eJournals Internationales Verkehrswesen 73/2

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2021-0033
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Ungenutzte Potentiale der Telematik

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2021
Boris Zimmermann
Yusuf Say
Viele Telematiklösungen für Logistikunternehmen sind im Markt bereits etabliert, doch werden wirklich alle Potentiale der vorhandenen Softwarelösungen genutzt? Die Analyse betrachtet die Nutzung von Telematikpotentialen durch Logistikunternehmen. Hierzu wurden 26 Logistikunternehmen befragt und die Angebote von 52 Telematikanbietern ausgewertet. Es zeigte sich, dass alle verfügbaren Nutzungspotentiale bei Dispositionsprozessen von weniger als 19 % der Befragten genutzt werden. Damit die Angebote besser und häufiger genutzt werden, müssen diese zeitnah einen Return-on-Investment bieten, sagen die befragten Logistikunternehmen.
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Internationales Verkehrswesen (73) 2 | 2021 38 LOGISTIK Wissenschaft Ungenutzte Potentiale der Telematik Logistikunternehmen im digitalen Umbruch Telematik, Digitalisierungsgrad in der Logistik, Telematik-Marktanalyse, Potentiale von Telematiklösung Viele Telematiklösungen für Logistikunternehmen sind im Markt bereits etabliert, doch werden wirklich alle Potentiale der vorhandenen Softwarelösungen genutzt? Die Analyse betrachtet die Nutzung von Telematikpotentialen durch Logistikunternehmen. Hierzu wurden 26 Logistikunternehmen befragt und die Angebote von 52 Telematikanbietern ausgewertet. Es zeigte sich, dass alle verfügbaren Nutzungspotentiale bei Dispositionsprozessen von weniger als 19 % der Befragten genutzt werden. Damit die Angebote besser und häufiger genutzt werden, müssen diese zeitnah einen Return-on-Investment bieten, sagen die befragten Logistikunternehmen. Boris Zimmermann, Yusuf Say D as Bundesministerium für Wirtschaft und Energie sieht in der Digitalisierung einen wesentlichen Treiber für die Zukunft des Standorts Deutschland [1]. Die Digitalisierungspotentiale in der Logistik wurden 2018 in der Studie „Digitalisierungswerkzeuge in der Logistik“ untersucht, dabei wurde festgestellt, dass zahlreiche Digitalisierungswerkzeuge bereits in der Praxis eingesetzt werden, so sind beispielsweise Telematikplattformen fest in den Prozessen der Logistikunternehmen etabliert. Andere Angebote, wie z. B. Predictive Analytics-Lösungen, werden von weniger als 50 % der befragten Logistikunternehmen genutzt. Nur 50 % der Logistikunternehmen haben die Vision von einer „digitalen Spedition“ [2]. Die Frage stellt sich, ob es an Software- oder Telematikangeboten fehlt, damit mehr Unternehmen weiteres Digitalisierungspotential nutzen wollen. Die Digitalisierung der Logistikbranche Der Telematikmarkt ist bisher mit ca. 10 bis 20 % pro Jahr gewachsen und liegt bei einem Volumen von rund 120 Mio. EUR. Bis 2027 wird von einer Verdoppelung des Umsatzvolumens ausgegangen. [3] Die weitere Entwicklung ist davon abhängig, wie Logistikunternehmen die neuen Potentiale der Telematikanbieter nutzen werden. In dieser Untersuchung soll die Frage beantwortet werden, ob und in welchem Grad die Potentiale der vorhandenen Telematiklösungen am Markt durch die Logistikunternehmen genutzt werden. Damit soll gezeigt werden, welche Nutzungspotentiale noch bestehen, die zu erschließen sind. Untersuchungsmethodik und Forschungsstand Zuerst wird der aktuelle Stand der Forschung kurz dargestellt. Anschließend wird der State-of-the-Art von Telematikangeboten untersucht und daraus Digitalisierungscluster