazit: Die untersuchten Popup-Radwege bewirkten von März bis Juli 2020 zwischen 11 und 48 Prozent zusätzlichen Radverkehr. Ein Kilometer Pop-up- Radweg kostete etwa in Berlin nur 9.500 EUR. Sebastian Kraus, Politik-Analyst am MCC und Leitautor der Studie: „Die Chance, hier mit wenig Aufwand den Verkehrsmittel-Mix erheblich zu beeinflussen, wird in vielen Städten zu Unrecht vernachlässigt.“ www.mcc-berlin.net