eJournals Internationales Verkehrswesen 73/2

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2021-0026
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2021
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Zukunftsfähiger ÖPNV in ländlichen Räumen

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2021
Melanie Herget
Carsten Sommer
Jürgen Gles
Ländliche Räume unterscheiden sich in Bezug auf ÖPNV-Angebot und ÖPNV-Nachfrage von Großstädten. Die Klimaschutzziele, die Gewährleistung der Daseinsvorsorge und auch die Folgen der Corona-Pandemie sorgen gerade in ländlichen Räumen für besondere Herausforderungen. Vor diesem Hintergrund beleuchtet der Beitrag Strategien wie Mindestbedienung, Verkehrsverlagerung und Verkehrsvermeidung sowie die Umsetzung einer soliden Finanzierung. Betont wird die Bedeutung der politisch-rechtlichen Weichenstellungen in den kommenden Jahren.
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Internationales Verkehrswesen (73) 2 | 2021 12 Zukunftsfähiger ÖPNV in ländlichen Räumen Herausforderungen und wichtige Weichenstellungen ÖPNV, Ländlich, Finanzierung, Corona, Homeoffice, Lieferverkehr Ländliche Räume unterscheiden sich in Bezug auf ÖPNV-Angebot und ÖPNV-Nachfrage von Großstädten. Die Klimaschutzziele, die Gewährleistung der Daseinsvorsorge und auch die Folgen der Corona-Pandemie sorgen gerade in ländlichen Räumen für besondere Herausforderungen. Vor diesem Hintergrund beleuchtet der Beitrag Strategien wie Mindestbedienung, Verkehrsverlagerung und Verkehrsvermeidung sowie die Umsetzung einer soliden Finanzierung. Betont wird die Bedeutung der politisch-rechtlichen Weichenstellungen in den kommenden Jahren. Melanie Herget, Carsten Sommer, Jürgen Gies R und 60 % der Deutschen leben in ländlichen Räumen, auf etwa 90 % der Fläche. Ländliche Räume sind allerdings nicht homogen [1]: Eher ländlich mit guter sozioökonomischer Lage ist z. B. das deutsche Bodenseeufer, sehr ländlich mit weniger guter sozioökonomischer Lage sind z. B. große Teile Mecklenburg-Vorpommerns. Trotz solcher Unterschiede gibt es verkehrlich viele Gemeinsamkeiten: Der private PKW dominiert in der Verkehrsmittelwahl. Es gibt selten Stau oder Mangel an Parkplätzen. Für Arztbesuch und Einkauf sind meist längere Wege notwendig. Die ÖPNV-Nutzung ist durch Schüler- und Ausbildungsverkehr bestimmt [2]. Die Reisezeiten mit dem Bus liegen oft deutlich über jenen mit dem PKW. Diese Besonderheiten möchten wir in Bezug setzen zu aktuellen Herausforderungen. Herausforderung 1: Klimaschutz Statt deutlich abzunehmen, sind die CO 2 - Emissionen im Verkehrssektor im Vergleich zum Referenzjahr 1990 kaum gesunken [3]. Dabei sind die verkehrsbezogenen CO 2 - Emissionen pro Kopf in städtischen und ländlichen Räumen nahezu gleich hoch [4]. Wie können die klimarechtlichen Vorgaben noch eingehalten und die Kosten für den verpflichtenden Ankauf von Emissionszertifikaten (30 bis 60 Mrd. EUR laut Lastenteilungsentscheidung der EU) vermieden werden [5]? Für das Erreichen der Klimaschutzziele ist u. a. ein massiver Ausbau des ÖPNV-Angebots erforderlich [6]. Modellrechnungen zeigen, dass eine Erhöhung der ÖPNV-Betriebsleistung um 50 % in Kombination mit einschränkenden Maßnahmen im motorisierten Individualverkehr (MIV) zu einem hohen Rückgang der verkehrsbedingten CO 2 -Emissionen führen kann (vgl. u. a. [7]). Jedoch stellen in vielen ländlichen Räumen das ÖPNV- und das Radwege-Netz derzeit keine alltagstaugliche Alternative zum MIV dar. Wegen der geringen Siedlungsdichte und der schlechten Bündelbarkeit der Ver- Foto: Jürgen Gies POLITIK Mobilitätsstrategie Internationales Verkehrswesen (73) 2 | 