gebildet; diese sind wesentlich, um den Digitalisierungsgrad der Logistikunternehmen zu bestimmen. Die Untersuchung ist induktiv, da auf Basis von gezielten Befragungen ausgewählter Logistikunternehmen ein Digitalisierungsgrad für den Gesamtmarkt abgeleitet wird. Der Fokus liegt dabei auf dem logistischen Kernprozess Transport und zwei seiner Unterstützungsprozesse, der Fahrzeugwartung und der Lohnbuchhaltung des Fahrpersonals. Nach Darstellung des Nutzungsgrades der Telematikanwendungen wird das Marktangebot im Detail analysiert. Die Ergebnisse wurden ausgewählten Logistikunternehmen im Rahmen eines Workshops vorgestellt, hinterfragt und anschließend empirisch evaluiert. Der Workshop sollte zeigen, welche der Nutzungspotentiale in Zukunft durch die Logistikunternehmen realisiert werden können und welche nicht. Insgesamt wurden 19 Veröffentlichungen gefunden; acht stammen aus dem anglo-amerikanischen Raum, elf aus Deutschland. Während die internationalen Studien aus den Jahren 2020 und 2019 stammen, wurden in Deutschland in diesem Zeitraum nur zwei Studien veröffentlicht. Allerdings beinhalten die internationalen Studien hauptsächlich die PKW-Telematik und deren Anwender, lediglich eine Studie beschäftigt sich ausschließlich mit Telematik für LKW. Die untersuchten Studien sind in den Anlagen [2 bis 20] zu finden. Brosig und Dudek fanden 2017 als zentrales Ergebnis heraus, dass die Nutzbarkeit von Telematikfunktionen auf unterschiedlichen Hardwareplattformen wesentlich für die Nutzer ist. Der Fokus ändert sich von der Steuerung der Fahrzeuge auf die Steuerung der Wa- PEER REVIEW - BEGUTACHTET Eingereicht: 12.02.2021 Endfassung: 09.04.2021 Internationales Verkehrswesen (73) 2 | 2021 39 Wissenschaft LOGISTIK renströme, dabei bleiben die Logistikunternehmen einem einmal ausgewählten System treu. Das Fahrverhalten bzw. die Fahrerbewertung nehmen, neben der gesetzlich vorgeschriebenen Überwachung der Lenk-, Arbeits- und Ruhezeiten, an Bedeutung zu. Starkes Verbesserungspotential sehen Nutzer hinsichtlich einer benutzerfreundlicheren Anzeige und der Bedienung der Systeme. [18] Dudek hatte bereits 2015 festgestellt, dass Hersteller standardmäßig Flottenmanagementsystem in ihren Fahrzeugen integriert haben. Allerdings unterschieden sich die Funktionen dieser Systeme stark voneinander. [19] Im Jahr 2013 fokussierte sich Voigt auf die Trailer-Telematik und deren Systemeigenschaftenfunktionen, die Total Costs of Ownership und die Entwicklungstrends im Markt. Bereits damals war die Ortungsfunktion weit verbreitet, die OEM-Lösungen hatten die größten Marktanteile. Interessant war bereits damals, dass neben einem Standardsystem mindestens eine weitere Software eingesetzt wurde. So wurden in der Zugmaschine mindestens ein weiteres Telematiksystem eingesetzt, wobei die Zusammenführung der Daten dieser unterschiedlichen Systeme sehr aufwendig war. [20] Ausgehend vom Jahr 2013 zeigt sich, dass die Ansprüche der Anwender individueller werden und die Spezifität der Produkte entsprechend angepasst werden muss. Der Trend geht somit zum Management der Geschäftsprozesse. Jedoch fehlt in den bisherigen Untersuchungen eine umfangreiche Untersuchung der Wünsche der Logistikunternehmen im Verhältnis zu den Angeboten im Markt. In den genannten Studien wurden lediglich maximal zehn Telematikanbieter analysiert, eine Befragung der Kundenwünsche wurde nicht näher beschrieben. Diese Lücke soll nun geschlossen werden. Kriterien zur Untersuchung des Digitalisierungsgrades von Logistikunternehmen Damit die Untersuchung des Digitalisierungsgrades