Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2021-0036
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Die Idee von Nabe und Speiche
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Nissan und seine Projektpartner erproben in der von Erdbeben und Tsunami getroffenen Präfektur Fukushima nördlich von Tokyo ein Konzept, das neue Wege für innovative Mobilität, umweltfreundliche Energieversorgung und besseres soziales Zusammenleben gleichermaßen weisen soll.
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Internationales Verkehrswesen (73) 2 | 2021 50 Die Idee von Nabe und Speiche Nissan-Projekt in Japan soll urbane Mobilität und Energieversorgung stärken Mobility as a Service, Rufbus, Energiespeicher, Elektromobilität Nissan und seine Projektpartner erproben in der von Erdbeben und Tsunami getroffenen Präfektur Fukushima nördlich von Tokyo ein Konzept, das neue Wege für innovative Mobilität, umweltfreundliche Energieversorgung und besseres soziales Zusammenleben gleichermaßen weisen soll. I n der Stadt der Zukunft könnte ein Konzept an Bedeutung gewinnen, das „Nabe und Speiche“ genannt wird: Denn was sich hinter diesem Begriff verbirgt, bringt nicht nur die Menschen in der Stadt in Bewegung, sondern zeigt auch neue Wege für eine stabile und umweltfreundliche Energieversorgung auf. Teil dieses Projekts, das von Fahrzeughersteller Nissan und sieben weiteren Projektpartnern durchgeführt wird, ist ein ausgeklügeltes Transportsystem in Kombination mit Technologien, die durch Integration von Elektrofahrzeugen und ihren Batterien die Stromversorgung resilienter machen sollen - speziell in Ausnahmesituationen wie Naturkatastrophen. Wiederaufbau mit innovativen Ideen Die Wahl der Projektregion geschah aus guten Gründen: Im März 2011 wurde die Küstenstadt Namie von Erdbeben und Tsunami schwer getroffen und daraufhin evakuiert. „Dieses Projekt ist einzigartig“, sagte Nissan-CEO Makoto Uchida kürzlich anlässlich des Starts. „Wir wollen nicht nur den Wiederaufbau der betroffenen Region unterstützen, sondern auch das Leben der Menschen bereichern.“ So sollen Innovationen eine zentrale Rolle bei der Revitalisierung der Stadt spielen. Zum Beispiel ist Namie seit dem Jahr 2018 auch Standort eines neuen Nissan-Werks, in dem das Partnerunternehmen 4R Energy gebrauchte Batterien aus Elektrofahrzeugen für ein „zweites Leben“ recycelt. Das neue Projekt ist freilich breiter angelegt und umfasst zahlreiche Aktivitäten. Vier Aspekte sind besonders wichtig: • die Einführung von Mobilitätsdiensten, um die Menschen mobil zu halten, • der Einsatz erneuerbarer Energien, um CO 2 -Emissionen zu reduzieren, • eine stabile „grüne“ Energieversorgung für die Gemeinden und • eine höhere Widerstandsfähigkeit gegen die Folgen von Naturkatastrophen. Wo ein Rad ist, ist auch ein Weg In vielen kleineren Städten, in Japan und anderswo auf der Welt, schrumpft und altert die Bevölkerung, weil immer mehr junge Leute in größere Städte ziehen. Dies wirkt sich auch auf den öffentlichen Nahverkehr aus: Weil immer weniger Menschen Busse und Bahnen nutzen, werden in vielen Teilen der Welt immer mehr regionale Verbindungen stillgelegt. Nach dem Tsunami von 2011 und seinen Folgen baut Namie sein Nahverkehrsnetz nun neu auf: für Menschen, die nach Hause zurückkehren, und für neue Besucher. Dabei werden auch Bevölkerungs- Trends und Altersdynamik berücksichtigt. Übliche Shuttle-Dienste bringen die Fahrgäste zwar von Tür zu Tür, doch dafür Alle Abbildungen: Nissan MOBILITÄT Innovation Internationales Verkehrswesen (73) 2 | 2021 51 Innovation MOBILITÄT braucht man viele Fahrzeuge und viele Fahrer. Das ist teuer und mitunter schwierig zu organisieren. Das „Nabe und Speiche“-System dagegen bietet Menschen in Städten wie Namie eine völlig neue Art, unterwegs zu sein. Wie bei einem Speichenrad befindet sich in der Mitte eine zentrale Fahrzeugstation, gewissermaßen die Nabe des Rades. Von hier aus führen kürzere Routen - die Speichen - zu Wohnquartieren, Firmen oder Geschäften. Die