2021 13 Mobilitätsstrategie POLITIK kehrsströme sind in ländlichen Räumen die Pro-Kopf-Kosten für einen Infrastruktur- und Angebotsausbau hoch - und treffen auf oft geringe finanzielle Spielräume der Kommunen. Verkehrsvermeidung durch integrierte Planung? Grundsätzlich ist es für ländliche Räume hilfreich, Verkehrsangebote und Versorgungsstandorte von Anfang an gemeinsam zu planen und aufeinander abzustimmen [8]. So sollten keine Bau- und Gewerbegebiete mehr entwickelt werden, die allein mit dem MIV zu erreichen sind [9]. Weitere Bausteine sind z. B. Direktvermarktung und Dorfläden, Mehrfunktionenhäuser, Telemedizin sowie die Förderung von Telearbeit/ Homeoffice und Co-Working-Räumen. Für telemedizinische Ansätze und dezentrale Formen des Arbeitens ist allerdings ein Ausbau des Mobilfunk- und Breitbandnetzes nötig [10]. Zudem zeigen Analysen aus der Schweiz, dass mehr Telearbeit zwar zu einer geringeren Anzahl beruflicher Wege führte, aber auch zu längeren Gesamtwegelängen - es sind also sog. Rebound-Effekte 1 zu beachten [11]. Eine integrierte Raum- und Verkehrsplanung kann für Personen ohne PKW bzw. Führerschein zu mehr Aufenthaltsqualität und mehr Teilhabemöglichkeiten führen (Daseinsvorsorge) - jedoch sind die stark gestiegenen Wegelängen vor allem auf gesellschaftliche Veränderungen zurückzuführen, z. B. höhere Einkommen, höhere Bildungsabschlüsse, höhere Frauenerwerbsquote [12]. Ansätze zur Verkehrsverlagerung und Effizienzsteigerung sind also unverzichtbar. Verkehrsverlagerung durch Mindestbedienung? Bislang führen ungleiche kommunale Ausgangssituationen, aber auch unterschiedliche Prioritätensetzungen zu sehr unterschiedlichen ÖPNV-Standards. Um einer Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse näherzukommen, wären räumlich differenzierte Vorgaben für eine Mindestbedienung sinnvoll, wie auch von der Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ empfohlen [13]. Während im KFZ-Verkehr verbindliche Zielvorgaben für die Entwicklung des Straßennetzes auf einem einheitlichen raumordnerischen Ansatz vorliegen und in der Praxis genutzt werden [14], fehlen solche Zielvorgaben für den Öffentlichen Verkehr auf Bundesebene. Die FGSV empfiehlt z. B. bei Bushaltestellen in ländlichen Räumen Einzugsbereiche zwischen 300 und 700 Metern [15]. Gerade für ältere und mobilitätseingeschränkte Personen stellt jedoch schon solch ein Weg zur Haltestelle eine Hürde dar. Erste Vorschläge für konkrete Mindestbedien- und Mindesterreichbarkeitsstandards in Deutschland gibt es bereits. Danach sollten Orte ab 500 Einwohnern eine Verbindungsqualität im 1-Stunden-Takt von 6 bis 22 Uhr erhalten, mit einem maximalen Fahrzeitnachteil gegenüber dem MIV von 30 % sowie einer maximalen Entfernung bis zur nächsten Haltestelle (300 m) für mindestens 80 % der Bevölkerung [16]. Nach Modellrechnungen ist mit dieser Kombination eine Verdopplung bis Verdreifachung des ÖPNV-Anteils möglich (ebd.). Eine Überprüfung des dafür erforderlichen Finanzbedarfs sowie Vorschläge für eine gesetzgeberische Umsetzung stehen allerdings noch aus. Für eine Mindestbedienung in ländlichen Räumen werden jedenfalls moderne On-Demand-Verkehre eine zentrale Rolle spielen [17]. Herausforderung 2: Finanzierung des ÖPNV Soll der ÖPNV im ländlichen Raum mehr sein als Schülerbeförderung, ist eine Finanzierung durch den Aufgabenträger - i. d. R. der Landkreis - erforderlich. Um auch wahlfreie Personengruppen für den ÖPNV zu gewinnen, darf dieser in Reisezeit und Zuverlässigkeit nicht deutlich schlechter sein als der private PKW. Dies ist nur durch eine Optimierung der Hauptachsen und darauf abgestimmte Zubringer erreichbar. Für den