Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2021-0031
51
2021
732
Massiv wachsender Straßentransport trotz Schienenausbau?
51
2021
Eine aktuelle Studie des Zentrums für Transportwirtschaft und Logistik (ZTL) der Wirtschaftsuniversität Wien zeigt: Bis 2040 sind in und durch Österreich etwa 45 % mehr Güterverkehr zu erwarten – ein Wachstum, das der Schienengüterverkehr nach heutigem Stand nicht auffangen kann. Im Klartext heißt das: Verpflichtende Klimaziele sind nur mit straffem Infrastrukturkonzept, gezielten Investitionen und zielgerichteten Fördermaßnahmen erreichbar.
iv7320034
Internationales Verkehrswesen (73) 2 | 2021 34 Massiv wachsender Straßentransport trotz Schienenausbau? Studie fordert politisches Gesamtkonzept und Maßnahmen für Klimaschutz Güterverkehr, Infrastrukturausbau, Verkehrsträger, Emissionen Eine aktuelle Studie des Zentrums für Transportwirtschaft und Logistik (ZTL) der Wirtschaftsuniversität Wien zeigt: Bis 2040 sind in und durch Österreich etwa 45 % mehr Güterverkehr zu erwarten - ein Wachstum, das der Schienengüterverkehr nach heutigem Stand nicht auffangen kann. Im Klartext heißt das: Verpflichtende Klimaziele sind nur mit straffem Infrastrukturkonzept, gezielten Investitionen und zielgerichteten Fördermaßnahmen erreichbar. D er Güterverkehr in und durch Österreich wird Prognosen zufolge bis 2040 um rund 45 % zunehmen. Ein Wachstum, das die Schiene auch bei einem maximalen Ausbau von Infrastruktur und Angebot nicht auffangen kann. Selbst wenn der von Bahn und Politik angestrebte Anteil von 40 % am Modal Split (2019: 28 %) erreicht würde, müsste der Straßengüterverkehr bis 2040 um mehr als ein Fünftel steigen, so eine Studie des österreichischen Zentrums für Transportwirtschaft und Logistik im Auftrag des Zentralverbandes Spedition & Logistik [1]. Selbst das eher realistische Szenario von + 42 % Zuwachs auf der Schiene und 49 % auf der Straße würde die CO 2 - Emissionen stark steigen lassen und den EU-Klimazielen diametral entgegenwirken (Bild 1). Das bedeutet, dass die Straße auch langfristig der wichtigste Verkehrsträger für den Transport von Gütern bleiben wird und folglich im Mittelpunkt der Dekarbonisie- Foto: Gerhard G / pixabay LOGISTIK Österreich Internationales Verkehrswesen (73) 2 | 2021 35 Österreich LOGISTIK rung stehen muss. Österreich brauche deshalb umgehend ein integriertes, an Klimazielen orientiertes Gesamtkonzept für die Gütermobilität auf Straße und Schiene, so der Studienleiter, Univ. Prof. Sebastian Kummer von der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien: „Wenn Österreich die EU-Ziele zur Reduktion der CO 2 -Emissionen im Straßenverkehr erreichen will, besteht akuter Handlungsbedarf. Es braucht eine ganzheitliche Lösung für die Gütermobilität auf Straße und Schiene, Investitionen in Infrastruktur und Digitalisierung sowie umfassende Fördermaßnahmen für alternative Antriebsformen.“ Die Schiene kann das Wachstum nicht auffangen Die Kapazität der Schiene wird - nicht zuletzt durch den wachsenden Personenverkehr - selbst bei Realisierung aller geplanten Ausbaumaßnahmen ab 2030 an ihre Grenzen stoßen. Beim angestrebten Modal Split von 40 % bis 2040 müsste der Schienengüterverkehr um 110 % wachsen. Tatsächlich werden sich aber bereits bestehende Engpässe in Zukunft weiter verschärfen. Dazu zählen der Vorrang von Personenverkehr gegenüber Güterverkehr - zusätzlich ab Einführung des österreichweiten 1-2-3-Tickets noch in diesem Jahr - und daraus resultierende Stopps in Stoßzeiten. Dazu kommen fehlende Überhol- und Ausweichgleise, Engpässe an Bahnhöfen und Umschlagpunkten, unzureichende Zubringer-Infrastruktur, mangelnde technologische Interoperabilität im internationalen Verkehr und administrative Hürden wie der vorgeschriebene Personalwechsel bei