Naben mehrerer solcher Räder werden dann durch Shuttle- Services mit Elektro-Minibussen verbunden (Bild 1). Die Nutzer können Fahrten entlang der Speichen buchen - schnell und einfach per Smartphone-App - und dann per Shuttle von einer Nabe zur anderen wechseln, um sich durch die Stadt zu bewegen. Komfortabel ist ein so organisierter Mobilitätsdienst für praktisch alle Nutzer: ältere Einwohner, die in der Stadt shoppen gehen wollen, Geschäftsreisende auf dem Weg zu einem Meeting oder Touristen beim Sightseeing. Genau dieses Konzept wird derzeit im Rahmen des Gesamtprojekts in Namie erprobt - und stößt bei den Nutzern durchweg auf positive Resonanz: „Ich brauchte keine Reservierung zu machen, sondern stand einfach nur an einer digitalen Bushaltestelle, als ein Auto vorbeikam“, berichtet ein Teilnehmer (Bild 2). „Ich glaube, dass so ein intelligentes Mobilitätssystem es den Menschen in Namie ermöglichen würde, sorgenfrei ihrem täglichen Leben nachzugehen.“ Energieversorgung - umweltfreundlich und stabil Einen Schritt weitergedacht: Können diese Elektrofahrzeuge vielleicht auch dazu beitragen, eine umweltfreundliche und zugleich sichere Energieversorgung für die Einwohner sicherzustellen? Um den Klimawandel zu bekämpfen und die CO 2 -Emissionen zu senken, spielen Erneuerbare Energien wie Sonne und Wind eine zentrale Rolle. Doch die Energieproduktion hängt bei diesen Quellen eben von äußeren Umständen ab und ist daher unregelmäßig. Es kommt nun darauf an, Angebot und Nachfrage möglichst ins richtige Gleichgewicht zu bringen. Batterien von Elektrofahrzeugen können mit derartigen, häufig wechselnden Nachfragebedingungen gut umgehen. Denn sie sind darauf ausgelegt, beim Beschleunigen und Bremsen hohe Mengen von Elektrizität praktisch verzögerungsfrei abzugeben und wieder zu speichern. Mit anderen Worten: Sie können Energie speichern, wenn sie gerade nicht benötigt wird oder im Überfluss vorhanden ist, und den Stromfluss zu regeln. Sie können bei Nacht geladen werden, wenn die Nachfrage gering ist, und diese Energie zurückspeisen, wenn die Nachfrage hoch ist (Bild 3). Die Second-Life-Batterien können ein Lebensmittelgeschäft, einen Straßenzug oder ein Stadion mit Energie versorgen. Auf diese Weise wurden beispielsweise Akkus des Nissan Leaf bereits für die Stromversorgung von Gebäuden in Katastrophengebieten genutzt. Diese Art von Energiemanagement kann aber auch Kommunen dabei helfen, Angebot und Nachfrage auszugleichen und Nachfragespitzen zu bewältigen. Über das Rad hinaus denken Dank maßgenauer Shuttle-Services und Energiemanagement-Systeme sind Elektroautos bei diesem Projekt nicht mehr nur Transportmittel: Sie werden zu Treibern für eine Neubelebung von Stadt und Gesellschaft. „Durch unsere Teilnahme an dem Projekt tragen wir mit Hilfe unserer Technologie dazu bei, dass das Leben in der Stadt angenehmer wird“, sagt Kunio Nakaguro, Executive Vice President, Global Research and Development, bei Nissan. „Dadurch bringen wir Menschen von außerhalb zurück in die Stadt, vor allem auch jene, die vor der Katastrophe hier gelebt haben. Mit diesem Projekt wollen wir nicht nur Mobilitätsdienste mit automatisiertem Fahren und anderen Technologien aufbauen, sondern auch ein Ökosystem mit recycelten Elektroauto-Batterien. Und wir möchten zusammen mit den Menschen vor Ort eine Gemeinschaft aufbauen, die auf diesem Ökosystem basiert.“ Mit anderen Worten: Beim Projekt in Namie geht es um mehr als um die Bewältigung einer lokalen Herausforderung. Es könnte zeigen, wie Innovationen die Gesellschaft in eine CO 2 -arme und letztlich CO 2 freie Zukunft führen können. www.nissan.de / ae / red ■ Hour Power demand Discharge EV to reduce peak Charging EV at night Baseline power (Thermal, etc.) Reusable energy (Solar, wind, etc.) Hour Power generated Adjust by charging/ discharging EV batteries Bild 3: Wechselnde Nachfragebedingungen ausgleichen mit Second-Life-Batteriespeichern Bild 1: Das Nabe-und-Speiche-Prinzip Bild 2: Bushaltestelle des Nabe-und-Speiche-Projekts