ländlichen Schülerverkehr lehnen allerdings viele Eltern diesen Ansatz aufgrund der erforderlichen Umstiege ab. Kommunale Aufgabenträger stehen nun vor der Herausforderung, ein aus Klimaschutzgründen zu stärkendes ÖPNV-Angebot bereits heute anzugehen, obwohl im vergangenen Jahr wegen der Corona-Pandemie die Nutzungszahlen drastisch zurückgegangen sind und unerwartete Ausgaben für Gesundheitsmaßnahmen und Härtefälle hinzukamen. Durch die Klimaschutzdebatte gab es bereits Reformen in den Finanzierungsvereinbarungen zwischen Bund und Ländern, mit zusätzlichen Fördertatbeständen und größeren Fördersummen. Allerdings ist der finanzielle Beitrag der kommunalen Aufgabenträger für den ÖPNV bereits seit 1993 rückläufig [18]. In ländlichen Räumen spielt die Abhängigkeit von Landeszuweisungen eine große Rolle. Der ÖPNV steht als freiwillige Leistung in der Priorität hinter den kommunalen Pflichtaufgaben und in Konkurrenz zu weiteren freiwilligen Leistungen. Daher wird diskutiert, den ÖPNV als Pflichtaufgabe der kommunalen Selbstverwaltung zu verankern 2 . Im Sinne des kommunalen Konnexitätsprinzips ist es jedoch nötig, dann den Kommunen die entsprechenden Finanzmittel zu gewähren und auch den rechtlichen Rahmen für neue Finanzierungsinstrumente zu bieten. Finanzierungssicherheit durch mehr Kostenwahrheit? Derzeit erzeugt der MIV in Deutschland von der Allgemeinheit zu tragende externe Kosten von ca. 110 Mrd. EUR pro Jahr [19]. Würde der ÖPNV vollständig durch den MIV substituiert, wäre mit deutlich höheren externen Kosten zu rechnen. Für die Stadt Thun (Schweiz) wurden für ein solches Szenario um 60 % höhere volkswirtschaftliche Kosten berechnet [20]. Studien zu ländlichen Räumen liegen bisher nicht vor. Die Diskussion über zukünftige Finanzierungsmodelle des ÖPNV sollte daher nicht isoliert geführt werden, sondern mit Blick auf die gesamte Verkehrsfinanzierung. Die Internalisierung von externen Verkehrskosten würde sowohl zusätzliche Einnahmen generieren als auch die Verkehrsziel- und Verkehrsmittelwahl positiv im Sinne geringerer Emissionen beeinflussen. Hierzu könnte z. B. die Energiesteuer angehoben werden. Mit den Einnahmen könnte der Bund die Regionalisierungsmittel so weit aufstocken, dass auch auf Hauptachsen ländlicher Räume ein attraktives Angebot finanziert werden kann. Ein anderer Weg wäre eine PKW-Maut im gesamten deutschen Straßennetz. Um den Gegebenheiten in den Kommunen gerecht zu werden, sollte ein geänderter Rechtsrahmen auch zusätzliche lokale Handlungsspielräume schaffen, z. B. bei der Parkraumbewirtschaftung. Auch Modelle einer Nutznießerfinanzierung 3 werden diskutiert, jedoch meist für städtische Räume [21]. In ländlichen Räumen könnte z. B. das örtliche Gewerbe eine Co-Finanzierung übernehmen, in Form von Sponsoring oder eines Arbeitgeberbeitrags. Auch aus Tourismusabgaben kann ein Teil für das ÖPNV-Angebot genutzt werden (Bild- 1). Ist das Angebot alltagstauglich, kann auch eine kommunale ÖPNV-Abgabe für Haushalte in Erwägung gezogen werden-[22]. Günstiger durch Digitalisierung? Digitale Technologien können die Attraktivität öffentlicher Verkehrsangebote deutlich erhöhen, indem sie Angebot und Nachfrage in Echtzeit abstimmen und mit Hilfe von individualisierbaren, ortsbasierten Informationen gezielt Unsicherheiten reduzieren. Auch die Corona-Pandemie zeigt, wie hilfreich kontaktlose, digitale Tickets sowie Auskunftssysteme zum Besetzungsgrad sind. Zugleich ergeben sich Fragen nach Datenbesitz, -schutz und -sicherheit. POLITIK Mobilitätsstrategie Internationales Verkehrswesen (73) 2 | 2021 14 Ob durch eine zunehmende Digitalisierung der öffentliche Verkehr an Gewicht