von Logistikunternehmen nach einheitlichen Kriterien erfolgt, wurden aufgrund einer Analyse der Angebote von Telematikunternehmen Kriterien definiert, die den Entwicklungsgrad der Anwendung bestimmen [21]. Zudem wurden die Prozesse der Logistikunternehmen in Kernprozesse und unterstützende Prozesse getrennt. Der Kernprozess von Logistikunternehmen ist der Transport und damit die Disposition. Aufgaben der Lagerhaltung werden durch Telematiksysteme nicht unterstützt und sind somit nicht Gegenstand der Untersuchung [22]. Zwei unterstützende Prozesse wurden ebenso untersucht, die Wartungsplanung der Fahrzeuge und die Lohnbuchhaltung des Fahrpersonals, da diese Prozesse unmittelbar von der Disposition ausgelöst werden. Auf Basis der untersuchten Angebote wurden die gefundenen Telematiklösungen unterschieden nach: • Standard-Telematiklösungen, d. h. es werden einfache Fahrzeugdaten analysiert (Grad 1), • Advanced Telematik, d. h. es werden erweiterte Fahrzeugdaten analysiert (Grad 2), und • Smart Telematik, d. h. es werden Geschäftsprozesse automatisiert (Grad 3). Standard-Telematiklösungen (Grad 1) werden durch alle identifizierten Anbieter unterstützt. Funktionen wie Positionsbestimmung über GPS, Kommunikation zwischen Disponenten und Fahrer, Überwachung bestimmter Parameter, z. B. Messung des Kraftstoffverbrauches, der Geschwindigkeit, Meldung des Tankfüllstands oder Reifendrucküberwachung, gehören zum Standard einer jeden Telematik. Durch standardisierte Tourenplanungsmanagementsysteme (TMS) werden Funktion der Tourenplanung abgedeckt, so gibt es die Möglichkeit, Routen hinsichtlich der Kriterien wie Verbrauch, Maut oder Baustellen zu optimieren. Diese Funktionalität ist im Markt etabliert und wird deswegen nicht weiter betrachtet, alle Anbieter haben diese Funktionen in ihrem Standardangebot integriert. Advanced Telematik (Grad 2) sind Anwendungen, die dabei helfen, die gesammelten Daten gezielt auszuwerten. Zu den Funktionen gehören z. B. die Bewertung des Fahrpersonals durch Fahrstilanalyse oder die Wartungsplanungsunterstützung inklusive der Anzeige von Untersuchungsterminen. Außerdem werden bei derartigen Anwendungen das Remote-Auslesen des Massenspeichers und der DTCO-Fahrerkarte angeboten und ermöglichen nicht nur eine Überwachung von Lenk- und Ruhezeiten sowie das Führen eines Fahrtenbuches, sondern auch das erweiterte Fahrerkartenmanagement z. B. durch eine Arbeitszeitenkontrolle, Spesenabrechnung und Bußgeldkontrolle. Smarte Telematikanwendungen (Grad 3) zeichnen sich dadurch aus, dass sie dabei helfen, Prozesse komplett zu automatisieren. Zum Beispiel wird durch Geofencing eine proaktive Lieferavise möglich, oder abgestimmte Zustellinformationen werden an den Warenempfänger weitergeleitet. Ebenso werden Belege vollständig digitalisiert, wie z. B. durch Sign-on-Glas oder durch den e-CMR-Standard Frachtbrief. Die gezielte Anwendung künstlicher Intelligenz (KI) hilft bei der intelligenten und automatisierten Tourenplanung, der Arbeitszeitenkontrolle und der Gehaltsabrechnung. Predictive Maintenance ersetzt die Wartungsplanung komplett. Im Weiteren werden nur Grad 2 und Grad 3 untersucht, die Tabelle 1 zeigt die definierten Untersuchungskriterien zur Bestimmung des Digitalisierungsgrades. Diese Kriterien sollen auch zur Klassifizierung der Anbieter von Telematiklösungen genutzt werden, um so den Best-in-Class-Grad im Markt des jeweiligen Anbieters festzulegen. AT A GLANCE After evaluating 19 publications, interviewing 26 logistics companies and analysing 52 telematics providers, the state of digitisation of logistics companies was determined. The degree of digitalisation was analysed for the core processes of transport and dispatching, as well as for the support processes of payroll accounting for drivers and vehicle maintenance. A distinction was made between advanced telematics and smart telematics. The available utilisation potentials were fully utilised for smart telematics applications in only 19 % of the logistics companies surveyed. 