Grenzübertritten. Eine Modellrechnung am Beispiel der österreichischen Westbahnstrecke habe gezeigt, dass bereits ab 80 % Kapazitätsauslastung ein zuverlässiger Gütertransport fraglich ist. Zudem würden Markttrends wie die wachsende Konsumnachfrage nach vielen kurzfristigen Kleinlieferungen den Transportbedarf jenseits der Bahn zusätzlich steigen lassen, so Kummer. Die Straße bleibt mit Abstand größter Güterverkehrsträger Dadurch wird die Straße auch 2040 und darüber hinaus der dominierende Güterverkehrsträger bleiben. Ausgehend von einem Modal Split von 69,3 % Straße und 27,7 % Schiene im Jahr 2019, also vor den Auswirkungen der Corona-Pandemie, haben die Studienautor*innen im Auftrag des Zentralverbandes Spedition & Logistik drei unterschiedliche Szenarien errechnet. Als wahrscheinlichste Entwicklung wurde daraus ein durchschnittliches Wachstum der Schiene von jährlich 2,2 % bis 2040 und in der Folge ein Straßengüterverkehrswachstum von 49 % oder 26,5 Mrd. Tonnenkilometern (tkm) errechnet (Bild 2). Selbst in einem optimistischen Szenario, das von 40 % Schienenanteil im Jahr 2040 ausgeht, würde der Transport auf der Straße noch immer um 21 % zunehmen. Entwicklung von Modal Split und Transportvolumina steht EU-Zielen entgegen Sowohl die bisherige Entwicklung des Modal Split als auch das prognostizierte Wachstum des Straßengüterverkehrs widersprechen deutlich die Zielsetzungen der Europäischen Union. Während die EU beim Schienenanteil ein Wachstum auf 30 % bis 2030 und 40 % bis 2040 anstrebt, ist dieser in Österreich sogar geschrumpft: von über 40 % im Jahr 1980 auf unter 30 % im Jahr 2019. Zugleich bedeutet der zunehmende Güterverkehr auf der Straße eine gegenläufige Entwicklung zu den verbindlichen CO 2 - Zielen der EU. Sebastian Kummer: „Das genannte optimistische Szenario würde zusätzliche CO 2 -Emissionen im Ausmaß von jährlich 9,6 Millionen Tonnen bedeuten. Realistisch gesehen müssen wir aber mit jährlich 20 Millionen Tonnen rechnen. Das- offenbart, wie dringend wir uns um konstruktive und weitreichende Lösungsansätze, auch abseits der Schiene kümmern müssen.“ Die Antwort auf diese Herausforderungen könne nur ein beide Verkehrsträger umfassendes, integriertes Konzept sein, so Kummer. Es müsse sowohl ineinandergreifende Maßnahmen in der Bahn- und Straßeninfrastruktur als auch eine Förderung von Investitionen sowie nachhaltigkeitsorientierte Gesetzesanpassungen für den Straßengüter- und Schwerverkehr enthalten. Kummer: „Hier geht es nicht um die Frage ‚entweder Schiene oder Straße‘, sondern wo man wie viel dekarbonisieren kann. Angesichts des großen Handlungsbedarfs gilt es aber dort hinzugreifen, wo man am meisten bewirken kann, und das ist eine umgehende Emissionsreduktion im Straßengüterverkehr.“ ZTL/ red ■ LITERATUR [1] Zentrum für Transportwirtschaft und Logistik (2021): Modal-Studie zum Verlagerungspotential des Güterverkehrs. www.iv-dok.de/ 2021/ modalsplit210326.pdf 16 0 20 40 60 80 100 120 54,5 Mrd tkm 21,7 Mrd tkm Wachstum Straße 2019 - 2040 Wachstum Schiene 2019 - 2040 78,6 Mrd tkm Wachstum Gesamtgüterverkehr 2019 - 2040 Gesamtgüterverkehr = Straße + Schiene + Binnenschiffahrt Werte in Millarden Tonnenkilometer (tkm) - Quelle: eigene Berechnung + BMVIT + Statistik Austria Gesamtgüterverkehr Straße Schiene Bild 1: Prognose des Wachstums für den Gesamtgüterverkehrs, der Straße sowie der Schiene bis 2040 [1] Bild 2: Wachstumsprognose der Straße sowie der Schiene bis 2040 [1] Wachstumsprognose der Straße sowie der Schiene bis 2040 © UNIV.-PROF. DR. SEBASTIAN KUMMER 17 Werte in Millarden Tonnenkilometer (tkm) - Quelle: eigene Berechnung + BMVIT + Statistik Austria 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 2019 2040 Schiene Straße Schiene Straße 54,5 Mrd tkm 21,7 Mrd tkm 30,7 Mrd tkm 81,0 Mrd tkm