gewinnt, ist stark von den politischen Rahmensetzungen abhängig. Das Gleiche gilt für die Automatisierung der Fahrzeuge. Ob durch die Automatisierung tatsächlich attraktivere Angebote umgesetzt und infolgedessen mehr Fahrgäste für den ÖPNV gewonnen werden können, ist noch nicht abzuschätzen, denn autonom fahrende PKW wären schließlich auch für Menschen ohne Fahrbefähigung voll verfügbar. Hier ist es wichtig, dass Bund, Länder und Gemeinden frühzeitig Regulierungsinstrumente entwickeln, um Risiken zu minimieren und Chancen zu realisieren [23]. Herausforderung 3: Folgen der Corona-Pandemie Noch unklar ist, welche langfristigen Folgen die Corona-Pandemie für die Nutzung kollektiver Verkehre haben wird und ob sich räumliche Unterschiede zeigen werden. Die Schutzmaßnahmen haben vor allem zu einem drastischen Rückgang in der ÖPNV- Nutzung geführt (vgl. u. a. [24]). Während die bisherigen ÖPNV-Nutzenden in Großstädten zum Teil aufs Fahrrad ausweichen, ist diese Entwicklung in ländlichen Räumen nicht im gleichen Ausmaß festzustellen [25], vor allem wegen der größeren Entfernungen und der schlechteren Fahrradinfrastruktur. Sorgfältig muss beobachtet werden, ob dies dazu führt, dass die wahlfreien ÖPNV-Nutzenden in ländlichen Räumen dauerhaft auf den MIV umsteigen. Dazu gehören z. B. auch Eltern, die ihre Kinder mit dem PKW zur Schule fahren können, aber nicht müssen. Kunden halten - mit Schulzeit-Staffelung und neuen Tarifen? In den vergangenen Monaten gab es eine enge Zusammenarbeit zwischen Schulämtern und ÖPNV-Verantwortlichen, um auch in Schulbussen einen Mindestabstand zu gewährleisten und die Fahrzeiten mit den Präsenz- und Distanzunterrichtsphasen abzustimmen. Diese Zusammenarbeit sollte fortgeführt werden, um umwelt- und sozialverträgliche Lösungen für den Schülerverkehr zu entwickeln. Durch Staffelung der Schulzeiten können die Nachfragespitzen im ÖPNV abgeflacht und so 15 bis 20 % der Fahrzeuge eingespart werden [26]. Für eine dauerhafte Akzeptanz müssen allerdings auch die Eltern eng eingebunden werden, und etwaige Betreuungsschwierigkeiten, z. B. von Familien mit mehreren Kindern und von Teilzeit-Lehrkräften mit eigenen Kindern, sind aufzufangen. Durch die Umstellung auf Homeoffice entstehen neue Arbeitsmodelle. Die ÖPNV- Akteure sind dadurch gefordert, flexiblere Tarife zu entwickeln - z. B. Bahncard-Modelle im Nahverkehr (50-%-Rabatt bei Zahlung eines geringen monatlichen Beitrages wie z. B. der Tarif RMVsmart50, Prepaid- Fahrtguthaben mit Rabattierungen gegenüber Einzelbuchungen und nutzungsabhängige Anreizmodelle, die auf E-Ticketing- Systemen basieren [27]). Ob solche flexiblen Tarife dann die Anzahl der Tage im Homeoffice erhöhen und ob sich durch die flexibleren Arbeitsorte die Wohnstandortwahl zugunsten ländlicher Räume verschiebt, ist jedoch noch unklar. Verkehrsvermeidung durch Digitalisierung? Die Digitalisierung kann das Leben auf dem Land verändern: Homeoffice erspart den täglichen Weg zum Arbeitsplatz, Online- Handel einen Teil der Einkaufswege, und Telemedizin erspart manchen Weg zum Arzt. Die Verhaltensänderungen in der Pandemie haben digitalen Diensten zu einem Wachstumsschub verholfen und zugleich Defizite ihrer Verfügbarkeit deutlich gemacht. Ob Online-Käufe Verkehr vermeiden, hängt dabei von vielen Faktoren ab, u. a., inwieweit Wegeketten gebildet werden, woher die Produkte stammen, wie oft und mit welchem Verkehrsmittel eine Adresse angefahren wird und ob noch eine Retoure erfolgt (vgl. u. a. [28]). Um Fehlzustellungen zu reduzieren und die Retouren-Wegelänge zu verringern, sind stationäre oder mobile „Mikro-Depots“ ein Ansatz, der zudem den Einsatz von