15 % of the logistics companies schedule their vehicles exclusively manually, and no advanced telematics applications are used here either. Therefore higher individuality, a transparent return on investment and more logistics know-how on the part of the telematics providers are necessary to reach a higher degree of digitalisation. Internationales Verkehrswesen (73) 2 | 2021 40 LOGISTIK Wissenschaft Nutzung von Telematikanwendungen in Logistikunternehmen Für die Analyse wurden 26 Logistikunternehmen befragt. Zur Einteilung der Unternehmen in Größenklassen wurde die Kategorisierung der Europäischen Union verwendet [23]. Die Verteilung der Unternehmen in der Stichprobe ist in Bild 1 zu sehen. Die Unternehmensgrößenklassen wurden mit der Verteilung im Markt verglichen. Die Daten stammen zwar aus dem Jahr 2015, jedoch dürfte sich die Verteilung im Markt kaum verändert haben [24]. Neben der Unternehmensgröße ist auch das Marktsegment wesentlich für die Übertragbarkeit der Daten auf den gesamten Markt. Bild 1 zeigt ebenso das Ergebnis des Vergleiches der Umsatzanteile der befragten Unternehmen mit den Umsatzvolumina im gesamten Logistikmarkt, die Datenbasis war die Top 100 der Logistik aus Jahr 2018 [25]. Kleine Unternehmen bis 50 Mitarbeiter sind in dieser Stichprobe unterrepräsentiert, die Ergebnisse sind deswegen entsprechend zu werten. In der Befragung wurde deutlich, dass Unternehmen mit weniger als 50 Mitarbeiter generell einen geringeren Digitalisierungsgrad aufwiesen. Insofern dürfte der tatsächliche Digitalisierungsgrad im Logistikmarkt geringer sein. In der Stichprobe war die Verteilung gemäß der Marktsegmente ungleich, sodass nur in einzelnen Teilmärkten die Aussagen auf den Gesamtmarkt übertragen werden können. Bei der Befragung der Logistikunternehmen sollten diese den Nutzungsgrad der jeweiligen Funktion im Unternehmensprozess schätzen. Hierzu wurde gezielt die Disposition und die anderen Abteilungen im jeweiligen Logistikunternehmen befragt. Die Kriterien aus der Tabelle 1 wurden dabei übernommen, sodass der jeweilige Nutzungsgrad der Telematik bestimmt werden konnte. Das Ergebnis der Befragung ist in Bild 2 dargestellt. Zur Bestimmung der Digitalisierungsgrade im jeweiligen Segment Disposition, Wartung und Lohnbuchhaltung wurden die 100-%-Nutzung und die Nutzung zwischen 75 % und 50 % addiert und der Mittelwert daraus gebildet. Für den Bereich Advanced Telematik ergab sich so ein Digitalisierungsgrad von 65 % bei der Disposition (Durchschnitt aus Kriterium 1, 2 und 3). Bei der Lohnbuchhaltung (Gehaltsabrechnung Kriterium 4) lag dieser bei 62 % bei der Wartungsplanung (Kriterium 5) bei 100 %. Im Bereich der Smart Telematik lag der Digitalisierungsgrad der Disposition bei 19 %, in der Lohnbuchhaltung (Kriterium 4) bei 42 %, der Wartungsplanung bei 8 %. Bei allen befragten Logistikunternehmen wird die Disposition immer noch manuell unterstützt, vollständig durch KI wird dies bei keinem Unternehmen durchgeführt. Die Einflussnahme in der Lohnbuchhaltung durch Geschäftsführer wird ebenso als häufiger Grund genannt, warum Daten nicht ohne Medienbrüche Grad 2 Advanced Telematik: Erweiterte