Internationales Verkehrswesen
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expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2021-0024
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Hoffnungen, Enttäuschungen, Illusionen
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Gerd Aberle
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Gerd Aberle KURZ UND KRITISCH Internationales Verkehrswesen (73) 2 | 2021 9 Hoffnungen, Enttäuschungen, Illusionen A ls Folge der Corona-Epidemie und der politisch gewollt hohen Kapazitätsangebote brach der öffentliche Personenverkehr weitgehend ein, während im Gütertransport sehr unterschiedliche Marktentwicklungen eintraten. Neben den außerordentlich gewachsenen und durch Online- Käufe favorisierten Paketdiensten zeigen sich extreme Kapazitätsengpässe im internationalen Seeverkehr. Sie wurden vor Ostern durch die Suez-Kanal-Störung weiter verschärft. Als Folge stiegen die Frachtraten in der Asien-Fahrt steil an, bei Zunahme der Verspätungen und zusätzlichen Staus in den Seehäfen. Darunter leiden mittlerweile die produzierende und die Logistikwirtschaft aufgrund fehlender Zulieferteile und Nichteinhaltung von vertraglichen Lieferterminen. Parallel hierzu sind die Auftragsbestände für weltweite Schiffsneubauten in der Megamax-Klasse mit über 20.000 TEU-Stellplatzkapazität auf rd. 150 Einheiten angewachsen. Sie werden in zwei bis drei Jahren in den Markt kommen. Dies wird erfahrungsgemäß auch wieder zu Ratenabsenkungen führen, denen die Reedereien dann bald mit Forderungen nach regulativen Wettbewerbsbeschränkungen zu begegnen versuchen. Altbekannte Verhaltensweise im Schweine-Zyklus-Format. Die Großreedereien, entstanden vor allem durch Zusammenschlüsse, versuchen darüber hinaus, die Hinterlandtransporte von/ zu den Seehäfen zulasten der dort tätigen Carrier zu übernehmen, also die Speditionen auszuschalten. Hier ist um die sog. Carrier`s Haulage ein vertikaler Machtkampf entbrannt. Andererseits sind neue Zusammenschlüsse von Seehäfen, etwa von Zeebrügge und Antwerpen, in aktueller Diskussion. Und Hamburg leidet aufgrund der begrenzten Kapazität der langen Revierfahrt bei Großschiffen zusätzlich. Dies erklärt einen Teil der gesunkenen Leistungswerte im Hafenumschlag. Durch die Kapazitätsproblematik im Seeschiffsverkehr wird der Eurasien-Bahnverkehr zusätzlich gefördert, insbesondere mit Duisburg-Hafen als zentralem Empfangs-/ Versandort für den boomenden China-Handel. Mit derzeit rd. 60 Zügen/ Woche und 16 bis 18- Tagen Laufzeit gegenüber 40 Tagen Seetransport hat Duisburg eine interessante, wirtschaftlich für die strukturell leidende Region bedeutsame Entwicklungsstimulanz erreicht. Sie wird von China durch das Projekt „Neue Seidenstraße“ mit hohen Investitionen und Krediten, aber auch geopolitischer Zielrichtung nachhaltig bedacht. Auch hier geht es um Machtoptionen und wirtschaftspolitische Einflussmöglichkeiten. Dies trübt die Euphorie in der Region - Duisport als europäischer China-Hotspot? Hoffnung oder Trauma? Substantiell helfen kann der Eurasien-Bahnverkehr dem Schienenverkehr nicht. Der politischen Zielsetzung, den Marktanteil bis 2030 auf möglichst 25 % anzuheben, ist die Realität (oder der unwillige Markt! ) wieder einmal in die Quere gekommen. Von 2019 sank der Bahnanteil von 19 % auf 17,5 % in 2020 bei gleichzeitigem Anstieg des Straßengüterverkehrs. Die wirtschaftliche Situation der DB AG hat erneut auch in einem erschreckend hohen wirtschaftlichen Desaster der Cargo AG zugeschlagen. Das negative Ebit-Ergebnis erhöhte sich von -308 Mio. (2019) auf -720 Mio. EUR (2020). Aber: Die DB AG verfügt auch über einen Edelstein in der internationalen Logistik, die Schenker Gruppe. Und der soll, so der Bundesrechnungshof in regelmäßiger Anmahnung, veräußert werden. Die Konkurrenz würde es freuen und viel Geld einsetzen. Fürs Stammbuch der Behörde: Auch Staatsunternehmen benötigen solche Leistungsträger mit hohem Markterfolg. Beim Rechnungshof aber statt Ermunterung typische Beamtenmentalität ohne Wirtschaftserfahrung. Was nicht sein soll, darf eben nicht sein. Die 50 Jahre politischer Hoffnung auf deutliche Steigerungen des Modal-Split-Anteils des Schienengüterverkehrs sind immer wieder durch die Marktrealitäten infrage gestellt worden. Die fundamentalen Veränderungen in den Güterstrukturen haben hierzu wesentlich beigetragen. So notwendig 740-m-Überholgleise und Streckenneu- und ausbauten auch sind: Der Schienengüterverkehr leidet unter strukturellen Systemproblemen. Im Vergleich zum LKW ist er wesentlich störanfälliger bei Verspätungen, partiellen Streckensperrungen, Konflikten mit dem Personenverkehr bei Trassenverfügbarkeiten, bei den vielen neuen Industrie- und Logistikansiedlungen ohne Gleisanschluss und bei den Möglichkeiten, individuelle dezentrale Entstörungslösungen zu realisieren. Hinzu kommen ungleich komplexere Probleme im grenzüberschreitenden Verkehr, extrem lange Planungs- und Bauzeiten bei notwendigen Streckenneubauten (etwa: Zu-/ Ablaufstrecken beim Gotthard- und Brenner-Tunnel) und Qualitäts- und Flexibilitätsdefizite bei wichtigen Güterarten. Auch die Klimavorteile der Bahn sind gefährdet: Feldversuche und Forschungsfortschritte lassen bis 2030 die Marktfähigkeit von Grünem Wasserstoff als Antriebsquelle für schwere LKW erwarten, gefördert von staatlichen Wasserstoff-Strategien. Und das sind keine der in Modal-Split-Diskussionen so beliebten Hoffnungen. Die Politik ist illusionsverhakt. Seit 50 Jahren. ■ Prof. Gerd Aberle zu Themen der Verkehrsbranche