Lastenfahrrädern und fußläufigen Transporthilfen unterstützt. Hierfür sollten auch ungenutzte Immobilien auf ihre Eignung geprüft werden, die dann von den Dienstleistern gemeinsam genutzt werden können. Fazit: Sorgfältige Weichenstellungen gefragt Für die Sicherung der Daseinsvorsorge und für das Erreichen der Klimaschutzziele ist ein attraktiver, verlässlicher ÖPNV das unverzichtbare Rückgrat. Chancen zur Verkehrsverlagerung in ländlichen Räumen durch attraktive ÖPNV-Angebote bestehen insbesondere auf Hauptachsen und Langstrecken. Der Druck der Klimaschutzpolitik wird weiter steigen. Eine stärkere Internalisierung der externen Verkehrskosten könnte den ÖPNV-Ausbau gegenfinanzieren. Neue Mobilitäts- und Kommunikationstechnologien bieten Chancen für einen effizienteren und kostengünstigeren ÖPNV- Betrieb. Sie erfordern jedoch ein besseres Breitbandangebot in ländlichen Räumen und gesetzgeberische Anpassungen. Ohne sorgfältig gestaltete Rahmenbedingungen besteht die Gefahr, dass die Digitalisierung und auch die Fahrzeugautomatisierung zu einer Zunahme des klimaschädlichen MIV auf Kosten des ÖPNV führen und zu einer Zunahme von Zersiedlung, Flächenverbrauch und Verkehrsleistung - gerade auch in ländlichen Räumen. Aufgrund der zunehmenden Wechselwirkungen zwischen Personen- und Lieferverkehr, Alltagswegen und Fernreisen, Wohnstandortwahl und Alltagswegen muss schließlich die Mobilitätsforschung deutlich stärker als bislang ihre Grenzziehungen Haushaltsfinanzierung Nutzerfinanzierung Nutznießerfinanzierung erweiterte Haushaltsfinanzierung ÖPNV-Ausbau durch stärkere Internalisierung externer Verkehrskosten Bisheriger ÖPNV Bild 1: Aktuelle und mögliche zukünftige Säulen der ÖPNV-Finanzierung Quelle: eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (73) 2 | 2021 15 Mobilitätsstrategie POLITIK hinterfragen und komplexere Untersuchungsansätze verfolgen, um valide Politikempfehlungen aussprechen zu können. ■ Dieser Artikel entstand im Rahmen der fachlichen Begleitung und Evaluation der Fördermaßnahme „LandMobil“, finanziert durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. 1 Rebound-Effekt bezeichnet den gesteigerten Konsum von Ressourcen, der auf Effizienzsteigerungen ‚folgt‘. Wenn man z. B. nur noch an drei statt fünf Tagen zum Arbeitsplatz fahren muss, könnten für die verbleibenden Tage deutlich längere Pendelwege in Frage kommen. Durch Rebound-Effekte werden also die theoretisch möglichen Effizienzgewinne in der Praxis nicht erreicht. 2 Rheinland-Pfalz hat 2021 ein neues Nahverkehrsgesetz beschlossen, in dem der ÖPNV als Pflichtaufgabe festgeschrieben ist. 3 Nutznießer sind Personen und Institutionen, die durch das Vorhalten des ÖPNV einen indirekten Vorteil haben - sie ziehen also einen Nutzen aus dem ÖPNV, selbst wenn sie ihn nicht in Anspruch nehmen. LITERATUR [1] Küpper, P. (2016): Abgrenzung und Typisierung ländlicher Räume. Thünen Working Paper 68. Braunschweig. [2] Nobis, C.; Herget, M. (2020): Mobilität in ländlichen Räumen. Betrachtungen aus Sicht der Verkehrswende und der Gleichwertigkeit von Lebensverhältnissen. Internationales Verkehrswesen 4/ 2020, S.-40-43. [3] BMU (2021): Treibhausgasemissionen sinken 2020 um 8,7 Prozent. 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Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Fachgebiet Verkehrsplanung und Verkehrssysteme, Universität Kassel m.herget@uni-kassel.de Software für die Mobilität von morgen E-Mobilität Personaldisposition, Depot- und Lademanagement für E-Busse aus einer Hand www.moveo-software.com Internationales Verkehrswesen 2021-05-12 102 x139mm unten rechts PSI Moveo.indd 1 16.04.2021 16: 04: 13