Fahrzeugdatenanalyse Grad 3 Smart Telematik: Unterstützung des Geschäftsprozessmanagements Kernprozesse Disposition und Transport Kernprozesse Disposition und Transport Dispositionsprozesse erfolgen weitgehend manuell, das System gibt lediglich Hinweise zur Optimierung. Automatisierungspotentiale, wie das Auslesen des Massenspeichers, werden jedoch genutzt Die Disposition überwacht nur die Systemprozesse und greift nur selten manuell in den Ablauf ein. Prozesse werden lediglich kontrolliert und überprüft. Definierte Messkriterien zur Bestimmung des Digitalisierungsgrades 1. Automatisierte Meldung von erreichten GPS-Positionen mit anschließend manueller Entscheidung was mit dieser Meldung passieren muss 2. Teildigitalisierung der Belege, wie Remote-Auslesen des Massenspeichers oder Einscannen/ Fotografieren von Belegen 3. Tourenplanungsvorschläge und Hinweise durch das System 1. Geofencing, wie z. B. proaktive Lieferavise 2. Vollständige Digitalisierung von allen Belegen beim Transport (Sign-on-Glass und E-CMR) 3. Intelligente automatisierte Tourenplanung durch KI Unterstützende Prozesse: Wartung und Lohnbuchhaltung Unterstützende Prozesse: Wartung und Lohnbuchhaltung Prozesse wie Lohnbuchhaltung werden durch gezielte Information über das Fahrpersonal unterstützt, werden jedoch noch aufgrund von Medienbrüchen manuell weiterverarbeitet. Die Prozesse sind ohne Medienbrüche vollständig automatisiert, es erfolgt lediglich eine stichprobenartige manuelle Kontrolle Definierte Messkriterien zur Bestimmung des Digitalisierungsgrades 4. Gehaltsabrechnung teilautomatisiert, aber Arbeitszeitenkontrolle manuell, Fahrerbewertung teilautomatisiert, d.h. Boni zum Lohn werden manuell bestimmt auf Basis von Hinweisen über das Fahrverhalten vom dem Telematiksystem 5. Wartungsplanung teilautomatisiert (Anzeige von Störungen, die eine manuelle Entscheidung erfordern) 4. Gehaltsabrechnung vollständig automatisiert, Arbeitszeitenkontrolle und Fahrerbewertung unterstützt durch KI 5. Wartungsplanung automatisiert (Predictive Maintenance) Tabelle 1: Ausgewählte Prozessschritte von Logistikabläufen in Logistikunternehmen Bild 1: Verteilung der Unternehmensgrößenklasse im Logistikmarkt im Vergleich mit der Stichprobe der befragten Logistikunternehmen Internationales Verkehrswesen (73) 2 | 2021 41 Wissenschaft LOGISTIK weiterverarbeitet werden. Beim Predictive Maintance ist die Nutzung abhängig vom jeweiligen Hersteller der Fahrzeuge und aufgrund von Kostengründen nicht überall frei geschaltet. Der Digitalisierungsgrad in Logistikunternehmen ist somit im Bereich Smart Telematik ausbaufähig. Aufgrund einer Auswertung von über 250 Internetseiten wurden 52 Telematikanbieter berücksichtigt. Der Markt ist mittelständisch geprägt, 22 Unternehmen hatten weniger als 100 Mitarbeiter, 40 Unternehmen weniger als 200 Mitarbeiter. Die Anbieter fokussieren sich auf Telematiklösungen, nur fünf Unternehmen bieten eine eigene Speditionssoftwarelösung an. Alle Anbieter bieten die Option ihre Dienstleistungen auch als Software-as-a-Service-Lösung (kurz SaaS) an, 15 Telematikanbieter bieten ihre Leistungen ausschließlich als SaaS an. Von den befragten Logistikunternehmen hat keines diesen Service genutzt, da die Unternehmen bereits eine eigene Infrastruktur besitzen. Inwieweit durch neue Angebote am Markt sich die IT-Infrastruktur ändert, wurde nicht gefragt, es gibt hier jedoch ungenutztes Potential die Digitalisierungsgrade zu erhöhen. Festgehalten wurde bei der Analyse, ob die jeweilige Funktionalität Element der Standardlösung war oder ob es als Zusatzprogramm erworben werden musste. Ebenso wurde untersucht, ob die Funktionalität durch eine Schnittstelle oder einfache Anpassung in die Standardlösung eingebunden werden konnte. Bei 25 % der untersuchten Anbieter musste nachgefragt werden, ob Alternativen existieren, z. B. durch eine eigene Sonderprogrammierung. Die Anbieter von Telematikanwendungen sind im Bereich Advanced Telematik sehr gut aufgestellt, insofern wird in Bild 3 nur die Smart Telematik dargestellt. Die Kostenfaktoren der jeweiligen Softwarepakete wurden untersucht. Dabei stellte sich heraus, dass die Preise sehr stark vom Nutzungsumfang und der gewünschten Integration in die Geschäftsprozesse des Kunden abhängen, sodass die Kosten je Angebot von den individuellen Anforderungen des Kunden abhängig sind. Es wurde keine Abfrage bei den Telematikanbietern hinsichtlich eines Standardangebotes für in dieser Untersuchung definierten Digitalisierungsgrade gemacht, sodass hier keine Zahlen vorliegen. Diese Analy- Bild 2: Ergebnisse der Befragung der Logistikunternehmen zum Nutzungsgrad der Telematik unterschieden nach Grad-2 Advanced Telematik und Grad-3 Smart Telematik Bild 3: Entwicklungsstand von Telematikanwendungen im Bereich Smart Telematik Internationales Verkehrswesen (73) 2 | 2021 42 LOGISTIK Wissenschaft se könnten in weiteren Untersuchungen durchgeführt werden. Da eine automatisierte Tourenplanung, wie in Bild 2 gezeigt, derzeit von keinem der befragten Logistikunternehmen genutzt wird, wird diese von 29 % der Telematikanbieter nicht als Angebot im Markt platziert. 29 % der Telematikanbieter bieten keine eigene Schnittstelle für die Gehaltsabrechnung an, auch hier ist die mangelnde Nutzung der Logistikunternehmen ein Grund. Der hohe Anteil einer nicht vorhandenen automatisierten Wartungsplanung lässt sich dadurch erklären, dass hierfür der Hersteller der LKW die entsprechenden Schnittstellen im CAN-BUS freigeben muss. Der Digitalisierungsgrad bei den Telematikanbietern ist in Bezug auf die Smart Telematik sehr hoch. Jedoch muss festgehalten werden, dass lediglich 8 % aller Telematikanbieter alle Smart Telematik-Funktionen im Standardprogramm anbieten. Um den vollen Funktionsumfang zu erhalten, müssen Logistikunternehmen daher zusätzlich in spezifische Programmierleistung investieren. Vor allem bei margenschwachen Logistikdienstleistungen stellt sich allerdings die Frage, ob dieses Investitionsvolumen zumindest für KMU aufgebracht werden kann. Auf Basis dieser Ergebnisse lässt sich das Potentialdefizit zwischen Angebot und Nachfrage ermitteln, die Auswertung ist in Bild 4 dargestellt. Bei der Disposition zeigt sich, dass die Digitalisierung von Belegen derzeit bei weniger als 20 % der Logistikunternehmen genutzt wird im Verhältnis zu den Angeboten der Telematikanbieter, dies muss hinterfragt werden. Dies gilt ebenso für die automatisierte Tourenplanung, die Disposition ist nur zu 85 % teilautomatisiert (vgl. Bild-2) und wird bei 15 % der befragten Logistikunternehmen rein manuell ausgeführt. Die Lohnbuchhaltung ist bei knapp 60 % automatisiert, dies entspricht auch den Angeboten am Markt. Auf die Nutzung des Predictive Maintenance wurde bereits eingegangen. Ursachenforschung: Woher kommt dieses Defizit? Mit 14 ausgewählten Logistikunternehmen konnte im Nachgang der schriftlichen und mündlichen Befragung ein Online-Workshop durchgeführt werden, ein Telematiksoftwareanbieter erklärte sich ebenso zur Teilnahme bereit. Der Workshop dauerte zwei Stunden, es wurden zunächst die obigen Ergebnisse dargestellt und erläutert. Generell wurde von den Logistikunternehmen dargestellt, dass die Personalsituation bei dem LKW-Personal schwierig ist und bleiben wird. Personal muss intensiv betreut werden, die Disposition übernimmt auch einen „sozialen Faktor“, der für den Verbleib des Personals als wesentlich eingeschätzt wird. Die Kontrolle der Fahrer über Smart Telematik wird somit kritisch gesehen. Dies gilt insbesondere für die Fahrerbewertung, diese ist durch gezielte technische Eingriffe vom Fahrer selbst manipulierbar. Somit können die Ergebnisse nicht eindeutig sein. Zusätzlich sind die Einsatzgebiete je Fahrzeug sehr unterschiedlich, sodass Telematikprogramme stark individualisiert werden müssen. Die vollständige Digitalisierung von Belegen ist aufgrund der Diversität der Leistungsangebote der Logistikunternehmen nur schwierig umzusetzen. Das Kundenportfolio ist sehr vielfältig und die Wünsche schwer in einheitlichen Formaten standardisierbar. Zudem fehlt es bei den Telematikanbietern an Verständnis der jeweiligen Unternehmensprozesse, da diese auch innerhalb von Marktsegmenten durch gewachsene Strukturen stark individuell sind. Bei allen Logistikunternehmen besteht der Wunsch nach maßgeschneiderten Lösungen, die bei der Digitalisierung der Belege helfen würden. Beim Geofencing wurde erkannt, dass die Angebote der Logistikunternehmen gegenüber ihren Kunden verbessert werden müssen; eine proaktive Marktakquise mit entsprechenden Leistungen wäre hier notwendig. Die Telematikanbieter Bild 4: Gegenüberstellung des Digitalisierungsgrades von Logistikunternehmen und dem Angebot von Telematikanbietern in Bezug auf Smart Telematik-Lösungen Internationales Verkehrswesen (73) 2 | 2021 43 Wissenschaft LOGISTIK haben erkannt, dass sie deutlich stärker in Logistik- Knowhow investieren müssen. Umgekehrt muss das IT- Knowhow bei den Logistikunternehmen, vor allem bei den KMU mit weniger als 50 Mitarbeitern, verbessert werden. Es bleibt jedoch die Aufgabe des Telematikmarktes, Angebote kostengünstiger und leichter integrierbar zu gestalten. Fazit Der Digitalisierungsgrad bei Anwendungen der Advanced Telematik erreicht in den Logistikunternehmen bereits 65 % bei Dispositionsprozessen, im Bereich Smart Telematik lediglich 19 %. Die Angebote der Telematikanbieter könnten besonders in der Smart Telematik verbessert werden, da die Lohnbuchhaltung oder die Wartung bei mehr als 30 % der Angebote nicht dem State-of-the-Art der technischen Möglichkeiten entspricht. Angebote müssen individueller, detaillierter und kostengünstiger sein, oder der Return-On-Investment muss transparenter werden. Ohne weiteren Aufbau von Logistik-Knowhow bei den Telematikanbietern wird das nicht gelingen. Auf der anderen Seite müssen Logistikunternehmen besonders ihre zum Großteil manuellen Dispositionsprozesse auf weitere Digitalisierungspotentiale hin überprüfen. Insbesondere bei der Belegerfassung ist es fraglich, warum weniger als 20 % der Unternehmen die entsprechenden Telematikangebote nutzen. ■ LITERATUR [1] BMWi (2021): Den digitalen Wandel gestalten. In: Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. www.bmwi.de/ Redaktion/ DE/ Dossier/ digitalisierung.html (Abruf: 27.10.2020) [2] Stölzle, W.; Schmidt, T.; Kille, C.; Schulze, F.; Prinz von Sachsen, P. C.; Widhopf, V.; Wildhaber, C. (2018): Digitalisierungswerkzeuge in der Logistik: Einsatzpotenziale, Reifegrad und Wertbeitrag. Impulse für Investitionsentscheidungen in die Digitalisierung - Erfolgsgeschichten und aktuelle Herausforderungen. Universität St. Gallen, Institut für Supply Chain Management. 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